LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/1454 13.12.2017 Datum des Originals: 12.12.2017/Ausgegeben: 18.12.2017 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 541 vom 8. November 2017 der Abgeordneten Gabriele Walger-Demolsky AfD Drucksache 17/1243 Kosten und Nutzen des Präventionsprogramms gegen gewaltbereiten Salafismus – Wegweiser – Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Einem Artikel auf NRW.Direkt 1 folgend, stellt der Staat immer größere Summen für Salafismus-Prävention bereit. Es gäbe in diesem Zusammenhang bis heute allerdings keine gesicherten Erkenntnisse, ob solche Programme Radikalisierung verhindern, begünstigen oder wirkungslos bleiben. Thomas Kaumanns, jugendpolitischer Sprecher der CDU, bestätigte in einem Artikel der NGZ vom 25.01.17 2: "Es handelt sich bei den gewaltbereiten Salafisten immer um Einzelfälle, die man mit Präventivmaßnahmen nicht mehr erreichen kann." Auf der Internetseite der „Wegweiser in Bochum“ 3 werden Desintegration und Diskriminierungserfahrungen, sowie Brüche oder Misserfolge in der persönlichen Biografie, als Gefahr dafür angesehen, ansprechbar zu sein für antidemokratische Tendenzen. Bei diesem Problem bezieht man sich hier ausdrücklich auf Muslime. Laut Antwort auf Frage 4, der kleinen Anfrage 134 der Abgeordneten Schäffer, “ laufen von den 507 Beratungsfällen 209 bereits seit einem längeren Zeitraum und dauern weiterhin an. In den 298 übrigen Fällen konnten durch die Beratung der Wegweiser-Anlaufstellen unter positiver Einbeziehung des Umfelds Betroffene in andere Hilfssysteme überführt sowie Perspektiven und kurzfristige Lösungsansätze aufgezeigt werden.“ Von einem positiven Abschluss wird auch hier nicht berichtet. 1 http://nrw-direkt.net/salafismus-praevention-teuer-und-nutzlos/ 2 http://www.rp-online.de/nrw/staedte/neuss/gegen-salafismus-hat-praevention-keine-chanceaid -1.6557740 LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/1454 2 3 http://www.wegweiser-bochum.de/ LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/1454 3 Im NRW.Direkt Artikel1 wird aufgeworfen, ob es von den Betreibern solcher Programme bereits als Erfolg angesehen wird, wenn potentielle Salafisten überhaupt mit ihnen reden, was man aus Formulierungen wie „Zum einen bleiben die Betreuer von Wegweiser weiterhin mit dem Umfeld in Kontakt, zum anderen ist es ihr Ziel, den Kontakt zu den Betroffenen selbst auch über den eigentlichen Beratungsvorgang aufrecht zu erhalten“ herausdeuten könnte. 2016 geriet das Programm in die Schlagzeilen, weil sich nach einem Bomben-anschlag auf ein Sikh-Gebetshaus in Essen herausstellte, dass der später zu sieben Jahren Jugendhaft verurteilte Haupttäter daran teilgenommen hatte. Yusuf T. kam in das Programm nachdem die Leitung seiner Schule im Oktober 2014 erstmals über sein auffälliges Verhalten berichtet hatte. So soll er von der Terror-Organisation Islamischer Staat (IS) geschwärmt und dessen Anschläge in Paris gelobt haben. Einer jüdischen Mitschülerin habe er gedroht, ihr „das Genick zu brechen“. Am 12. April 2016, vier Tage vor dem Attentat auf das Sikh-Gebetshaus, hatte er mit seinen Eltern zum letzten Mal an einer „Wegweiser“-Sitzung teilgenommen. Bei dem Anschlag wurden drei Teilnehmer einer indischen Hochzeitsfeier verletzt, ein 60-jähriger Priester schwer. In Wuppertal ist seit Jahren ein derzeit 17 Jahre junger Prediger aktiv. Dieser hat seit Jahren einen eigenen YouTube-Kanal und tritt im Raum Wuppertal auch in einzelnen Moscheen als Vortragender auf. Er beteiligte sich im Rahmen des mittlerweile verbotenen Netzwerks "Die wahre Religion" an Straßenständen. Als er noch zur Schule ging, missionierte er nachweislich an seiner Wuppertaler Realschule. Der Erziehungsberechtigte, sein Vater, steht hinter seinen öffentlichen Aktivitäten. Der Vater wird dem Umfeld der "Darul Arqam"-Gruppe um den 2015 inhaftierten und 2017 verurteilten Salafisten-Prediger Sven Lau zugeordnet. Versuche des Wuppertaler Jugendamtes, den jungen muslimischen Prediger in das "Wegweiser"-Programm aufzunehmen, scheiterten daran, dass er sich selbst nicht als hilfsbedürftig sieht, sondern von seiner religiösen Einstellung fest überzeugt ist. Nachdem sich sein Vater als Erziehungsberechtigter dabei hinter ihn gestellt hat, hatte das Wuppertaler Jugendamt keine Handhabe mehr, ihn in das Programm aufzunehmen. 4 5 In einer Studie des vom Bundesinnenministerium eingerichteten Nationalen Zentrums für Kriminalprävention (NZK) zu Präventionsmaßnahmen gegen religiöse Radikalisierung6 heißt es wörtlich: „Es sind daher nahezu keine Rückschlüsse möglich, ob Präventionsprojekte Radikalisierung verhindern, begünstigen oder wirkungslos bleiben.“ 4 https://vunv1863.wordpress.com/2017/07/02/wuppertal-ein-lehrstueck-fuer-die-grenzen-derderadikalisierung / 5 https://vunv1863.wordpress.com/2016/05/25/wuppertal-die-offene-tuer-fuer-diegegengesellschaft / 6 http://journals.sfu.ca/jd/index.php/jd/article/view/105/88 Der Minister des Innern hat die Kleine Anfrage 541 mit Schreiben vom 12. Dezember 2017 namens der Landesregierung beantwortet. Vorbemerkung der Landesregierung Das Präventionsprogramm Wegweiser ist im März 2014 mit Anlaufstellen in Bochum, Bonn und Düsseldorf zunächst als Modellprojekt gestartet. Das Land Nordrhein-Westfalen hat jeweils die Vollfinanzierung mit bis zu 80.000 Euro pro Standort übernommen, inklusive einer vollen Personalstelle. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/1454 4 Aufgrund der positiven Rückmeldungen und der hohen Nachfrage kamen in 2015 in einer zweiten Phase die Standorte Bergisches Land (mit Büro in Wuppertal), Dinslaken/Kreis Wesel, Duisburg und Dortmund hinzu. 2016 wurden die Anlaufstellen in Köln, Mönchengladbach und Münster eröffnet. In 2017 haben Anlaufstellen in Aachen, Bielefeld und Herford sowie Essen die Arbeit aufgenommen, so dass das Programm derzeit insgesamt über 13 Standorte in Nordrhein- Westfalen verfügt. Seit Januar 2017 können alle Wegweiser-Anlaufstellen eine zweite Personalstelle beantragen. Die Mittel dafür müssen vom Landtag für das jeweilige Haushaltsjahr bewilligt werden. 1. Wie hoch waren die Mittel, die die derzeit 13 "Wegweiser"-Beratungsstellen seit 2014 vom Landesinnenministerium und/oder dem Landes- verfassungsschutz bezogen haben? (Bitte nach Jahren und Beratungsstellen und Anteil der Personalkosten inkl. Anzahl der Stellen aufschlüsseln) Die Höhe der Mittel, die die 13 derzeit aktiven Wegweiser-Anlaufstellen seit 2014 vom Land erhalten haben, ergibt sich aus den nachfolgenden Tabellen. Die Sachkosten einzelner Wegweiser-Anlaufstellen sowie die verausgabten Personalkosten sind nicht miteinander vergleichbar, da sie von den unterschiedlichsten Faktoren abhängig sind. Dabei gilt, dass die Personalkosten u. a. abhängig von den individuellen Lebensläufen der Beraterinnen und Berater, ihrer Ausbildung und sonstigen Qualifikationen, ihren Erfahrungsstufen und nicht zuletzt aufgrund der zum Teil sehr unterschiedlichen Tarifbindungen der verschiedenen Trägerorganisationen variieren. Auch bei den jeweils veranschlagten Sachmittelkosten sind die divergierenden örtlichen Gegebenheiten zu berücksichtigen. So fallen zum Beispiel in einem Flächenkreis höhere Fahrtkosten an als im reinen Stadtgebiet oder die Mietkosten für die Anlaufstellen können aufgrund der unterschiedlichen örtlichen Mietspiegel zum Teil erheblich variieren. Ferner ist darauf hinzuweisen, dass die Vertragsjahre in der Regel nicht den Kalenderjahren entsprechen und dass z. B. aufgrund von personellen Wechseln und Vakanzen nicht alle Personalstellen kontinuierlich besetzt waren. Außerdem wurden mit der jeweils ersten monatlichen Zahlung an einen Träger einmalig die notwendigen Kosten für die Erstausstattung einer Wegweiser-Anlaufstelle (z. B. für Büromöbel, IT-Hardware, etc.) erstattet. 2014 Wegweiser- Anlaufstelle Gesamtmittel Prozentualer Anteil der Personalkosten (gerundet) Bochum (ab 19.03.2014) 65.516 Euro 57 % Bonn (ab 01.08.2014) 36.050 Euro 54 % LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/1454 5 Düsseldorf (ab 17.03.2014) 53.120 Euro 66 % 2015 Wegweiser- Anlaufstelle Gesamtmittel Prozentualer Anteil der Personalkosten (gerundet) Bergisches Land (ab 24.02.2015) 67.500 Euro 57 % Bochum 78.000 Euro 68 % Bonn 54.480 Euro 86 % Dinslaken/Kreis Wesel (ab 17.12.2015) 7.755 Euro 12 % Dortmund (ab 11.12.2015) 9.470 Euro 34 % Duisburg (ab 11.12.2015) 8.996 Euro 32 % Düsseldorf 64.800 Euro 77 % 2016 Wegweiser- Anlaufstelle Gesamtmittel Prozentualer Anteil der Personalkosten (gerundet) Bergisches Land 75.000 Euro 60 % Bochum 78.000 Euro 68 % Bonn 56.780 Euro 87 % Dinslaken/Kreis Wesel 38.580 Euro 56 % Dortmund 79.200 Euro 71 % LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/1454 6 Duisburg 70.800 Euro 72 % Düsseldorf 67.332 Euro 74 % Köln (ab 21.03.2016) 94.373 Euro 63 % Mönchengladbach (ab 01.12.2016) 11.550 Euro 35 % Münster (ab 01.12.2016) 11.451 Euro 33 % 2017 (Stand 01.12.2017) Wegweiser- Anlaufstelle Gesamtmittel Prozentualer Anteil der Personalkosten (gerundet) Bergisches Land 168.500 Euro 56 % Aachen (ab 01.03.2017) 106.640 Euro 57 % Bielefeld/ Herford (ab 01.04.2017) 132.550 Euro 56 % Bochum 164.399 Euro 61 % Bonn 70.567 Euro 69 % Dinslaken/Kreis Wesel 163.590 Euro 62 % Dortmund 129.077 Euro 63 % Duisburg 109.228 Euro 68 % Düsseldorf 116.727 Euro 68 % Essen (ab 01.10.2017) 25.331 Euro 54 % Köln 160.344 Euro 72 % Mönchengladbach 105.930 Euro 58 % Münster 139.135 Euro 59 % LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/1454 7 2. Wie geht die Landesregierung damit um, dass sich Teile der Zielgruppe des "Wegweiser"-Programms selber nicht als hilfsbedürftig sehen, sondern vielmehr fest von ihrer religiösen Ideologie überzeugt sind? Wegweiser verfolgt einen präventiven Ansatz und richtet sich an eine zumeist jugendliche Zielgruppe, die am Beginn eines möglichen Radikalisierungsprozesses steht. In diesem Stadium haben sich weitgehend noch keine festen ideologischen Strukturen entwickelt. In der Regel treten Personen aus dem sozialen Umfeld eines Betroffenen an Wegweiser heran und erhalten Unterstützung. Bestätigt sich tatsächlich die Sorge erster Bezüge zur Szene oder einer möglichen Radikalisierung, kann sich ein langfristiger Begleitprozess entwickeln. Wegweiser ist ein Angebot, es ist freiwillig und unterliegt keinem Zwang. 3. Laut Antwort auf Frage 1 der kleinen Anfrage 136 hat sich die Anzahl der Salafisten in Nordrhein-Westfalen von 2012 bis 2017 von 1000 auf 2900 fast verdreifacht. Wie bewertet die Landesregierung in diesem Zusammenhang und generell den Erfolg Ihrer Präventionsmaßnahmen „Wegweiser“. Das Programm Wegweiser ist ein wichtiger Baustein, um die Anzahl von Neu- Radikalisierungen in den Griff zu bekommen und einzugrenzen. Dies zeigt sich auch an dem ungebrochenen Interesse an den von den Wegweiser-Anlaufstellen durchgeführten Beratungen des sozialen Umfelds von Betroffenen (über 4.600 seit 2014), den allgemeinen Anfragen nach Informationsmaterial, Vorträgen, Pressenanfragen etc. (rund 4.700 seit 2014) sowie den durchgeführten Sensibilisierungsmaßnahmen (rund 1.600 seit 2014). In den letzten zwölf Monaten wächst die Zahl neu bekannt gewordener Salafisten – im Vergleich zu früheren Zeiträumen – nicht mehr in dem Maße. So ist die Zahl von 2.900 im März 2017 auf 3.000 Anfang Dezember 2017 angestiegen. 4. Mit dem Programm „Wegweiser“ soll der Einstieg von jungen Menschen in den extremistischen Salafismus verhindern und mit den Jugendlichen gearbeitet werden, die potentiell gefährdet sind. Wie hoch ist die Anzahl der erfolgreichen Fälle, in denen nachweisbar durch das Präventionsprogramm „Wegweiser“, eine Radikalisierung bzw. Hinwendung zum Salafismus verhindert werden konnte? Präventionsarbeit ist ein oftmals langfristiger Prozess, der auf Nachhaltigkeit angelegt ist. Mit Stand 30.09.2017 wurden in den Wegweiser-Anlaufstellen seit dem Start des Programms 553 Beratungsfälle aufgenommen, von denen 229 in eine längerfristige Betreuung mündeten, die auch weiterhin in unterschiedlicher Intensität andauert. In den 324 übrigen Fällen konnten durch die Beratung der Wegweiser-Anlaufstellen unter positiver Einbeziehung des Umfelds Betroffene in andere Hilfssysteme überführt sowie Perspektiven und kurzfristige Lösungsansätze aufgezeigt werden. Darüber hinaus wird auf die Antwort der Landesregierung auf die Frage 4 der Kleinen Anfrage 134 vom 30.08.2017 (LT-Drs. 17/469) verwiesen. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/1454 8 5. Welche, außer der in den Antworten auf die kleinen Anfragen 134 bis 136 der der Abgeordneten Schäffer öffentlich zugängige Informationen, über Kosten und Erfolg des Präventionsprogramms „Wegweiser“, gibt es? Unter anderem auf der Homepage des Ministeriums des Innern (www.im.nrw.de) finden sich ausführliche Informationen zum Präventionsprogramm Wegweiser. Außerdem wird das Programm in den Verfassungsschutzberichten des Landes Nordrhein-Westfalen der Jahre 2014 bis 2016 sowie in zahlreichen sonstigen Veröffentlichungen der Landesregierung (z. B. in der Publikation „Extremistischer Salafismus als Jugendkultur“, zuletzt herausgegeben in der 6. Auflage im Juli 2017) aufgeführt.