LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/1627 05.01.2018 Datum des Originals: 04.01.2018/Ausgegeben: 10.01.2018 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 598 vom 5. Dezember 2017 der Abgeordneten Christina Weng SPD Drucksache 17/1410 Exzessiver Alkoholmissbrauch bei Kindern und Jugendlichen Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Der Berichterstattung der Deutschen Presseagentur (dpa) zufolge hat in Nordrhein-Westfalen im vergangenen Kalenderjahr bei Kindern und Jugendlichen die Häufigkeit von Krankenhauseinlieferungen infolge exzessiven Alkoholmissbrauchs wieder leicht zugenommen. Die genannte Nachrichtenagentur bezieht sich in ihrer Zusammenfassung Nr. 1100 vom 29. November 2017 dabei auf eine Statistik des Statistischen Bundesamtes und der DAK-Gesundheit. Auf dieser Agenturmeldung basiert aktuell ein breites Medienecho zur plakativen Causa „Komasaufen bei Kindern und Jugendlichen“. Demnach kamen in unserem Bundesland im Jahr 2016 fast 5200 Kinder und Jugendliche zwischen 10 und 20 Jahren aufgrund von Alkoholvergiftungen in ein Krankenhaus. Dies entspricht einem Anstieg um 0,5 % im Vergleich zum Vorjahr. Erschreckend ist der Anstieg der Einweisungen bei den 10- bis 15-jährigen: Insgesamt mussten 611 Kinder und Jugendliche (davon 397 Mädchen und 214 Jungs) infolge exzessiven Alkoholmissbrauchs im Krankenhaus behandelt werden – ein Anstieg von 2 % gegenüber 2015. Dabei stieg die Zahl der volltrunkenen Jungen um 8 %, wobei die der Mädchen leicht rückläufig war. Allerdings, so dpa, trinken sich immer mehr Mädchen ins Koma: Bei den 10- bis 20-jährigen Mädchen und jungen Frauen stiegen die statistischen Werte um 3,8 %. Hingegen seien sie bei den männlichen Altersgenossen um 2,1 % rückgängig. Nach dem Höchststand von knapp 6230 jungen Exzess- bzw. Komatrinkenden in Nordrhein- Westfalen im Jahr 2011 sank die Rate auch dank der Aufklärungskampagnen der damaligen Landesregierung und der Krankenkassen. Doch seit 2014 ist wieder ein erneuter Anstieg zu beobachten. Sowohl der vormalige Landtag (fraktionsübergreifend) als auch die rot-grüne Landesregierung haben seit 2012 diesen brisanten Tatbestand immer wieder fokussiert, ausführlich erörtert und LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/1627 2 publik gemacht (vgl. Vorlage 16/176, Ausschussprotokoll 16/46 – S. 26, Ausschussprotokoll 16/175 - S. 29 f., Vorlage 16/1580 und Information 16/437). Im „Koalitionsvertrag für Nordrhein-Westfalen 2017 – 2022“ ist lediglich eine allgemeine Absichtserklärung enthalten, dass die nun regierungstragenden Fraktionen die Prävention stärken wollen. Etwa durch „Prävention in der Drogenpolitik“ und den Einsatz „für wirksame Aufklärungsprogramme in der Kinder- und Jugendarbeit sowie in der Schule“. Der Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales hat die Kleine Anfrage 598 mit Schreiben vom 4. Januar 2018 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration beantwortet. 1. Wie stellt sich aus Sicht der Landesregierung die aktuelle Situation in NRW dar? Bitte bewerten Sie auch die Effizienz bzw. den Erfolg von Suchtvorbeugung seit dem Jahr 2012 bis heute. Die Zahl der aufgrund einer Alkoholvergiftung eingelieferten Jugendlichen hat 2011 einen Höchststand (6.229) erreicht und ist zunächst kontinuierlich gesunken. Seit 2014 sind die Zahlen leicht ansteigend und entsprechen derzeit einem bundesweiten Trend. Die Zahlen der Klinikeinlieferungen aufgrund überhöhten Alkoholkonsums geben aber wenig Auskunft über die tatsächliche Problemlage in Bezug auf den Alkoholmissbrauch im Jugendalter. Nach Expertenmeinung gibt es unterschiedliche Ursachen für den Anstieg der alkoholbedingten Behandlungsfälle in Kliniken - von erhöhtem Konsum bis hin zu gesteigerter Sensibilität in Bezug auf Alkoholrausch im Jugendalter, die zu vermehrten Klinikeinlieferungen führen. Verlässliche Auskunft über die derzeitige Situation und Entwicklung im Bereich des Alkoholkonsums von Kindern und Jugendlichen geben die aktuellen Zahlen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA). Diese belegen, dass immer mehr Jugendliche im Alter zwischen 12 und 15 Jahren auf Alkohol verzichten. In dieser Altersgruppe hat jeder Zweite schon einmal Alkohol getrunken. Damit liegt die Lebenszeitprävalenz in 2016 rund 30 Prozentpunkte niedriger als in 2001. Außerdem sind in dieser Altersgruppe auch die riskanteren Formen des Alkoholkonsums rückläufig. Seit 2011 verzichten auch die 16- und 17- jährigen Jugendlichen immer häufiger auf Alkohol. Bei den männlichen Jugendlichen gehen seit 2011 der regelmäßige Konsum, der Konsum gesundheitlich riskanter Mengen und das Rauschtrinken zurück. Der Alkoholkonsum der 18- bis 25-jährigen jungen Männer und Frauen entwickelte sich in den letzten fünf Jahren unterschiedlich. Der Konsum gesundheitlich riskanter Mengen ist bei jungen Männern seit 2011 rückläufig (2016: 15,3 %), bei jungen Frauen liegt er weiterhin auf dem Niveau von 2010 (11 %). Allerdings konsumieren junge Frauen weiterhin deutlich moderater als junge Männer (vgl. Ergebnisse des Alkoholsurveys 2016 und Trends, BZgA- Forschungsbericht/Mai 2017). Dies ist ein Beleg, dass die kontinuierlichen Präventionsmaßnahmen im Bereich des Alkoholmissbrauchs durchaus Wirkung zeigen und gerade bei Jugendlichen zu einem kritischen Umgang mit alkoholischen Getränken geführt haben. Dieser Trend setzt sich fort. Es gilt diesen Trend durch geeignete Präventionsaktivitäten, insbesondere durch zielgruppenspezifische Maßnahmen, weiter zu forcieren. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/1627 3 2. Welche der bestehenden, konkreten Aktivitäten und Maßnahmen des Landes seit 2012 z.B. Kampagnen, Angebote, Aufklärung, Information, Intervention, Prophylaxe, Vernetzung, Zielgruppenarbeit usw. wird die Landesregierung fortsetzen oder vertiefen? Die Suchtprävention in Nordrhein-Westfalen ist langfristig angelegt und als wichtige Aufgabe im Bereich der Gesundheitsförderung und des Kinder- und Jugendschutzes anerkannt. So wird die bereits seit 1991 laufende Landeskampagne „Sucht hat immer eine Geschichte“ mit ihren unterschiedlichen Schwerpunkten und Maßnahmen sowie den örtlichen Aktionen als Kernstück der nordrhein-westfälischen Strategie zur Suchtvorbeugung fortgesetzt und weiterentwickelt. Die Fortführung der 2012 begonnenen landesweiten Aktivitäten zur Alkoholprävention bildet dabei einen inhaltlichen Schwerpunkt. Zu den damit verbundenen Maßnahmen gehören u.a.: Die flächendeckende Bereitstellung des „Methodenkoffers Alkoholprävention“, der mit interaktiven Methoden von Fachkräften in Schulen und Jugendeinrichtungen eingesetzt wird. Der Einsatz des „Alkoholparcours“, der ebenfalls eine interaktive Auseinandersetzung mit dem Alkoholmissbrauch im Rahmen der örtlichen Alkoholprävention ermöglicht. Hier wurden die Einsätze seit 2013 kontinuierlich ausgebaut. Die Einsätze dauern in der Regel zwischen ein bis fünf Tagen. Einsatzorte sind insbesondere Schulen, aber auch Einrichtungen der offenen Kinder- und Jugendarbeit (z. B. Jugendzentren) sowie zentrale öffentliche Gebäude wie z. B. Einkaufszentren. Vielerorts fanden zudem begleitende Elternabende zum Thema Prävention des Alkoholmissbrauchs statt. Darüber hinaus fördert das MKFFI im Arbeitsfeld des erzieherischen Kinder- und Jugendschutzes ganzheitlich lebensweltorientierte Interventions- und Präventionsansätze aus Mitteln des Kinder- und Jugendförderplans. Die institutionell aus KJFP-Mitteln geförderte Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendschutz Landesstelle NRW begreift die Alkohol-/ Suchtprävention als Querschnittsaufgabe. Als Servicestelle für Fachkräfte und Erziehende unterstützt und vernetzt sie die Arbeit der Jugendämter, freien Träger der Jugendhilfe, Bildungseinrichtungen, Beratungsstellen, Polizei, Ordnungsämter und Fachverbände, indem sie Aufklärungsarbeit betreibt, rechtliche Beratung zum Jugendschutzgesetz und Unterstützung in Fragen der Beziehungsaufnahme und Beziehungsgestaltung, Begleitung von geschlechterbezogenen Suchtprozessen bietet. Die Entwicklung entsprechender Informationsmaterialien zur Alkoholproblematik für die unterschiedlichen Zielgruppen und deren Verteilung über die landesweit tätigen Prophylaxefachkräfte. Um spezifische Zielgruppen (z. B. Menschen mit Migrationshintergrund) anzusprechen, werden darüber hinaus spezielle Workshops angeboten, die die Problematik des Suchtmittelmissbrauchs auf kreative und jugendgerechte Weise thematisieren (HipHopund Musik-Video-Workshops) und zum kritischen Umgang mit Suchtmitteln anhalten. Fortgesetzt werden darüber hinaus die Maßnahmen der örtlichen Prophylaxefachkräfte in den einzelnen Kreisen und kreisfreien Städten, die gemeinsam mit den örtlichen Angeboten des Kinder- und Jugendschutzes, den Ordnungsämtern und der Polizei zahlreiche Aktivitäten zur Prävention des Alkoholmissbrauchs im Jugendalter durchführen (z. B. im Karneval). LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/1627 4 Ferner wird das von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung geförderte Projekt zur Intensivierung örtlicher Prävention im Bereich Alkoholmissbrauch in Nordrhein-Westfalen fortgesetzt und es wurde auf weitere Kommunen ausgeweitet. Ziel ist es, die vorhandenen Maßnahmen im Bereich der Prävention des Alkoholmissbrauchs auf kommunaler Ebene nachhaltig zu verstärken, neue Ansätze zu fördern und vorhandene Ansätze zu vernetzen. Auch das Frühinterventionskonzept „Hart am Limit“ (HaLT), das u. a. eine frühzeitige Ansprache von Kindern und Jugendlichen, die wegen einer Alkoholvergiftung in eine Klinik eingewiesen wurden, durch Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen aus dem Präventionsund Beratungsbereich vorsieht, ist in NRW weiter ausgebaut und seit 01.01.2016 durch eine unbefristete Rahmenvereinbarung zur Förderung durch die Krankenkassen abgesichert worden. 3. Plant die Landesregierung darüber hinaus zusätzliche konkrete Maßnahmen, Kampagnen oder Aktionen zur Alkoholprävention bei Kindern und Jugendlichen und wenn ja welche? Die Landeskampagne „Sucht hat immer eine Geschichte“ wird fortlaufend weiterentwickelt und den aktuellen Bedarfen angepasst. Neben dem bereits intensiven Ausbau der bisherigen Maßnahmen ist vorgesehen, weitere Schwerpunkte in der Alkoholprävention zu setzen. Es sollen vermehrt junge Erwachsene in den Blick genommen werden, da dies die Altersgruppe ist, die am häufigsten riskanten Alkoholkonsum aufweist. 4. In welchem Zeitraum erscheint sowohl der nächste schriftliche Bericht gegenüber den parlamentarischen Gremien als auch die nächste praxistaugliche Publikation zur Vorbeugung von und dem Umgang mit exzessiven Alkoholmissbrauch bei Kindern und Jugendlichen? Eine regelhafte Berichterstattung gegenüber den parlamentarischen Gremien ist nicht vorgesehen. Praxistaugliche Publikationen zur Alkoholprävention sind auf der Internetseite der Landeskoordinierungsstelle Suchtvorbeugung - ginko Stiftung bereitgestellt: https://www.ginko-stiftung.de/landeskoordination/default.aspx). 5. Die Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit Alkoholvergiftungen bindet ärztliche Kapazitäten in den Krankenhäusern, insbesondere in den Notaufnahmen. Diese Kräfte stehen dann anderen, teils schwer erkrankten oder verletzten jungen Menschen, nicht zur Verfügung. Vor allem an Wochenenden, wenn die Personaldecke noch ausgedünnter ist, kann das zu Engpässen mit gravierenden Folgen führen. Welche Maßnahmen wird die Landesregierung ergreifen, um die zeitnahe Versorgung von allen Patientinnen und Patienten – vor allem am Wochenende – in Kliniken und Kinderkliniken sicherzustellen? Nach § 2 Abs. 1 Krankenhausgestaltungsgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen ist das Krankenhaus verpflichtet, entsprechend seiner Aufgabenstellung nach den durch Bescheid gemäß § 16 getroffenen Feststellungen im Krankenhausplan alle, die seine Leistungen benötigen, nach Art und Schwere der Erkrankungen zu versorgen. Notfallpatientinnen und - patienten haben Vorrang. Es liegen keine Erkenntnisse über systematische Verstöße gegen diese Vorschrift vor, im Besonderen nicht über Engpässe in der stationären Versorgung am Wochenende auf Grund von Alkoholvergiftungen bei Kindern und Jugendlichen.