LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/172 18.07.2017 Datum des Originals: 17.07.2017/Ausgegeben: 21.07.2017 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 6 vom 13. Juni 2017 der Abgeordneten Verena Schäffer BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 17/33 Die „Identitäre Bewegung“ in Nordrhein-Westfalen Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Die anfangs vornehmlich virtuell auftretende rechtsextreme „Identitäre Bewegung“ versucht immer häufiger auch durch öffentlichkeitswirksame Aktionen Aufmerksamkeit zu erlangen. Zuletzt versuchten Aktivistinnen und Aktivisten der „Identitären Bewegung“ am 19. Mai 2017 in das Bundesjustizministerium einzudringen und blockierten anschließend das Gebäude. Bei dieser Aktion wurde ein Polizist verletzt. Gegen einen Funktionär der „Jungen Alternative“ wurde im Zusammenhang hiermit ein Haftbefehl erlassen (vgl. http://www.zeit.de/politik/deutschland/2017-05/identitaere-bewegung-afd-politiker-berlinaktion -bundesjustizministerium). Dieser Zwischenfall zeigt, dass die „Identitäre Bewegung“ ihre Aktivitäten nicht nur auf ideologische Diskurse über das neu-rechte Konzept des „Ethnopluralismus“ beschränkt, sondern auch gewalttätig im öffentlichen Raum auftritt. Dem Verfassungsschutzbericht 2015 und der Antwort auf die Kleine Anfrage Drs. 16/10406 ist zu entnehmen, dass personelle Verbindungen der „Identitären Bewegung“ und der rechtsextremen Szene bestehen. In einigen Regionen, wie in Aachen, treten Aktivisten der militanten Neonazi-Szene nun offenbar als „Identitäre Bewegung“ auf. In NRW agiert zudem eine Abspaltung der „Identitären Bewegung“, die „Identitäre Aktion“, bei der es ebenfalls Überschneidungen mit dem militant-rechtsextremen Milieu gibt. Aus anderen Bundesländern wird über enge Verbindungen zwischen der AfD und Personen aus der „Identitären Bewegung“ berichtet. Laut Medienberichten werden Personen mit Bezügen zur „Identitären Bewegung“ in Landtagsfraktionen der AfD beschäftigt (vgl. http://www.focus.de/regional/mecklenburg-vorpommern/landtag-afd-beschaeftigtmutmasslichen -identitaeren-anhaenger_id_6829907.html und http://www.stuttgarternachrichten .de/inhalt.aufregung-im-landtag-ein-afd-berater-vom-rechten-rand.3567ef76- 0d60-479c-9635-ab878c57b4e2.html). LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/172 2 Der Minister des Innern hat die Kleine Anfrage 6 mit Schreiben vom 17. Juli 2017 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister der Justiz beantwortet. 1. Wie viele Personen werden der „Identitären Bewegung“ in NRW zugeordnet? Die Anhängerschaft der „Identitären Bewegung“ (IB) in Nordrhein-Westfalen (vormals „Identitäre Bewegung Rheinland“ / „Identitäre Bewegung Westfalen“) umfasst ca. 50 Personen, der Kreis überregional mobilisierbarer Aktivisten hingegen nicht mehr als 20 Mitglieder. 2. In welchen Regionen in NRW tritt die „Identitäre Bewegung“ bzw. die „Identitäre Aktion“ mit welchen Aktivitäten in NRW schwerpunktmäßig auf? a) Zur „Identitären Bewegung“ Es bestehen laut Angabe der „IB“ Ortsgruppen in Aachen, Bielefeld, Bochum, Düsseldorf und Münster („Münsterland“). Strukturelle Verstetigungen auf regionaler Ebene sind allenfalls rudimentär vorhanden. Aktivitäten waren bisher insbesondere in den Städten Aachen, Bonn, Bielefeld, Bochum, Düsseldorf, Duisburg, Dortmund, Essen, Köln, Münster und Paderborn zu verzeichnen. Die „IB“ Nordrhein-Westfalen orientiert sich grundsätzlich an den zentralen Konzepten und Vorgaben auf Bundesebene. Organisatorisch, personell und inhaltlich gehen von der Landesebene keine nennenswerten Impulse für den zentralen Verbund aus. Ihre lokalen Handlungsmuster umfassen primär Plakatierungen, Banner- oder Sprühkreideaktionen sowie die im Rahmen einer Umsetzung der jeweiligen Kampagnen vor Ort zielgerichtete Provokation in Form kurzzeitiger „Flashmob“-Darstellungen mit prägnanter Symbolik. Bekannt wurde beispielweise die öffentlichkeitswirksame Verteilung von Pfefferspray in der Paderborner Innenstadt im Sommer 2016 als Ausfluss einer bundesweiten Aktionsreihe. Bundesweite Schlagzeilen machte die kurzeitige Bannerpräsentation („Nie wieder Schande von Köln # Remigration“) von Aktivisten der „IB“ auf dem zentralen Gebäude des Kölner Hauptbahnhofes am 28. Dezember 2016. Hierbei handelte es sich allerdings um eine Aktion der „IB“ unter Einsatz von mobilen Reisekadern aus dem gesamten Bundesgebiet und dem Ausland. b) Zur „Identitären Aktion“ Eine rund zehnköpfige Gruppe bildete zunächst die „Identitäre Bewegung Rheinland“. Nachdem man sich 2014 mit der Bundesführung der „Identitären Bewegung“ überworfen hatte, gründeten die Aktivisten die „Identitäre Aktion“. Sie agiert vor allem im Rhein-Sieg-Kreis sowie in der Städteregion Aachen. Neben eher klassischen Aktivitäten, wie Plakate zu kleben und kleine Kundgebungen durchzuführen, versucht sie durch symbolische Provokationen eine Medienöffentlichkeit zu erreichen. Beispielsweise versperrte sie am 28. Mai 2017 in Eitorf die Eingangstür des Rathauses. Insbesondere agitiert die Gruppe gegen Muslime und Flüchtlinge. So forderte die Hauptprotagonistin Anfang 2016 dazu auf, Schweinefleisch in Kühltheken muslimischer Märkte abzulegen, dies zu filmen und im Internet zu veröffentlichen. Der seit März 2016 vor allem virtuell in Erscheinung getretene „Freundeskreis Rhein-Sieg“ ist im Wesentlichen ein Ableger der „Identitären Aktion“. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/172 3 3. Welche Erkenntnisse liegen der Landesregierung zu Ordnungswidrigkeiten und Straftaten vor, die einzelne Gruppierungen, Mitglieder, Anhängerinnen und Anhänger der „Identitären Bewegung“ betreffen (bitte nach Ort, Datum und Art der festgestellten Ordnungs-widrigkeit bzw. Straftat auflisten)? Zu 16 Personen, die der „IB“ in Nordrhein-Westfalen zuzurechnen sind, liegen polizeiliche Erkenntnisse vor. Neben Delikten der Allgemeinkriminalität sind auch Delikte der politisch motivierten Kriminalität-Rechts (PMK-R) zu verzeichnen. Hierbei handelt es sich vorrangig um Delikte wie Beleidigung, Hausfriedensbruch, Nötigung, Bedrohung, Volksverhetzung sowie Körperverletzung. Eine männliche Person tritt seit Jahren vermehrt u. a. mit Delikten der PMK-R in Erscheinung. Diese Person zeichnet für den Großteil der Straftatbestände (nämlich 18 Delikte), begangen durch den in Rede stehenden Personenkreis verantwortlich. Insgesamt erfüllte der Personenkreis 22 Straftatbestände, von denen 15 Delikte als politisch motiviert eingestuft wurden, vgl. Anlage. Ordnungswidrigkeiten sind nur in sehr eingeschränktem Maße in den polizeilichen Datenbanken recherchierbar und lassen darüber hinaus aufgrund gesetzlicher Vorgaben (z. B. Löschungsfristen, automatische Anonymisierungen) keine validen Aussagen zu. Aus diesem Grund kann eine Beantwortung hinsichtlich festgestellter Ordnungswidrigkeiten nicht erfolgen. 4. Welche Verbindungen zwischen der „Identitären Bewegung“ und den rechtsextremen und rechtspopulistischen Parteien „Die Rechte“, „Der III. Weg“, „NPD“, „pro NRW“ und „pro Deutschland“ oder auch anderen rechtsextremen Organisationen sind der Landes-regierung bekannt? Die „IB“ verfolgt einen Abgrenzungskurs zu den genannten Organisationen in Nordrhein- Westfalen. Insbesondere die Trennung von der „Identitären Bewegung Rheinland“, welche sich seitdem „Identitäre Aktion“ nennt, beruhte auf unterschiedlichen Überlegungen zur Vernetzung. Während die „Identitäre Aktion“ die Vernetzung mit der NPD, Die Rechte sowie Pro NRW sucht und sich beispielsweise an Veranstaltungen der rechtsextremistischen Parteien sichtbar beteiligt, versucht die „Identitäre Bewegung“ sich zu distanzieren. In Verlautbarungen differenziert die „IB“ zwischen der „alten Rechten“, zu der sie die in der Frage genannten Organisationen zählt, und der „neuen Rechten“, zu der sie sich selbst zählt. Ungeachtet der strategischen Abgrenzung gibt es persönliche Kennverhältnisse zwischen lokalen Aktivisten der „IB“ und anderen rechtsextremistischen Akteuren. Zudem waren einige „IB“-Mitglieder aus Nordrhein-Westfalen in der Vergangenheit in anderen rechtsextremistischen Gruppierungen aktiv. So besteht die Aachener Ortsgruppe der „IB“ weitgehend aus Mitgliedern, die aus der Neonaziszene stammen und weiterhin eng mit dieser verbunden sind. 5. Welche Verbindungen zwischen der „Identitären Bewegung“ und der AfD NRW bzw. ihren Gliederungen (wie der „Jungen Alternativen“ oder „Patriotischen Plattform“) oder der Partei nahestehenden Organisationen sind der Landesregierung bekannt? Ein Mitglied des Gründungsvorstands des Vereins „Identitäre Bewegung“ trat 2015 als Mitglied der damaligen AfD-Hochschulgruppe in Düsseldorf öffentlich in Erscheinung. Darüber hinaus sind in NRW keine Verbindungen bekannt. Anlage zur Antwort des Ministeriums für Inneres und Kommunales Nordrhein- Westfalen auf die Kleine Anfrage 6 Tatzeit Tatort Bezeichnung PMK 12.01.2015 Düsseldorf Beleidigung ohne sexuelle Grundlage ja 02.02.2015 Dortmund Gefährliche Körperverletzung auf Straßen, Wegen oder Plätzen ja 15.04.2015 Dortmund Hausfriedensbruch ja 01.05.2015 Essen Volksverhetzung ja 16.05.2015 Dortmund Sonstige Nötigung ja 25.05.2015 Dortmund Volksverhetzung ja 09.06.2015 Dortmund Volksverhetzung ja 14.06.2015 Hamm Gefährliche Körperverletzung auf Straßen, Wegen oder Plätzen ja 16.06.2015 Dortmund Bedrohung nein 05.07.2015 Dortmund Sonstige Sachbeschädigung auf Straßen, Wegen oder Plätzen nein 02.08.2015 Dortmund Sonstige Nötigung ja 22.08.2015 Dortmund Kunsturheberrechtsgesetz ja 12.09.2015 Dortmund Kunsturheberrechtsgesetz nein 20.09.2015 Essen Gefährliche Körperverletzung auf Straßen, Wegen oder Plätzen ja 28.10.2015 Bochum Sonstige Sachbeschädigung auf Straßen, Wegen oder Plätzen nein 18.12.2015 Dortmund Nachstellung (Stalking) nein 01.01.2016 Dortmund Gefährliche Körperverletzung auf Straßen, Wegen oder Plätzen ja 09.01.2016 Köln Gefährliche Körperverletzung (sonstige Tatörtlichkeit) ja 11.02.2016 Dortmund Beleidigung ohne sexuelle Grundlage nein 07.10.2016 Witten Vorsätzliche einfache Körperverletzung nein 28.12.2016 Köln Versammlungsgesetze ja 12.03.2017 Aachen Hausfriedensbruch ja