LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/1916 07.02.2018 Datum des Originals: 06.02.2018/Ausgegeben: 13.02.2018 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 667 vom 22. Dezember 2017 der Abgeordneten Wibke Brems BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 17/1600 Laschet und die Atompolitik: Lippenbekenntnisse oder konkrete Schritte zur Abschaltung von Tihange? Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Ministerpräsident Armin Laschet fordert seit dem letzten Landtagswahlkampf wiederholt die Abschaltung des Pannenreaktors 2 im belgischen Tihange. Zuletzt hat er in einem Interview mit dem Kölner Stadtanzeiger vom 16.12.2017 verkündet, dass die Abschaltung des Pannenreaktors für ihn erste Priorität habe und er hierzu auch bereits in Gesprächen mit Belgien sei. Gleichzeitig machte Ministerpräsident Laschet deutlich, dass im Falle eines Abschaltens von Tihange 2 die wegfallenden Kapazitäten für den belgischen Markt nur durch die deutschen Braunkohlekraftwerkskapazitäten aufgefangen werden könnten. Diese Aussage steht in krassem Widerspruch zu einer Studie von BET und RWTH Aachen, die im Auftrag des MKULNV im Januar 2017 veröffentlicht wurde (Drucksache 16/4692). Diese Studie kommt zu dem Schluss, dass die wegfallenden Kapazitäten im Falle eines Atomenergieausstiegs in Belgien vornehmlich von stärker ausgelasteten Gaskraftwerken in Deutschland und anderen Nachbarstaaten substituiert würden. Deutsche Braunkohlekraftwerke produzieren aufgrund ihrer Lage in der Merit Order an der Strombörse durchgehend Strom. Ein Abschalten der Bröckelreaktoren in Belgien hätte also auf die Stromproduktion aus Braunkohle in Deutschland keinen Einfluss. Die Verknüpfung von einem Aus für Tihange 2 und den deutschen Braunkohlekraftwerken ist also nicht haltbar. Die Ankündigung von Ministerpräsident Laschet macht vielen Menschen im Land Hoffnung, die sich wegen der großen Probleme mit dem Reaktor in Tihange seit Jahren Sorgen um ihre Gesundheit machen. Es ist daher angezeigt, dass der Ministerpräsident zu den Gesprächen zusätzliche Details veröffentlicht. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/1916 2 Der Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie hat die Kleine Anfrage 667 mit Schreiben vom 6. Februar 2018 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Ministerpräsidenten sowie der Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz und dem Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten sowie Internationales beantwortet. Vorbemerkung der Landesregierung Die belgischen Atomreaktoren Tihange 2 und Doel 3 stehen seit Jahren aufgrund von Sicherheitsmängeln in der öffentlichen Kritik. Die Koalitionspartner von CDU und FDP haben in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart, sich mit Nachdruck für die Abschaltung der Kernkraftwerke in Tihange und Doel einzusetzen. Ferner sollen in Gesprächen mit Belgien, den Niederlanden und der Europäischen Kommission Perspektiven für Energielieferungen aus den Niederlanden und Nordrhein-Westfalen als Ausgleich für den Fall, dass die belgischen Atomkraftwerke abgeschaltet werden sollten, entwickelt werden. Ein entsprechender Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU und der FDP wurde am 30.06.2017 im Landtag eingebracht und angenommen (Drucksache 17/57). 1. Wann haben welche Ministerinnen, Minister oder der Ministerpräsident mit welchen Vertreterinnen und Vertretern der belgischen Regierung bereits Gespräche geführt? (Bitte mit Angabe von Datum und Funktionen der Gesprächsteilnehmerinnen und -teilnehmer.) 2. Welche Angebote (z.B. zusätzliche Interkonnektoren, Ausbau Erneuerbarer Energien) hat die Landesregierung an die belgische Regierung gemacht bzw. welche plant sie zu machen, um eine schnelle Abschaltung der belgischen Reaktoren zu erreichen? 3. Welche nächsten Schritte und Gespräche sind mit wem und wann geplant? Die Fragen 1 bis 3 werden aufgrund ihres inhaltlichen Zusammenhangs gemeinsam beantwortet. Mit Schreiben vom 3. August 2017 habe ich der belgischen Energieministerin Marie-Christine Marghem einen gemeinsamen Austausch über länderübergreifende, energiepolitische Fragestellungen vorgeschlagen. Über das Gesprächsangebot wurden auch die Bundesumweltministerin Dr. Barbara Hendricks, die Bundeswirtschaftsministerin Brigitte Zypries und der Bundesaußenminister Sigmar Gabriel informiert. Zugleich wurden die Minister gebeten, das Anliegen des Landes Nordrhein-Westfalen gegenüber Belgien in Gesprächen mit der belgischen Seite zu unterstreichen. Im September 2017 folgte ein weiteres Schreiben an den zuständigen Minister für die Sicherheit der Kernkraftwerke, Herrn Jan Jambon. Auf beide Schreiben hatte es zunächst von belgischer Seite keine Rückmeldungen gegeben. Infolgedessen wurden die Gesprächsangebote an die belgische Ministerin Marie-Christine Marghem sowie an den belgischen Minister Jan Jambon mit jeweiligen Schreiben vom 15. Januar 2018 nochmals bekräftigt. Inzwischen liegt eine Antwort von Frau Ministerin Marie-Christine Marghem auf dieses Schreiben vor. Mit ihrem Schreiben vom 22. Januar 2018 greift Frau Ministerin Marie-Christine Marghem das Gesprächsangebot auf. Derzeit erfolgt die konkrete Terminabstimmung für ein Gespräch zwischen Frau Ministerin Marie-Christine Marghem und mir für Ende Februar bzw. Anfang März. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/1916 3 Am 21. September 2017 sprach der Staatssekretär beim Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten sowie Internationales, Dr. Mark Speich, mit dem belgischen Botschafter Ghislain D´Hoop sowie den Vertretern Flanderns Koen Haverbeke und der Wallonie und Ostbelgiens Alexander Homann in Berlin. Der Umgang mit den Kernkraftwerken Doel und Tihange nahm breiten Raum im Gespräch ein. Ministerpräsident Armin Laschet sprach am 6. Oktober 2017 mit dem belgischen Botschafter Ghislain D´Hoop sowie dem Vertreter der Wallonie und Ostbelgiens Alexander Homann in Düsseldorf über die bilaterale Zusammenarbeit zwischen Belgien und Nordrhein-Westfalen. Dies betraf insbesondere die Energiesicherheit Belgiens. Der Bau grenzüberschreitender Stromleitungen wie das Projekt ALEGrO sind dabei von besonderer Bedeutung, um eine Abschaltung der Kernkraftwerke Tihange und Doel zu erreichen. Beide Seiten beschlossen überprüfen zu lassen, ob eine Verschlankung der jeweiligen Planfeststellungsverfahren möglich ist. Zu dieser Fragestellung habe ich mich im Dezember 2017 mit der Geschäftsführung der Amprion GmbH als dem für den größten Teil Nordrhein-Westfalens und auch für die Stromtrassen nach Belgien verantwortlichen Übertragungsnetzbetreiber getroffen. In diesem Zusammenhang wurden Möglichkeiten zur Beschleunigung des Netzausbaus erörtert. Eine Reise des Ministerpräsidenten zu Gesprächen mit der Föderalregierung musste kurzfristig verschoben werden und wird noch im Februar 2018 stattfinden. Ministerpräsident Laschet und Bundesumweltministerin Hendricks haben sich in den laufenden Koalitionsgesprächen explizit darauf verständigt, dass künftig verhindert werden soll, dass Kernbrennstoffe aus deutscher Produktion in Anlagen im Ausland, deren Sicherheit aus deutscher Sicht zweifelhaft ist, zum Einsatz kommen. Eine neue Bundesregierung auf der Basis dieses Koalitionsvertrags wird prüfen, auf welchem Wege dieses Ziel rechtssicher erreicht wird. 4. Worauf fußt der Ministerpräsident die von ihm gemachte Verknüpfung zwischen deutschen Braunkohlekraftwerken und der Schließung belgischer Atomkraftwerke? 5. Welchen Grund hat es, dass für den Ministerpräsidenten stillstehende Gaskraftwerke nicht für die Unterstützung Belgiens beim Atomausstieg in Frage kommen? Die Fragen 4 und 5 werden aufgrund ihres inhaltlichen Zusammenhangs gemeinsam beantwortet. Bis 2020 soll die ALEGrO-Leitung mit 1 Gigawatt nach Belgien gebaut werden. Ein weiteres Gigawatt ist bis 2025 mit einer zweiten Leitung geplant. In einem Gutachten des Büros für Energiewirtschaft und technische Planung GmbH (BET) und der RWTH Aachen, das im Auftrag des früheren Ministers Remmel erarbeitet und im Januar 2017 veröffentlicht wurde (Vorlage 16/4692), heißt es: „Der Beitrag zur erzeugungsseitigen Versorgungssicherheit in Belgien durch eine Erhöhung der Interkonnektorleistung (der 2. Leitung) von 1 GW auf 2 GW (mit ALEGrO dann insgesamt 3 GW) ist auch davon abhängig, wie viel Kapazitätsreserven in Deutschland in 2025 tatsächlich noch verfügbar sein werden.“ Die Untersuchungen hätten gezeigt, dass insbesondere in Stress-Situationen teilweise sämtliche Systemreserven in Deutschland für einen vollständigen Kernenergieausstieg in Belgien beansprucht würden. Daher empfehlen die Gutachter weitere, ergänzende LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/1916 4 Maßnahmen, wenn im länderübergreifenden Konsens ein vollständiger Kernenergieausstieg nicht nur in Deutschland, sondern auch in Belgien möglichst rasch vollzogen werden soll. Dazu gehörten die Reaktivierung des derzeit stillgelegten Kraftwerks Claus C als zusätzliches Reservekraftwerk für Belgien (RWE-Gaskraftwerk in den Niederlanden bei Maastricht) und möglicherweise eine teilweise Verlängerung der Sicherheitsbereitschaft in Deutschland, um in Stress-Situationen die erforderlichen Erzeugungsreserven mobilisieren zu können.