LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/203 20.07.2017 Datum des Originals: 19.07.2017/Ausgegeben: 25.07.2017 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 11 vom 21. Juni 2017 des Abgeordneten Guido van den Berg SPD Drucksache 17/42 Sind Tagebaue ein rechtsfreies Gelände? Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Der Kölner Stadt Anzeiger berichtet am 10.5.2017 von einem Urteil des Amtsgerichts Erkelenz. Hiernach wurden vier Angeklagte, die an der Protestaktion „Ende Gelände“ im August 2015 teilgenommen haben, vom Vorwurf des Hausfriedensbruchs freigesprochen. Das Amtsgericht sah es als erwiesen an, dass es keine durchgängige, lückenlose Umfriedung des Tagebaugeländes gäbe. In einem anderen Urteil desselben Gerichts, siehe hierzu auch den Artikel im Kölner Stadt Anzeiger vom 17.5.2017, wurde das Verfahren gegen zwei Frauen aus Dänemark wegen Landfriedensbruchs eingestellt. Hiervon zeigten sich auch die geladenen Polizei-Vertreter unzufrieden. Insbesondere, da Polizistinnen und Polizisten ihren Einsatz mit teils schweren Verletzungen bezahlt haben. Die Staatsanwaltschaft wollte Rechtsmittel gegen das Urteil einlegen. Der Minister der Justiz hat die Kleine Anfrage 11 mit Schreiben vom 19. Juli 2017 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister des Innern und dem Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie beantwortet. 1. Im Vorfeld des Klimacamps 2015 soll es umfangreiche Abklärungen mit der zuständigen Staatsanwaltschaft Mönchengladbach zur Frage, wie eine „ausreichende Einfriedung des Tagebaus Garzweiler“ sicherzustellen sei, gegeben haben. Wie sah hier die Position der Staatsanwaltschaft aus? Der Leitende Oberstaatsanwalt in Mönchengladbach hat berichtet, im Vorfeld des Klimacamps 2015 habe die dortige Dezernentin für politische Strafsachen mit einem Beamten der zu LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/203 2 diesem Zeitpunkt zuständigen Kreispolizeibehörde Heinsberg eine Ortsbegehung/-befahrung durchgeführt. Diese habe zu der Erkenntnis geführt, dass der auf dem befahrbaren Teil des Geländes errichtete Erdwall mit Flatterband als ausreichende Einfriedung im Sinne des § 123 Strafgesetzbuch (StGB) anzusehen sei. Darüber habe die Kreispolizeibehörde Heinsberg die RWE Power AG in Absprache mit der Staatsanwaltschaft informiert. Polizei und Staatsanwaltschaft seien nicht darüber in Kenntnis gesetzt worden, dass der mit einem PKW nicht befahrbare Teil des Geländes im tagebaurückseitigen Rekultivierungsbereich die beschriebene Verwallung nicht aufgewiesen habe. 2. Wie kann mit Blick auf die jüngsten Urteile und die nächsten anstehenden Klimacamps sichergestellt werden, dass bei zukünftigen Protestaktionen der Betrieb und das Betriebsgelände von RWE vor Störern geschützt wird? Für die Sicherung von Betriebsgeländen und -anlagen ist grundsätzlich der Eigentümer zuständig. Die Umfriedung der Tagebaue Garzweiler und Hambach wird aktuell von der RWE Power AG unter Einbeziehung bestehender Bauten geschlossen. Dem Polizeipräsidium Aachen ist die Zuständigkeit für die Bewältigung von Einsatzlagen im Themenzusammenhang mit dem Braunkohle-Tagebau übertragen worden. Die Einsatzkonzeption des Polizeipräsidiums Aachen anlässlich des „Klimacamps 2016“ ist unter Berücksichtigung aktueller Entwicklungen fortgeschrieben worden. Die Maßnahmen werden aufgrund der Größe des Einsatzraumes priorisiert und lageangepasst durchgeführt. 3. Hat die Staatsanwaltschaft Mönchengladbach im vorbezeichneten Verfahren Rechtsmittel eingelegt und welche Erwägungen haben sie geleitet? Die Staatsanwaltschaft hat gegen das freisprechende Urteil des Amtsgerichts Erkelenz Rechtsmittel eingelegt, über dessen Durchführung noch nicht abschließend entschieden ist. Da - wie der Leitende Oberstaatsanwalt berichtet - die Ausführungen in dem inzwischen vorliegenden schriftlichen Urteil zu den tatsächlichen Gegebenheiten vor Ort ebenso wie die protokollierte Aussage eines Mitarbeiters der RWE Power AG zur Frage der vollständigen Einfriedung des Geländes sehr knapp gehalten seien, hat die Staatsanwaltschaft zur weiteren Prüfung der Erfolgsaussichten des Rechtsmittels eine ergänzende Stellungnahme der RWE Power AG zu konkreten Fragen der örtlichen Verhältnisse angefordert. 4. Was ist unter einer durchgängigen lückenlosen Umfriedung eines Tagebaugeländes zu verstehen? Der Abschluss der Werksanlagen im Braunkohlenbergbau unterliegt den sicherheitlichen Anforderungen der Bergverordnung für die Braunkohlenbergwerke (BVOBr). Dieses Regelwerk stellt nicht auf strafrechtliche, sondern auf bergsicherheitliche Belange der Beschäftigten und Dritter ab. In Ausführung der Vorschriften der BVOBr sind längerfristig unveränderte Tagebauränder (etwa an Aussichtspunkten) oder die Tagesanlagen durch Zaunanlagen o. ä. abgeschlossen. Anders gestaltet sich dies im Bereich der Rekultivierung auf der Tagebaurückseite und im Tagebauvorfeld kurz vor der bergbaulichen Inanspruchnahme. Infolge des fortschreitenden Tagebauprozesses unterliegen diese Bereiche einer stetigen Veränderung. Hier wird die Sicherung gegen unbeabsichtigtes Betreten durch Maßnahmen wie Verwallungen oder Beschilderungen des Betretungsverbots gewährleistet. Diese Verfahrensweise ist für den Rheinischen Braunkohlenbergbau einheitlich in den Hauptbetriebsplänen geregelt. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/203 3 In strafrechtlicher Hinsicht ist für den Tatbestand des Hausfriedensbruchs im Sinne von § 123 StGB von Bedeutung, ob in ein „befriedetes Besitztum“ eingedrungen wurde. Dieser Rechtsbegriff bezeichnet einen abgegrenzten und eingehegten/eingefriedeten räumlichen Bereich, der einer berechtigten Person zugeordnet ist. Erforderlich ist eine äußerlich erkennbare, nicht allein symbolische Eingrenzung (Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, 29. Aufl. 2014, § 123 StGB Randnummer 6; Fischer, Strafgesetzbuch, 63. Aufl. 2016, § 123 StGB, Randnummer 8 mit weiteren Nachweisen). 5. Wie kann sichergestellt werden, dass Gewalt gegen Polizei- und Ordnungskräfte zukünftig nicht ungeahndet bleiben? Im Zusammenhang mit Einsätzen aus Anlass von Sicherheitsstörungen im Rheinischen Braunkohlerevier werden die Strafverfolgungsbehörden auch weiterhin alle rechtlich zulässigen Maßnahmen konsequent ausschöpfen, um Straftaten zu erforschen und die Verdunkelung der Sache zu verhüten. Dabei ist es vorrangiges Ziel, die Identität von erkannten Tatverdächtigen festzustellen. Dazu führen die Polizeibehörden u. a. Befragungen, Durchsuchungen sowie erkennungsdienstliche Maßnahmen durch. Sofern die Identität von Tätern nicht unmittelbar nach der Tat festgestellt werden konnte, unternehmen die Polizeibehörden im Rahmen der rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten alle geeigneten und erforderlichen Maßnahmen, um die Personalien von Tatverdächtigen im Zuge weiterer Ermittlungen zu erheben und dem Rechtsanspruch des Staates Genüge zu tun.