LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/2032 27.02.2018 Datum des Originals: 26.02.2018/Ausgegeben: 02.03.2018 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 750 vom 26. Januar 2018 der Abgeordneten Gabriele Walger-Demolsky und Thomas Röckemann AfD Drucksache 17/1854 Betreuung von Opfern einer Genitalverstümmelung in Nordrhein-Westfalen und Prävention zum Schutz potentieller zukünftiger Opfer Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Laut einer empirischen Studie des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, die am 06.02.2017 auf einer Fachkonferenz von TERRE DES FEMMES präsentiert wurde 1 2, leben in Deutschland knapp 50.000 Frauen, die Opfer einer Genitalverstümmelung geworden sind. Nach Schätzungen der Studie sind zwischen 1500 und 5700 Mädchen, die in Deutschland leben, davon bedroht. Im Rahmen der Studie wurde festgestellt, dass sich die Anzahl der in Deutschland lebenden Opfer einer Genitalverstümmelung durch die vermehrte Migration zwischen Ende 2014 und Mitte 2016 um 30% erhöht hat. Die fünf Hauptherkunftsländer, aus denen die meisten der in Deutschland betroffenen Frauen und Mädchen stammen, sind: Eritrea, Irak, Somalia, Ägypten und Äthiopien. Da viele Asylbewerber aus Ländern mit einer hohen Prävalenzrate nach Deutschland gekommen sind, ist davon auszugehen, dass sich seit der Veröffentlichung der oben genannten Studie die Anzahl der tatsächlichen und potentiellen Opfer in Deutschland weiter erhöht hat. Auch im Rahmen des geplanten Familiennachzugs ist von einer weiteren Zunahme auszugehen. Der ärztlichen und psychologischen Betreuung kommt deshalb eine immer größere Bedeutung zu. In 29 Ländern sind weibliche Genitalverstümmelungen durch nationale Erhebungen der „Demographic and Health Surveys“ (DHS) dokumentiert: Ägypten Äthiopien Benin Burkina Faso Elfenbeinküste Dschibuti Eritrea Gambia Ghana Guinea Guinea-Bissau Irak Jemen Kamerun Kenia Liberia Mali Mauretanien Niger Nigeria Senegal Sierra Leone Somalia Sudan Tansania LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/2032 2 Togo Tschad Uganda Zentralafrikanische Rep. Für diese Länder ist von hohen Prävalenzraten auszugehen. Somit ist auch in Deutschland die Wahrscheinlichkeit groß, dass Frauen und Mädchen aus diesen Ländern bzw. mit diesem Migrationshintergrund betroffen bzw. gefährdet sind. Mit Stichtag 31.05.2016 haben sich ca. 180.000 Frauen und Mädchen aus den 29 Risikoländern in Deutschland aufgehalten (davon ca. 125.000 über 18 Jahre und 55.000 unter 18 Jahre). Das durchschnittliche Beschneidungsalter liegt in den meisten der genannten Länder im Altersbereich zwischen 4 und 9 Jahren. In der Studie geht man von 47.359 Opfern und bis zu 5684 bedrohten Mädchen unter 18 Jahren in Deutschland aus. Christa Stolle, Bundesgeschäftsführerin von TERRE DES FEMMES erklärte bezüglich der Thematik Genitalverstümmelung: „Weibliche Genitalverstümmelung ist eine schwere Menschenrechtsverletzung, an der die meisten Frauen ein Leben lang leiden. Wir fordern, dass alle Regierungen weltweit diesen Eingriff in die Unversehrtheit von Mädchen und Frauen gesetzlich verbieten und aktiv bekämpfen." 1 https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/aktuelles/alle-meldungen/erste-studie-mit-zahlen-zurweiblichen -genitalverstuemmelung-fuer-deutschland-/113908 2 https://www.netzwerk-integra.de/startseite/studie-fgm/ Die Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung hat die Kleine Anfrage 750 mit Schreiben vom 26. Februar 2018 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration, dem Minister des Inneren, dem Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales, der Ministerin für Schule und Bildung sowie dem Minister der Justiz beantwortet. 1. Wie viele Fälle von Genitalverstümmelung sind in NRW bekannt? (bitte aufschlüsseln nach Jahr der Feststellung und Nationalität der Opfer) Als Datenbasis für die Beantwortung der Frage 1 dient die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS). Straftaten gemäß § 226a StGB werden seit dem 01.01.2014 in der PKS erfasst. In der Zeit vom 01.01.2014 bis zum 31.12.2017 wurde in der PKS keine Straftat gemäß § 226a StGB in NRW erfasst. 2. Inwieweit wird Genitalverstümmelung bei Schulungen und in der Ausbildung von Jugendarbeitern, Sozialarbeitern, Sozialpädagogen, Lehrern, Polizisten und Ärzten thematisiert, um gefährdete Mädchen und Frauen zu identifizieren, mit dem Ziel ihnen helfen zu können? Die kommunalen Jugendämter müssen nach Kenntnis einer Gefährdung einer Genitalverstümmelung gemäß § 8a (1) SGB VIII zum Schutz des Kindes tätig werden. In diesem Zusammenhang sind somit alle in den Jugendämtern mit dem Jugendschutz befassten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aufgefordert, im Rahmen ihrer dienstlichen Verpflichtungen betroffene Minderjährige zu schützen. Seitens der Landesjugendämter werden jährlich Fortbildungen und Schulungen für Jugendamtsmitarbeiterinnen und –mitarbeiter durchgeführt, um die Gefährdungslagen besser einschätzen und auf diese adäquat reagieren zu können. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/2032 3 Im Rahmen des Bachelorstudienganges für den Polizeivollzugsdienst werden unter anderem Körperverletzungsdelikte behandelt, hier wird bei der Behandlung der Körperverletzungsdelikte auch die Verbindung zum § 226a StGB hergestellt. Im Bereich der Fortbildung der Polizei wird das Thema „Genitalverstümmelung“ nicht als eigener Themenkomplex behandelt, gleichwohl werden in den Seminaren „Polizeilicher Opferschutz“ die Opferschutzbeauftragten der Kreispolizeibehörden NRW über unterschiedliche Delikte, deren physische und psychische Folgen sowie daraus resultierende Viktimisierungen informiert. Darüber hinaus werden Beratungsstellen und spezifische Hilfeeinrichtungen wie z.B. das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ vorgestellt, welches Beratung und Unterstützung zu allen Formen der Gewalt gegen Frauen und Mädchen bundesweit und in verschiedenen Sprachen anbietet. In den Dienstbesprechungen „Opferschutz“ des Landeskriminalamtes NRW wurde das Thema „Genitalverstümmelung“ im Zusammenhang mit der seit dem 1. Januar 2017 im Strafverfahrensrecht verankerten psychosozialen Prozessbegleitung für besonders belastete Opfer bestimmter schwerer Straftaten erörtert. Auch Opfer von Genitalverstümmelungen können bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen von dem Instrument der psychosozialen Prozessbegleitung Gebrauch machen. Regelmäßig finden von den Ärztekammern und / oder anderen Trägern veranstaltete Fortbildungen für Ärztinnen und Arzte und Angehöriger weiterer Gesundheitsberufe statt. Zudem wird das Thema im Rahmen der Fortbildungsangebote der Akademie für das öffentliche Gesundheitswesen (AföG) für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des öffentlichen Gesundheitsdienstes berücksichtigt. Die gemeinsam mit den Ärztekammern und Kassenärztlichen Vereinigungen, dem Berufsverband der Frauenärztinnen und -ärzte NRW, dem Landesverband der Hebammen NRW sowie dem Verband der Kinder-und Jugendärztinnen und -ärzte NRW erarbeitete Handreichung für das Gesundheitswesen vermittelt Basiswissen zu Genitalverstümmelung für Beschäftigte des Gesundheitswesens. 3. Wurden in NRW, z.B. aufgrund von Gesprächen mit Eltern, gefährdete Mädchen identifiziert? Machen sie bitte Angaben zur Anzahl der Fälle. Nach Angaben der landesgeförderten Beratungsstelle stop mutilation e.V. wurden 2017 in Nordrhein-Westfalen Beratungsgespräche mit Eltern von insgesamt 89 potenziell gefährdeten Mädchen durchgeführt. 4. Welche Beratungs- und Aufklärungsangebote gibt es in Nordrhein-Westfalen für die Eltern heranwachsender Mädchen, um Genitalverstümmelung frühzeitig zu verhindern? Die Beratungsstelle stop mutilation e.V. bietet neben der Unterstützung für Betroffene auch Beratungen für Eltern, weitere Familienangehörige und soziale Kontaktpersonen an. Durch Information und Aufklärung über die Problematik durch das Bildungsportal KUTAIRI der Aktion Weißes Friedensband e.V., Fachveranstaltungen und Handreichungen sowie Vernetzung in dem Themenfeld maßgeblicher Akteure (Runder Tisch NRW gegen die Beschneidung von Mädchen) wird ein wesentlicher Beitrag zur Prävention von weiblicher Genitalverstümmelung geleistet. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/2032 4 5. Welche Hilfeangebote stehen für die Opferbetreuung in NRW bereit (bitte aufschlüsseln nach Art und Organisation)? Grundsätzlich stehen allen Frauen, die von Genitalverstümmelung betroffen oder bedroht sind, die Hilfeangebote der Frauenberatungsstellen offen. Zudem befassen sich die beiden Landschaftsverbände Rheinland und Westfalen-Lippe wie auch Träger der freien Jugendhilfe mit der Betreuung von Opfern nach dem Opferentschädigungsgesetz. Die im Rahmen des Förderprogrammes "Soziale Beratung von Flüchtlingen in Nordrhein- Westfalen" geförderten Psychosozialen Zentren (PSZ) bieten Flüchtlingen, die durch Verfolgung, Folter, Haft, Krieg und durch die Flucht traumatisiert oder psychisch erkrankt sind, Psychotherapie, psychosoziale Beratung und therapiebegleitende Sozialarbeit an. Auch für Opfer einer Genitalverstümmelung besteht die Möglichkeit, sich an diese Beratungsstellen zu wenden. Seit dem 1. Dezember 2017 können sich Opfer von Straftaten zudem an die Beauftragte für den Opferschutz des Landes Nordrhein-Westfalen wenden. Im Übrigen wird auf die Ausführungen zu Frage 2 verwiesen.