LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/2034 27.02.2018 Datum des Originals: 26.02.2018/Ausgegeben: 02.03.2018 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 743 vom 26. Januar 2018 des Abgeordneten Norwich Rüße BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 17/1844 Was unternimmt die Landesregierung zum Erhalt der Streuobstbestände? Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Bundesweit betrug der Rückgang der Streuobstbestände von den 1950er Jahren bis heute ca. 75% auf aktuell wohl weniger als 300.000 ha, wobei sich dieser Trend die letzten 10 - 20 Jahre verlangsamt hat und in einigen Regionen auch gestoppt wurde. Im Vergleich zu den ca. 69.000 ha des ausschließlich marktorientierten Plantagenobstbaus ist dies immer noch landschaftlich dominant, wobei nur ein Drittel bis 40 Prozent des Obstes aus Streuobstes in irgendeiner Weise auf den Markt kommt - für Keltereien inkl. der immer häufigeren mobilen Mostereien, Brennereien, für Mus- und Dörrobst oder auf Wochenmärkten und in der Direktvermarktung. Streuobstbestände gelten für weite Teile Europas als "Hot spots der Biologischen Vielfalt". Auf über 5.000 Tier- und Pflanzenarten - noch ohne Pilze - sowie auf über 3.000 Obstsorten wird die Biologische Vielfalt in Deutschland nach Angaben des NABU-Bundesfachausschuss Streuobst geschätzt. Diese herausragende Biologische Vielfalt hängt sowohl mit dem Vorkommen von Offenlandarten und dem Vorkommen von baumgebundenen Arten, als auch mit dem Alter der Streuobstbäume. Bei guter Pflege erreichen insbesondere Birn-, Walnuss-, aber auch Apfel- und Kirschbäume ein Alter von über 100 Jahren, in Einzelfällen insbesondere bei Birnbäumen auch über 200 Jahre. In Nordrhein-Westfalen wurden Streuobstbestände über die sogenannte Biotopschutzregelung (§ 30 BNatSchG und Umsetzung im LNatSchG) landesweit unter Schutz gestellt. Die Umstellung der Bewirtschaftung von Streuobstbeständen nach EU-Biorichtlinie scheint sich in den letzten Jahren sehr dynamisch entwickelt zu haben. Ein zentraler Ansatz zur Erhaltung der Streuobstbestände ist wie in anderen Bereichen ein fairer Preis für die Bewirtschaftung. 1987 haben BUND-Gruppen in Süddeutschland die "Aufpreisvermarktung" kreiert, bei der ökonomische und ökologische Standards miteinander zum gemeinsamen LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/2034 2 Interesse der Landwirte und des Naturschutzes verbunden wurden. Bei den bisher vier bundesweiten Treffen der inzwischen rund 120 Streuobst-Aufpreisvermarkter gab es stets Konsens über diese Mindeststandards für die Verwendung des Begriffes Streuobst. Das NABU-Qualitätszeichen dient hierbei der Auszeichnung und Unterstützung von Unternehmen und Initiativen, die diesen Weg der freiwilligen Kooperation von Landwirtschaft, Naturschutz und Verwertungseinrichtungen gehen. Die Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz hat die Kleine Anfrage 743 mit Schreiben vom 26. Februar 2018 namens der Landesregierung beantwortet. 1. Welche Erkenntnisse über die Anzahl an Hochstamm-Obstbäumen bzw. über die Fläche von Streuobstbeständen in ha gibt es aktuell in Nordrhein-Westfalen? Belastbare Angaben über die Anzahl von Hochstamm-Obstbäumen gibt es nach Kenntnis des Landesamtes für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz Nordrhein-Westfalen (LANUV) nicht. Da es in der Vergangenheit in Nordrhein-Westfalen keine systematischen Kartierungen des Lebensraumtyps „Streuobstbestände“ gegeben hat, lassen sich aus dem landesweiten Biotopkataster keine Angaben zur Gesamtfläche von Streuobstbeständen ableiten. Um Kenntnis über die aktuelle Gesamtfläche der Streuobstbestände in Nordrhein-Westfalen zu erhalten, ist im Jahr 2017 auf der Basis von Fernerkundungsdaten (Luftbildauswertung und Bereitstellung einer Erfassungs-App durch das LANUV) eine landesweite Erfassung der Streuobstwiesen und –weiden begonnen worden. Ergebnisse dieser laufenden Kartierung, für die Streuobstbestände von über 1.500 Quadratmeter Fläche mit mindestens neun Hoch- bzw. Mittelstämmen erfasst werden, sollen frühestens Anfang 2019 vorliegen. 2. Wie viele verschiedene Arten wurden in den Streuobstbeständen des Landes nachgewiesen? Bitte benennen Sie Tier-, Insekten-, Pflanzen und Pilzarten, andere Organismengruppen und die jeweilige Anzahl. Zur genauen Anzahl der in Streuobstbeständen lebenden Arten gibt es für Nordrhein- Westfalen kaum Untersuchungen. Im Rahmen einer durch die damalige LÖBF in Auftrag gegebenen Studie [BÜNGER, L. (1996): Erhaltung und Wiederbegründung von Streuobstbeständen in Nordrhein-Westfalen, LÖBF-Schriftenreihe Bd. 9] wurden in ausgewählten Streuobstwiesen 52 Brutvogelarten (z.B. Steinkauz, Gartenrotschwanz, Star, Feldsperling, Star, Blau- und Kohlmeise) und 36 Nahrungsgäste/ Durchzügler, 22 Säugetierarten z.B. Igel, Feldhase, Waldmaus, 11 Amphibien/Reptilienarten, 43 Flechtenarten, 27 Moosarten sowie mehr als 100 Höhere Pflanzenarten nachgewiesen. Zur Zahl der Pilzarten in Streuobstbeständen gibt es für Nordrhein-Westfalen keine Angaben. Aus der einschlägigen Fachliteratur ist weiterhin bekannt, dass Obstwiesen eine überaus reichhaltige Arthropodenfauna (u.a. Käfer, Schwebfliegen, Schmetterlinge, Hornissen, Solitärbienen, Wespen, Wanzen, Heuschrecken, Ameisen) aufweisen können. Durch die große Strukturvielfalt im Bereich insbesondere alter Obstbestände (häufig mit Hecken, Säumen, Alt- und Totholz sowie Viehdung) werden durch das LANUV hohe Artenzahlen – speziell für Arthropoden gibt es Schätzungen von 2.000 bis 5.000 Arten – als realistisch LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/2034 3 betrachtet. Die meisten dieser Arten sind keine Obstspezialisten. Von noch höheren Artenzahlen ist - klimatisch bedingt - im südwestdeutschen Raum auszugehen. 3. Stimmt die Landesregierung der Aussage aus Kreisen von Verbraucherzentralen zu, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher bei Produkten mit der Bezeichnung "aus Streuobst" bzw. "aus Streuobstwiesen" Pestizidfreiheit erwarten? Die zitierte Aussage der Verbraucherzentralen, dass Verbraucherinnen und Verbraucher Pestizidfreiheit bei Produkten mit der Bezeichnung "aus Streuobst" bzw. "aus Streuobstwiesen“ erwarten, ist der Landesregierung nicht bekannt. Entsprechende aktuelle, repräsentative Verbraucherbefragungen für Nordrhein-Westfalen liegen der Landesregierung nicht vor. Die Landesregierung ist der Auffassung, dass Streuobstbestände in der Regel ohne Anwendung von Pflanzenschutzmitteln bewirtschaftet werden sollen. 4. Mit welchen Maßnahmen unterstützt die Landesregierung die Zielsetzungen der Nationalen Biodiversitätsstrategie sowie der Naturschutzoffensive 2020 des Bundesumweltministeriums, demzufolge die Fläche von Streuobstbestände um 10% zunehmen soll? Auch die Biodiversitätsstrategie des Landes sieht als dauerhaftes Ziel, die kulturlandschaftsprägenden Streuobstwiesen und –weiden zu erhalten und weiter zu entwickeln. Daher unterstützt das Umweltministerium des Landes Nordrhein-Westfalen die Rahmenvereinbarung zwischen den Landwirtschaftsverbänden Nordrhein-Westfalens und den anerkannten Naturschutzverbänden vom 14. November 2016 zum Schutz der Streuobstbestände in Nordrhein-Westfalen in ihrem Ziel, noch vorhandene alte Streuobstbestände dauerhaft zu erhalten, Pflegemaßnahmen breit zu etablieren und die Neuanlage von Streuobstanlagen voranzutreiben. Bei dem Thema Streuobstwiesen geht es somit nicht alleine um die Frage einer Flächenzunahme von Streuobstbeständen, sondern gerade auch um die Sicherung bestehender Streuobstbestände, die bereits eine hohe naturschutzfachliche Bedeutung haben. Deshalb unterstützt das Land Nordrhein-Westfalen seit vielen Jahren sowohl im Vertragsnaturschutz als auch im investiven Bereich Streuobstbestände im Zuge des NRW- Programms Ländlicher Raum (ELER) mit EU- und Landesmitteln finanziell. Im Vertragsnaturschutz werden auf freiwilliger Basis zum Erhalt bestehender Streuobstwiesen Schnitt- und Pflegemaßnahmen, Nachpflanzungen und auch deren extensive Nutzung gefördert. Im Jahr 2017 betrug die Flächengröße der so geförderten Obstbaumbestände rund 680 Hektar. Diese Fördermöglichkeit steht jedem Landbewirtschafter sowie u.a. auch Biologischen Stationen und Naturschutzverbänden zur Verfügung. Daneben wird auch die Neuanlage von Obstbeständen als investive Maßnahme gefördert. Die Landesregierung beabsichtigt, die Förderung von Streuobstbeständen auch in den kommenden Jahren aufrecht zu erhalten, sie soll - wie alle freiwilligen Naturschutzmaßnahmen – noch weiter ausgebaut werden. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/2034 4 5. Stimmt die Landesregierung der Forderung der Streuobst-Aufpreisvermarkter bei ihrem 4. Bundesweiten Treffen im Jahr 2014 in Fulda zu ("Kasseler Erklärung zum Streuobstbau"), dass für eine betriebswirtschaftlich rentable Bewirtschaftung von Streuobstbeständen zum Zwecke der Verwertung des Obstes für Getränke mindestens 25 Euro pro Doppelzentner erforderlich sind? Der Landesregierung liegen hierzu keine validen Daten vor. Grundsätzlich dürfte der für eine nachhaltige Bewirtschaftung von Streuobstwiesen notwendige Preis je Doppelzentner Obst von verschiedenen Faktoren abhängen, insbesondere von den anfallenden Kosten für die Pflege der Obstwiesen und -bäume, dem durchschnittlichen Ertrag je Hektar und Jahr unter Berücksichtigung witterungsbedingter Ertragsausfälle (bis hin zu Komplettausfällen) sowie nicht zuletzt dem Lohnansatz, der für die verschiedenen Arbeiten, einschließlich der Ernte, angesetzt wird.