LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/2084 05.03.2018 Datum des Originals: 02.03.2018/Ausgegeben: 08.03.2018 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 786 vom 5. Februar 2018 des Abgeordneten Guido van den Berg SPD Drucksache 17/1913 Reicht etwas Klebstoff, um der Strafverfolgung in NRW zu entgehen? Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Im Zuge des Einsatzes zur Räumung von Rettungswegen im Hambacher Forst am 22.01.2018 wurden elf Personen festgenommen. Hiervon wurden zehn Personen, die an einer Blockadeaktionen im Hambacher Forst beteiligt waren, den Haftrichtern in Kerpen und Düren vorgeführt. Nach Medienangaben soll nur eine Person Angaben zur Person gemacht haben, so dass neun Personen in Untersuchungshaft genommen wurden. Den Beschuldigten wird zur Last gelegt an verschiedenen Blockadeaktionen beteiligt gewesen zu sein. Gegen alle Personen wurden Strafverfahren wegen Widerstandes gegen Polizeibeamte eingeleitet. Gegen die drei Personen, die den Rettungsweg versperrten, kommt möglicherweise der Tatbestand der unterlassenen Hilfeleistung in Betracht, da sie Rettungskräfte behinderten. Hintergrund war, dass sich ein Mann mit einem Bügelschloss um den Hals auf einer Stehle festgekettet hatte und nicht mehr in der Lage war, sich selbst zu befreien. Nach Einschätzung eines Arztes drohte eine lebensgefährliche Strangulation. Drei weitere Personen versperrten Rettungskräften mit einem sogenannten Tripod den Weg, so dass ein neuer Rettungsweg geschaffen werden musste. Zudem hatte sich eine männliche Person in einer selbst ausgehobenen, etwa drei Meter tiefen Grube so verbarrikadiert, dass er sich nicht mehr selbst befreien konnte. Ferner wurden im Wald mehrere Depots mit Krähenfüßen, Kanistern und Christbaumkugeln mit unbekannten Flüssigkeiten, pyrotechnische Gegenstände, eine 1,5 Liter Molotowcocktail-Flasche sowie eine Gewehrgranate sichergestellt. Für die Sicherstellung der Gewehrgranate musste der Kampfmittelbeseitigungsdienst angefordert werden. Die Besetzerinnen und Besetzer verfolgen offenbar wieder die Strategie durch das Verschweigen der Identität und das Verkleben von Fingerkuppen einer Strafverfolgung in Nordrhein-Westfalen zu entgehen. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/2084 2 Der Minister der Justiz hat die Kleine Anfrage 786 mit Schreiben vom 2. März 2018 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister des Innern, dem Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie und dem Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales beantwortet. 1. Wie ist der aktuelle Verfahrensstand zu den neun anonymen Beschuldigten, die sich in Untersuchungshaft befinden? Der Leitende Oberstaatsanwalt in Aachen und der Generalstaatsanwalt in Köln haben hierzu wie folgt berichtet: Die Staatsanwaltschaft Aachen hat am 23.01.2018 gegen neun bislang nicht identifizierte Personen, denen Widerstandshandlungen gegen Polizeibeamte anlässlich der am 22.01.2018 im Hambacher Forst durchgeführten Barrikadenräumung vorgeworfen werden, Anträge auf Erlass von Haftbefehlen nach §§ 112 ff. StPO gestellt. Die dabei angenommene Fluchtgefahr ergab sich aus der Tatsache, dass alle Beschuldigten die Preisgabe ihrer Identität verweigerten und diese auch nicht auf anderem Weg ermittelt werden konnte. Abhängig vom Tat- und Festnahmeort war für vier Beschuldigte das Amtsgericht Kerpen und für fünf Beschuldigte das Amtsgericht Düren örtlich zuständig. Sämtliche Haftbefehle wurden antragsgemäß erlassen, wobei die Beschuldigten in den Haftbefehlen mit „UP 1“ bis „UP 9“ bezeichnet wurden. Das Amtsgericht Düren hat die fünf Beschuldigten anlässlich einer von einem Beschuldigten beantragten Haftprüfung am 02.02.2018 vom weiteren Vollzug der Untersuchungshaft verschont, nachdem die Beschuldigten ihren jeweiligen Verteidigern Zustellungsvollmachten erteilt und zu Protokoll erklärt hatten, an einer öffentlichen Hauptverhandlung schon zwecks Verteidigung ihrer Meinung teilnehmen zu wollen. Unter dem 30.01.2018 wurde gegen die fünf nicht identifizierten Beschuldigten beim Amtsgericht Düren und am 02.02.2018 gegen die vier nicht identifizierten Beschuldigten beim Amtsgericht Kerpen Anklage erhoben. Über die Eröffnung des Hauptverfahrens wurde bislang nicht entschieden. 2. Wird die Staatsanwaltschaft künftig mit der Antragstellung auf Entscheidung im Beschleunigten Verfahren nach Paragraf 417 StPO und die Anordnung der Hauptverhandlungshaft gemäß Paragraf 127 b StPO, wenn die Identität der / des Beschuldigten nicht innerhalb der in Paragraf 38 Abs. 2 PolG NRW vorgegebenen Frist von 12 Stunden festgestellt werden kann, ihre Möglichkeiten ausschöpfen, um nach dem Legalitätsprinzip bei Verdacht der Begehung einer strafbaren Handlung ihrer Pflicht zur Einleitung eines Ermittlungsverfahrens bis zur eventuellen Anklageerhebung nachzukommen? Die Staatsanwaltschaft Aachen wird ihre Entscheidung über eine Antragstellung auf Entscheidung im beschleunigten Verfahren und Anordnung der Hauptverhandlungshaft auch künftig vom Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen im Einzelfall abhängig machen. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/2084 3 3. Bei Prozessen am Amtsgericht bzw. Landgericht Cottbus im Zuge von „Ende- Gelände-Protesten“ 2016 in Brandenburg erfolgten Urteile mit Freiheitsstrafen zur Verteidigung der Rechtsordnung sowie generalpräventiv zum Schutze der freiheitlich demokratischen Grundordnung auch gegen anonym gebliebene Straftäter (Aktenzeichen: 95 Ds 1360 Js 16326/16 (184/16)). Sind auch in NRW derartige Gerichtsverfahren möglich? Hinsichtlich der bei den Amtsgerichten Düren und Kerpen anhängigen Verfahren wird auf die Antwort zu Frage 1 Bezug genommen. Die gerichtliche Sachbehandlung unterliegt Artikel 97 des Grundgesetzes. 4. Welche Kosten und Aufwendungen sind im Zuge der Rettungs- und Räumungsaktionen am 22.01.2018 im Hambacher Forst entstanden? 5. Werden die Behörden die Kosten der Rettungsaktionen den Beteiligten der Blockaden auferlegen? Die Fragen 4 und 5 werden gemeinsam beantwortet. Durch die nordrhein-westfälischen Polizeibehörden werden Kosten, die im Zusammenhang mit Einsätzen in Nordrhein-Westfalen entstehen, grundsätzlich nicht erhoben. Gleichwohl kann festgestellt werden, dass für die 504 eingesetzten Polizeibeamtinnen und /-beamte des Landes Nordrhein-Westfalen Verpflegungskosten in Höhe von 9.566,63 € entstanden sind. Durch die Feuerwehr der Stadt Kerpen wurden technische Hilfeleistungsmaßnahmen zur Befreiung einer Person durchgeführt, welche sich in einem selbsterrichteten Verbau eingegraben hatte. Eine Belastung des Adressaten der Hilfeleistung mit diesen Kosten ist im Regelfall ausgeschlossen, weil die Art der Hilfeleistung im vorliegenden Fall nach den Vorschriften des BHKG (Gesetz über den Brandschutz, die Hilfeleistung und den Katastrophenschutz) in den originären Aufgabenbereich der kommunalen Feuerwehr fällt. Aus diesem Grund wird eine Inrechnungstellung nicht vollzogen. Der Kreis Düren war mit Fahrzeugen des Rettungsdienstes an den Rettungs- und Räumungsaktionen im Hambacher Forst am 22.01.2018 beteiligt. Weil keine Behandlung und auch kein Transport von Verletzten erfolgten, wird die Bereitstellung der Fahrzeuge durch den Kreis Düren als Fehlfahrt qualifiziert mit der Folge, dass den Einsatz auslösenden Personen keine Kosten in Rechnung gestellt werden. Die Kosten hierfür tragen zu 50% der Kreis Düren und zu 50% die Krankenkassen. Die aus einer Grube befreite Person wurde nach Auskunft des Rhein-Erft-Kreises in einem Rettungswagen und in Begleitung eines Notarztes der Stadt Kerpen in ein Krankenhaus transportiert. Nach der aktuell gültigen Gebührensatzung des Rettungsdienstes sind hierfür 614,00 € an Kosten angefallen. Nach Auskunft des Rhein-Erft-Kreises ist beabsichtigt, die angefallenen Kosten geltend zu machen. Eine entsprechende Kostenrechnung konnte bislang noch nicht erstellt werden, da die Personalien dieser Person derzeit nicht vorliegen. Der Einsatz des Kampfmittelbeseitigungsdienstes zur Räumung von Kampfmitteln im Zufallsfund erfolgt grundsätzlich kostenfrei und wird Dritten nicht in Rechnung gestellt.