LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/211 21.07.2017 Datum des Originals: 20.07.2017/Ausgegeben: 26.07.2017 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 5 vom 13. Juni 2017 des Abgeordneten Sven Tritschler AfD Drucksache 17/32 Gefährdung der Meinungsvielfalt durch das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Der Bundesminister für Justiz und Verbraucherschutz hat zur Bekämpfung der angeblich um sich greifenden Phänomene „Hate Crime“ und „Fake News“ den Referentenentwurf zum sogenannten „Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG)“ vorgelegt (BT-Drs. 18/12356). Die Betreiber Sozialer Netzwerke ab einer Mindestgröße von zwei Millionen inländischen Nutzern sollen hiernach unter Androhung empfindlicher Geldbußen verpflichtet werden, rechtswidrige Inhalte zu löschen, die folgende Tatbestände erfüllen: § 86 StGB (Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen) § 86a StGB (Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen) § 89a StGB (Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat) § 90 StGB (Verunglimpfung des Bundespräsidenten) § 90a StGB (Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole) § 90b StGB (Verfassungsfeindliche Verunglimpfung von Verfassungsorganen) § 91 StGB (Anleitung zur Begehung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat) § 100a StGB (Landesverräterische Fälschung) § 111 StGB (Öffentliche Aufforderung zu Straftaten) § 126 StGB (Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten) § 129 StGB (Bildung krimineller Vereinigungen) § 129a StGB (Bildung terroristischer Vereinigungen) § 129b StGB (Kriminelle und terroristische Vereinigungen im Ausland) § 130 StGB (Volksverhetzung) § 131 StGB (Gewaltdarstellung) § 140 StGB (Belohnung und Billigung von Straftaten) LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/211 2 § 166 StGB (Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen) § 184b StGB (Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornographischer Schriften) § 184d StGB (Zugänglichmachen pornographischer Inhalte mittels Rundfunk oder Telemedien; Abruf kinder- und jugendpornographischer Inhalte mittels Telemedien) § 185 StGB (Beleidigung) § 186 StGB (Üble Nachrede) § 187 StGB (Verleumdung) § 241 StGB (Bedrohung) § 269 StGB (Fälschung beweiserheblicher Daten) Der Bundesrat hat die Bundesregierung aufgefordert, die Aufnahme folgender weiterer Tatbestände in den Katalog in Betracht zu ziehen (BR-Drs. 315/17): § 80a StGB (Aufstacheln zum Verbrechen der Aggression) § 105 StGB (Nötigung von Verfassungsorganen) § 106 StGB (Nötigung des Bundespräsidenten und von Mitgliedern eines Verfassungsorgans) § 107 StGB (Wahlbehinderung) § 108 StGB (Wählernötigung) § 109d StGB (Störpropaganda gegen die Bundeswehr) § 130a StGB (Anleitung zu Straftaten) § 145d StGB (Vortäuschen einer Straftat) § 164 StGB (Falsche Verdächtigung) § 189 StGB (Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener) § 201 StGB (Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes) § 201a StGB (Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen) § 238 Abs. 1 Nr. 4 StGB (Nachstellung) § 240 StGB (Nötigung) § 241a Abs. 4 StGB (Politische Verdächtigung) § 52 Abs. 1 Nr. 4 WaffG Der Gesetzentwurf ist auf erhebliche Kritik gestoßen. Während allgemein unstreitig ist, dass den Strafgesetzen auch in der Sphäre der Sozialen Medien Geltung verschafft werden muss, wird die Umsetzung kritisiert. So äußerte sich beispielsweise der UN-Sonderberichterstatter für Meinungsfreiheit ablehnend. Auch ein Gutachten für den OSZE-Beauftragten für die Freiheit der Medien fällt negativ aus. Es wird insbesondere kritisiert, dass den Betreibern Sozialer Netzwerke zur Prüfung und ggf. Löschung vermeintlich rechtswidriger Inhalte nur äußerst wenig Zeit eingeräumt wird: 24 Stunden bei „offensichtlich rechtswidrigen“ Inhalten, sieben Tage bei allen anderen. Gleichzeitig werden Zuwiderhandlungen mit Geldbußen bis zu fünf Millionen Euro geahndet. Die naheliegende Befürchtung, dass die Betreiber Sozialer Netzwerke schon aus wirtschaftlichem Interesse kritische und kontroverse, aber unter Umständen eben nicht rechtswidrige Inhalte löschen, wird von vielen Kritikern geteilt. Für die von solchen Löschungen betroffenen Teilnehmer sieht das Gesetz keine Möglichkeit vor, gegen die – von juristischen Laien verfügten – Löschungen vorzugehen. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/211 3 Als empirische Grundlage für diesen Gesetzentwurf stützt sich die Bundesregierung einzig auf ein Monitoring des Bund-Länder-Kompetenzzentrums „jugendschutz.net“ von Januar und Februar, wonach je nach Netzwerk zwischen einem und 90 Prozent strafbarer Inhalte gelöscht worden seien. Inzwischen hat sich jedoch herausgestellt, dass das Monitoring lediglich zwei der im Gesetzentwurf genannten Straftatbestände betraf und dass die juristische Bewertung der Inhalte überwiegend durch Laien erfolgte. Selbst die Ersteller des Monitorings erklären, dass es zur Begründung eines solchen Gesetzentwurfes nicht vorgesehen war. Der Minister der Justiz hat die Kleine Anfrage 5 mit Schreiben vom 20. Juli 2017 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten, Internationales und Medien beantwortet. 1. Wie viele Ermittlungsverfahren wurden zu den oben genannten Straftatbeständen in den vergangenen drei Jahren jeweils eingeleitet? (Bitte nach Tatbeständen aufschlüsseln.) Dazu liegen dem Ministerium der Justiz keine statistischen Daten vor. In der Statistik der Staats- und Amtsanwaltschaften (StA-Statistik) ist die Anzahl der Ermittlungsverfahren nicht deliktspezifisch, sondern nur nach sog. Sachgebietsgruppen ausgewiesen. 2. Zu wie vielen Verurteilungen aufgrund dieser Tatbestände kam es in den vergangenen drei Jahren? (Bitte ebenfalls aufschlüsseln.) Die Anzahl der Verurteilungen ergibt sich aus der als Anlage 1 beigefügten Tabelle. 3. Wie viele dieser Ermittlungsverfahren und Verurteilungen erfolgten aufgrund von Inhalten Sozialer Medien, die in den Anwendungsbereich des oben genannten Gesetzentwurfs fallen? Auch insoweit liegen dem Ministerium der Justiz statistische Daten nicht vor. Eine entsprechende Auswertung erforderte eine Sondererhebung von Hand. Dies ist in der für die Beantwortung einer Kleinen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. 4. Teilt die Landesregierung die Sorge, dass es durch die Umsetzung des Gesetzentwurfs zu einer vorsorglichen Löschung nicht rechtswidriger Inhalte durch die Betreiber Sozialer Netzwerke („Overblocking“) kommen könnte und wenn nein, warum nicht? Die Landesregierung geht davon aus, dass die durch den Bundestag am 30. Juni 2017 beschlossenen Änderungen gegenüber dem ursprünglichen Gesetzentwurf, insbesondere die Flexibilisierung der siebentägigen Löschungsfrist für nicht offensichtlich rechtswidrige Inhalte und die Schaffung der Selbstregulierungseinrichtungen, grundsätzlich geeignet sind, die Gefahr einer vorschnellen Löschung nicht rechtswidriger Inhalte durch die Betreiber Sozialer Netzwerke abzumildern. Die Gesetzesbegründung stellt überdies ausdrücklich klar, dass nicht einzelne Verstöße gegen die Löschungsvorschriften bußgeldbewehrt sind, sondern vielmehr systemisches Versagen geahndet werden soll. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/211 4 5. Beabsichtigt die Landesregierung, dem Gesetz im Bundesrat zuzustimmen, falls sie noch im Amt ist und solange die Löschfristen gem. § 3 und die Bußgeldvorschriften gem. § 4 des Entwurfs unverändert bleiben? Das Gesetz ist am 30. Juni 2017 in geänderter Fassung durch den Bundestag verabschiedet worden. Es handelt sich um ein sog. Einspruchsgesetz, welches nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf. Das Gesetz hat indessen in der Sitzung am 7. Juli 2017 die Billigung des Bundesrates gefunden, da kein Land einen Antrag auf die Anrufung des Vermittlungsausschusses gem. Art. 77 Abs. 2 GG gestellt hat. Von der Stellung eines entsprechenden Antrags hat auch die Landesregierung abgesehen.