LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/2120 08.03.2018 Datum des Originals: 07.03.2018/Ausgegeben: 13.03.2018 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 787 vom 7. Februar 2018 des Abgeordneten Guido van den Berg SPD Drucksache 17/1914 Welche Konsequenzen zieht die Landesregierung aus der EU-Kunststoffstrategie für den Chemie- und Kunststoffstandort NRW? Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Jährlich fallen europaweit etwa 26 Millionen Tonnen Plastikmüll an, der ganz überwiegende Anteil davon wird nicht stofflich genutzt. Verschärfend kommt hinzu, dass China aktuell den Import von Plastikabfällen gestoppt hat. Deutschland hatte zuletzt etwa 560.000 Tonnen Kunststoffabfälle in die Volksrepublik exportiert. Im Rahmen eines Abfallpakets hat die Europäische Kommission bereits 2017 neue Recyclingquoten für Kunststoffverpackungen mit 50% bis 2025 und 55% bis 2030 vorgelegt, dass bis Ostern 2018 in Rat und EU-Parlament beraten werden wird. Im Januar 2018 hat die EU-Kommission zudem ein weiteres Kreislaufwirtschaftspaket vorgelegt, in dessen Kern eine Kunststoffstrategie (COM [2018] 28 final) vorgestellt wird, die Schnittstellen zwischen Chemikalien-, Produkt- und Abfallrecht beschreibt und zu Grunde liegenden Wertschöpfungsketten stärker auf Zirkularität auszurichten will. Die Kommission formuliert hier sogar die Vision, bis zum Jahr 2030 sämtliche Verpackungen wiederverwendbar oder kostengünstig recycelbar zu gestalten. Über das Chemikalienrecht (REACH) sollen der Einsatz sog. „oxo-abbaubarer Kunststoffe“ eingeschränkt werden. Und über eine Revision der Richtlinie über Hafenauffangeinrichtungen sollen Maßnahmen zur Reduzierung der Verschmutzung der Meere mit Kunststoff gestärkt werden. Die EU-Kommission fordert die Wirtschaft auf, bis Juni 2018 Ideen vorzulegen, wie sich bis zum Jahr 2025 10 Millionen Tonnen recycelten Kunststoffs in neuen Produkten wiederfinden können. Dabei soll die Entwicklung europäischer Qualitätsstandards für sortierte Kunststoffabfälle und recycelte Kunststoffe in Kooperation mit dem Europäischen Komitee für Normung (CEN) helfen. Für das zweite Quartal 2018 wird von der Kommission die Erarbeitung einer Forschungs- und Innovationsagenda für Kunststoffe angekündigt, mit der bis 2020 100 Millionen Euro an Fördermitteln mit Blick auf Forschungsvorhaben im Rahmen von Horizont 2020 in Aussicht gestellt werden. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/2120 2 Der Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie hat die Kleine Anfrage 787 mit Schreiben vom 7. März 2018 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister der Finanzen, der Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz und dem Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten sowie Internationales beantwortet. Vorbemerkung der Landesregierung Die Landesregierung begrüßt die durch die Europäische Kommission am 16. Januar 2018 vorgelegte europäische Strategie für Kunststoffe in einer Kreislaufwirtschaft. Sie ist geeignet, einen Beitrag zur Verwirklichung einer modernen, CO2-armen, ressourcen- und energieeffizienten Wirtschaft zu leisten. Für Nordrhein-Westfalen als eine der führenden Kunststoffregionen in Europa bieten sich Chancen, seine Innovationsführerschaft zu behaupten. EU-Kommissar Günther Oettinger kündigte am 10. Januar 2018 in Brüssel an, die Einführung einer „Plastiksteuer“ prüfen zu wollen. Sie könne seinen Vorstellungen zufolge zum Umweltschutz beitragen und gleichzeitig eine neue Einnahmequelle für den EU-Haushalt sein. Bis Mai 2018 will die EU-Kommission prüfen, ob sie offiziell eine solche Steuer als eigene Einnahmequelle vorschlagen wird. 1. Welche Kunststoffabfallmengen werden in NRW aktuell welcher Verwendungsart zugeführt (hochwertige stoffliche Wiederverwertung, minderwertige stoffliche Nutzung, thermische Verwertung, Export etc.)? Das Aufkommen an Kunststoffabfallmengen wird sowohl auf Bundesebene als auch auf Landesebene statistisch nur teilweise erfasst. Da die vorliegenden Daten der statistischen Ämter die Gesamtsituation nicht vollständig wiedergeben, werden im Folgenden Ergebnisse einer Studie der Fa. Consultic Marketing & Industrieberatung GmbH „Produktion, Verarbeitung und Verwertung von Kunststoffen in Deutschland 2015“ wiedergegeben, die im Auftrag verschiedener Industrieverbände durchgeführt wurde. Danach fielen in Deutschland 2015 ca. 5,92 Mio. Tonnen Kunststoffabfälle an, die zu 99 % stofflich oder energetisch verwertet wurden. Der Anteil der werkstofflichen Verwertung lag bei 37 %, der rohstoffliche Verwertungsanteil betrug 1 % und 61 % wurden energetisch verwertet. Laut IT-NRW wurden 2017 273.118 Tonnen Kunststoffabfälle exportiert, davon 61.142 Tonnen nach China. Dies ist ein Rückgang gegenüber 2016, als sich die Gesamtexporte aus Nordrhein-Westfalen auf 319.730 Tonnen beliefen, davon 100.976 nach China. 2. Wie wird die Landesregierung die Branche in NRW sowie die in der Enquete- Kommission zur Zukunft der chemischen Industrie in NRW erarbeiteten Handlungsempfehlungen jetzt in den weiteren Prozess der Umsetzung der europäischen Kunststoffstrategie einbringen? Das Ministerium für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie hat zur Begleitung der Kunststoffstrategie eine Arbeitsgruppe eingerichtet, die gemeinsam mit Vertreterinnen und Vertretern von Verbänden und Clustern, Kammern und Kommunalen Spitzenverbänden die Umsetzung der Kunststoffstrategie begleiten wird. Dieses beinhaltet auch die sich ergebenden Chancen für die nordrhein-westfälischen Unternehmen zu identifizieren und in den europäischen Prozess - beispielsweise der Maßnahmen zur Innovations- und LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/2120 3 Investitionsförderung - einzuspeisen. Der Bericht der Enquete-Kommission mit seinen zahlreichen Empfehlungen wird dabei berücksichtigt. 3. Welche Bedeutung kann die „Zukunftsinitiative Kohlenstoff NRW“ im Rahmen der EU-Kunststoffstrategie einnehmen, da die Konzepte der Ruhr-Universität Bochum sowie des Fraunhofer UMSICHT Instituts in Oberhausen im Rahmen einer Closed Carbon Cycle Economy den langfristigen Umbau hin zu geschlossenen Kohlenstoffkreisläufen zum Ziel haben? Das angesprochene Projekt ist eingebettet in ein bundesweit angelegtes Vorhaben, in dem alle primären und sekundären heimischen Kohlenstoffquellen – insbesondere Braunkohle – auf ihre Verwendungsmöglichkeiten als Rohstoff für die chemische Industrie untersucht werden sollen. Ziel ist die wissenschaftliche, technologische, betriebs- und volkswirtschaftliche Vorbereitung emissionsarmer Kohlenstoffketten, die den Prinzipien der Circular Economy folgen. Nicht zuletzt das Potenzial der Übertragbarkeit dieser Prozesse und Technologien auf andere europäische Regionen macht deutlich, dass die Zukunftsinitiative Kohlenstoff Nordrhein-Westfalen im Rahmen der Kunststoffstrategie eine wichtige Rolle spielen kann. 4. Welche Hafenauffangeinrichtungen an Binnenhäfen in NRW fallen unter die Richtliniensetzungskompetenz der EU-Kommission? Die Richtliniensetzungskompetenz nach Art. 100 Abs. 2 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) ermächtigt das Europäische Parlament und den Rat, geeignete Vorschriften für die Seeschifffahrt zu erlassen. Unter die Richtliniensetzungskompetenz fallen demnach alle Hafenauffangeinrichtungen in Binnenhäfen, die von seegehenden Schiffen angelaufen werden können. Auf dieser Grundlage wurde die Richtlinie 2000/59/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. November 2000 über Hafenauffangeinrichtungen für Schiffsabfälle und Ladungsrückstände erlassen. Diese Richtlinie wurde im Land Nordrhein-Westfalen durch das Landes-Hafenentsorgungsgesetz vom 22. Juni 2004 in nationales Recht umgesetzt. Durch Artikel 1 des Gesetzes vom 7. April 2017 (GV. NRW. S. 442) wurde das Landes- Hafenentsorgungsgesetz neu gefasst und trägt nun die Bezeichnung Landesschiffsabfallgesetz (LSchAbfG). In der Anlage 1 zur Allgemeinen Hafenverordnung des Landes Nordrhein-Westfalen (AHVO NRW) wurden 11 Städte aufgeführt, in deren Bereich Häfen und bestimmbare Bereiche von Häfen liegen, die in den Geltungsbereich des damaligen Landes-Hafenentsorgungsgesetzes, des heutigen Landesschiffsabfallgesetzes (LSchAbfG) fallen. Bei der Bestimmung dieser Städte bzw. Häfen war nicht nur maßgeblich, dass dort Seeverkehre abgewickelt werden, sondern auch die Tatsache, dass diese Häfen grundsätzlich Seeverkehre abwickeln bzw. aufgrund ihrer Lage und Größe zukünftig in entsprechend großer Zahl abwickeln könnten. Die Anzahl der zum Zeitpunkt der Erstellung der Verordnung dort tatsächlich verkehrenden Seeschiffe wurde berücksichtigt. Von der Umsetzung betroffen sind tatsächlich seither nur vier Häfen (Duisburg, Neuss, Düsseldorf, Köln), die gem. § 2 LSchAbfG „normalerweise“, d.h. regelmäßig mit mehr als einem seegehenden Schiffen wöchentlich, mehr als vier seegehenden Schiffen im Monat oder mehr als 48 seegehenden Schiffen im Jahr angelaufen werden. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/2120 4 In den Geltungsbereich des LSchAbfG fallen auch Städte mit Häfen, in denen z. B. ausschließlich Massengüter wie Kohle und Erz umgeschlagen werden (Rheinberg) oder deren Anzahl der einlaufenden seegehenden Schiffe unter 48 Schiffen p. A. liegen (Wesel, Voerde, Mülheim, Emmerich, Krefeld). Bei diesem Umschlag fallen aber keine Ladungsrückstände an. Darüber hinaus werden Schiffe mit Verunreinigungen zurückgewiesen, so dass das Vorhalten von Hafenauffangeinrichtungen für Ladungsrückstände nicht erforderlich ist. In den Städten Duisburg, Düsseldorf, Neuss und Köln, die regelmäßig von seegehenden Schiffen angelaufen werden, sind Hafenauffangeinrichtungen für Ladungs- und Schiffsabfälle vorhanden oder es wird für deren Annahme durch die Beauftragung von Dritten Sorge getragen. 5. Wie steht die Landesregierung zum Vorschlag von EU-Haushaltskommissar Oettinger im Rahmen der Kunststoffstrategie auch eine „Plastiksteuer“ einzuführen? Die Kompetenz in Steuerfragen liegt grundsätzlich bei den Nationalstaaten. Die Europäische Kommission hat den Mitgliedstaaten bislang keinen offiziellen Vorschlag für die Einführung einer Kunststoffsteuer vorgelegt.