LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/2141 12.03.2018 Datum des Originals: 09.03.2018/Ausgegeben: 15.03.2018 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 798 vom 13. Februar 2018 der Abgeordneten Mehrdad Mostofizadeh und Norwich Rüße BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 17/1947 Was unternimmt die Landesregierung zum Schutz des Trinkwassers vor resistenten Keimen entlang der Ruhr? Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Recherchen des NDR haben ergeben, dass sich in einigen Gewässern Deutschlands gefährliche resistente Keime befinden, gegen die viele Antibiotika wirkungslos sind. Im Fall der Untersuchungen durch die Journalisten waren alle 12 Proben schwer und zum Teil mit lebensbedrohlichen Erregern belastet. Die Wasser- und Sedimentproben wurden an verschiedenen Orten in Niedersachsen genommen, sowohl Fließgewässer, Seen und Talsperren waren betroffen . Die Tatsache, dass diese Hinweise durch Medienrecherchen und nicht durch die für die Wasserüberprüfung zuständigen Landesbehörden bekannt geworden sind, hinterlässt in Teilen der Bevölkerung große Unsicherheiten bezüglich der eigenen Trinkwasserversorgung. In NRW wird ein Großteil des Trinkwassers aus Oberflächengewässern gewonnen. Die Ruhr nimmt dabei eine bedeutende Rolle bei zur Versorgung der bevölkerungsreichen Städte des Ruhrgebietes ein, denn aus ihr werden ca. 20 % des gesamten Trinkwasseraufkommens Nordrhein-Westfalens bezogen. Wegen dieser besonderen Situation der Trinkwassergewinnung , hat das Umweltministerium NRW das Aktionsprogramm „Reine Ruhr“ auf den Weg gebracht und fortgeschrieben, damit die Trinkwassergewinnung entlang der Ruhr den höchsten technischen Anforderungen entspricht. In diesem Programm stehen Mikroverunreinigungen durch organische Spurenstoffe und Keime im Vordergrund des Interesses, die durch eine konventionelle Aufbereitung des Abwassers nicht vollständig eliminiert werden. Die Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz hat die Kleine Anfrage 798 mit Schreiben vom 9. März 2018 namens der Landesregierung beantwortet. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/2141 2 1. In welcher Form hat bisher eine Beprobung der Ruhr auf multiresistente Keime stattgefunden ? Das Wasser der Ruhr wird bisher nicht speziell auf das Vorhandensein von multiresistenten Keimen untersucht. Das Trinkwasser, das die Wasserwerke an der Ruhr zur Verfügung stellen, wird jedoch so aufbereitet, dass ein wirkungsvoller Rückhalt von Krankheitserregern gewährleistet ist. 2. Laut einer Stellungnahme des Ruhrverbandes ist eine Verunreinigung der Ruhr und des angrenzenden Baldeneysees mit multiresistenten Keimen derzeit nicht auszuschließen . Welche Ergebnisse gibt es aufgrund von Messungen des Ruhrverbandes oder der Landesregierung für multiresistente Keime an den Ausläufen der Kläranlagen die in die Ruhr einleiten? Der Landesregierung und dem Ruhrverband liegen derzeit keine Erkenntnisse über eine mögliche Belastung der Ruhr und des Baldeneysees mit multiresistenten Keimen vor. Messungen an den Ausläufen der Kläranlagen, die in die Ruhr einleiten, sind nicht bekannt. 3. Erfreulicherweise ist es in jüngster Vergangenheit gelungen, die Ruhr und den Baldeneysee bei entsprechender Jahreszeit als Badegewässer freizugeben. Welche Schlüsse zieht die Landesregierung für die zukünftige Qualitätsprüfung von Badegewässern ? Im Rahmen der derzeitigen Qualitätsprüfung werden die Badegewässer von Mitte Mai bis Mitte September monatlich, im Bedarfsfall häufiger, von Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen der Kreise und kreisfreien Städte u.a. auf mikrobiologische Kenngrößen untersucht. Die Wasserproben werden analysiert und die Untersuchungsergebnisse anschließend ins Internet eingestellt (http://www.xn--badegewsser-r8a.nrw.de/bg1.htm). Geprüft wird unter anderem das Auftreten der Darmbakterien "Intestinale Enterokokken" und "Escherichia coli", die - als natürliche Darmbewohner von Mensch und Tier - durch Ausscheidungen in das Badegewässer gelangen und bei erhöhten Konzentrationen zu Krankheiten wie Übelkeit oder Durchfall führen können. Wenn eine erhöhte Konzentration dieser Keime vorliegt , wird zum Schutz der Badegäste ein zeitweiliges Badeverbot erlassen. Kommt es im Rahmen der Überwachung zu Überschreitungen von Grenzwerten, werden die Badegewässer häufiger untersucht. Ein Badeverbot wird von der zuständigen Überwachungsbehörde ausge-sprochen, wenn die Kontrolluntersuchung eine zuvor festgestellte Grenzwertüberschreitung bestätigt oder die Gesundheit durch andere Gründe gefährdet ist. Auf Basis der Ergebnisse des Forschungsverbundes „HyReKA“ (Biologische bzw. hygienischmedizinische Relevanz und Kontrolle Antibiotika-resistenter Krankheitserreger in klinischen, landwirtschaftlichen und kommunalen Abwässern und deren Bedeutung in Rohwässern; Laufzeit : Feb. 2016 – Jan. 2019, http://hyreka.net/) zu den identifizierten Risikobereichen plant das MULNV, in 2019 eine Sonderuntersuchung von Gewässern inkl. Badegewässer – also auch der Ruhr und des Baldeneysees – auf multiresistente Bakterien und Übertragung der Ergebnisse von HyReKA auf Nordrhein-Westfalen durchführen zu lassen. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/2141 3 4. Wie wird das Aktionsprogramm „Reine Ruhr“ durch die Landesregierung derzeit fortgeführt? Bitte die Umsetzungsstände der technischen Um- und Aufrüstungsmaßnahmen sowie der Invesititionen für jede Wasseraufbereitungsanlage darstellen und ergriffene Maßnahmen bezüglich Mikroschadstoffen sowie organischen Spurenstoffen benennen. Rund fünf Millionen Menschen aus Nordrhein-Westfalen beziehen ihr Trinkwasser aus der Ruhr. Gleichzeitig ist die Ruhr in einem dicht besiedelten Gebiet einer Vielzahl weiterer Nutzungen unterworfen, wodurch die Wasserqualität in der Ruhr beeinflusst werden kann. Die 17 Mitgliedsunternehmen der Arbeitsgemeinschaft der Wasserwerke an der Ruhr (AWWR) stellen jedes Jahr über 230 Mio. m³ Trinkwasser zur Verfügung. Vor diesem Hintergrund verfolgt das Programm „Reine Ruhr“ seit 2008 die nachhaltige Sicherung und weitere Verbesserung der Gewässer- und Trinkwasserqualität im Einzugsgebiet der Ruhr. Als wichtige Grundlage für die Trinkwassererzeugung und -bereitstellung nutzen viele Wasserwerke an der Ruhr das technische Verfahren der künstlichen Grundwasseranreicherung, bei dem Oberflächenwasser der Ruhr entnommen, nach einer ersten Aufbereitung in den Untergrund des Ruhrtals versickert und somit ein mengenmäßig zur Bedarfsdeckung ausreichendes Grundwasservorkommen sichergestellt wird. Im Programm „Reine Ruhr“ wurde die standortspezifische Ertüchtigung der Wasseraufbereitungsanlagen in den Wasserwerken an der Ruhr vereinbart, sofern die Aufbereitungsanlagen nicht bereits dem geforderten Stand der Technik zur Eliminierung von Spurenstoffen entsprechen . Folgender Mindeststandard für eine dem heutigen Stand der Technik entsprechende Aufbereitung für Trinkwasser, das direkt oder indirekt aus einem anthropogen beeinflussten Oberflächengewässer entnommen wird, wurde festlegt: 1) Ein geeignetes Verfahren der Partikelentfernung mit dem Schwerpunkt der Entfernung mikrobiologischer Belastungen gemäß DVGW-Arbeitsblättern W 213 Teile 1 bis 6, DVGW-Arbeitsblatt W 126 und der Mitteilung des Umweltbundesamtes nach Anhörung der Trinkwasserkommission „Anforderungen an die Aufbereitung von Oberflächenwässern zu Trinkwasser im Hinblick auf die Entfernung von Parasiten (Bundesgesundheitsblatt (1997) 12, Seite 484 ff“, 2) eine Ozonung zum Aufbrechen persistenter Verbindungen, 3) eine Adsorptionsstufe zur möglichst weitgehenden Entfernung von unerwünschten organischen Wasserinhaltsstoffen, 4) eine Desinfektion des Trinkwassers gemäß DVGW-Arbeitsblatt W 290 Alternativ kann zu den unter 1) und 2) genannten Stufen der Aufbereitung auch eine den Anforderungen der Partikelentfernung (incl. Makromoleküle, Viren und Kolloide) genügende Filtration (Ultrafiltration, Porengröße 0,1 – 0,01 μm) gewählt werden, zu den unter 1) bis 3) genannten Stufen kann auch eine Nanofiltration (Porengröße 0,01 -0,001 μm) gewählt werden. Nach Mitteilungen der Bezirksregierung Arnsberg ist der aktuelle Stand der Ertüchtigung der Trinkwasseraufbereitungsanlagen an der Ruhr wie folgt (in Klammern Aufbereitungsschritte zur Eliminierung von Mikroorganismen und Spurenstoffen): Keiner Ertüchtigung bedurften die Wasserwerke der Rheinisch-Westfälischen Wasserwerksgesellschaft mbH (RWW), die das Trinkwasser bereits nach dem Mülheimer Verfahren (Flockung , Ozonierung, Aktivkohlefiltration und Desinfektion) aufbereiten: LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/2141 4 Mülheim-Styrum-West der RWW (Flockung, Ozonierung, Aktivkohlefiltration, Langsam- Sandfiltration, UV-Desinfektion) Mülheim-Styrum-Ost der RWW (Langsam-Sandfiltration, Ozonierung, Aktivkohlefiltration, UV-Desinfektion) Mülheim-Dohne der RWW (Flockung, Ozonierung, Aktivkohlefiltration, Langsam-Sandfiltration , Chlorgas) Essen-Kettwig der RWW (Flockung, Ozonierung, Aktivkohlefiltration, Langsam-Sandfiltration , Chlorgas) Bereits abgeschlossen ist die Ertüchtigung in den folgenden Wasserwerken: Essen-Überruhr und Essen-Horst der Wassergewinnung Essen GmbH (WEG) nach Zusammenlegung als Verbundwasserwerk (Langsam-Sandfiltration, Ozonierung, Flockungs -Filtration, Aktivkohlefiltration, UV-Desinfektion) Ruhrtal-Fröndenberg (Menden) der Wasserwerk Fröndenberg-Menden GmbH (Flockungsfiltration , Ultrafiltration, Aktivkohlefiltration, UV-Desinfektion) Echthausen der Wasserwerke Westfalen GmbH (WWW) (Flockung, Langsam-Sandfiltration , Ozonierung, Aktivkohlefiltration, UV-Desinfektion) Langel des Wasserbeschaffungsverbands Arnsberg (Langsam-Sandfiltration, Flockungsfiltration , Ultrafiltration, Aktivkohlefiltration, UV-Desinfektion) Stockhausen der Hochsauerlandwasser GmbH (HSW) (Uferfiltration bzw. Langsam- Sandfiltration, Schnellfiltration, Ultrafiltration, Aktivkohlefiltration, UV-Desinfektion) Mengesohl der HSW (Uferfiltration, Ultrafiltration, Aktivkohlefiltration, Chlordioxid) Hennesee der HSW, neugebautes Wasserwerk, Rohwasser aus der Hennetalsperr (Flockungsfiltration , Ultrafiltration, Aktivkohlefiltration, Chlordioxid) Möhnebogen der HSW an der Möhne im Ruhreinzugsgebiet (Langsam-Sandfiltration, Flockung , Ultrafiltration, Aktivkohlefiltration, UV-Desinfektion) Witten der WWW (Langsam-Sandfiltration, Ozonierung, Aktivkohlefiltration, UV-Desinfektion ) In sechs Wasserwerken sind die Arbeiten zur Ertüchtigung der Aufbereitung bisher nicht abgeschlossen . Die Verzögerungen zum ursprünglichen Zeitplan sind im Wesentlichen auf unvorhergesehene Probleme und kurzfristige Anpassungen in der Planungs- und Bauphase zurückzuführen . Hengsen der Wasserwerke Westfalen (WWW), Baubeginn erfolgt in Kürze (nach Freigabe der Baufläche durch Kampfmittelräumdienst), Fertigstellung geplant im Jahr 2021/22 (nach Fertigstellung: Langsam-Sandfiltration, Ozonierung, Flockung, Aktivkohlefiltration, UV-Desinfektion) Westhofen 1 der WWW, Baubeginn war Mai 2017, Fertigstellung geplant bis 2020 (nach Fertigstellung: Langsam-Sandfiltration, Ozonierung, Flockung, Aktivkohlefiltration, UV- Desinfektion) Halingen der WWW, in Genehmigungsphase; Fertigstellung geplant im Jahr 2023 (nach Fertigstellung: Langsam-Sandfiltration, Ozonierung, Flockung, Aktivkohlefiltration, UV- Desinfektion) Witten der Verbundwasserwerk Witten GmbH (VWW): Einweihung der Ultrafiltration fand am 21.12.2017 statt. Fertigstellung der Aktivkohle-Adsorption) ist voraussichtlich im Frühjahr 2019 (Langsam-Sandfiltration, Flockung, Ultrafiltration, Aktivkohlefiltration (noch nicht fertiggestellt), Chlordioxid) Hengstey der Mark-E AG: geplante Inbetriebnahme bis Ende 2019 (nach Fertigstellung: Langsam-Sandfiltration, Ultrafiltration, Aktivkohlefiltration, UV-Desinfektion) LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/2141 5 Warmen der Energie- und Wasserversorgung Hamm GmbH: Fertigstellung ist bis Ende 2023 (geplante Aufbereitung: Langsam-Sandfiltration, Flockung, Ultrafiltration, Aktivkohlefiltration , UV-Desinfektion) Demnach werden zum aktuellen Zeitpunkt 13 Wasserwerke an der Ruhr (sowie am Möhneund Hennesee) nach dem aktuellen Stand der Technik betrieben. Bei den sechs verbleibenden , noch zu ertüchtigenden Wasserwerken wird der Stand der Technik voraussichtlich bis spätestens Ende 2023 erreicht. Durch effizienzsteigernde Maßnahmen und Ausnutzen von Synergieeffekten können außerdem sieben Wasserwerke, für die sich eine Ertüchtigung aus wirtschaftlichen Gründen nicht rentiert hätte, stillgelegt werden. So wird eine kostengünstigere Versorgungssituation geschaffen . Vier dieser Wasserwerke konnten bereits stillgelegt werden: Bochum-Stiepel der Wasserbeschaffung Mittlere Ruhr: nach Neubau einer Wassertransportleitung seit 30.11.2015 stillgelegt Westhofen 2 der WWW: seit 31.12.2015 stillgelegt Ergste der WWW: seit 31.10.2014 stillgelegt Hennenohl der HSW seit Ende 2016 stillgelegt Die folgenden Wasserwerke werden noch stillgelegt: Insel der HSW: nach Inbetriebnahme des Wasserwerks Hennesee steht Stilllegung unmittelbar bevor Volmarstein der Aktiengesellschaft für Versorgungsunternehmen (AVU): geplante Stilllegung im Jahr 2018, solange wird es als Redundanzwasserwerk benötigt Villigst der WWW: geplante Stilllegung im Jahr 2019; Bau zweier Trinkwassertransportleitungen erforderlich Die stillzulegenden Wasserwerke werden nicht ertüchtigt. Im Rahmen des Programms „Reine Ruhr“ wurden seitens der Wasserversorger bisher über 150 Mio. Euro der insgesamt veranschlagten 300 Mio. Euro für die Ertüchtigung der Wasserwerke an der Ruhr investiert (Auskunft der AWWR). Der vorsorgende Trinkwasserschutz leistet so einen beachtlichen Beitrag zu einem effektiven Gesundheitsschutz der Bevölkerung in Nordrhein-Westfalen. 5. Ist aus Sicht der Landesregierung gemäß der geltenden Erlasslage eine technische Nachrüstung der Abwasserreinigung entlang der Ruhr aufgrund der neuen Erkenntnisse erforderlich? Wie der Antwort zu Frage 3 zu entnehmen ist, sind weitere Untersuchungen zur Belastung der Gewässer in Nordrhein-Westfalen – auch der Ruhr – für 2019 vorgesehen. Basierend auf diesen Erkenntnissen und den Ergebnissen des Projektes „HyReKA“ (siehe LT-Vorlage 17/581) wird zu prüfen sein, ob eine technische Nachrüstung von kommunalen Kläranlagen an der Ruhr sinnvoll und erforderlich wird. Ziel der Landesregierung ist es, die Entstehung und Ausbreitung antibiotikaresistenter Bakterien bereits an der Quelle zu bekämpfen. Eine generelle Einführung einer zusätzlichen Reinigungsstufe zur Hygienisierung des Abwassers ist derzeit nicht vorgesehen.