LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/2207 19.03.2018 Datum des Originals: 19.03.2018/Ausgegeben: 22.03.2018 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 799 vom 23. Januar 2018 der Abgeordneten Dr. Martin Vincentz und Iris Dworeck-Danielowski AfD Drucksache 17/1948 Ein Fall für die Daseinsvorsorge? Wenn man sich den Strom nicht mehr leisten kann: Bleibt für Bürger in Nordrhein- Westfalen dann nur ein Leben wie im Mittelalter? Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Die „Welt-Online“ vom 23. Januar 2018 berichtet, dass im Jahr 2016 rund 72.000 Haushalten in Nordrhein-Westfalen die Energieversorgung gesperrt wurde. Ursache war zumeist, dass diese Haushalte mit der Bezahlung der gerade in den letzten Jahren durch eine verfehlte Energiepolitik extrem gestiegenen Strompreise finanziell überfordert waren. Besonders betroffen sind von Stromsperren erfahrungsgemäß Empfänger von Sozialleistungen. Wird der Strom einmal abgesperrt, schaffen es die Betroffenen kaum mehr aus der Kostenund Schuldenspirale gegenüber dem Energieversorgungsunternehmen hinaus, da zum Zeitpunkt der erfolgten Sperrung bereits oft hohe Rückstände aufgelaufen sind. Energie gehört wie Wasserversorgung und andere Güter des unmittelbaren Lebensbedarfs letztlich politisch zum Bereich der grundgesetzlich hervorgehobenen Daseinsvorsorge, in der der Staat und insbesondere die Kommunen in besonderer Verantwortung stehen. Die Stadt Menden hat deshalb in Zusammenarbeit mit dem dortigen Sozialamt und dem Jobcenter ein Projekt in Planung, das sicherstellen und helfen will, dass Haushalte von Sozialhilfeempfängern gar nicht erst in diese Notsituation geraten. Quellen: https://www.welt.de/regionales/nrw/article172718739/Fruehwarnsystem-in-Menden- Sozialhilfeempfaenger-sollen-vor-Stromsperren-bewahrt-werden.html LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/2207 2 Der Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie hat die Kleine Anfrage 799 mit Schreiben vom 19. März 2018 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales, der Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung und der Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz beantwortet. 1. Was hat die Landesregierung bisher unternommen, um im Sinne der Daseinsvorsorge eine Versorgung mit elektrischer Energie für finanziell schwächere Haushalte zu gewährleisten? 2. Sieht es die Landesregierung auch als ihre Aufgabe an, Hilfestellungen zu geben, dass finanziell schwächere Bürger in Nordrhein-Westfalen – insbesondere in Haushalten mit kleinen Kindern – vor Stromsperren weitestgehend geschützt werden? Die Fragen 1 und 2 werden auf Grund ihres Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet. Die Landesregierung setzt sich für eine sichere Energieversorgung ein, die für alle Verbraucherinnen und Verbraucher des Landes Nordrhein-Westfalen bezahlbar ist. Der Schutz eines jeden Verbrauchers ist dabei ein besonderes Anliegen der Landesregierung. Mittels verbraucherpolitischer Initiativen, Impulse und Beratungsangebote soll die Finanzkompetenz der Verbraucherinnen und Verbraucher – darunter fallen insbesondere auch die einkommensschwachen Haushalte – gestärkt werden. Diesem Vorhaben trägt die Landesregierung Rechnung, indem sie mit der finanziellen Unterstützung des Projektes „NRW bekämpft Energiearmut“ der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen einen wesentlichen Beitrag zur Vermeidung von Stromsperren leistet. Als Modellvorhaben in 2012 mit damals acht Energieversorgungsunternehmen gestartet, bietet die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen aktuell in Kooperation mit nunmehr 15 Energieversorgungsunternehmen an 13 Standorten in Nordrhein-Westfalen (Aachen, StädteRegion Aachen, Bielefeld, Bochum, Dortmund, Duisburg, Ennepe-Ruhr-Kreis, Gelsenkirchen/Bottrop, Köln, Krefeld, Mönchengladbach, Velbert und Wuppertal) einkommensschwachen Haushalten eine kostenlose Rechts- und Budgetberatung an. Die wirtschaftliche und rechtliche Beratung der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen wird zudem kombiniert mit einer Energieberatung der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) oder mit dem Stromspar-Check der Caritas in Nordrhein-Westfalen. Ziel ist es, gegen Energiearmut präventiv vorzugehen und den von Stromsperren bedrohten Verbraucherinnen und Verbrauchern eine kompetente Anlaufstelle zur Seite zu stellen, die die betroffenen Haushalte beratend an die Hand nimmt und ihnen bei einer schnellen Problemlösung mit den Energieversorgern und Sozialleistungsträgern hilfreich zur Seite steht. Der ganzheitliche Beratungsansatz sowie die komplexen Problemlagen der Verbraucher erforderten insgesamt mehr als 11.900 Beratungstermine. Im Rahmen dieses Projektes konnten bis zum 31.12.2017 rund 4.800 Privathaushalte von der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen abschließend beraten werden, davon 1.887 Haushalte mit Kindern. In dieser Zielgruppe (Haushalte mit Kindern) konnte in 89% der abgeschlossenen Fälle eine Lösung gefunden werden. Angedrohte bzw. angekündigte Stromsperren konnten zu 81% im Vorfeld verhindert werden und bei 65% der betroffenen Fälle konnten die bereits erfolgten Sperren wieder aufgehoben werden. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/2207 3 Das Landesprojekt "NRW bekämpft Energiearmut" wurde im Jahr 2017 in einem europaweitem Wettbewerb als „Social Innovation-Projekt“ mit dem 1. Preis ausgezeichnet. Die Juroren der weltweit tätigen Non-profit-Organisation Ashoka überzeugte das Angebot der Rechts- und Budgetberatung für Menschen, denen Stromsperren drohen oder die ihre Energierechnung nicht bezahlen können. Es sei beispielgebend für innovative soziale Ansätze bei der Bekämpfung von Energiearmut. Darüber hinaus initiierte das Wirtschaftsministerium im Mai 2011 den Gesprächskreis „Energiearmut – Umgang mit Energieschuldnern“. In ihm sind das Verbraucherschutz- und das Sozialministerium, die Arbeitsgemeinschaft für sparsame Energie- und Wasserverwendung (ASEW) im Verband kommunaler Unternehmen e.V. (VKU), die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen, die Caritas, eine Arbeitsloseninitiative, die Universität Münster sowie viele Stadtwerke Mitglied. Viele Grundversorger sprechen sich mittlerweile bei Stromschulden im Interesse ihrer Kunden mit den Jobcentern oder Sozialämtern ab, damit diese z.B. den monatlichen Abschlag übernehmen und Stromsperren erst gar nicht durchgeführt werden (müssen). 3. Wie beurteilt die Landesregierung die Bemühungen, ein kommunales Frühwarnsystem zu installieren, das künftig Stromsperren zu vermeiden hilft? 4. Wird die Landesregierung künftig bestrebt sein, sich bei der Entwicklung und landesweiten Umsetzung solcher Frühwarnsysteme selbst konkret einzubringen? Die Fragen 3 und 4 werden auf Grund ihres Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet. Die Landesregierung begrüßt grundsätzlich die Absicht, im Rahmen kommunaler Frühwarnsysteme unter Beteiligung von Jobcentern, Sozialämtern und Energiegrundversorgern, wie z.B. Stadtwerken Menden, aktiv und präventiv gegen Stromsperren vorzugehen. Grundvoraussetzung für das Gelingen eines solchen Vorhabens ist die Bereitschaft der betroffenen Kunden, einem Austausch ihrer Daten seitens der Jobcenter und Sozialämter an den Energiegrundversorger zuzustimmen. Auch zukünftig ist es ein wichtiges Anliegen der nordrhein-westfälischen Landesregierung, die Verbraucherinnen und Verbraucher in ihren Finanz- und Energieeinsparkompetenzen zu stärken und sie durch konkrete Informations- und Beratungsangebote vor Energiearmut und Stromsperren zu schützen. 5. Gibt es darüber hinaus Überlegungen der Landesregierung, der wachsenden Überforderung von Stromkunden gegenzusteuern, z.B. durch ein Engagement gegen die verfehlte Energiewende und eine Stärkung der heimischen Braunkohle über den Bundesrat? Die energiepolitischen Ziele „Bezahlbarkeit“ und „Versorgungssicherheit“ wurden in der Vergangenheit oftmals dem Ziel „Umweltverträglichkeit“ untergeordnet. Die Landesregierung setzt sich daher auch gegenüber dem Bund dafür ein, dass bezahlbare Energiepreise und Versorgungssicherheit zukünftig wieder gleichrangig mit den Zielen des Klimaschutzes berücksichtigt werden. Für eine bezahlbare und sichere Energieversorgung bedarf es auch in Zukunft eines breiten Energiemixes. Fossile Strom- und Wärmeerzeugung auf Basis von Braunkohle, Steinkohle und Erdgas wird als Brückentechnologie noch auf absehbare Zeit unverzichtbar sein, bis erneuerbare Energien in Verbindung mit Speichertechnologien in der Lage sein werden, Haushalte, Gewerbe- und Industriebetriebe jederzeit sicher und bezahlbar mit Energie zu versorgen.