LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/2252 26.03.2018 Datum des Originals: 23.03.2018/Ausgegeben: 29.03.2018 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 837 vom 1. März 2018 des Abgeordneten Guido van den Berg SPD Drucksache 17/2073 Sind die Einsatzlagen im Hambacher Forst weiter „robust“ einzuschätzen und was heißt das für die eingesetzte Polizeistrategie und die eingesetzten Hundertschaften? Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Der Minister des Inneren hat angekündigt, drei besonders durchsetzungsfähige Hundertschaften in NRW bilden zu wollen, die als „Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit“ z.B. bei Hooligan- und Rockereinsatzlagen „robust“ auftreten soll. Am 04.12.2017 erklärt der Minister des Inneren im Online-Artikel der Rheinischen Post: „Polizei droht mit robustem Einsatz am Hambacher Forst“: "`Im Hambacher Forst werden unter dem Deckmantel des Umweltschutzes Straftaten begangen ‘, sagte Innenminister Herbert Reul (CDU) unserer Redaktion. ‚Meinungsfreiheit und das Demonstrationsrecht sind hohe Güter, aber was wir im Hambacher Forst stellenweise beobachten , ist davon nicht mehr gedeckt.‘ Der NRW-Innenminister spricht eine offene Warnung an die Demonstranten aus: ‚Die Polizisten tun ihre Pflicht und werden wenn nötig auch robust einschreiten.‘" Parallel wird in der aktuellen Ausgabe der vom Minister des Inneren herausgegebenen „Streife“ im Artikel „Mit Dialog und Transparenz Proteste entschärfen“ hingegen die polizeiliche Einsatzlagebewältigung im Hambacher Forst beschrieben: „Es gibt informelle Treffen, wo wir unsere Positionen vertreten und verdeutlichen, zu welchen Maßnahmen wir im Falle eines Falles greifen müssen. Aber wir nehmen auch die Ansichten der Protestler zur Kenntnis und versuchen, deren Denken zu verstehen.“ (…) „‘Die Aktivisten wissen, wie wir Tag und Nacht erreichbar sind. Darüber hinaus haben wir Handynummern der wichtigsten Leute im Camp.‘ So wurde schon einmal durch ein Telefonat angekündigt, wenn die Beamtinnen und Beamten aus Aachen anrücken, um Barrikaden zu räumen. Umgekehrt fragen die Protestler nach, womit ein Polizeieinsatz begründet sei oder erkundigen sich danach , was mit Aktivisten passiere, die in Polizeigewahrsam genommen worden waren. Manchmal laufen dabei gewissermaßen die Drähte heiß.“ LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/2252 2 Der Minister des Innern hat die Kleine Anfrage 837 mit Schreiben vom 23. März 2018 namens der Landesregierung beantwortet. 1. Wird der Polizeieinsatz im Hambacher Forst weiter als „robust“ eingeschätzt? Mit Schreiben vom 21.11.2017 habe ich dem Präsidenten des Landtags meinen schriftlichen Bericht für die Sitzung des Innenausschusses am 23.11.2017 zu dem Tagesordnungspunkt „Welche Straftaten wurden bei der ‚Ende-Gelände‘ Demonstration am 5. November 2017 im Tagebau Hambach festgestellt und wie werden diese verfolgt?“ (LT-Vorlage 17/295) übermittelt . Dieser enthält in der Antwort zu Frage 26 (Seiten 20 bis 21) folgende Darstellung der Lage im Hambacher Forst: „Die Waldbesetzerszene ist von vormals durchschnittlich bis zu 50 auf ca. 100 bis 120 Personen angewachsen. Die in letzter Zeit zugereisten Personen des autonomen Spektrums aus Hamburg, Berlin, Leipzig oder südeuropäischen Ländern dürfen ein Hinweis auf die präsente, veränderte Szene sein, die im Kernbereich den Dialog verneint. Bei Begegnungen zwischen Waldbesetzern und der Polizei im Hambacher Forst zeigen die Besetzer neuerdings eine erhöhte Konfrontationsbereitschaft, die auch gegenüber eingesetzten Beamten oder Journalisten durch martialisches Auftreten verdeutlicht wird. Auch der Sprachgebrauch belegt, beispielsweise in Blogeinträgen oder im unmittelbaren Kontakt, deutlich eine mangelnde Kommunikationsbereitschaft und in Teilen auch Militanz. Dies zeigt sich beispielhaft an der Beschädigung zweier Zivilfahrzeuge der Polizei anlässlich der Teilnahme des Polizeipräsidenten Aachen an einem Waldspaziergang im Hambacher Forst am 15.10.2017. In Anbetracht der Gesamtsituation ist bei künftigen polizeilichen Maßnahmen, insbesondere bei Räumungsmaßnahmen und dem Schutz von Rodungsarbeiten, prognostisch mit weiteren erheblichen Straftaten und massivem Widerstand seitens der Besetzerszene zu rechnen. Auch Straftaten gegen Einrichtungen des Tagebaus, der Kraftwerke oder sonstiger kritischer Infrastrukturen, gegen Gebäude der RWE Power AG und letztlich auch gegen Mitarbeiter der RWE Power AG sowie Einsatzkräfte der Polizei sind dabei zu erwarten.“ Diese Darstellung ist grundsätzlich noch aktuell, auch wenn die Anzahl der Waldbesetzer Schwankungen unterliegt und derzeit mit ca. 60 bis 80 Personen beziffert wird. 2. Wird der Hambacher Forst zum Einsatzgebiet der neuen Polizeihundertschaften für robuste Einsatzlagen? Die ab dem 01.09.2018 sukzessive eingerichteten Beweissicherungs- und Festnahmeeinheiten (BFE) und -hundertschaften (BFH) sind vornehmlich einzusetzen bei Durchsuchungen von Objekten, Fest- und Ingewahrsamnahmen, Räumungen (insbesondere im Zusammenhang mit Besetzungen), Razzien und gewalttätigen Aktionen soweit dabei die Erforderlichkeit gegeben ist, spezielle Beweissicherungs- und Zugriffstechniken und -taktiken anzuwenden und besondere Anforderungen an die physische und psychische Belastbarkeit der Einsatzkräfte bestehen . Die Bewältigung von Einsätzen aus Anlass von Sicherheitsstörungen im Hambacher Forst fällt in die Zuständigkeit des Polizeipräsidiums (PP) Aachen. Die einsatzführende Behörde ist auch für die jeweilige Beurteilung der Lage sowie die anlassbezogene Einsatz- und Kräfteplanung verantwortlich. Inwieweit ein zukünftiger Einsatzanlass im Hambacher Forst den Einsatz von BFE bzw. BFH erforderlich macht, unterliegt der Beurteilung des einsatzführenden PP Aachen bzw. des Landesamtes für Zentrale Polizeiliche Dienste, das über die Unterstellung von Kräften der Bereitschaftspolizei entscheidet und diese anlassbezogen veranlasst. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/2252 3 3. Welche Bedeutung werden künftig Dialogkonzepte, wie sie in der aktuellen Ausgabe der „Streife“ beschrieben sind, im Hambacher Forst haben? 4. Werden Einsätze weiter telefonisch angekündigt? 5. Wird es weiter einen Informationsservice für Aktivisten zu festgenommen Straftätern geben? Die Fragen 3 bis 5 werden nachfolgend im Zusammenhang beantwortet. Die Einsatzkonzeption des PP Aachen sieht ein anlassbezogen differenziertes Vorgehen vor. Auf der einen Seite setzt das PP Aachen auf ein transparentes polizeiliches Handeln, den Dialog mit allen Beteiligten und einsatzbegleitende Kommunikation. Friedlicher Protest wird unter maßgeblicher Berücksichtigung der herausragenden Bedeutung des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit polizeilich geschützt. Auf der anderen Seite wird gewalttätigen Aktionen unmittelbar entgegengetreten und gegen Straftäter konsequent vorgegangen. Die zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit erforderlichen und rechtlich zulässigen Maßnahmen werden getroffen. Aktuell liegen der Landesregierung keine Informationen vor, dass das PP Aachen diese grundsätzliche Ausrichtung der Einsatzbewältigung zu ändern gedenkt. Ob und wieweit im Vorfeld oder Nachgang von Einsätzen aus besonderem Anlass eine Information der Waldbesetzerszene opportun erscheint, entscheidet das einsatzführende PP Aachen im Sinne der oben dargestellten Einsatzkonzeption. Dabei kommt der jeweiligen Lagebeurteilung eine entscheidende Bedeutung zu.