LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/2282 03.04.2018 Datum des Originals: 29.03.2018/Ausgegeben: 06.04.2018 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 825 vom 26. Februar 2018 des Abgeordneten Alexander Langguth FRAKTIONSLOS Drucksache 17/2040 Gewalt an Grundschulen – Immer mehr gesellschaftliche Verwerfungen problematisieren den Alltag von Lehrern und Schulanfängern Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Immer wieder schrecken Berichte über Gewalt an Schulen auch in Nordrhein-Westfalen das Land auf und rufen jedes Mal ungläubiges Entsetzen sowie feste Absichtserklärungen vor allem aus der Politik zum Gegensteuern hervor. Auch in der Landespolitik erscheint die Problematik immer und immer wieder z.B. durch ‚Kleine Anfragen‘ auf der Tagesordnung. Zuletzt hat ein Bericht in der WAZ vom 22. Februar 20181 für Aufsehen gesorgt, in dem davon berichtet wird, daß sich die Lehrer einer Grundschule aus Osterwieck (Sachsen-Anhalt) mit einem verzweifelten Hilferuf an die Eltern und Öffentlichkeit gewendet haben, in dem sie von untragbaren Zuständen berichten2. Daß diese Problematik auch der Landesregierung in Düsseldorf nicht unbekannt ist, zeigt in erster Linie die Existenz zahlreiche Initiativen, die sich diverser Probleme und Hintergründe annehmen sollen. Auch in den Kommunen belegen immer weiter steigende Ausgaben für Schulsozialarbeit, daß wir es auch in dieser Hinsicht mit besorgniserregenden Entwicklungen zu tun haben. Spricht man mit den Lehrern vor Ort, stellt man fest, daß die Häufung dieser Vorfälle an Rhein und Ruhr auch an Grundschulen mittlerweile zum Alltag gehören. Die Lehrer fühlen sich allein gelassen und sehen sich Aufgaben gegenüber, die Schule nicht leisten kann und die dem eigentlichen Bildungsauftrag teils bedrohend im Wege stehen. 1 https://www.mdr.de/sachsen-anhalt/magdeburg/hilferuf-von-lehrern-an-grundschule-hessen -harz-100.html?_mdrviafb_180222_1409 2 https://www.volksstimme.de/sachsen-anhalt/offener-brief-lehrer-kapitulieren-vor-grundschuelern LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/2282 2 In diesem Zusammenhang müssen sich Politiker aller Parteien die Frage gefallen lassen, ob sie mit ihrem Handeln in erster Linie an den Symptomen ‚herumdoktern‘ oder ob sie willens und in der Lage sind, den eigentlich Ursachen auf den Grund zu gehen. Schließlich zeigt die Erfahrung, daß ein immer weiter steigendes Heer von Sozialarbeitern und (durchaus auch) gut gemeinten Initiativen nicht in der Lage sein werden, gesellschaftliche Verwerfungen vor dem Zeitpunkt des Entstehens im Keime zu ersticken. Ganz im Gegenteil nutzen all diese Maßnahmen in der Regel nur dazu, kurzzeitig Druck abzulassen, um dann festzustellen, daß beim nächsten Aufschrei wieder nachgebessert werden muß. Die Ministerin für Schule und Bildung hat die Kleine Anfrage 825 mit Schreiben vom 29. März 2018 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration, dem Minister der Finanzen und dem Minister des Innern beantwortet. Vorbemerkung der Landesregierung Die in der Kleinen Anfrage angegebenen Fundstellen beziehen sich nicht auf das Land Nordrhein -Westfalen, sondern spiegeln nach Aussagen der Landeselternvertretung des Landes Sachsen-Anhalt ein singuläres Ereignis an einer Grundschule in Sachsen-Anhalt wider. Zudem ist eine der angegebenen Fundstellen nicht passgenau. Der Rückschluss, die von der Landesregierung und anderen Initiativen gemachten hier aufgeführten Unterstützungsangebote für Schulen zeigten, dass eine zunehmende Gewaltbereitschaft existiere, konterkariert deren präventive und nicht interventiv angelegte Funktion. Genau diese Initiativen sind keine Maßnahmen, um „Druck abzulassen“, sondern Schülerinnen und Schüler zu fairen gesellschaftlich anerkannten Konfliktlösungsstrategien anzuhalten und zu erziehen. 1. Sind der Landesregierung vermehrt auftretende Fälle von Gewalt gegen das Lehrpersonal , Gewalt unter den Schülern sowie andere Unterrichtsstörungen und Beeinflussungen des Lehrbetriebs an Grundschulen auch in NRW bekannt? Bitte listen Sie die Fallzahlen sowie die Orte & die Art der Vorkommnisse auf! Anhand von Statistiken der Bezirksregierungen können Aussagen über anerkannte Dienstunfälle von Lehrkräften getroffen werden, die auf Aggressivität gegen Lehrkräfte zurückzuführen sind. Die aktuelle Auswertung von anerkannten Dienstunfällen von Lehrkräften im Jahr 2016 (die Auswertung für das Jahr 2017 wird in Kürze abgeschlossen sein) hat Folgendes ergeben: An den 2812 Grundschulen mit 632.693 Schülerinnen und Schülern, die von 45.553 Lehrkräften im Schuljahr 2016/17 unterrichtet wurden, hat es 454 anerkannte Dienstunfälle gegeben von denen 16 auf „Unfall durch Aggressivität gegen Lehrkräfte“ zurückzuführen sind. Das entspricht einer Quote von 3,52 %. Setzt man dies mit der Anzahl der Grundschülerinnen und Grundschüler in Relation, ergibt sich eine Quote von 0,0026 % und in Relation zu der Anzahl der Grundschullehrkräfte, eine Quote von 0,035 %. Hierbei handelt es sich nicht um eine sehr hohe Anzahl von Gewaltfällen gegen Grundschullehrkräfte, wobei festzustellen ist, dass jeder Fall von Aggressivität gegen eine Lehrkraft ein Fall zu viel ist. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/2282 3 Anhand der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) können nur Fälle von Taten strafbarer Handlungen dargestellt werden. Fälle physischer Gewalt, die unterhalb einer gesetzlich geregelten Strafbarkeit liegen, werden nicht erfasst bzw. dargestellt. Die Zahl der Opfer mit der Opferspezifik „Lehrkräfte“ im Zeitraum von 2014 bis 1. Halbjahr 2017 zu den Delikten der Körperverletzung belaufen sich auf 230 (2014), 198 (2015), 222 (2016) und auf 115 (1.HJ 2017). Eine allgemeine Statistik über Gewaltereignisse an Schulen wird nicht geführt. Dieses widerspricht dem Gedanken eines eigenverantwortlichen Handelns von Schulen in Nordrhein-Westfalen im Rahmen der vorgegebenen Rechtsordnung. Der Gemeinsame Runderlass „Zusammenarbeit bei der Verhütung und Bekämpfung der Jugendkriminalität“ (Zusammenarbeit bei der Verhütung und Bekämpfung der Jugendkriminalität, Gem. RdErl. des Ministeriums für Inneres und Kommunales - 424 - 62.19.02 -, d. Justizministeriums - 4210 - III. 94 -, d. Ministeriums für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter – 214 - 0390.5.2. -, d. Ministeriums für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport - 313 – 6004.1.9 - u. d. Ministeriums für Schule und Weiterbildung - 622. 6.08.08.04 - 50724 - v. 22.8.2014 (MBl.NRW. 2014, S. 493) gibt dabei eine Verfahrensweise vor. 2. Sollte die Landesregierung keine Statistik über die angesprochenen Vorkommnisse an (Grund)Schulen führen: Hält es die Landesregierung zum Zwecke der Erfolgskontrolle nicht für sinnvoll, auch Fälle, die nicht polizeidienstlich gemeldet werden, zu erfassen und so ein Gesamtbild der Lage zur besseren Beurteilung zu erhalten? Die Beantwortung der Frage ergibt sich bereits aus Antwort 1. 3. Der § 53 des NRW-Schulgesetzes regelt erzieherische (Ordnungs-) Maßnahmen, die Lehrkräften zum Einwirken auf die Schüler zur Verfügung stehen. Um die Wirksamkeit der Maß-nahmen überprüfen zu können, muss jeder Fall für sich betrachtet werden . Welche Erkenntnisse liegen der Landesregierung bzgl. der Häufigkeit und des anschließenden Erfolgs der einzelnen Sanktionierungen an Grundschulen vor? Erzieherische Einwirkungen und Ordnungsmaßnahmen dienen der geordneten Unterrichtsund Erziehungsarbeit der Schule sowie dem Schutz von Personen und Sachen (§ 53 Absatz 1 SchulG). Der in § 53 Absatz 2 Schulgesetz NRW genannte Katalog erzieherischer Maßnahmen (erzieherisches Gespräch, Ermahnung, Gruppengespräche, mündliche oder schriftliche Missbilligung, Ausschluss von der laufenden Unterrichtsstunde, Nacharbeit unter Aufsicht, Wegnahme von Gegenständen, Maßnahmen mit dem Ziel der Wiedergutmachung, Beauftragung mit Aufgaben) ist nicht abschließend. Entsprechend den Umständen des Einzelfalls und unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes sind auch weitere bzw. Kombinationen von erzieherischen Einwirkungen möglich. Eine Erfassung aller niedrigschwelligen erzieherischen Maßnahmen (wie z.B. Ermahnungen) wäre im Schulalltag bereits aus tatsächlichen Gründen nicht möglich und würde die Schulen enorm belasten. Für erzieherische Maßnahmen und Ordnungsmaßnahmen gilt zudem, dass die Wirksamkeit gerade im Bereich der multifaktoriellen Ansätze im pädagogischen Bereich nicht eindeutig zugeordnet werden kann. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/2282 4 Hier kann die Kombination oder auch nur ein einzelnes Element den Erfolg herbeigeführt haben . Des Weiteren können auch außerschulische Faktoren (z.B. Eltern- oder Peergroupeinflüsse ) eine Rolle spielen, die den Erfolg einer Maßnahme beeinflussen. 4. Im Online-Bildungsportal des Bildungsministeriums werden diverse Projekte und Initiativen aufgeführt, die „(…) zur Stärkung des sozialen Zusammenhalts und der Verhinderung von Ausgrenzung“ beitragen sollen. Dort aufgelistet findet man: a) Schulpsychologie in NRW b) Arbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz (AJS) c) Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage d) Schule der Vielfalt – Schule ohne Homophobie e) buddY e.V. f) sozialgenial (Aktive Bürgerschaft e.V.) g) Konfliktmanagement an Schulen (ARAG) h) Erwachsen werden (Lions-Quest) i) Landespräventionsstelle gegen Gewalt und Cybergewalt an Schulen in NRW Mit welchen Finanzmitteln werden die einzelnen Initiativen und Projekte durch die Landesregierung pro Jahr unterstützt? Bitte führen Sie dabei auch auf, seit wann die jeweiligen Maßnahmen existieren. a) Die Aufgaben der Schulpsychologie sind vielfältig und nicht auf Gewaltprävention beschränkt . Schulpsychologie ist keine einzelne Initiative oder ein Projekt der Landesregierung , sondern ein fester systemischer Bestandteil des Schulwesens. Sie wurde ab 2007 deutlich ausgebaut und ist in allen 54 Kreisen und Kommunen vertreten. Nähere Informationen hierzu finden sich unter https://www.schulministerium.nrw.de/docs/FamilieBildung /Schulpsychologie/index.html. b) Die AJS wird aus Mitteln des Kinder- und Jugendförderplans des Landes NRW (Pos. 4.1.1 ) institutionell gefördert. Die aktuelle Fördersumme in 2018 beläuft sich auf 669.000 EUR. Die AJS wurde 1953 unter dem Namen „Aktion Jugendschutz Landesarbeitsstelle NRW“ gegründet. Gem. § 17 Abs. 4 Kinder- und Jugendförderungsgesetz (KJFöG NW) wird die AJS zur Entwicklung von Handlungskonzepten zum erzieherischen Kinder- und Jugendschutz als Landesstelle gefördert, die insbesondere den erzieherischen Kinder- und Jugendschutz auf Landesebene koordiniert und Anregungen für den Umgang mit Risiken und Gefährdungen entwickelt. Dabei soll die AJS insbesondere mit den Trägern der öffentlichen und freien Jugendhilfe, den Schulen, den Polizei- und Ordnungsbehörden sowie mit anderen auf dem Gebiet des Kinder- und Jugendschutzes tätigen Trägern zusammenwirken. c) Für das Projekt „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“, 1995 auf Bundesebene gegründet, werden aktuell 30.000 EUR p.a. bereitgestellt. d) Das 2008 gegründete Projekt „Schule der Vielfalt – Schule ohne Homophobie“ wird gemäß der Vereinbarung mit dem Ministerium für Schule und Bildung in den Jahren 2015 bis 2018 mit bis zu 30.000 EUR jährlich gefördert. e) Das Projekt „buddy e.V.“, seit Oktober 2016 „Education Y“, wird finanziell nicht gefördert. f) Das Programm „sozialgenial“ entstand 2009 auf Initiative der WGZ BANK und mit Unterstützung des damaligen Ministeriums für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein -Westfalen. Träger des Programms ist die Stiftung Aktive Bürgerschaft. Das Land stellt keine eigenen Mittel bereit. g) „Konfliktmanagement an Schulen“ ist ein Projekt der ARAG SE und wurde 2015 in NRW gestartet. Es erhält keine finanzielle Förderung von Seiten des Landes. h) Das Programm „Erwachsen werden“ von LionsQuest ist eine Initiative des Lions’s Club und wird finanziell nicht durch die Landesregierung unterstützt. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/2282 5 i) Die Landespräventionsstelle gegen Gewalt und Cybergewalt an Schulen in Nordrhein- Westfalen wurde 2015 gegründet und ist eine landeseigene Kooperation zwischen dem Ministerium für Schule und Bildung, der Bezirksregierung Düsseldorf und der Landeshauptstadt Düsseldorf. Da es sich bei der LPS um eine Landesstelle handelt, liegt keine finanzielle Unterstützung im nachgefragten Sinne vor. 5. Alles in Allem erwecken viele der Maßnahmen und Initiativen den Eindruck, dass sie die bereits aufgekommenen Konflikte (nur noch) abmildern sollen und infolgedessen eben nur als Reaktion auf diese Probleme wirken können. Worin sieht die Landesregierung die eigentlichen Gründe dafür, dass Gewalt und die Auswirkungen sozialer Probleme und Verwerfungen bereits an unseren Grundschulen zum Alltag gehören? Da Schulen ein Spiegelbild unserer Gesellschaft darstellen, ist das Vorkommen von Gewalt auch hier nicht auszuschließen. Die genannten Maßnahmen und Initiativen besitzen keine nur abmildernde Funktion als Reaktion auf eine vermeintliche Entwicklung, sondern helfen generalpräventiv, Schülerinnen und Schüler in ihrem Demokratiebewusstsein zu fördern und zu unterstützen. Auch die in der Antwort zu Frage 4 aufgeführten Maßnahmen sind gleichermaßen generalpräventiv und interventiv aufgestellt.