LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/2293 05.04.2018 Datum des Originals: 04.04.2018/Ausgegeben: 10.04.2018 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 852 vom 6. März 2018 der Abgeordneten Monika Düker und Wibke Brems BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 17/2125 Warum verweigert Ministerpräsident Laschet den vollständigen Atomausstieg in Deutschland mit fadenscheinigen Argumenten? Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Am 1. März führte Ministerpräsident Laschet im Landtag aus, dass der Koalitionsvertrag der neuen großen Koalition in Berlin ermögliche, Uran-Lieferungen aus Deutschland nach Belgien künftig zu unterlassen. Wenn die Anlagen in Gronau und Lingen allerdings geschlossen würden, werde Deutschland mit einem Komplettausstieg aus der Atomkraft auch kein Mitglied der Internationalen Atomenergiebehörde sein und könne sich in der Folge nicht mehr an den Atomgesprächen mit Iran beteiligen. Damit würde Deutschland international an Einfluss verlieren. Wörtlich sagte der Ministerpräsident: „Wenn wir Gronau schließen, wenn wir Lingen schließen, dann bedeutet das, dass sich Deutschland aus diesem Feld der Produktion verabschiedet. Wir sind dann nicht mehr Mitglied der Internationalen Atomenergiebehörde. Wir wären dann nicht an den Atomenergiegesprächen und den Friedensgesprächen mit dem Iran beteiligt gewesen. […] Damit würden wir den Einfluss Deutschlands preisgeben. […] Wenn Deutschland nicht mehr Kernelemente produziert und aussteigt, kann man nicht mehr Mitglied der Internationalen Atomenergiebehörde sein. Gronau wird deshalb bleiben, und nach Tihange wird nicht mehr geliefert.“ Die Aussagen des Ministerpräsidenten überraschen, da beispielsweise Österreich bereits seit 1978 aus der kommerziellen Atomkraft ausgestiegen ist. Trotzdem ist das Land weiterhin Mitglied der Internationalen Atomenergie Organisation (IAEA)1 und gilt auch international als gewichtige Stimme im internationalen Atomkraft-Diskurs. Die Beteiligung Deutschlands an den 5+1-Gesprächen mit Iran geht ebenfalls nicht auf die Mitgliedschaft der IAEA zurück sondern auf die Initiative des damaligen Außenministers Joschka Fischer. Er hat seine Amtskollegen 1 https://www.iaea.org/about/governance/list-of-member-states LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/2293 2 aus Frankreich und Großbritannien 2003 erstmalig von Gesprächen mit Iran überzeugt. Auch die engen Handelsbeziehungen zwischen Deutschland und Iran waren einer der Hintergründe. So berichtete es beispielsweise 2015 u.a. der Deutschlandfunk.2 Ein Grund war laut der Zeitung „Die Volksstimme“ auch, dass das einzige iranische Atomkraftwerk Buschehr nach Plänen der deutschen Firmen Siemens und AEG Telefunken gebaut worden sei.3 Der Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie hat die Kleine Anfrage 852 mit Schreiben vom 4. April 2018 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Ministerpräsidenten sowie dem Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten sowie Internationales beantwortet. 1. Auf welchen rechtlichen Grundlagen oder internationalen Vereinbarungen fußt die Einschätzung des Ministerpräsidenten, dass die Stilllegung der Urananreicherungsanlage in Gronau und der Brennelementefabrik in Lingen dazu führen würde, dass Deutschland nicht mehr Mitglied der IAEA sein könnte und z.B. nicht mehr an den 5+1 Gesprächen mit Iran teilnehmen könnte? 2. Wie lässt sich Rechtsauffassung des Ministerpräsidenten mit der Tatsache vereinbaren, dass bspw. Österreich bis heute Mitglied der IAEA ist, obwohl das Land bereits seit 1978 aus der Kernenergie ausgestiegen ist? 3. In welcher Weise wird sich die Landesregierung für eine Schließung der Anlagen in Gronau und Lingen einsetzen, wenn sich herausstellen sollte, dass weder Deutschlands Mitgliedschaft in der IAEA noch die Beteiligung an den 5+1- Gesprächen mit Iran durch die Schließung gefährdet wären? Die Fragen 1, 2 und 3 werden aufgrund des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet. Steuerungsorgan der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO) ist der Gouverneursrat, der 35 stimmberechtigte IAEO-Mitgliedstaaten umfasst. Von diesen haben 13 Staaten einen ständigen Sitz in dem Gremium, Deutschland seit 1972. Der ständige Sitz ist gemäß Satzung und ergänzenden Verfahrensregeln der IAEO daran geknüpft, dass der Mitgliedstaat zu den “weltweit am weitesten entwickelten Staaten in der Nukleartechnologie gehört“. Deutschland erfüllt dieses Kriterium auch wegen der hier vorhandenen Kompetenz bzw. der hier betriebenen Anlagen im Brennstoffkreislauf. Eine Aufgabe der Anreicherung und der angeschlossenen Brennelementefertigung, die zudem die Kündigung völkerrechtlicher Verträge erfordern würde, könnte nach Ansicht der Landesregierung auch vor dem Hintergrund der Entscheidung für den Ausstieg aus der kommerziellen Kernenergienutzung den ständigen deutschen Sitz im IAEO-Gouverneursrat gefährden. Es wird im weiteren auf die Antwort der Bundesregierung vom 14.03.2018 auf die Schriftliche Frage an die Bundesregierung im Monat März Nr. 47 des Abgeordneten Oliver Krischer BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN verwiesen. 2 http://www.deutschlandfunkkultur.de/atomstreit-mit-iran-deutschland-als-mittler-undanschubser .2165.de.html?dram:article_id=324759 3https://www.volksstimme.de/nachrichten/deutschland_und_welt/meinung_und_debatte/1378103_War um-Deutschland-bei-Iran-Gespraechen-dabei-ist.html LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/2293 3 4. Wie wird Ministerpräsident Laschet die Belieferung der belgischen Atomkraftwerke mit deutschen Brennelementen künftig verhindern? 5. Ab welchem Zeitpunkt werden nach Auffassung der Landesregierung die belgischen Atomkraftwerke nicht mehr aus Deutschland beliefert? Die Fragen 4 und 5 werden aufgrund des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet. Im Koalitionsvertrag auf Bundesebene ist festgehalten worden, dass Kernbrennstoffe aus deutscher Produktion in Anlagen im Ausland, deren Sicherheit aus deutscher Sicht zweifelhaft ist, nicht zum Einsatz kommen sollen. Zu diesem Zweck sollen die Möglichkeiten für eine rechtssichere Beendigung entsprechender Lieferungen durch die Bundesregierung geprüft werden. Die Landesregierung wird diesen Prozess weiterhin eng begleiten und hat bei der Bundesregierung bereits auf einen zeitnahen Beginn dieser Prüfung gedrungen.