LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/2356 12.04.2018 Datum des Originals: 12.04.2018/Ausgegeben: 17.04.2018 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 857 vom 8. März 2018 der Abgeordneten Norwich Rüße, Barbara Steffens und Wibke Brems BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 17/2133 Nimmt die Landesregierung einen vermeidbaren Anstieg der Quecksilberbelastung in Nordrhein-Westfalen in Kauf? Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Mit ihrem Teilrücknahmebescheid vom 23. Februar 2018 hat die Bezirksregierung Münster Uniper, dem Betreiber des seit Jahren juristisch umstrittenen Kohlekraftwerks Datteln IV nachträglich einen höheren Quecksilberausstoß gestattet1. Dieser Teilrücknahmebescheid bezieht sich auf einen Erlass vom 14. Dezember 2016, mit dem der damalige Umweltminister die Genehmigungsbehörde angewiesen hatte, den Quecksilbergrenzwert von 0,004 mg/m3 zum Schutz der menschlichen Gesundheit zu halbieren. In der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung vom 19.01.2017 wurde daraufhin ein Emissionsgrenzwert von 0,002 mg/m3 festgelegt. Dagegen hatte Uniper vor dem Oberverwaltungsgericht Münster Klage eingereicht, diese jedoch auf Grund des oben genannten Teilrücknahmebescheids zurückgezogen. Industrieanlagen in Nordrhein-Westfalen verursachen mit etwa drei Tonnen Quecksilberemission pro Jahr fast ein Drittel der Quecksilberemissionen in Deutschland. Hauptemittenten in NRW sind die Kohlekraftwerke mit etwa zwei Tonnen Quecksilber im Jahr. Damit stammt die Hauptemissionsfracht an Quecksilber aus dem Energiesektor. Dabei könnte der Quecksilberausstoß in NRW laut eines Gutachtens, das vom Umweltministerium im April 2016 veröffentlicht wurde, durch technische Nachrüstungen um 80 Prozent gesenkt werden. In anderen Ländern gehören strengere Quecksilbergrenzwerte ebenso zum Standard wie technische Lösungen zur Nachrüstung. Diese Technologien werden beispielsweise in den USA eingesetzt, wurden aber in Deutschland entwickelt und patentiert, sodass sie auch für deutsche Industrieanlagen und Kraftwerke zur Verfügung stünden. 1 http://www.bezregmuenster .nrw.de/de/service/bekanntmachungen/verfahren/genehmigung_anlagen/uniper/index.html LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/2356 2 Über die Luft gelangt Quecksilber in unsere Gewässer und durch den Verzehr von Fisch auch in unsere Nahrungskette. So reichert sich das Schwermetall schließlich im menschlichen Körper an, was wiederum zu chronischen und folgenschweren Quecksilbervergiftungen führen kann. Zum Schutz der menschlichen Gesundheit der Menschen und zum Schutz der Natur muss die Eintragung von Quecksilber in die Umwelt grundsätzlich reduziert werden. Die Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz hat die Kleine Anfrage 857 mit Schreiben vom 12. April 2018 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie beantwortet. Vorbemerkung der Landesregierung Die Großfeuerungsanlagenverordnung (13. BImSchV) sieht für Steinkohlekraftwerke für Quecksilberemissionen über den Luftpfad einen Grenzwert als Jahresmittelwert (JMW) i. H. v. 0,01 mg/m3 vor. Im Rahmen des Genehmigungsverfahrens für das Steinkohlekraftwerk Datteln IV hatte die Antragstellerin einen Grenzwert als JMW i. H. v. 0,004 mg/m3 beantragt. Darüber hinaus wurde in dem Genehmigungsbescheid auf Veranlassung der Bezirksregierung Münster und einvernehmlich mit der Antragsstellerin ein Vorbehalt für eine spätere Grenzwertverschärfung sowie ein Kontrollwert i. H. v. 0,002 mg/m³ als Tagesmittelwert aufgenommen. Kontrollwerte werden festgesetzt, wenn eine Anlage die maßgeblichen Emissionsgrenzwerte deutlich unterschreitet. Mit diesen Werten wird ein ordnungsgemäßer Betrieb der Minderungstechnologien sichergestellt. Die von der Antragsstellerin beantragte Quecksilberminderungstechnologie (u. a. doppelte Katalysator-Lage und Begrenzung des Quecksilbergehalts im Brennstoff) entspricht dem im Quecksilbergutachten NRW aus April 2016 dargestellten fortschrittlichen Stand der Technik. Streitig war allein die Frage, ob die eingesetzte Minderungstechnologie auch tatsächlich in der Lage ist, einen JMW von 0,002 mg/m³ einzuhalten. Aus diesem Grund erging der Erlass des Umweltministeriums, der die Bezirksregierung Münster entgegen deren Auffassung anwies, einen Grenzwert als JMW i. H. v. 0,002 mg/m³ festzusetzen. Als Begründung wurde auf die damalige Rechtsprechung des OVG NRW zum Kraftwerk Lünen Bezug genommen, wonach aufgrund der gewässerbezogenen Umweltqualitätsnormen für Quecksilber in Biota sowie des Phasing-Out-Gebots der Wasserrahmenrichtlinie alle notwendigen Maßnahmen zur Reduzierung von Quecksilber gefordert werden müssen. Ein konkreter Grenzwert wurde im Rahmen dieser Rechtsprechung jedoch nicht in Bezug genommen. 1. Welche Strategie verfolgt die Landesregierung zur Absenkung der Quecksilberemission in Nordrhein-Westfalen? Bitte benennen Sie auch Maßnahmen zur technischen Nachrüstung von quecksilberemittierenden Anlagen. Die Landesregierung nimmt die Umwelt- und Gesundheitsgefahren, die von Quecksilber ausgehen, ernst. Daher setzt sich die Landesregierung für eine Minderung der Quecksilber- Emissionen entsprechend dem aktuellen Stand der Technik ein. Auf europäischer Ebene wurde der Stand der Technik für die Emissionsminderung bei Großfeuerungsanlagen mit den im August 2017 veröffentlichten Schlussfolgerungen über die besten verfügbaren Techniken (BVT-Schlussfolgerungen) neu festgelegt. Die Landesregierung befürwortet die Umsetzung der Anforderungen an die Emissionsbegrenzung für Quecksilber in die Luft in der 13. BImSchV LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/2356 3 und für Abwasser im Anhang 47 der Abwasserverordnung im Rahmen der in den BVT- Schlussfolgerungen genannten Emissionsbandbreiten. In diesen BVT-Schlussfolgerungen werden die zur Verfügung stehenden Technologien, auch für die technische Nachrüstung, ebenso wie Einschränkungen bzgl. deren Anwendbarkeit aufgeführt. Welche Techniken im Einzelfall, insbesondere bei Nachrüstung bestehender Anlagen, möglich sind, muss jeweils anlagenspezifisch geprüft und festgelegt werden. 2. Aufgrund aktuell laufender Rechtsverfahren ist derzeit nicht absehbar, wann und ob das Kraftwerk Datteln IV den Betrieb aufnehmen wird. Wie rechtfertigt die Landesregierung dennoch die Erhöhung des Quecksilberausstoßes für diese Anlage zum jetzigen Zeitpunkt, wenn bislang keine langfristigen Betriebserfahrungen vorliegen? 3. Warum hat die Landesregierung nicht die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Münster abgewartet, sondern dieser durch den Teilrücknahmebescheid vorgegriffen? Die Fragen 2 und 3 werden im Zusammenhang beantwortet. Grundlage des Erlasses vom 14.12.2016 waren die Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts NRW (OVG NRW) in seinem Urteil zum Kraftwerk Lünen. Das OVG NRW hatte in diesem Urteil angenommen, dass auch bei Einzelvorhaben in Bezug auf die Luftimmissionen die Anforderungen der gewässerbezogenen Umweltqualitätsnormen für Quecksilber in Biota sowie des Phasing-Out-Gebots der Wasserrahmenrichtlinie berücksichtigt werden müssen. Eine neue Bewertung ergab sich vor allem aufgrund der am 17.8.2017 veröffentlichten BVT- Schlussfolgerungen für Großfeuerungsanlagen, die auch die Anforderungen des europäischen Wasserrechts, insbesondere das Phasing-Out-Gebot, berücksichtigen. Die BVT-Schlussfolgerungen sehen einen Quecksilberemissionswert von bis zu 0,004 mg/m³ vor, so dass ein solcher, in einer Genehmigung festgesetzter Grenzwert nicht gegen das Phasing- Out-Gebot der Wasserrahmenrichtlinie verstoßen kann. Überdies hat das Bundesverwaltungsgericht inzwischen in seinem Urteil zum Kraftwerk Staudinger vom 2.11.2017 (Az. 7 C 25/15) klargestellt, dass in wasserrechtlichen Erlaubnissen aufgrund des Phasing-Out-Gebots derzeit noch keine Vorkehrungen für eine schrittweise Beendigung der Einleitung prioritärer Stoffe getroffen werden müssen. Mangels Regelung einer schrittweisen Reduzierung oder Einstellung von Einleitungen und Festlegung eines konkreten Zeitplans ist die Phasing-Out-Verpflichtung derzeit nicht in vollziehbarer Weise konkretisiert, so dass zwingende Vorgaben zur schrittweisen Verringerung und Einstellung aller Quecksilbereinträge nicht bestehen. Diese Ausführungen sind entsprechend auf immissionschutzrechtliche Anforderungen an Luftemissionen zu übertragen, soweit sie auf wasserrechtliche Anforderungen aufgrund des Phasing-Out-Gebots gestützt werden. Die Festsetzung eines strengeren Grenzwerts ist vor diesem Hintergrund rechtlich zweifelhaft. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/2356 4 4. Das Gutachten des Umweltministeriums von April 2016 belegt die technische Möglichkeit einer Reduzierung von Quecksilberemissionen um 80 Prozent. Wie ist der Teilrücknahmebescheid mit der Zielsetzung der „Technischen Anleitung zur Reinhaltung der Luft“ (TA Luft) in Einklang zu bringen, die einen Einsatz der besten verfügbaren Techniken (BVT) für derartige Anlagen einfordert? Wie oben dargelegt, entspricht die in dem Kraftwerk eingesetzte Technik – auch nach Bestätigung des damals befassten Gutachters – der aktuell besten verfügbaren Quecksilberminderungstechnologie und den Anforderungen der besten verfügbaren Technik. Im Übrigen sind für das Kraftwerk Datteln IV nicht die Vorgaben der Technischen Anleitung zur Reinhaltung der Luft (TA Luft), sondern die Regelungen der 13. BImSchV maßgeblich. Auch die nach der Teilrücknahme verbleibenden Bestimmungen des Genehmigungsbescheids gehen über die aktuellen Vorgaben der 13. BImSchV hinaus. 5. Mit dem Teilrücknahmebescheid wird sich der Ausstoß des Nervengifts Quecksilber bei Inbetriebnahme der Anlage um 112 Kilogramm zusätzlich erhöhen. Welche Umweltauswirkungen hätte diese Zunahme auf die angrenzenden europäischen Natura-2000-Schutzgebiete? Die von der Antragsstellerin beantragte und genehmigte Quecksilberminderungstechnologie entspricht dem zurzeit anspruchsvollsten Stand der Technik. Die Anpassung des Grenzwerts lässt diese Minderungstechnologie unberührt, so dass eine tatsächliche Erhöhung der Quecksilberemissionen des Kraftwerkes damit nicht verbunden ist.