LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/2500 27.04.2018 Datum des Originals: 27.04.2018/Ausgegeben: 04.05.2018 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 915 vom 29. März 2018 der Abgeordneten Wibke Brems BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 17/2276 Vereinbarkeit von Brutkästen und Windenergieanlagen: Gilt das Bundesnaturschutzgesetz auch für Naturschutzbehörden? Vorbemerkung der Kleinen Anfrage In mehreren Windparks in NRW (und Hessen) existieren Brutkästen an Windenergieanlagen. Seit mehr als zehn Jahren sind dort Bruterfolge belegt, zunächst von Turmfalken, in jüngerer Vergangenheit vermehrt sogar von den seltenen Wanderfalken. Nun mehren sich Berichte über untere Naturschutzbehörden, die den Abbau dieser erfolgreich genutzten Brutkästen fordern .1 Laut Bundesnaturschutzgesetz ist es verboten, „Fortpflanzungs- oder Ruhestätten der wild lebenden Tiere der besonders geschützten Arten aus der Natur zu entnehmen, zu beschädigen oder zu zerstören“ (§44 (1), Satz 3). Die Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz hat die Kleine Anfrage 915 mit Schreiben vom 27. April 2018 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie beantwortet. 1 https://www.nrz.de/staedte/kleve-und-umland/aerger-um-brutkasten-fuer-falken-an-windkraft-anlageid 213510165.html oder http://www.nw.de/lokal/kreis_guetersloh/guetersloh/21902616_Drei-Wanderfalken-an-Windrad-geschluepft -trotz-drehender-Rotorblaetter.html?em_cnt=21902616 LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/2500 2 1. Wie ist die Forderung nach einem Abbau der Brutkästen von Turm- oder Wanderfalken mit dem Bundesnaturschutzgesetz (vor allem § 44, Absatz 1, Satz 3) zu vereinbaren ? Fortpflanzungs- und Ruhestätten besonders geschützter Arten sind gemäß § 44 Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) vor ihrer Entnahme, Beschädigung und Zerstörung geschützt. In der gesetzlichen Verbotsnorm wird nicht unterschieden, ob die Fortpflanzungs- und Ruhestätten natürlich sind oder künstlich geschaffen wurden. Insofern können grundsätzlich auch künstliche Fortpflanzungs- und Ruhestätten wie Nistkästen dem Schutzregime unterliegen. Erfasst werden nur Fortpflanzungs- und Ruhestätten in „der Natur“. Dazu reicht es aus, dass die betreffenden Bereiche für Tiere frei zugänglich sind. Auch der an einer Windenergieanlage angebrachte Nistkasten wäre in diesem Sinne frei zugänglich. Bei Auslegung der Verbotsnorm ist zu berücksichtigen, in welcher Weise eine Vogelart auf die Nutzung einer ganz bestimmten Fortpflanzungstätte – mithin auch auf eine künstliche Nisthilfe – angewiesen ist. Außerhalb der Nutzungszeiten ist eine Fortpflanzungs- und Ruhestätte (nur) dann geschützt, wenn eine regelmäßige Wiedernutzung erfolgt. Ob dies der Fall ist, hängt von der Standorttreue der betroffenen Arten ab: Bei nicht standorttreuen Arten, die künstliche Nisthilfen regelmäßig wechseln können und nicht zwingend erneut nutzen, stellt das Entfernen der künstlichen Nisthilfen außerhalb der Nutzungszeiten keinen Verstoß gegen die artenschutzrechtlichen Vorschriften dar. Dies gilt insbesondere für Allerweltsarten, wie zum Beispiel die Kohlmeise, die keine speziellen Habitatansprüche aufweist. Aufgrund einer großen Anpassungsfähigkeit sind solche Arten in der Lage, bei einem ausreichend großen Angebot geeigneter Ausweich-Nistplätze von Jahr zu Jahr an anderen Standorten zu brüten. Bei standorttreuen Vogelarten mit speziellen Habitatansprüchen, wie beispielsweise dem Wanderfalken, kehren die Individuen dagegen regelmäßig zu ihrem Brutplatz zurück. Der Schutz ihrer Fortpflanzungsstätte gilt von der erstmaligen Nutzung an so lange, bis der Brutplatz von den betreffenden Tieren endgültig aufgegeben wurde. Der Abbau eines Nistkastens unterliegt bei solchen Arten folglich auch außerhalb der Brutzeit den gesetzlichen Artenschutzbestimmungen . Im Einzelfall wäre hier durch die zuständige untere Naturschutzbehörde zu prüfen, welche Möglichkeit einer artenschutzrechtlichen Ausnahme nach § 45 Absatz 7 BNatSchG besteht. Soweit eine Ausnahme nicht erteilt werden kann, wäre eine Befreiung nach § 67 Absatz 2 BNatSchG denkbar, um im Einzelfall bei einer unzumutbaren Belastung von den Verbotstatbeständen des § 44 BNatSchG abzusehen. Im Falle von behördlichen Maßnahmen ist eine Zustimmung der zuständigen Naturschutzbehörde erforderlich. 2. Gibt es eine Weisung der Landesregierung oder des Landesamts für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz an untere Naturschutzbehörden, systematisch Brutkästen an Windenergieanlagen zu erfassen und entfernen zu lassen? Eine solche Weisung an die unteren Naturschutzbehörden hinsichtlich der Erfassung und des Entfernens von Nistkästen an Windenergieanlagen existiert nicht. 3. Welche Erfahrungen existieren mit Brutkästen an Windenergieanlagen? LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/2500 3 Das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen (LANUV) wurde im Zusammenhang mit Nistkästen an Windenergieanlagen (WEA) im Kreis Gütersloh um fachlichen Rat gebeten. Hier brüten Wanderfalken in einer Nisthilfe an einer Windenergieanlage. Das LANUV hat in diesem Fall gegenüber dem Betreiber und der unteren Naturschutzbehörde die Entfernung des Nistkastens aus fachlichen Gründen empfohlen. Nach Einschätzung des LANUV herrschen direkt im Gefahrenbereich des Rotors für WEA-empfindliche Arten besondere Umstände, die für eine erhöhte Kollisionsgefahr sprechen. Der Betreiber ist dieser Empfehlung nach bisherigem Kenntnisstand nicht nachgekommen. Ein weiterer Fall einer Wanderfalkenbrut an einer Windenergieanlage im Kreis Kleve wurde in 2017 bekannt. Mit diesem Vorgang war das LANUV allerdings nicht weiter befasst. Darüber hinaus verfügt die Landesregierung über keine weiteren Erfahrungen mit Nistkästen an Windenergieanlagen. 4. Welche Vorgaben oder Hinweise gibt die Landesregierung zur Anbringung und Entfernung von Brutkästen für Falken? Hinsichtlich der Anbringung von Nistkästen für Falken finden sich im NRW-Leitfaden „Wirksamkeit von Artenschutzmaßnahmen“ entsprechende fachliche Empfehlungen. Der Leitfaden formuliert unter anderem artspezifische Anforderungen an den Maßnahmenstandort sowie zur Bauart und Anbringung der Nistkästen. Des Weiteren werden Hinweise zur Funktionssicherung der Nistkästen, zur zeitlichen Dauer der Wirksamkeit und zur Prognosesicherheit gegeben . In dem Leitfaden wird ferner ausgeführt, dass Artenschutzmaßnahmen nicht im Einflussbereich von vorhandenen Beeinträchtigungsquellen realisiert werden sollen, da ein nicht geeigneter Maßnahmenstandort die Funktionalität einer Maßnahme substanziell einschränken kann. Der Leitfaden steht im Internet im Fachinformationssystem „Geschützte Arten in NRW“ zum Download zur Verfügung (unter http://artenschutz.naturschutzinformationen.nrw.de/artenschutz /de/downloads). Beim Entfernen von Nistkästen (beispielsweise für Wanderfalken) gelten die entsprechenden naturschutzrechtlichen Vorgaben des § 44 BNatSchG (siehe hierzu Frage 1). Der Abbau von Nistkästen sowie die Durchführung von Pflegemaßnahmen an Nistkästen sollten ausschließlich außerhalb der Brutzeit erfolgen, um eine unnötige Beunruhigung der brütenden Tiere zu vermeiden. Für die rechtmäßige Umsetzung der Artenschutzbestimmungen im Zusammenhang mit dem Abbau von Nistkästen für Falken sind die unteren Naturschutzbehörden der Kreise und kreisfreien Städte in Nordrhein-Westfalen zuständig.