LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/2518 03.05.2018 Datum des Originals: 02.05.2018/Ausgegeben: 08.05.2018 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 921 vom 5. April 2018 der Abgeordneten Sigrid Beer, Mehrdad Mostofizadeh und Josefine Paul BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 17/2299 Armutsbekämpfung muss Priorität haben Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Aus den Mitteln des Europäischen Sozialfonds (ESF) wird auch in NRW eine Reihe von Programmen finanziert, die vorrangig auf die soziale Eingliederung und Bekämpfung der Armut zielen. Ausgerechnet der Sozialminister Laumann plant, insgesamt 110 Mio. Euro (ca. 55 Mio. ESF Mittel) aus der so bezeichneten der ESF-Prioritätsachse B (Förderung der sozialen Eingliederung und Bekämpfung der Armut) in die ESF-Prioritätsachse A (Förderung der Beschäftigung und Unterstützung der Mobilität der Arbeitskräfte) zu verschieben. Im Zentrum der Neuausrichtung stehen nun die Themen Fachkräftesicherung und Qualifizierung im Rahmen der Digitalisierung. Der neue Fokus liegt damit auf der Beschäftigungsfähigkeit von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Unternehmen und der Wettbewerbsfähigkeit von Betrieben. Nicht nur das Programm „Jugend in Arbeit Plus“ soll der Programmverschiebung geopfert werden. Genauso stehen vor dem Aus u.a. die Programme „Starthelfende Ausbildungsmanagement“ und „Ausbildungsbotschafter“. Darüber hinaus soll es eine Reduzierung des Mitteleinsatzes im wieder auflebenden „Werkstattjahr“ mit einer eingeengten Zielgruppe und im integrierten Sozialraum-Programm geben. Heftig kritisiert wird auch die damit verbundene Ablösung des Produktionsschulansatzes in NRW. So kommentiert der Leiter der Produktionsschule Schweicheln wie viele andere Fachleute schon Ende Februar in der Neuen Westfälischen: LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/2518 2 „Die Idee des Werkstattjahrs geht am Bedarf vorbei. Denn das Werkstattjahr hilft Jugendlichen beim Übergang in den Arbeitsmarkt. Die Produktionsstätten sind jedoch für junge Erwachsene, die - sollte das Projekt abgeschafft werden - nichts mehr haben und quasi auf der Straße stehen. Denn es gibt sonst keine vergleichbare Maßnahme." Auch der örtliche Angeordnete hat seinem Unverständnis in einem Brief an den zuständigen Minister Ausdruck verliehen. Aus dem Schreiben von Stephan Paul MdL, FDP, zitiert ebenfalls die Neue Westfälische: „Für den Bereich Herford kann ich sagen, dass mich der niedrigschwellige produktionsorientierte Ansatz der Produktionsschule gerade für die Zielgruppe der jungen Erwachsenen, die bisher noch keinen Anschluss an den Arbeitsmarkt gefunden haben, durchaus überzeugt hat…Mich würde daher insbesondere interessieren, welche Perspektiven wir in Herford zukünftig gerade der Zielgruppe der 19- bis 25-jährigen ohne Ausbildungsreife anbieten können? Gerade im Kreis Herford haben wir mit 430 jungen Menschen zwischen 18 und 25 Jahren, die zu den Langzeitarbeitslosen zählen, hier eine besondere Verantwortung." Nicht nur dieses Beispiel zeigt: Die deutliche Abkehr von der Priorität der Armutsbekämpfung trifft die besonders benachteiligten Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Während sich die Problematik der Langzeitarbeitslosigkeit auch in NRW weiter verfestigt, wird gerade einmal das in der EU vorgeschriebene Mindestmaß des Mitteleinsatzes zur Förderung der sozialen Eingliederung und Bekämpfung der Armut durch den Minister für Soziales angesetzt. Die Mittel des Europäischen Sozialfonds sollten dazu genutzt werden, durch niedrigschwellige Programme, die das Lebensumfeld mitdenken und einbeziehen, weiteren Verfestigungen und manifesten Ausgrenzungen entgegen zu wirken. Dabei geht es immer um das Heranführen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer an den Arbeitsmarkt. Bei der neuen Linie des Ministeriums werden dagegen Unternehmen von Kosten der Weiterbildung entlastet und dafür erhebliche Mittel der Armutsbekämpfung entzogen. Der Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales hat die Kleine Anfrage 921 mit Schreiben vom 2. Mai 2018 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie beantwortet. 1. Welche Förderlinien, die bisher aus ESF-Mitteln finanziert wurden, werden von Minister Laumann aufgrund welcher Evaluationsergebnisse eingestellt (bitte mit öffentlich zugänglicher Quellenangabe und Zeitangabe)? Für folgende Förderprogramme läuft die Förderung aus dem ESF zum Ende des Jahres 2018 aus: Jugend in Arbeit plus, Produktions-schule und Starthelfende. Die Überleitung der Produktionsschule in das Werkstattjahr fußt auf Erfahrungen aus der praktischen Umsetzung des Programms und Daten unseres Monitorings, das sehr hohe Abbruchquoten belegte. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/2518 3 Mit dem geplanten Werkstattjahr wird daher eine Weiterentwicklung beschritten – Teil davon ist die Beibehaltung des starken Praxis-bezugs, aber auch der neue Fokus auf unter 19- Jährige. Viele Rückmeldungen aus der Praxis haben bestätigt, dass der Zuschnitt der Zielgruppe der Produktionsschule auf junge Menschen bis 25 Jahre den Maßnahmeerfolg nicht förderte, da dies die ohnehin schwierige Zielgruppe noch vielfältiger und somit in ihrem Unter-stützungsbedarf individueller gemacht hat. Die Programme Starthelfende sowie die Ausbildungsbotschafter haben sich aus Sicht der Landesregierung als Ansätze bewährt. Um diese guten operativen Ansätze weiter zu entwickeln und in angepasster Form fortzuführen, sind die Regionaldirektion Nord-rhein-Westfalen der Bundesagentur für Arbeit und die Wirtschafts-organisationen in gemeinsamen intensiven Überlegungen. Das Förderprogramm Jugend in Arbeit plus wurde aufgrund des Strategiewechsels der neuen Landesregierung hin zu einer stärkeren Fokussierung auf die Ausbildung junger Menschen eingestellt. 2. Wie kompensiert das Land NRW den Ausfall der Mittel, die bisher aus dem Europäischen Sozialfonds in die soziale Eingliederung und Bekämpfung der Armut geflossen sind? Die Umsetzung eines Zielgruppenvorhabens wie des Ausbildungs-programms wäre auch in der Achse B (Aktive Eingliederung, Armuts-bekämpfung) möglich gewesen und hätte dann keine Verschiebung der Mittel erforderlich gemacht. Allerdings hätten hierfür die spezifischen Ziele der Achse B angepasst werden müssen. Dies hätte einen aufwendigen Prozess der Neuverhandlung des operationellen Programms notwendig gemacht und wurde daher als Option verworfen. Die Landesregierung begreift die Integration von Jugendlichen mit mehreren Vermittlungshemmnissen als eine wichtige Form der Armutsbekämpfung. Der Stellenwert der Armutsbekämpfung in der Landespolitik wurde daher weder geschmälert, noch der Mitteleinsatz zur Armutsbekämpfung verringert. 3. Wie haben sich die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege in der Frage der Programmverschiebung positioniert? Die Position der Wohlfahrtsverbände kommt in einer Stellungnahme der Freien Wohlfahrtspflege Nordrhein-Westfalen vom 29. März 2018 zum Ausdruck. Dort wird vor allem die Mittelverschiebung von der Achse B (Armutsbekämpfung) in die Achse A (Übergangssystem und Fachkräfte) kritisiert (siehe dazu die Antwort zur 1. Frage). Auch werden Mitnahmeeffekte im geplanten Ausbildungsprogramm befürchtet. Schließlich wird zu dem Wechsel von der Produktions-schule hin zum Werkstattjahr und der damit einhergehenden Fokussierung auf unter 19-Jährige Stellung genommen. Die Freie Wohlfahrtspflege befürchtet, dass dadurch das Angebot für benachteiligte Jugendliche erheblich eingeschränkt werde. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/2518 4 4. Können Mitnahmeeffekte durch Unternehmen und Betriebe in den neu angedachten Förderlinien, die aus ESF-Mitteln gespeist werden, vermieden werden? Mitnahmeeffekte werden vermieden, da nur zusätzlich bereit gestellte Ausbildungsplätze vom Land gefördert werden: Am Ausbildungsprogramm können ausbildungsberechtigte Betriebe teilnehmen, die noch nicht oder seit mindestens vier Jahren nicht mehr ausgebildet haben. Zulässig ist eine Teilnahme eines Betriebs auch dann, wenn dieser mit der Teilnahme an der Ausbildung insgesamt mehr Ausbildungsplätze in seinem Betrieb einrichtet, als im Durchschnitt der letzten vier Jahre. Weiterhin können nur Jugendliche mit Vermittlungshemmnissen an dem Programm teilnehmen. Aufgrund ihrer schlechteren Start-chancen erfolgt die pädagogische Begleitung der Jugendlichen durch einen Träger. 5. Welche Förderprogramme zur sozialen Eingliederung und Armutsbekämpfung wird es in NRW zukünftig für junge Erwachsene bis zum 25. Lebensjahr geben? Junge Menschen werden über die bestehenden Regelförderungs-systeme unterstützt, die z.B. aus dem SGB II in erheblich größerem Umfang Mittel zur Eingliederung junger Menschen zur Verfügung stellen, als dies aus dem ESF möglich ist. Zudem sollen die fünf folgenden Programme die Eingliederung speziell junger Menschen unterstützen. Erstens das Werkstattjahr, das sich als niedrigschwelliges Berufs-vorbereitungsprogramm in die Übergangsangebote im Rahmen von „Kein Abschluss ohne Anschluss“ (KAoA) einreihen und die guten Elemente aus dem altem Werkstattjahr und der Produktionsschule zusammenführen wird. Das neue Werkstattjahr führt junge Menschen, die das 19. Lebens-jahr noch nicht vollendet haben, schrittweise an das Ziel einer Integration in den Arbeitsmarkt heran. Hierfür stehen im Maßnahme-jahr 2018/2019 Mittel des ESF/Landes in Höhe von rund 14 Millionen Euro zur Verfügung. Zweitens das Landesvorhaben „Kein Abschluss ohne Anschluss“ (KAoA). KAoA unterstützt alle Schülerinnen und Schüler frühzeitig bei der Beruflichen Orientierung, der Berufswahl und beim Eintritt in Ausbildung oder Studium. Ziel ist es, allen jungen Menschen nach der Schule möglichst rasch eine Anschlussperspektive für Berufs-ausbildung oder Studium zu eröffnen und durch ein effektives, kommunal koordiniertes Gesamtsystem unnötige Warteschleifen zu vermeiden. Jugendliche und ihre Eltern werden in Nordrhein-West-falen auf dem Weg in die Berufswelt nachhaltig unterstützt und begleitet. Grundlage für die Umsetzung von KAoA sind die Verein-barungen im Ausbildungskonsens NRW. Drittens Starthelfende und Ausbildungsbotschafter. Zu den beiden zum 31. Dezember 2018 auslaufenden Angeboten sind die Regional-direktion Nordrhein-Westfalen der Bundesagentur für Arbeit und die Wirtschaftsorganisationen in intensiven Überlegungen, gemeinsam die guten operativen Ansätze weiter zu entwickeln und in ange-passter Form fortzuführen. Viertens das Ausbildungsprogramm, das die deutlichen regionalen Unterschiede im Ausbildungsstellenangebot mildern und jährlich bis zu 1.000 zusätzliche Ausbildungsplätze für Jugendliche mit Vermitt-lungshemmnissen anbieten soll. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/2518 5 Die Förderung erfolgt in besonders benachteiligten Regionen mit ungünstiger Ausbildungsmarktlage. Fünftens das Programm 100 zusätzliche Ausbildungsplätze für Jugendliche und junge Erwachsene mit Behinderung, das jungen Menschen eine Ausbildung und damit einen Zugang zum Arbeits-markt verschafft.