LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/2545 08.05.2018 Datum des Originals: 04.05.2018/Ausgegeben: 14.05.2018 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 942 vom 9. April 2018 des Abgeordneten Nic Peter Vogel AfD Drucksache 17/2330 Das Straßensanierungsverfahren „Kaltrecycling in situ“: Durch den Bundesrechnungshof gerügt? Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Der AfD-Antrag „Alte Straßen schnell, ressourcenschonend, umweltfreundlich und günstig sanieren“ (Drucksache 17/1444) wurde entsprechend der Beschlussempfehlung (Drucksache 17/1941) mit den Stimmen der Fraktionen von CDU, SPD, FDP und GRÜNEN gegen die Stimmen der Fraktion der AfD abgelehnt. Im Protokoll der 6. Sitzung des Verkehrsausschusses am 31.01.2018 (APr 17/171) wird Verkehrsminister Herr Hendrik Wüst (CDU) wie folgt wiedergegeben: „Dieses Verfahren [„Kaltrecycling in situ“] habe man bereits vor geraumer Zeit mehrfach angewendet, was der Bundesrechnungshof gerügt habe, weil bei einer im späteren Verlauf anstehenden grundständigen Sanierung erhöhte Kosten an vielen [sic], so dass man in Summe nicht mehr kostengünstiger saniere.“1 Herr Klaus Voussem (CDU) sekundierte, in ähnlich vager Diktion und nicht näher spezifiziert, am 28.02.2018 im Plenum: Der Bundesrechnungshof habe – Zitat – „die Praxis des Kaltrecyclings, nachdem es einige Zeit angewandt wurde, gerügt“2. Die AfD-Fraktion konnte indes keine Berichte des Bundesrechnungshofs finden, die das Verfahren „Kaltrecycling in situ“ in irgendeiner Form „gerügt“ bzw. hinsichtlich Effizienz, Wirtschaftlichkeit oder Praktikabilität kategorisch diskreditiert hätten. 1 Ausschussprotokoll, S.38-39: https://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMA17-171.pdf 2 Video der „20. Plenarsitzung vom 28.02.2018“, ab 06:15:57 Std.: http://landtag/portal/WWW/Webmaster/GB_I/I.1/video/video.jsp?id=1101661 LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/2545 2 Bekannt ist uns lediglich der Bericht des Sächsischen Landesrechnungshofs für das Jahr 2017, in welchem das „Kaltrecycling in situ“ im Einzelplan 07, „Um- und Ausbau von Staatsstraßen“, unter dem Punkt „Widersprüchliche Ausschreibungsunterlagen“ kritische Erwähnung findet: „Die S 24 verläuft auf rd. 550 m durch die Trinkwasserschutzzone IIIa und auf einem weiteren Streckenanteil an der Grenze dazu. Die Bedingungen für Nebenangebote waren in der Baubeschreibung festgelegt. Der später bezuschlagte Bieter reichte ein Nebenangebot mit dem Bauverfahren Kaltrecycling in situ für eine Schicht des Oberbaus ein. Zur Zulässigkeit dieses Bauverfahrens waren die Festlegungen uneindeutig. Da die Widersprüche in der Baubeschreibung nicht dem Bieter angelastet werden sollten, nahm die Niederlassung das Nebenangebot an. So hat sie letztendlich ein in dem umweltsensiblen Bereich nicht gewünschtes Bauverfahren akzeptieren müssen.“3 Der zitierten Passage ist zu entnehmen, dass nicht die Effizienz oder Wirtschaftlichkeit des Kaltrecycling-Verfahrens per se infrage gestellt wird, sondern die „Zulässigkeit dieses Bauverfahrens“ für obengenanntes Projekt angesichts „Widersprüche in der Baubeschreibung“. Dabei wird jene Zulässigkeit im Rahmen umweltsensibler Gesichtspunkte kritisch thematisiert – nicht aber wirtschaftlicher. In diesem Falle deckt sich der Sächsische Landesrechnungshofbericht also keineswegs mit der die Wirtschaftlichkeit adressierenden Kritik von Verkehrsminister Herrn Hendrik Wüst, dass „bei einer im späteren Verlauf anstehenden grundständigen Sanierung erhöhte Kosten“ angefallen wären. Zumal Herr Wüst eine Erklärung schuldig bleibt, welche spätere „grundständige Sanierung“ (Bauprojekt, wann, wo?) er damit überhaupt meinte – oder wie man in der Argumentationslogik zu sagen pflegt: „Ihre Behauptung, Ihre Beweislast.“ Der Minister für Verkehr hat die Kleine Anfrage 942 mit Schreiben vom 4. Mai 2018 namens der Landesregierung beantwortet. Vorbemerkung der Landesregierung Die Landesregierung kann nur Stellung zu Aussagen ihrer Vertreter nehmen und nicht wie vom Fragesteller gewünscht zu Aussagen von Abgeordneten. Auf welche Quellen die Aussagen einzelner Abgeordneter fußen, entzieht sich der Kenntnis der Landesregierung. Daher bezieht sich die nachstehende Antwort nur auf die Aussagen von Herrn Minister Wüst. 3 Sächsischer Rechnungshof – Jahresbericht 2017 (S. 148 ff.): http://www.rechnungshof.sachsen.de/JB2017-Band_I.pdf LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/2545 3 1. Auf welchen Quellen fußen die Aussagen von Verkehrsminister Herrn Hendrik Wüst und Herrn Klaus Voussem, der Bundesrechnungshof habe das Straßensanierungsverfahren „Kaltrecycling in situ“ gerügt? (Bitte den entsprechenden Bericht zur Verfügung stellen bzw. die Quelle angeben.) Der Fragesteller unterliegt hier einem Irrtum. Der Bundesrechnungshof hat die Tatsache gerügt, dass teerhaltige Straßenausbaustoffe bei der Sanierung von vorhandenen Straßen in der Vergangenheit wieder als Baustoff in den Straßenkörper eingebaut wurden (BT-Drs. 18- 1220, Seite 6 bzw. Seite 17). Die Rüge erfolgte mit Blick auf eine spätere Sanierung dieser Schichten. 2. Herr Verkehrsminister Hendrik Wüst behauptete in der 6. Sitzung des Verkehrsausschusses am 31.01.2018 (siehe: APr 17/171), dass „Kaltrecycling in situ“ habe man „bereits vor geraumer Zeit mehrfach angewendet“, und dass „bei einer im späteren Verlauf anstehenden grundständigen Sanierung erhöhte Kosten“ angefallen wären, die es – das suggeriert seine Äußerung – anscheinend nicht gegeben hätte, wären anstelle des „Kaltrecycling in situ“ konventionelle Sanierungsverfahren angewandt worden. Auf welche Bauprojekte bezieht sich Herr Hendrik Wüst hier? (Bitte nennen, wann, wo, über welchen Zeitraum die Bauprojekte stattfanden und die erhöhten Kosten beziffern.) Bei Straßen.NRW wurde in der Vergangenheit das Kaltrecycling-Verfahren gleichzeitig mit der Wiederverwendung von vor Ort vorhandenen teerhaltigen Schichten angewendet. Mit den zitierten höheren Kosten sind die Kosten gemeint, welche in der Zukunft anfallen, wenn diese teerhaltigen Schichten erneut aufgenommen und beseitigt werden müssen. Beispiele bei denen das Kaltrecycling-Verfahren im Zusammenhang mit teerhaltigen Straßenausbaustoffen angewendet wurde: L362 bei Kerken zw. B510 und Aldekerker Straße im Jahr 2006 L125 bei Hennef im Jahr 2003 L401 bei Marienthal (Wesel) im Jahr 2008 3. Obwohl international mit Erfolg angewandt (z. B. USA, Brasilien), wird das „Kaltrecycling in situ“ in Nordrhein-Westfalen bis dato stiefmütterlich behandelt. Womit begründet die Landesregierung, von der man annehmen sollte, sie sei neuen Technologien gegenüber prinzipiell aufgeschlossen, dies? (Bitte alle Nachteile und Bedenken nennen, die sich aus Sicht der Landesregierung ergeben.) Das Verfahren kam bei Straßen.NRW in der Vergangenheit bei wenigen Baumaßnahmen zum Einsatz, bei denen vor Ort vorhandenes teerhaltiges Material direkt auf der Baustelle als hydraulisch gebundene Tragschicht wiederverwendet wurde. In der Vergangenheit wurde aufgrund der in Nordrhein-Westfalen vorhandenen industriellen Kohlechemiebasis Straßenbau auf der Basis teerstämmiger Materialien betrieben. Der Einbau/Wiedereinbau von teerhaltigen Straßenausbaustoffen im Straßenkörper ist jedoch aufgrund der aktuellen Regelungen nicht mehr möglich. Beim in situ Verfahren kommen Spezialgeräte zum Einsatz, welche in der Anschaffung sehr teuer sind. Nur sehr wenige Baufirmen besitzen diese Spezialmaschinen, bzw. haben Erfahrungen mit der Anwendung. Es würde zum jetzigen Zeitpunkt also zu einer erheblichen Einschränkung des Marktes kommen, wenn das Bauverfahren, geeignete teerfreie Strecken LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/2545 4 vorausgesetzt, ausgeschrieben würde.Die Bauweise ist keine „Regelbauweise“ in Deutschland. Zurzeit existiert lediglich ein Merkblatt zu diesem Bauverfahren aus dem Jahre 2005. Fragen zu Wirtschaftlichkeit, Gleichwertigkeit und Dauerhaftigkeit im Vergleich zu am Markt etablierten und verfügbaren Standardbauverfahren sind nicht durchgängig geklärt. Dieser Sachstand erlaubt es dem Straßenbaulastträger nicht, das Verfahren standardmäßig anzuwenden. Die in Brasilien und den USA anzutreffenden Strecken durch Gegenden ohne entsprechende Straßenbauinfrastruktur (Mischwerke) machen das Verfahren aufgrund der immensen Transportentfernungen dort attraktiv.