LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/2581 09.05.2018 Datum des Originals: 09.05.2018/Ausgegeben: 15.05.2018 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 939 vom 9. April 2018 des Abgeordneten Guido van den Berg SPD Drucksache 17/2327 Wie beurteilt die Landesregierung die mögliche Notwendigkeit von Stromimporten ab 2020 wie sie von den Übertragungsnetzbetreibern angenommen wird? Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Durch den subventionierten Aufbau großer erneuerbarer Kapazitäten im Zuge der Energiewende und dem Verfall der Großhandelspreise für Strom ist bekanntlich der Betrieb vieler konventioneller Kraftwerke nicht mehr wirtschaftlich, so dass bei der Bundesnetzagentur aktuell 92 Anträge auf Kraftwerksstilllegung mit mehr als 14 GW Leistungsverlust vorliegen. Die vier großen Stromnetzbetreiber 50 Hertz, Amprion, Tennet und TransnetBW haben jüngst einen „Bericht der deutschen Übertragungsnetzbetreiber zur Leistungsbilanz 2016-2020" vorgelegt, nach dem Deutschland in etwa 20 Monaten nicht mehr in der Lage sein soll, Extremsituationen im Stromnetz aus eigener Kraft zu bewältigen. Ab Januar 2020 sind offenbar Szenarien denkbar, bei denen inländische Kraftwerke einschließlich der Reserven bei widrigen Umständen die Stromversorgung allein nicht mehr garantieren könnten und Importe aus dem Ausland zwingend notwendig würden. Eine für Januar 2020 mögliche negative verbleibende Leistung von -0,5 GW ist ein neuer Befund, da der Bundesverband der Energieund Wasserwirtschaft (BDEW) bisher mit dem Auftreten einer 'Erzeugungslücke' erst ab dem Jahr 2023, nach dem Atomausstieg bzw. dem Auslaufen der Braunkohle-Sicherheitsreserve rechnete. Während der Sondierungsgespräche war die CDU/CSU bekanntlich bereit, bis 2020 rund 7 GW Kohlekraftwerke zusätzlich abzuschalten. Dabei beriefen sich die Unions-Vertreter darauf, dass 7 GW Abschaltungen möglich seien, wenn man zusätzliche Stromimporte nach Deutschland akzeptiere. Im Artikel: „NRW verlangt mehr Geld für den Ökostrom-Ausbau“ in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 20.02.2018 erklärte NRW-Digitalminister Prof. Pinkwart: „Sorgen bereitet dem Wirtschaftsminister, dass die ehrgeizigen Ziele für den Ausbau der erneuerbaren Energien den Netzausbau überfordern und die Strompreise weiter in die Höhe treiben könnten. Seine Bedenken richten sich nicht zuletzt auf die beiden Sonderausschreibungen für Onshore- Windenergie und Photovoltaik. Damit will die Koalition bis 2020 zusätzliche Kapazitäten von LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/2581 2 jeweils 4 Gigawatt ans Netz bringen. Finanziert werden sollen die Anlagen wie üblich über die Umlage für erneuerbare Energien. ‚Ich habe Zweifel, ob diese Mengen überhaupt zu vernünftigen Preisen am Markt vorhanden sind – und frage mich, wie wir den dazu notwendigen Netzausbau so schnell bewerkstelligen sollen. Grundsätzlich sollten wir darüber sprechen, wie wir den Ausbau der Erneuerbaren finanzieren wollen. Verteilungsgerechtigkeit bekommen wir hier nur durch eine Finanzierung über den Bundeshaushalt‘, sagte Pinkwart. Trotz der Ausnahmeregelungen für energieintensive Unternehmen würden Industrie und Mittelstand in Nordrhein-Westfalen durch steigende Strompreise stark belastet. Gut 250.000 Beschäftigte arbeiten zwischen Rhein und Weser in sehr energieintensiven Branchen wie Stahl, Aluminium, Chemie und Papierindustrie. Die Landesregierung will dafür sorgen, dass in den Ausschreibungen künftig mehr Projekte aus Nordrhein-Westfalen zum Zuge kommen.“ Der Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie hat die Kleine Anfrage 939 mit Schreiben vom 9. Mai 2018 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit der Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz und dem Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten sowie Internationales beantwortet. Vorbemerkung der Landesregierung Die Landesregierung hat den „Bericht der deutschen Übertragungsnetzbetreiber zur Leistungsbilanz 2016-2020" vom 8. Januar 2018 und auch den Entwurf der Übertragungsnetzbetreiber für den Szenariorahmen 2030 vom 10. Januar 2018 aufmerksam verfolgt und ausgewertet. Die Landesregierung nimmt vor diesem Hintergrund die sich immer stärker abzeichnende Verknappung der gesicherten Kraftwerksleistung und die sich daraus ergebenden Herausforderungen zur Aufrechterhaltung der Versorgungssicherheit sehr ernst. Dies gilt sowohl für das prognostizierte knappe Defizit gesicherter Leistung für das Jahr 2020 aufgrund des deutlichen Defizits in der Tennet-Regelzone, als auch für die prognostizierte weitaus gravierendere Versorgungslücke in 2030. Die Landesregierung setzt sich vor diesem Hintergrund fortlaufend für den Netzausbau, den Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung und eine Weiterentwicklung des Strommarktdesigns ein, welche nicht nur eine umweltfreundliche und preisgünstige, sondern gerade auch sichere Stromversorgung gewährleisten sollen. 1. Wie beurteilt die Landesregierung Szenarien, bei denen die Sicherheit seiner Stromversorgung in Extremsituationen durch das Ausland abgesichert werden muss? Zunächst ist der Landesregierung bewusst, dass Extremsituationen wie die sogenannte Dunkelflaute bei einer Nachfrage im Bereich der Jahreshöchstlast selten vorkommen, dann aber gerade eine besondere Herausforderung darstellen. Eine Extremsituation hierzulande kann, wie im Januar 2017, auch darin liegen, dass die Extremsituation in Nachbarländern eintritt und diese über den europäischen Verbund das hiesige Netz und den hiesigen Kraftwerkspark an Belastungsgrenzen führen. Es liegt insofern in der Logik der bestehenden gemeinsamen Strompreiszone mit Luxemburg und Österreich sowie des europäischen Elektrizitätsbinnenmarkts, dass Strommärkte sowohl physisch miteinander verbunden sind, als auch ihre Verbindungen für den Stromhandel und die Sicherstellung der Versorgung genutzt werden. Dies zu stärken, ist Grundidee der von der LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/2581 3 EU-Kommission, der Mehrheit der EU-Mitgliedstaaten und dem Europäischen Parlament verfolgten Energieunion und der im Verfahren befindlichen neuen Regelungen des sogenannten Clean-Energy-Package/ Winterpaket, das unter anderem eine Novelle der Elektrizitätsbinnenmarktverordnung und eine Risikovorsorge-Verordnung enthält. Insofern ist vorgesehen, dass die EU-Mitgliedstaaten ihre Stromversorgungssysteme stärker miteinander verbinden, sich aufeinander verlassen können sollen und nach gemeinsamen Regeln Knappheitssituationen begegnen. Der Stromaustausch über Ländergrenzen hinweg trägt dazu bei, eine sichere und kosteneffiziente Versorgung bei Spitzen im Verbrauch und Flauten bei der Einspeisung zu gewährleisten. In der Praxis wird es daher maßgeblich darauf ankommen, wie diese Regelungen zukünftig gelebt werden und wie die EU-Mitgliedstaaten zusätzliche Verbindungen zwischen den Übertragungsnetzen unterstützen und ihrem jeweils rückläufigen Kraftwerkspark entgegensteuern. Auch wenn diese Entwicklungen auf europäischer wie nationaler Ebene einem steten Monitoring unterzogen werden, wird die Landesregierung gleichfalls den Prozess begleiten und sich weiterhin in die entsprechenden Verfahren einbringen. 2. Wie sind unsere Versorgungsnotwendigkeiten vor dem Hintergrund anderer Nachfragen im europäischen Verbundsystem wie z.B. Frankreich, das durch die große Zahl von Stromheizungen im Winter oft selbst zum Netto-Importeur von Strom wird, pannengeprägten Atomkraft-Versorgungen wie in Belgien oder Knappheiten auf dem Gasmarkt wie im Winter 2012 zu sehen? Die zukünftige Stromnachfrage in europäischen Nachbarländern wird durch weitere anstehende energiepolitische Entscheidungen in diesen Ländern bedingt. In Frankreich hat die Regierung von ursprünglichen Plänen zur Rückführung der Atomenergienutzung wieder Abstand genommen. Finale Entscheidungen zur weiteren Entwicklung der Energieversorgung stehen noch aus. In Belgien hat sich die föderale Regierung am 30. März 2018 auf ein neues Energiekonzept geeinigt, dass ein Festhalten am Atomausstieg bis 2025, mehr Interkonnektivität zu den Nachbarländern und den Aufbau von Ersatzkapazitäten beinhaltet. Nach im April erfolgter Zustimmung der Region Flandern steht der Energiepakt nun vor einer Konkretisierung im Gesetzgebungsverfahren. Die Landesregierung hat sich bereits mehrfach für mehr Interkonnektivität eingesetzt, um den Atomausstieg in Belgien absichern zu können. Die Entwicklungen in den verschiedenen EU-Mitgliedstaaten werden im Rahmen der europäischen Planungen und Berichte in regelmäßigen Abständen erfasst. Die daraus erwachsende Datengrundlage wird in den nationalen Planungen berücksichtigt. Hierzu wird auch auf die Antwort zu Frage 1 verwiesen. Von der Knappheit auf dem Gasmarkt im Winter 2012 war Nordrhein-Westfalen nicht betroffen; sie bezog sich allein auf den süddeutschen bzw. südwestdeutschen Bereich mit Schwerpunkt in Baden-Württemberg. Die Ursache war im Wesentlichen in der Ausgestaltung des dortigen Gasversorgungsnetzes zu sehen, das für die damals lang andauernde Kälteperiode nicht hinreichend ausgelegt war. In Nordrhein-Westfalen ist die Situation im Gasnetz anders. Darüber hinaus bestehen enge Anbindungen an umfängliche Speicherkapazitäten. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/2581 4 3. Welchen Zubau von Erneuerbaren bis 2020 hält die Landesregierung für verträglich mit dem Netzausbau und der Strompreisentwicklung? Der im Erneuerbare-Energie-Gesetz (EEG) 2017 festgelegte Zubau von Erneuerbaren Energien ist in die Stromnetzplanung einkalkuliert worden. Weitere Zubaumengen, die sich aus dem neuen Koalitionsvertrag auf Bundesebene ergeben, konnten in die Netzplanung noch nicht einkalkuliert werden. Während sich höhere langfristige Ausbauziele in der Fortschreibung der Netzplanung berücksichtigen lassen, kann angesichts der Realisierungszeiten für Netzausbauvorhaben die Energieinfrastruktur nicht an kurzfristige, umfangreiche Änderungen innerhalb der nächsten zwei Jahre angepasst werden. Die Abregelungen von Windenergieanlagen an der Küste und die daraus resultierenden Entschädigungskosten sind bereits Ausdruck dort mangelnder Abtransportmöglichkeiten. Dies gilt erst recht für zusätzliche Mengen oberhalb des bisherigen Ausbaupfades. Die Entwicklung der Endverbraucher-Strompreise kann für die kommenden Jahre nicht sicher prognostiziert werden, da sie von mehreren unterschiedlichen Faktoren abhängig ist. Dazu zählen die Preisentwicklung an der Strombörse, die Entwicklung der CO2-Preise und die Entwicklung der staatlich induzierten Preisbestandteile. Insofern ist die Zubauentwicklung der Erneuerbaren Energien nur ein Eingangsfaktor für die Preisentwicklung. 4. Welche Initiativen wird die Landesregierung starten, damit die Finanzierung des weiteren Erneuerbaren Ausbaus künftig nicht mehr über Umlagen sondern den Bundeshaushalt erfolgen soll? Wie auch in der letzten Legislaturperiode, wird sich die Landesregierung weiterhin dafür einsetzen, dass die Stromsteuer gesenkt und die EEG-Umlage anteilig aus dem Bundeshaushalt finanziert wird, um auf diese Weise zu einer gerechteren Verteilung der Kosten des Ausbaus der Erneuerbaren Energien zu kommen. 5. Welche Zielgrößen beim Windkraft-Onshore Ausbau und bei Großflächen- Solaranlagen strebt Nordrhein-Westfalen konkret an? Die Landesregierung strebt einen weiteren Ausbau der Windenergie unter Beachtung eines angemessenen Anwohner-, Landschafts- und Naturschutzes sowie des Schutzes von Bestandsanlagen ebenso wie der Unterstützung des Repowerings bestehender Windparks und der Stärkung kommunaler Planungshoheit an. Die Landesregierung befürwortet den vorgenommenen Wechsel in ein Ausschreibungssystem, bei dem die Wirtschaftlichkeit von Erneuerbaren-Energien-Projekten in wettbewerblichen Verfahren maßgeblich ist. Insofern kommt es auch für die Projekte in Nordrhein-Westfalen nicht auf Zielgrößen der Landesregierung an, sondern vielmehr darauf, inwieweit sie sich zukünftig wirtschaftlich in Ausschreibungsverfahren durchsetzen können.