LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/2658 22.05.2018 Datum des Originals: 18.05.2018/Ausgegeben: 25.05.2018 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 975 vom 13. April 2018 der Abgeordneten Annette Watermann-Krass SPD Drucksache 17/2413 Keine ausreichende Behandlung traumatisierter Flüchtlinge in NRW? Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Menschen mit Traumafolgestörungen werden in Deutschland nicht ausreichend versorgt. Dies geht unter anderem aus Berichten im Deutschen Ärzteblatt hervor. Vor allem trifft das auf die stark angestiegene Zahl an Flüchtlingen zu. Flüchtlinge aus Krisengebieten sind aufgrund ihrer Erfahrungen besonders häufig traumatisiert. Eine von Menschen verursachte Traumatisierung wie Vergewaltigung, Kriegshandlungen oder Folter hat deutlich schlimmere Auswirkungen als zufällige wie Naturkatastrophen oder Verkehrsunfälle. Frauen sind – laut Ärzteblatt – häufiger betroffen, und ältere Menschen tendenziell eher als jüngere. Bei Flüchtlingen und Asylbewerbern ist die Rate Posttraumatischer Belastungsstörungen (PTBS) im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung um das Zehnfache erhöht. Sie haben in ihrem Herkunftsland und auf dem Weg nach Deutschland häufig mehrfach traumatisierende Ereignisse durchlitten. (vgl. Dtsch Arztebl 2015; 112(14): A-620 / B-530 / C-515) Eine Studie aus dem Jahr 2008 stellte bei 40 Prozent der Asylbewerber eine PTBS fest (Gaebel et.al). Die Schwierigkeit, traumatische Erfahrungen und resultierende PTSD- Symptome im Rahmen der Erstanhörung beim Asylverfahren durch geschulte Mitarbeiter des BAMF zu erkennen, wies in der Studie auf eine gewisse Verbesserungswürdigkeit der Verfahrensökonomie des Asylverfahrens hin. (vgl. Gaebel et.al 2008, https://econtent.hogrefe.com/doi/abs/10.1026/1616-3443.35.1.12) Seitdem ist die Zahl der Flüchtlinge aufgrund andauernder Kriege stark gestiegen. Die Flüchtlinge werden in Deutschland zusätzlichen Stressfaktoren ausgesetzt, die das Risiko, psychisch zu erkranken, weiter steigen lassen: Unterbringung auf engem Raum, eingeschränkter Zugang zu Arbeit oder Ausbildung und Abhängigkeit von Sozialleistungen. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/2658 2 Wesentlich für die Behandlung Posttraumatischer Belastungsstörungen ist die Psychotherapie. Das Problem hier sind einerseits die langen Wartezeiten bei Psychotherapeuten. (vgl. Dtsch Arztebl 2015; 112(14): A-620 / B-530 / C-515) Oft bleibt aber traumatisierten Flüchtlingen andererseits der Zugang zur psychiatrischen und psychotherapeutischen Versorgung aus Kostengründen komplett verwehrt. Die Versorgungslücke füllen psychosoziale Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer (PTZ). In NRW gibt es derzeit 16 dieser Zentren, die sich im „Netzwerk Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer“ zusammengeschlossen haben. Zwar werden die Kosten teilweise aus Landesmitteln bestritten, zusätzlich sind aber immer noch weitere Kosten zu decken. Insbesondere die Leistungen für Dolmetscher – die bei einer Psychotherapie verständlicherweise unerlässlich sind – bleiben oft unterfinanziert. Auch kann selbst mit Hilfe der PTZ nur ein kleiner Anteil der traumatisierten geflüchteten Menschen behandelt werden. In diesen Zentren können deutschlandweit nur rund 3 600 Flüchtlinge im Jahr psychotherapeutisch behandelt werden. Das waren 2014 lediglich vier Prozent der psychisch kranken Flüchtlinge. (vgl. Bundespsychotherapeutenkammer, BPtK- Standpunkt: Psychische Erkrankungen bei Flüchtlingen, September 2015) Der Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration hat die Kleine Anfrage 975 mit Schreiben vom 18. Mai 2018 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister der Finanzen und dem Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales beantwortet. 1. In welcher Höhe werden die nordrhein-westfälischen psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer mit welchen Landesmitteln finanziert? Bitte detaillierte Angaben zur Höhe der Finanzierung, auch Anteil an der Gesamtfinanzierung und Art der Fördermittel in den einzelnen Zentren. Im Rahmen des Landesprogramms „Soziale Beratung von Flüchtlingen in Nordrhein- Westfalen“ fördert die Landesregierung unter anderem 14 Psychosoziale Zentren (PSZ) mit einem Gesamtvolumen von ca. 4 Mio. Euro. Aktuell werden insgesamt 52,5 Vollzeitstellen gefördert. Die Verteilung der einzelnen Stellen kann der beigefügten Anlage entnommen werden. Hierbei handelt es sich um eine freiwillige Leistung des Landes. 2. Wie werden die psychosozialen Trauma-Zentren, die ohne eine Landesförderung bestehen, finanziert? Bitte auflisten. Möglichkeiten der Finanzierung und Unterstützung bestehen zum Beispiel über Fördermitgliedschaften, Spenden und ehrenamtliches Engagement. Darüber hinaus liegen der Landesregierung keine Informationen vor. 3. Auf welchem Weg will die Landesregierung in Zukunft die Behandlung von Flüchtlingen und Asylbewerbern mit posttraumatischen Belastungsstörungen in NRW verbessern bzw. die Behandlungszahlen erhöhen? LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/2658 3 4. Wie will die Landesregierung zukünftig die Sensibilität für die besondere Schutzbedürftigkeit und Behandlungsbedürftigkeit von traumatisierten Flüchtlingen bei den Betroffenen und in deren Umfeld (Amtsärzt/innen, Helfer/innen, Behörden etc.) stärken? Die Fragen 3 und 4 werden aufgrund des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet: Die Landesregierung ist sich der hohen Bedeutung bewusst, posttraumatische Belastungsstörungen so früh wie möglich zu erkennen, um den betroffenen Personen gezielt die notwendige Unterstützung und ggf. auch die erforderlichen therapeutischen Maßnahmen angedeihen lassen zu können. Vor diesem Hintergrund achtet die Landesregierung bei allen Planungen von Landeseinrichtungen für Flüchtlinge ausdrücklich auf die Belange schutzbedürftiger Personen, zu denen insbesondere auch Flüchtlinge mit posttraumatischen Belastungsstörungen gehören. Im Rahmen von Vergabeverfahren für die in den Zentralen Unterbringungseinrichtungen des Landes NRW zu erbringenden Betreuungsdienstleistungen werden die besonderen Belange von Geflüchteten mit posttraumatischen Belastungsstörungen berücksichtigt und entsprechende Anforderungen an die sich bewerbenden Betreuungsdienstleister gestellt. Zudem erarbeitet das Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration aktuell ein Konzept zur Erkennung besonderer Schutzbedarfe von Asylsuchenden in den Landesaufnahmeeinrichtungen. In diesem Kontext wird ein Pilotprojekt zur Psychosozialen Erstberatung für die Zentralen Unterbringungseinrichtungen entwickelt. Die hierfür erforderlichen Aufwendungen werden im Rahmen bereitstehender Haushaltsmittel finanziert. Grundsätzlich stehen auch für geflüchtete Menschen mit psychischen Erkrankungen die Regelstrukturen des Gesundheitssystems zur Verfügung. Im Rahmen der Gewährung von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) besteht die Möglichkeit, Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten bzw. Psychiaterinnen und Psychiater aufzusuchen, um eine notwendige medizinische Behandlung in Anspruch zu nehmen. Hierzu zählt ggf. auch ein stationärer Klinikaufenthalt. In der Regel werden diese Angebote von den geflüchteten Menschen jedoch erst nach der Zuweisung in eine Kommune in Anspruch genommen. Die Landesregierung fördert darüber hinaus verschiedene Projekte zur Unterstützung von Flüchtlingen mit psychischen Belastungen. Dazu gehören unter anderem Maßnahmen zur frühzeitigen Identifikation von psychischen Belastungen, Angebote zur psychosozialen Beratung sowie leicht verständliche Informationsfilme in unterschiedlichen Sprachen zu verschiedenen Gesundheitsthemen, u.a. zur psychischen Gesundheit. Die von mehreren Ländern – u.a. von Nordrhein-Westfalen – getragene Akademie für öffentliches Gesundheitswesen Düsseldorf bietet seit vielen Jahren regelmäßig Fortbildungen für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus allen Bereichen der kommunalen Behörden, schwerpunktmäßig der unteren Gesundheitsbehörden, zum Themenkomplex "Integration, Migration und Flüchtlinge“ an. Hier ist beispielsweise die sog. transkulturelle Kompetenz als Qualitätsstandard für die Akteurinnen und Akteure im Öffentlichen Dienst zunehmend von Bedeutung. Auch die unterschiedlichen Behandlungsnotwendigkeiten von traumatisierten Geflüchteten werden weiterhin thematisiert, insbesondere in Fortbildungen für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Aufgabenfeldern des Öffentlichen Gesundheitsdienstes. Die Versorgungssituation von geflüchteten Menschen mit psychischen Erkrankungen ist zudem Bestandteil des Landespsychiatrieplans NRW. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/2658 4 5. Wie schätzt die Landesregierung die Langzeitfolgen, die aus der Nicht- Behandlung für geflüchtete Menschen entstehen, ein? Eine Prognose über alle betroffenen Patientinnen und Patienten hinweg ist nicht möglich. Es hängt von den jeweiligen Konstellationen im Einzelfall ab. Eine nicht behandelte psychische Erkrankung kann zur Chronifizierung oder Verschlechterung der Symptomatik führen, die dann einer entsprechenden Behandlung bedarf. Jedoch zeigen Studien auch auf, dass nicht alle traumatisierten geflüchteten Menschen eine psychiatrische oder psychotherapeutische Behandlung benötigen. Eine wichtige Rolle kommt in diesem Zusammenhang psychosozialen Unterstützungsangeboten zu. Sie können die Ausbildung einer Traumafolgestörung im Vorfeld verhindern. Menschen, die über eine hohe psychische Widerstandsfähigkeit (Resilienz) verfügen, können psychische Belastungen oft aus eigener Kraft bzw. mit sozialer Unterstützung überwinden, so dass sie auch ohne Behandlung remittieren. Regierungsbezirk Kreis/kreisfreie Stadt Standort des PSZ durch das Land geförderte Stellen Arnsberg Bochum Bochum 3,50 Dortmund Dortmund 3,50 Hagen Hagen 3,50 Kreis Siegen-Wittgenstein Siegen 3,50 Märkischer Kreis Lüdenscheid 3,50 Detmold Bielefeld Bielefeld 3,50 Kreis Paderborn Paderborn 3,50 Düsseldorf Düsseldorf Düsseldorf 5,00 Mönchengladbach Mönchengladbach 3,50 Kreis Wesel Dinslaken, Moers 3,50 Köln Aachen Aachen 4,00 Bonn Bonn 3,50 Köln Köln 5,00 Münster Münster Münster 3,50 Gesamt 52,50