LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/2660 22.05.2018 Datum des Originals: 22.05.2018/Ausgegeben: 25.05.2018 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 938 vom 9. April 2018 des Abgeordneten Guido van den Berg SPD Drucksache 17/2326 Wie positioniert sich NRW in der Kommission für „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ des Bundes? Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Mit ihrem Koalitionsvertrag auf Bundesebene vom 07.02.2018 haben CDU, CSU und SPD angekündigt, eine Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ unter Einbeziehung der unterschiedlichen Akteure aus Politik, Wirtschaft, Umweltverbänden, Gewerkschaften sowie betroffenen Ländern und Regionen einzusetzen. Bis Ende 2018 soll ein Aktionsprogramm erarbeitet werden, das weitere CO2 Reduktionen, einen Plan zur schrittweisen Reduzierung und Beendigung der Kohleverstromung, einschließlich eines Abschlussdatums und der notwendigen rechtlichen, wirtschaftlichen, sozialen und strukturpolitischen Begleitmaßnahmen sowie die finanzielle Absicherung für den notwendigen Strukturwandel in den betroffenen Regionen und einen Fonds für Strukturwandel aus Mitteln des Bundes beinhalten soll. Digitalminister Prof. Pinkwart hat hierzu in der Frankfurter Allgenmeinen Zeitung vom 20.02.2018 ausgeführt: „Aus seiner [Pinkwarts] Sicht, muss der Kohleausstieg mit der Einführung eines Leistungsmarktes einhergehen, also als Sondervergütungen für die Bereitstellung anderer witterungsunabhängiger Kraftwerkskapazität.[…] Schwierige Verhandlungen erwartet der FDP-Politiker über den geplanten Fonds für Strukturwandel, mit dem der Bund die Folgen des Klimaschutzes auffangen soll. Vorübergehend habe er den Eindruck gehabt, sagte Pinkwart, dass Nordrhein-Westfalen die Klimarechnung praktisch alleine bezahlen soll. […] Für die schnelle Stilllegung weiterer Kraftwerksblöcke sieht Pinkwart wegen der der Risiken für die Versorgungssicherheit wenig Spielraum. Eine Abschaltung zusätzlicher Blöcke gefährde überdies die Wirtschaftlichkeit der Tagebaue und damit letztlich die Planungen für die Renaturierung der Braunkohlegebiete. Eine denkbare Lösung in diesem Dilemma sieht der frühere Forschungsminister und langjährige Rektor der Handelshochschule in Leipzig für die Zeit nach 2030 darin, Braunkohle stofflich zu nutzen: zum Beispiel als LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/2660 2 wertvollen Rohstoff für die chemische Industrie. RWE forscht an solchen Alternativen zur Verstromung, bisher allerdings nur im Labormaßstab.“ Der Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie hat die Kleine Anfrage 938 mit Schreiben vom 22. Mai 2018 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit der Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz beantwortet. Vorbemerkung der Landesregierung Die Kleine Anfrage 938 bezieht sich auf die im Koalitionsvertrag auf Bundesebene zwischen CDU, CSU und SPD angekündigte Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“. Diese Kommission hat ihre Arbeit bisher nicht aufgenommen. 1. Welches konkrete Modell eines Leistungsmarktes als Sondervergütung für die Bereitstellung witterungsunabhängiger Kraftwerkskapazität wird die Landesregierung in die Kommissionsarbeit einbringen? Konventionelle Kraftwerke tragen weiterhin wesentlich zur Versorgungssicherheit in Deutschland bei, wie sich insbesondere im Januar 2017 gezeigt hat, als aufgrund einer länger anhaltenden Wetterlage mit wenig Wind und Sonnenschein die Stromeinspeisung aus den volatilen Erneuerbare Energien-Anlagen (EE-Anlagen) nahe Null lag. Die notwendigen Kraftwerkskapazitäten werden aber nur vorgehalten, wenn sie auch wirtschaftlich betrieben werden können. Ein Kapazitätsmarkt in Ergänzung zum Strommarkt kann die notwendigen Anreize für längerfristige Investitionen in gesicherte Leistung setzen, wie zum Beispiel konventionelle Kraftwerke, Kraft-Wärme-Kopplung, Speicher und nicht dargebotsabhängige EE-Anlagen. Versorgungssicherheit sollte in einem zusammenwachsenden europäischen Binnenmarkt zukünftig auch stärker grenzüberschreitend gedacht werden. Allerdings sind dabei die derzeit noch bestehenden Restriktionen unter anderem bei den Grenzkuppelstellen zu berücksichtigen. Ein Leistungsmarkt muss sich in das zukünftige Strommarktdesign einfügen. Das von der oben genannten Kommission zu erarbeitende Aktionsprogramm könnte die Rahmenbedingungen des Strommarktes wesentlich ändern. Vor diesem Hintergrund setzt sich die Landesregierung nicht für ein „konkretes Modell eines Leistungsmarkts“ ein, sondern favorisiert grundsätzlich ein marktliches Instrument, mit dem gesicherte Leistung möglichst wirtschaftlich bereitgestellt werden kann. 2. Welches Volumen müssen die Strukturmittel des Bundes-Fonds bzw. der Länderzuteilungen hiervon haben, um aus NRW-Sicht einen fairen Interessenausgleich feststellen zu können? Die erforderlichen strukturpolitischen Begleitmaßnahmen hängen unter anderem von dem Zeitplan ab, der hinter der schrittweisen Reduzierung und Beendigung der Kohleverstromung liegt. Dabei sind negative Rückwirkungen auf die für Nordrhein-Westfalen bedeutsame energieintensive Wirtschaft zu vermeiden. Die strukturpolitischen Begleitmaßnahmen sollten einerseits geeignet sein, die Region mit neuen wirtschaftlichen Impulsen als zukunftsfähige Energieregion sowie als Innovationsstandort sowie in Teilen auch als Tourismusregion weiterzuentwickeln. Andererseits sollten Strukturbrüche vermieden werden. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/2660 3 3. Welche konkreten Risiken hat die Landesregierung nach der Auflösung der Sicherheitsbereitschaft in 2023 für die Versorgungssicherheit durch die Abschaltung weiterer Blöcke identifiziert (bitte jeweils für Kraftwerksblock- Größen angeben)? Die Landesregierung stützt ihre Einschätzung auf den „Bericht der deutschen Übertragungsnetzbetreiber zur Leistungsbilanz 2016 – 2020" vom 8. Januar 2018 und auch auf den Entwurf der Übertragungsnetzbetreiber für den Szenariorahmen 2030 vom 10. Januar 2018. Sie nimmt die sich immer stärker abzeichnende Verknappung der gesicherten Kraftwerksleistung und die sich daraus ergebenden Herausforderungen zur Aufrechterhaltung der Versorgungssicherheit sehr ernst. Dies gilt sowohl für das prognostizierte knappe Leistungsdefizit für das Jahr 2020 als auch für die prognostizierte weitaus gravierendere Versorgungslücke in 2030. Diese würde durch die Abschaltung weiterer Kraftwerksblöcke zusätzlich verschärft. Die Landesregierung setzt sich vor diesem Hintergrund fortlaufend für den Netzausbau, den Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung und eine Weiterentwicklung des Strommarktdesigns ein, welche nicht nur eine umweltfreundliche, sondern ebenso bezahlbare und sichere Stromversorgung gewährleisten sollen. 4. Welche Gefahren für die Wirtschaftlichkeit und Rekultivierung der Tagebaue hat die Landesregierung bei welchen Abschaltungen weiterer Blöcke ermittelt (Bitte jeweils für Kraftwerksblockgrößen angeben)? Die konkreten Auswirkungen und gegebenenfalls Gefahren für die Wirtschaftlichkeit und die Rekultivierung der Tagebaue können erst auf der Grundlage konkreter Entscheidungen zur Abschaltung weiterer Kraftwerksblöcke ermittelt und bewertet werden. Aktuell sind der Landesregierung keine entsprechenden Entscheidungen bekannt. 5. Welche Planungen und Förderbedarfe durch den Bund für Pilot- oder Großanlagen zur stofflichen Braunkohle-Nutzung für die Chemie-Industrie in NRW wird die Landesregierung in die Kommissionsarbeit konkret einbringen? Im Rahmen der Enquetekommission zur Zukunft der chemischen Industrie in Nordrhein- Westfalen wurde sowohl die Förderung einer Pilotanlage zur stofflichen Umwandlung von Kohle in Plattformchemikalien als auch die Schaffung eines Lehrstuhls der Verfahrenstechnik zum Themengebiet stoffliche Nutzung von Braunkohle und organischen Reststoffen empfohlen. Letztere Empfehlung wird dieses Jahr mit der Etablierung der Stiftungsprofessur „Carbon Sources and Conversion“ an der Ruhr-Universität Bochum realisiert. Hieraus werden sich in den nächsten Jahren konkrete Bedarfe, gerade auch hinsichtlich möglicher Pilot- oder Großanlagen, entwickeln, um Kohle stofflich in Plattformchemikalien für die chemische Industrie umzuwandeln. Die Landesregierung wird daher frühzeitig im Rahmen der Kommissionsarbeit fordern, die Realisierung solcher Anlagen zu unterstützen.