LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/2669 23.05.2018 Datum des Originals: 23.05.2018/Ausgegeben: 28.05.2018 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 948 vom 10. April 2018 der Abgeordneten Berivan Aymaz, Sigrid Beer und Josefine Paul BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 17/2336 Vorstoß der Landesregierung für ein Kopftuchverbot für muslimische Mädchen unter 14 Jahren Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Über ihren Facebook-Account zeigte sich Staatssekretärin Serap Güler offen für die Pläne desösterreichischen Bundeskanzlers Sebastian Kurz, Kindern an Kitas und Grundschulen das Tragen des Kopftuches zu verbieten. Im Gespräch mit dem Kölner-Stadt-Anzeiger am 7.4.2018 begründet sie ihren Vorstoß mit der Aussage: „Lehrer beobachten an den Grundschulen immer häufiger, dass schon siebenjährige Schülerinnen mit Kopftuch in den Unterricht kommen“. In Ausnahmefällen würden sogar schon Kindergartenkinder mit Kopftuch in Kitas erscheinen. Integrationsminister Stamp führte ebenfalls im Kölner-Stadt Anzeiger (7.4.2018) aus, dass die Landesregierung ein Kopftuchverbot für muslimische Mädchen unter 14 Jahren prüfe. „Selbstverständlich solle jede Frau selbstbestimmt entscheiden, ob sie Kopftuch trage oder nicht“, sagte er. Diese Selbstbestimmung sei bei Kindern jedoch noch nicht vorhanden, daher wollten sie prüfen, ob das Tragen des Kopftuches bis zur Religionsmündigkeit, also dem 14. Lebensjahr, untersagt werden könne. Der Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration hat die Kleine Anfrage 948 mit Schreiben vom 23. Mai 2018 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit der Ministerin für Schule und Bildung beantwortet. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/2669 2 1. Wie viele Fälle sind der Landesregierung bekannt, in denen Mädchen in Kitas oder Grundschulen Kopftuch tragen? (bitte jeweils mit Anzahl und Ort aufführen) Der Landesregierung hat hierzu keine Erhebung in Auftrag gegeben. Die Studie „Muslimisches Leben in Nordrhein-Westfalen“ konnte jedoch bereits 2011 nachweisen, dass das Kopftuch in Nordrhein-Westfalen auch von Mädchen in der Altersgruppe von bis zu zehn Jahren getragen wird. 2. Sind der Landesregierung Fälle bekannt, in denen aufgrund von kopftuchtragenden Schülerinnen der Schulfrieden gestört war? (bitte Anzahl und Ort aufführen) Der Landesregierung liegen hierzu keine Erkenntnisse vor. 3. Wie bewertet die Landesregierung die Ausführungen des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages zur rechtlichen Zulässigkeit eines Kopftuchverbotes für Schülerinnen vom 26.1.2017, dass das Tragen einer islamischen Kopfbedeckung in die Schutzbereiche der Religionsfreiheit und des religiösen Erziehungsrechtes der Eltern fällt? Die Ausarbeitung des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages zeigt auf, dass das Tragen einer islamischen Kopfbedeckung in die Schutzbereiche der Religionsfreiheit und des religiösen Erziehungsrechtes der Eltern fällt. Sie bezieht sich hier auf Schülerinnen allgemein, ohne bei der Zulässigkeit eines Kopftuchverbots nach Alter zu differenzieren. Schülerinnen, die das 14. Lebensjahr bereits vollendet haben, sind als religionsmündig anzusehen und treffen daher nach Art. 4 Abs. 2 des Grundgesetzes (GG) ihre eigene Entscheidung, ob sie ein Kopftuch tragen im Sinne einer ungestörten Religionsausübung. Bei jüngeren Mädchen kann die Einsichtsfähigkeit in die Bedeutung und Tragweite der Glaubensfreiheit noch fehlen. Somit wird beim Tragen einer islamischen Kopfbedeckung des Kindes vor allem auf den Schutzbereich des religiösen Erziehungsrechts der Eltern gemäß Art. 6 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 4 GG Bezug genommen. Neben die Differenzierung nach dem Alter der Kopftuchträgerin tritt die Betrachtung des Kindeswohls. Es besitzt seine normative Grundlage insbesondere in Art. 3 Abs. 2 der UN- Kinderrechtskonvention (CRC). Zu prüfen ist insbesondere, ob kopftuchtragende Mädchen die gleichen Entwicklungschancen haben wie Mädchen, die kein Kopftuch tragen, und ob etwaige Nachteile durch ein Kopftuchverbot für jüngere Schülerinnen gemindert werden könnten. Sodann hat eine Güterabwägung zwischen dem Kindeswohl und dem religiösen Erziehungsrecht der Eltern zu erfolgen, ob eine gesetzliche Regelung gerechtfertigt bzw. ggf. sogar zwingend erforderlich ist. So formuliert auch der Art. 14 Abs. 2 CRC indirekt den Anspruch an die Eltern, dass sie ihre Kinder bei der Ausübung des Rechts auf Religionsfreiheit in einer ihrer Entwicklung entsprechenden Weise leiten sollen. Dies wird in den Ausführungen des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags nicht berücksichtigt und ist somit auch nicht Gegenstand der dortigen Ausführungen. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/2669 3 4. Bezieht sich die von der Landesregierung angekündigte rechtliche Prüfung lediglich auf das Verbot, ein Kopftuch bis zum 14. Lebensjahr in Kindertagesstätten und Schulen zu tragen, oder bezieht die Landesregierung auch Verbote anderer religiöser Symbole in ihre Prüfung ein? Die Landesregierung bezieht sich bei ihrer Prüfung auf die freie Entfaltung und Entwicklung des Kindes und nicht auf religiöse Symbole. 5. Welche Hilfsangebote bzw. welche Unterstützung stellt die Landesregierung den Erzieherinnen und Erziehern, den Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen sowie den Lehrerinnen und Lehrern in den Kindertagestätten und Schulen jenseits des angekündigten Kopftuchverbots zur Verfügung, um mit möglichen Fällen von kopftuchtragenden Mädchen unter Einbeziehung der Eltern adäquat umgehen zu können? Kindertageseinrichtungen und Kindertagespflege sind oft der erste Ort, an dem Kinder regelmäßig mit Personen außerhalb der Familie zusammentreffen. Dort begegnen sie fremden Menschen mit unterschiedlichen Ansichten und Lebensstilen. Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 1 verwiesen. Interkulturelle Pädagogik ist eine Querschnittsaufgabe des pädagogischen Alltags in Kindertageseinrichtungen und Kindertagespflege mit dem Ziel, das Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Herkunft zu stärken. (Inter-)Kulturelle und religiöse Fragestellungen und Unterschiedlichkeiten sind fester Bestandteil in der Aus-, Fort- und Weiterbildung von Erzieherinnen und Erziehern (siehe auch „Bildungsgrundsätze für Kinder von 0 bis 10 Jahren in Kinder-tagesbetreuung und Schulen im Primarbereich in Nordrhein- Westfalen“). Bildung und Erziehung in Kindertageseinrichtungen sollen gemäß § 13 Absatz 5 Kinderbildungsgesetz (KiBiz) dazu beitragen, dass alle Kinder sich in ihren unterschiedlichen Fähigkeiten und Lebens-situationen anerkennen, positive Beziehungen aufbauen, sich gegenseitig unterstützen, zu Gemeinsinn und Toleranz befähigt und in ihrer interkulturellen Kompetenz gestärkt werden. Sollte es in diesem Zusammenhang an einer Schule zu Problemen kommen, die Beratung erforderlich machen, stehen verschiedene Angebote zur Unterstützung zur Verfügung. In fast allen Schulen der Sekundarstufe I und II gibt es mindestens eine spezielle ausgebildete Beratungslehrkraft, die eine zentrale Vermittlungsrolle in den Schulen hat, unterstützt durch schul-psychologische Dienste. Sie berät und vermittelt bei Bedarf professionelle Hilfe von außen, auch für Schülerinnen mit muslimischem Glauben. Wichtig sind daher vor allem Kenntnisse der örtlichen Unterstützungs- und Beratungsangebote. Die Fachkräfte für Schulsozialarbeit an den Schulen in Nordrhein-Westfalen bieten niederschwellige Angebote zur Persönlichkeits-entwicklung und Persönlichkeitsstärkung für alle Schülerinnen und Schüler an. Gerade in diesem Bereich spielen Angebote im Bereich der stärkenden Beziehungsarbeit und der sozialpädagogischen Einzelfall-hilfe bis hin zur Krisenintervention eine Rolle. Der gezielten Vernetzung mit den außerschulischen Partnern vor Ort (z. B. Jugendhilfe oder psychosoziale Beratungsstellen) kommt hier ebenfalls eine große Bedeutung zu. Sowohl Beratungslehrkräfte als auch Fachkräfte für Schulsozialarbeit fungieren an den Schulen als hilfreiche Lotsen.