LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/278 02.08.2017 Datum des Originals: 01.08.2017/Ausgegeben: 07.08.2017 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 51 vom 4. Juli 2017 der Abgeordneten Sarah Philipp und Jochen Ott SPD Drucksache 17/111 Die Landesregierung muss Farbe bekennen: Wie steht es mit dem Brandschutz bei Hochhäusern in NRW? Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Angesichts der erschütternden Ereignisse des Hochhausbrandes in London (Grenfell Tower), bei dem 79 Menschen den Tod fanden, herrscht in der Bevölkerung Nordrhein-Westfalens große Besorgnis darüber, wie es mit der Sicherheit der Bewohnerinnen und Bewohner wärmegedämmter Wohngebäude ab 22 Meter Höhe bestellt ist. Zur Schwere des Gebäudebrandes hat die im Zuge der Modernisierung des Gebäudes angebrachte Fassenddämmung und -konstruktion einen wesentlichen Beitrag geleistet. Es existieren verschiedene Systeme der Fassadendämmung. Bislang ist klar, dass die Dämmung des Grenfell Towers mit Hilfe von PIR-Hartschaumplatten und einer vorgehängten hinterlüfteten Fassade aus Aluminium-Verbundplatten andere Eigenschaften bezüglich der Brandsicherheit aufweist als die in Deutschland vielfach verbauten Wärmedämmverbundsysteme (WDVS) aus Polystyrol. Dennoch zeigen zahlreiche Brände international wie auch in Deutschland, dass auch WDVS Risiken im Falle eines Brandes bergen. So hat auch die Bauministerkonferenz zu dieser Thematik beraten und in einem Merkblatt „Empfehlungen zur Sicherstellung der Schutzwirkung von Wärmedämmverbundsystemen (WDVS) aus Polystyrol“ veröffentlicht. Weiterhin wurden diesbezügliche Brandschutz- und Bauvorschriften verschärft. Die Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung hat die Kleine Anfrage 51 mit Schreiben vom 1. August 2017 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister des Innern beantwortet. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/278 2 1. Wie viele Wohngebäude mit einer Höhe von mehr als 22 Metern (umgangssprachlich Hochhäuser) gibt es in Nordrhein-Westfalen? Die Gemeinden und Kreise stellen im Informationssystem Gefahrenabwehr NRW (IG-NRW) den Aufsichtsbehörden des Landes jährlich statistische Kennzahlen über den abwehrenden und den vorbeugenden Brandschutz zur Verfügung. Für den Bereich des vorbeugenden Brandschutzes werden hier unter anderem Objekte erfasst, welche in regelmäßigen Abständen einer Brandverhütungsschau gemäß § 26 des Gesetzes über den Brandschutz, die Hilfeleistung und den Katastrophenschutz des Landes Nordrhein-Westfalen (BHKG) vom 17.12.2015 (GV. NRW. 2015 S. 886) unterzogen werden. Danach betrug im Jahr 2016 die Anzahl der Hochhäuser in Nordrhein-Westfalen insgesamt 2.396. Hierin sind alle Gebäude enthalten, deren Fußbodenoberkante des höchstgelegenen Geschosses, in dem ein Aufenthaltsraum möglich ist, mehr als 22 m über der Geländeoberfläche liegt. Enthalten sind sowohl Wohnhäuser als auch Büro- und Verwaltungsgebäude dieser Größe. 2. Welche Materialien und Konstruktionssysteme wurden bei der Fassadendämmung und sonstigen Dämmmaßnahmen bei diesen Gebäuden verbaut bzw. werden angewendet (bitte jeweils vor dem 31.12.2015 und ab dem 01.01.2016)? In Nordrhein-Westfalen werden seit 1962 besondere Anforderungen an die Außenwände von Hochhäusern gestellt. Für Außenwände von Hochhäusern und deren Bekleidungen sind seit dem Inkrafttreten der ersten Landesbauordnung im Jahr 1962 grundsätzlich nichtbrennbare Baustoffe vorgeschrieben. Zwischen 1972 und dem Inkrafttreten der Hochhausverordnung im Jahr 1986 durften nichttragende Außenwände bzw. Außenwandbekleidungen unter engen Voraussetzungen ausnahmsweise aus normal- oder schwerentflammbaren Baustoffen hergestellt werden, wenn einer äußeren Brandausbreitung auf andere Weise vorgebeugt wurde (z. B. durch mindestens 1,50 m über die nichttragende Außenwand hinauskragende feuerbeständige Bauteile bzw. Außenwandbekleidungen mit einem allseitigen Abstand von Öffnungen von mindestens 1,0 m).1 Seit 1986 müssen Außenwände von Hochhäusern in allen ihren Teilen aus nichtbrennbaren Baustoffen bestehen (diese Vorschrift ist seit 2009 in der Sonderbauverordnung enthalten). 3. Kam es in Nordrhein-Westfalen bereits zu Bränden, in denen Fassadendämmungen und deren Konstruktionen beteiligt waren? Bei Hochhäusern sind der Landesregierung keine entsprechenden Brände bekannt. Für Gebäude unterhalb der Hochhausgrenze sind Brandereignisse, in denen Fassadendämmungen und deren Konstruktionen beteiligt waren, bekannt. Zwar besteht für Gemeinden und Kreise keine Verpflichtung, ausschließlich im Zusammenhang mit Fassaden stehende Brandereignisse an die Aufsichtsbehörden des Landes zu melden. Auf Veranlassung der Arbeitsgemeinschaft der Leiter der Berufsfeuerwehren in der Bundesrepublik Deutschland (AGBF-Bund), einer Einrichtung im Deutschen Städtetag, werden alle Brandfälle, an denen Wärmedämmverbundsysteme (WDVS) mit Polystyrol maßgeblich am Brandverlauf beteiligt waren, erfasst. Die Datenerhebung, -aufbereitung und redaktionelle Verantwortung wurde der Feuerwehr Frankfurt am Main übertragen (siehe: www.feuerwehr- 1 Die Ausnahmevoraussetzungen sind im Detail den Richtlinien für die Verwendung brennbarer Baustoffe im Hochbau v. 04.02.1972 zu entnehmen. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/278 3 frankfurt.de/index.php/projekte/wdvs). Die Liste ist jedoch nicht abschließend und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Danach sind in Nordrhein-Westfalen von 2005 bis 2016 insgesamt 14 solcher Brandereignisse erfasst, bei denen 8 Menschen ums Leben gekommen sind und 37 verletzt wurden. 4. In welcher Weise setzt die Landesregierung die o.g. Empfehlungen der Bauministerkonferenz um? Das Merkblatt der Bauministerkonferenz „Empfehlungen zur Sicherstellung der Schutzwirkung von Wärmedämmverbundsystemen aus Polystyrol“ vom Juni 2015 richtet sich an Eigentümer von Gebäuden unterhalb der Hochhausgrenze mit Wärmedämmverbundsystemen aus Polystyrol. Die ordnungsgemäße Instandhaltung eines Wärmedämmverbundsystems ist ebenso wie die Vermeidung von Brandlasten an der Außenfassade Voraussetzung für die Schutzwirkung einer Fassade im Fall einer Brandeinwirkung von innen oder außen. Diese kann nur durch die Eigentümer oder andere Verfügungsberechtigte eigenverantwortlich sichergestellt werden. Im Übrigen enthalten Wärmedämmverbundsysteme aus Polystyrol brennbare Baustoffe, so dass sie an Hochhäusern nicht zugelassen sind. 5. Welche Maßnahmen wird die Landesregierung kurz- und langfristig ergreifen, um das Risiko von Hochhausbränden unter Beteiligung von Fassaden- und sonstigen Dämmungen für die Mieterinnen und Mieter zu minimieren? Das Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung hat sich infolge der Brandkatastrophe in London und der Räumung eines Hochhauses in Wuppertal am 03.07.2017 mit der Thematik befasst und die bauordnungsrechtlichen Anforderungen an Außenwände von Hochhäusern am 07.07.2017 mit Vertretern des Ministeriums des Innern und der kommunalen Spitzenverbände erörtert. Dabei wurde festgestellt, dass die Instrumente der Brandverhütungsschauen der Gemeinden (alle Hochhäuser) und der wiederkehrenden Prüfungen der Bauaufsichtsbehörden (Hochhäuser mit mehr als 60 m Höhe) funktionieren. Für die Einhaltung der Sicherheitsanforderungen an Außenwandbekleidungen bestehender Hochhäuser sind in erster Linie die Eigentümer der Hochhäuser verantwortlich, da bauliche Anlagen nach § 3 Abs. 1 S. 1 BauO NRW so instand zu halten sind, dass die öffentliche Sicherheit nicht gefährdet wird. Dies gilt auch für Hochhäuser, die nachträglich baugenehmigungsfrei mit brennbaren Dämmstoffen bekleidet worden sind, da die Genehmigungsfreiheit gemäß § 65 Abs. 4 BauO NRW ausdrücklich nicht von der Verpflichtung zur Einhaltung der öffentlich-rechtlichen Vorschriften entbindet. Die ordnungsgemäße Instandhaltung der Außenwandbekleidungen von Hochhäusern ist Voraussetzung für die Schutzwirkung einer Fassade im Fall einer Brandeinwirkung von außen. Hierzu gehört insbesondere die regelmäßige Kontrolle der gesamten Fassade auf Beschädigungen.