LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/2991 02.07.2018 Datum des Originals: 28.06.2018/Ausgegeben: 05.07.2018 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 1084 vom 28. Mai 2018 des Abgeordneten Alexander Langguth FRAKTIONSLOS Drucksache 17/2709 Quo vadis, Wohnungsmarkt in NRW? Vorbemerkung der Kleinen Anfrage In den vergangenen Jahren hat die politische Diskussion über Armut und soziale Absicherung zugenommen. Selten fällt hierbei der Blick auf Wohnungslose, insbesondere Obdachlose. Die Sorgen von Obdachlosen vor den Nächten auf der Straße sind den Helfern gut bekannt. Angriffe auf Obdachlose finden meist nur in besonders schweren Fällen den Weg in die Nachrichten, wie der Angriff im November 2017 in Bochum1. Wohnraum gehört für Menschen unzweifelhaft zu ihren Grundbedürfnissen. Wohnraummangel ist in Deutschland jedoch ein gängiger Begriff geworden. Ob Mietpreisbremse oder Grunderwerbssteuer - der staatliche Interventionismus wirkt restriktiv auf das Wohnraumangebot. In Zeiten nicht mehr frei steigender Mieten kommt es vor allem in Großstädten oftmals zu einer überhängenden Nachfrage nach Wohnraum. Nicht allen Suchenden gelingt es, Wohnraum zu finden. Die „Sozialberichterstattung NRW Kurzanalyse 2/2017“ weist über 25.000 Wohnungslose in NRW zum Stichtag 30.06.2016 aus, von denen weniger als die Hälfte durch kommunale Träger nach dem OBG untergebracht oder betreut wurden.2 Erschreckende 8,3 % von ihnen waren unter 18 Jahre alt.3 Diese Daten sind nun fast zwei Jahre alt. 1 http://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/kriminalitaet/bochum-polizei-hat-erste-hinweise-nach-angriffauf -obdachlosen-15329451.html 2 http://www.sozialberichte.nrw.de/sozialberichterstattung_nrw/kurzanalysen/Kurzanalyse-2-2017.pdf 3 Ebd. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/2991 2 Der Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales hat die Kleine Anfrage 1084 mit Schreiben vom 28. Juni 2018 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister des Innern und der Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung beantwortet 1. Wie haben sich die absoluten Werte von Wohnungslosen in NRW in den vergangenen 5 Jahren entwickelt? Bitte nach Geschlechtern und Alter differenzierte Werte ausweisen. Die Zahl der von den Kommunen gemeldeten ordnungsrechtlich untergebrachten Personen ist von 10.310 Personen zum 30. Juni 2012 auf 11.637 Personen zum 30. Juni 2016 gestiegen. Zum 30. Juni 2016 waren von den ordnungsrechtlich untergebrachten Wohnungslosen 18,1 % Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren. Die unter 18-jährigen Wohnungslosen sind fast ausnahmslos als Angehörige eines Mehrpersonenhaushalts - in der Regel zusammen mit den Eltern - untergebracht. Nur 1,0 % führen einen eigenständigen Haushalt. Für die bei den freien Trägern der Wohnungslosenhilfe erfassten wohnungslosen Personen sind Vergleiche der Werte ab 2014 mit früheren Jahren (auch die früheren Jahre untereinander) nicht sinnvoll möglich, da mit dem Aufbau der Statistik in den ersten Erhebungsjahren zu große Schwankungen in der Zahl der beteiligten Einrichtungen vorliegen. Hinweis zu den Tabellen: Daten zum Stichtag „30. Juni 2017“ liegen noch nicht vor. 2016 25 045 11 637 13 408 2015 20 996 r 10 282 10 714 r 2014 20 468 r 10 224 r 10 244 r nachrichtlich: 2013 19 185 r 10 205 r 8 980 2012 17 623 r 10 310 r 7 313 r r = berichtigte Zahl Freie Träger der Wohnungslosenhilfe Wohnungslose Personen davon untergebracht bzw. betreut durch Wohnungslose Personen in NRW 2012 - 2016 nach zuständiger Trägerschaft Jahr - jeweils 30. Juni - insgesamt Kommunen nach dem OBG insgesamt männlich weiblich insgesamt männlich weiblich insgesamt männlich weiblich unter 18 2 004 1 044 960 1 642 821 821 755 392 363 18 bis unter 30 7 065 5 269 1 796 5 677 4 156 1 521 4 575 3 454 1 121 30 bis unter 65 13 768 10 535 3 233 11 517 8 788 2 729 9 982 8 093 1 889 65 und mehr 1 403 971 432 1 264 893 371 925 721 204 ohne Altersangaben 54 34 20 35 13 22 760 428 332 Zusammen 24 294 17 853 6 441 20 135 14 671 5 464 16 997 13 088 3 909 nachrichtlich ohne Angabe zum Alter und Geschlecht 751 x x 861 x x 3 471 x x Insgesamt 25 045 x x 20 996 x x 20 468 x x 2016 2015 2014 Wohnungslose Personen in NRW (Kommunale und Freie Träger) jeweils zum 30. Juni in den Jahren 2014 bis 2016 nach Geschlecht und Altersgruppen Alter von … bis unter … Jahre LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/2991 3 2. Welche Ursachen sieht die Landesregierung als hauptsächliche Gründe für die Wohnungslosigkeit in Nordrhein-Westfalen? Mit zunehmender Anspannung der Wohnungsmärkte verschärft sich auch die Ausgrenzung von Wohnungsnotfällen. Es treten vermehrt Konkurrenzsituationen mit anderen Gruppen wie z.B. Studierenden, Niedrigeinkommensbeziehern, Flüchtlingen sowie einkommensarmen Rentnerinnen und Rentnern auf. Hauptursachen für Wohnungslosigkeit sind u.a. mietwidriges Verhalten, Arbeitslosigkeit mit (Miet)-überschuldung, „Schufa-Eintrag“, Trennung/ Scheidung, Suchterkrankungen und psychische Erkrankungen. 3. Wie schätzt die Landesregierung die Entwicklung der Gefahrensituation auf der Straße für Obdachlose ein? Der schutzlose Aufenthalt unter freiem Himmel kann zum einen, insbesondere in den Wintermonaten, mit erheblichen Gesundheitsgefahren für die betroffene Person verbunden sein, zum anderen kann auch die Gefahr drohen, Opfer einer Straftat zu werden. In Notlagen, in denen eine Gefahr für hochrangige Rechtsgüter wie Leben und Gesundheit besteht und der Betroffene aus eigenen Kräften nicht in der Lage ist, seine Obdachlosigkeit zu beseitigen, sorgen die kommunalen Ordnungsbehörden im Rahmen der Gefahrenabwehr für eine vorüber-gehende Unterbringung. Datenquelle für die Beantwortung der Frage hinsichtlich der Gefahren-situation im Hinblick auf Straftaten, ist die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS). Sie wird nach bundeseinheitlich festgelegten Regeln erstellt. Die PKS unterscheidet zwischen Geschädigten und Opfern. Opfer im Sinne der PKS sind Personen, gegen die sich eine mit Strafe bedrohte Handlung unmittelbar richtete. Dabei handelt es sich ausnahmslos um Straftaten gegen höchstpersönliche Rechtsgüter (Leben, Freiheit, körperliche Unversehrtheit etc.). In der PKS wird zu besonderen Personengruppen die „Opferspezifik“ erfasst. Dies erfolgt unter der Bedingung, dass die Tatmotivation in den personen-, berufs- bzw. verhaltensbezogenen Merkmalen des Opfers begründet ist oder in Beziehung dazu steht. Nachfolgend sind die Opferzahlen der Opferspezifik „Obdachlose“ für die Jahre 2013 bis 2017 aufgeführt: Straßenkriminalität in NRW: Opferspezifik "Obdachlosigkeit" Jahr Anzahl der Opfer 2013 68 2014 85 2015 73 2016 109 2017 143 Im fünf-Jahres-Vergleich ist, mit Ausnahme des Jahres 2015, ein Anstieg der absoluten Opferzahlen erkennbar. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/2991 4 4. Welche Unterstützung erfahren Kommunen bei der Bewältigung des Problems durch die Landesregierung? Die Kommunen werden in Nordrhein-Westfalen durch die Polizei unterstützt. Die Zusammenarbeit funktioniert gut. Vor Ort wird die Netzwerkarbeit regelmäßig im Rahmen sogenannter Ordnungspartnerschaften gelebt. Ziel ist die Stärkung und Verbesserung der Sicherheitslage durch die Nutzung von Synergieeffekten, die sich aus dem Zusammenspiel verschiedener Akteure ergibt. Es gibt beispielsweise in den Kreispolizeibehörden Mönchengladbach, Aachen und im Rhein- Sieg-Kreis Ordnungspartnerschaften zur Thematik. In diesen Ordnungspartnerschaften sind neben den örtlich zustän-digen Kreispolizeibehörden und Ordnungsämtern auch Vertreter von Sozialämtern, Gesundheitsämtern, Sozialdiensten oder der Diakonie vertreten. Des Weiteren unterstützt die NRW-Landesregierung die nach dem Ordnungsbehördengesetz (OBG) originär für die Unterbringung von Wohnungslosen zuständigen Kommunen sowie die Träger der freien Wohlfahrtspflege bereits seit 1996 mit einem Aktionsprogramm bei der Bekämpfung von Wohnungslosigkeit. Es richtet sich sowohl an unmittelbar von Wohnungslosigkeit bedrohte und betroffene Haushalte und Personen als auch diejenigen, die nach einer erfolgreichen Reintegration in reguläre Mietverhältnisse weiterhin wohnbegleitende Hilfen benötigen. Das Programm hat einen Haushaltsansatz von 1 Mio. Euro jährlich. Ein wichtiger Schwerpunkt des aktuellen Programms „Hilfen in Wohnungsnotfällen“ des MAGS liegt auf dem Bereich der Prävention, das bedeutet konkret „Verhinderung von Wohnungsverlust“ und „Suche nach neuem Wohnraum“. Dies erfolgt über: die Förderung von beispielgebenden Modellprojekten, die Wohnungsnotfallberichterstattung zur Dokumentation der Entwicklung der Wohnungslosigkeit, Beratung von Trägern, Informationsaustausch, wissenschaftliche Untersuchungen sowie Erstellung von Arbeitsmaterialien und Praxishilfen. Auch die Wohnraumförderung und damit verbunden die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum für breite Kreise der Bevölkerung nimmt für die Landesregierung einen hohen Stellenwert ein. Sie hat auf die Wohnungsmarktsituation mit einem erstmals aufgelegten Wohnraumförderungsprogramm über 5 Jahre mit einer Gesamtdotierung von 4,0 Mrd. Euro reagiert. Das schafft für Investoren und Kommunen gleichermaßen den Rahmen und über Jahre auch eine verlässliche Finanzierungsperspektive für Investitionen in den geförderten Wohnungsbau. Geförderter Wohnungsbau hilft somit den Kommunen bei der Bewältigung der derzeit anzutreffenden großen wohnungspolitischen Herausforderungen. Im Übrigen arbeitet die Landesregierung mit an einer möglichen Weiterführung der Bundesbeteiligung an der Finanzierung der öffentlich geförderten Wohnraumversorgung über das Jahr 2019 hinaus, wodurch eine Aufstockung des Wohnraumfördervolumens möglich würde. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/2991 5 5. Wie bewertet die Landesregierung den Erfolg der verstärkten Ausrichtung auf den Schwerpunkt „Prävention" im Aktionsprogramm gegen Wohnungslosigkeit der Vorgängerregierung? Die Neuausrichtung des Aktionsprogramms „Hilfen in Wohnungsnotfällen“ des MAGS im Januar 2016 diente der Fokussierung auf Präventionsmaßnahmen zur Wohnraumsicherung. Dieses Ziel wird auch weiterhin konsequent verfolgt. Dazu gehören unter anderem eine Förderung integrierter Gesamthilfesysteme, eine konsequent aufsuchende Mieterberatung sowie die Wohnraumakquise. So wurden im Rahmen eines Projektes der Caritas Leverkusen zur Wohnraummobilisierung und bedarfsgerechten Unterbringung von Wohnungsnotfällen ca. 200 Mietverhältnisse neu vermittelt und insgesamt 626 Personen beraten. Durch umfassende Leistungsangebote konnten auch viele private Vermieter für die Versorgung der Zielgruppe mit Wohnraum gewonnen werden. Mittlerweile ist die Wohnraumvermittlung ein fester Bestandteil des Leverkusener Hilfesystems. Der Schuldnerhilfe Köln ist es im Rahmen ihres vom MAGS geförderten Projekts „Mietschuldenservice-NRW - Präventive Budgetberatung zur Wohnungssicherung“ gelungen, Mieter mit Zahlungsschwierigkeiten frühzeitig zu erreichen und zu befähigen, kurzfristig geeignete Schritte zur Sicherung ihrer Wohnung zu unternehmen. In 65 % der nahezu 160 abgeschlossenen Beratungsfälle konnte die fristlose Kündigung aufgrund von Einmalzahlungen, Darlehen der Fachstellen und Ratenvereinbarungen verhindert werden. Zurzeit werden im Rahmen des Aktionsprogramms vier weitere Wohnraumakquiseprojekte, unter anderem auch das in der Presse umfänglich dargestellte Projekt „Housing-First-Fonds“ sowie zwei Präventionsprojekte gefördert. Weitere Anträge liegen vor. Da die Mehrzahl der Projekte erst in 2017 gestartet ist, werden belastbare Ergebnisse voraussichtlich ab Frühjahr 2019 vorliegen.