LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/3055 05.07.2018 Datum des Originals: 05.07.2018/Ausgegeben: 10.07.2018 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 1118 vom 11. Juni 2018 des Abgeordneten Norwich Rüße BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 17/2807 Was tut die Landesregierung gegen Verschmutzungen durch abgeleitete Abwässer bei Starkregenereignissen? Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Anfang Mai kam es in Altenberge im Kreis Steinfurt zu einer erheblichen Verunreinigung von Gewässern mit ungeklärten Abwässern. Die örtliche Kläranlage sah sich infolge von Starkregenereignissen so überlastet, dass Abwässer, die unter anderem Fäkalstoffe beinhalteten, in ein Regenrückhaltebecken abgeleitet wurden. Über einen Entwässerungsgraben gelangte das stark verunreinigte Wasser in ein Waldstück und in einen Bach, der durch ein Landschaftsschutzgebiet fließt (Vollhagenbach). Aufgrund der Belastung mit Fäkalstoffen kam es zu einer erheblichen Geruchsbelästigung. Die genannten Örtlichkeiten werden von Anwohnerinnen und Anwohnern regelmäßig als Naherholungsgebiet genutzt, Kinder spielen an den Gewässern. Aus Gründen des Gesundheits- und Umweltschutzes ist eine derartige Verunreinigung von Gewässern nicht vertretbar. Gegenmaßnahmen wurden erst mit erheblicher zeitlicher Verzögerung und unvollständiger Behebung der Verunreinigung eingeleitet. Die Einleitung des verschmutzten Wassers verstieß nach Auskunft der Gemeinde Altenberge und der unteren Wasserbehörde des Kreises Steinfurt nicht gegen geltendes Recht. Die obere Wasserbehörde toleriert demnach ein solches Vorgehen. So erklärte die untere Wasserbehörde des Kreises Steinfurt gegenüber der Presse (Westfälische Nachrichten vom 24.05.2018), dass aufgrund von zwei Starkregenereignissen Wasser aus einem Mischwasserkanal in das Regenrückhaltebecken abgeleitet worden sei, um die Kläranlage nicht zu überlasten. Dieses Vorgehen sei erlaubt und werde seit vielen Jahren angewendet. Da die Ableitung aus Mischwasserkanalsystemen demnach zulässig ist, können sich derartige Fälle jederzeit wiederholen – zulasten der örtlichen Bevölkerung und des Gewässerschutzes. Auch mit Blick auf zunehmende Extremwetterereignisse infolge des Klimawandels steht die LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/3055 2 Landesregierung in der Mitverantwortung, Vorkehrungen zu treffen, um in Zukunft die Ableitung von Abwässern infolge von Starkregenereignissen zu verhindern. Die Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz hat die Kleine Anfrage 1118 mit Schreiben vom 5. Juli 2018 namens der Landesregierung beantwortet. Vorbemerkung der Landesregierung Abwasser umfasst das Schmutzwasser und das von befestigten Flächen gesammelte Niederschlagswasser. In der Siedlungswasserwirtschaft sind Trenn- und Mischsysteme voneinander zu unterscheiden. In Trennsystemen wird das Schmutzwasser in einem Kanal gefasst und vollständig in eine Kläranlage zur Behandlung abgeleitet. Das Niederschlagswasser wird in einem getrennten System gefasst und – je nach Beschaffenheit - mit oder ohne Behandlung in ein Gewässer eingeleitet. Im Mischsystem werden Schmutzund Niederschlagswasser in einem gemeinsamen Kanal gefasst und gemeinsam zur Kläranlage geleitet. Um eine wirtschaftliche und funktionsfähige Abwasserbehandlung zu gewährleisten, muss der Zufluss zur kommunalen Kläranlage hydraulisch begrenzt werden. Die Kanalisation und auch die Kläranlage sind nach den allgemein anerkannten Regeln der Technik grundsätzlich auf „Normalregenereignisse“ (sogenannte Bemessungsregen bzw. häufig auftretende Regenereignisse) ausgelegt. Kommt mehr Niederschlagswasser zum Abfluss, wird das Wasser in Regenüberlaufbecken und Stauraumkanälen im Mischwassernetz gespeichert und nach dem Niederschlagsereignis der Kläranlage zur Behandlung zugeführt. Reicht das Speichervolumen aufgrund größerer Niederschlagsmengen nicht aus, kommt es zu einer Entlastung in die Gewässer. Dabei wird auch mit Niederschlagswasser vermischtes bzw. verdünntes Schmutzwasser entlastet. In Regenüberlaufbecken und Stauraumkanälen erfolgt dabei eine mechanische Behandlung (Sedimentation) des Mischwasserabflusses. Zu solchen Entlastungen an den Anlagen kommt es üblicherweise mehrfach pro Jahr (gemäß DWA M 182 in einer Größenordnung von 30 mal/Jahr). Es handelt sich dabei folglich um zulässige (planmäßige) Entlastungen der Kanalisation. Die Bauwerke der Mischwasserkanalisation verfügen über wasserrechtliche Genehmigungen nach § 57 Abs. 2 Landeswassergesetz und einer Einleitungserlaubnis nach § 8 Wasserhaushaltsgesetz. Die Dimensionierung der Kanalisation und seiner Bauwerke erfolgt nach den allgemein anerkannten Regeln der Technik (insbesondere gemäß den deutschlandweit gültigen technischen Regelwerken DWA-A 128 und DWA-A 118 in Verbindung mit der DIN EN 752). Wasserrechtliche Erlaubnisse werden grundsätzlich unter Berücksichtigung von emissions- und immissionsbasierten Betrachtungen erteilt. Soweit sich bei diesen Betrachtungen resultierend aus der Einleitung eines Entlastungsbauwerkes stoffliche und/oder hydraulische Defizite im Gewässer ergeben, sind entsprechende Anforderungen an den Anlagenbetreiber zu stellen. Von den „geplanten“ Entlastungsereignissen bei stärkeren Niederschlagsereignissen sind die Überflutungen infolge von Starkregen bzw. Extremwetterereignissen zu unterscheiden. Bei den im Vergleich zu den Normalregenereignissen eher seltenen und punktuell auftretenden Starkregen- und Extremwetterereignissen hat das Kanalsystem seine Leistungsfähigkeit erreicht, zusätzliche Wassermengen können nicht mehr von der Kanalisation aufgenommen werden. Starkregen- und Ex-tremwetterereignisse führen folglich - neben der Überflutung aus Gewässerläufen - auch zur Überlastung von Kanalisationen. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/3055 3 1. In wie vielen Fällen wurden in den letzten fünf Jahren Ab-/Mischwässer aufgrund von überlasteten Kläranlagen ungeklärt abgeleitet? Derzeit werden in Nordrhein-Westfalen rund 6.600 Regenbecken und Regenentlastungsanlagen im Mischsystem betrieben. Eine Auswertung über die Entlastungsbzw . Abschlagshäufigkeiten aller 6.600 Entlastungsbauwerke in Nordrhein-Westfalen liegt zentral nicht vor. In der Regel erfolgt eine Entlastung bis zu einer Größenordnung von 30 mal/Jahr (siehe auch DWA-M 182). Seltene lokale Extremwetterereignisse sind hierbei nicht eingerechnet. Für den in der Kleinen Anfrage genannten Fall Altenberge liegt das Abschlagsverhalten der Mischwasserentlastungsanlagen im oberen Bereich dieser Größenordnung. Die zuständige Bezirksregierung prüft derzeit den Sachverhalt in Altenberge hinsichtlich möglicher konkreter Maßnahmen insbesondere hinsichtlich konstruktiver Verbesserungen, die sich auf einen verbesserten Sedimentrückhalt auswirken könnten. 2. Wie wird die zuständige obere Wasserbehörde bei der Ableitung von Ab- /Mischwässern informiert? Nach § 3 der Selbstüberwachungsverordnung Kanal (SüwVO Abw) sind bei Regenüberlaufbecken und Stauraumkanälen grundsätzlich zur Überwachung kontinuierlich aufzeichnende Wasserstandsmessgeräte einzubauen. Durch geeignete Auswertungen sind u. a. die Überlaufdauer und -häufigkeit zu ermitteln. Zur Umsetzung der SüwVO Abw lassen sich die Oberen Wasserbehörden von den Betreibern (Kommune oder Wasserverband) regelmäßig (jährlich) – u.a. auch zu den Daten zum Abschlagsverhalten der Bauwerke – berichten. Im Fall von außergewöhnlichen Ereignissen oder Störfällen, die insbesondere zu einer Verschlechterung der Ablaufwerte der Kläranlage führen können, hat der Betreiber der Abwasseranlage nach § 56 Abs. 2 LWG eine Berichtspflicht gegenüber der Genehmigungsbehörde (in der Regel in der Genehmigung geregelt). 3. Inwiefern ist die zuständige obere Wasserbehörde in die Behebung der entstandenen Schäden bei der Ableitung von Ab-/Mischwässern einzubinden? Bei einer planmäßigen Entlastung von Mischwasser nach den allgemein anerkannten Regeln der Technik (gemäß Genehmigung und Erlaubnis) ist im Allgemeinen nicht mit Schäden zu rechnen, da diese Entlastungen in der Regel nur lokal und zeitlich begrenzt auftreten. Sind bei einem nicht ordnungsgemäßen Betrieb bzw. Ausbauzustand der Anlage oder auch infolge von Extremwetterereignissen Schäden entstanden, erfolgt die Behebung der Schäden bzw. die Umsetzung erforderlicher Maßnahmen in Abstimmung mit der jeweils zuständigen Wasserbehörde. 4. Welche Maßnahmen sollten aus Sicht der Landesregierung getroffen werden, um in Zukunft die Ableitung von verunreinigten Gewässern infolge von Überlastungssituationen bei Kläranlagen zu vermeiden? Aus technischen, wasserwirtschaftlichen und wirtschaftlichen Gründen sind Mischwasser- Kanalisationssysteme mit Regenentlastungsbauwerken auszurüsten; eine vollständige Vermeidung von Entlastungsereignissen wird nicht möglich sein. Die weiteren Anstrengungen LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/3055 4 – auch vor dem Hintergrund der Zielerreichung gemäß Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) - zielen aber darauf ab, die Belastung aus Mischwasserabschlägen weiter zu verringern. Dies kann zum einen durch die Optimierung von Rückhaltevolumina im vorhandenen Mischsystem erfolgen und zum anderen können Mischsysteme abgekoppelt und in Trennsysteme eingebunden werden. Zudem kann durch begleitende betriebliche Maßnahmen, wie die Kanalnetz- bzw. Regenbeckensteuerung, eine höhere Rückhaltung des Niederschlags im Mischsystem erzielt und mehr belastetes Niederschlagswasser zentral auf der Kläranlage behandelt werden. Die Landesregierung unterstützt diese Ansätze durch die Förderung von Pilotprojekten zur Weiterentwicklung innovativer Technologien und Konzepte. Diese Maßnahmen zielen insbesondere darauf ab, die Häufigkeit der Entlastungen bei normalen Regenereignissen zu reduzieren und somit einen besseren Gewässerschutz zu erreichen. Die Folgen von Starkregen- bzw. Extremwetterereignissen können alleine damit nicht verhindert werden. Die Überflutungsvorsorge mit Blick auf seltene und außergewöhnliche Starkregenereignisse ist eine interdisziplinäre kommunale Gemeinschaftsaufgabe und keine alleinige Aufgabe der Siedlungsentwässerung. Zur Unterstützung der Kommunen erarbeitet die Landesregierung derzeit eine „Arbeitshilfe kommunales Starkregenrisikomanagement“. Diese hat das Ziel, den verantwortlichen Entscheidungsträgern der Kommunalverwaltung landesweit einheitliche Hilfestellungen und Grundlagen zur Aufstellung eines kommunalen Konzepts zum Starkregenrisikomanagement zur Verfügung zu stellen. Die Arbeitshilfe enthält Informationen und Anleitungen zur Durchführung einer Analyse der Überflutungsgefährdung und einer Risikoanalyse in Bezug auf Starkregen und darauf aufbauend die Erstellung eines kommunalen Handlungskonzeptes. Starkregenereignisse können nicht verhindert werden. Deshalb ist das Starkregenrisikomanagement ein wichtiges und effektives Instrument, um Vorsorgemaßnahmen planen und letztendlich umsetzen zu können. 5. Was unternimmt die Landesregierung selbst, um die Ableitung verunreinigter Gewässer bei Überlastungssituationen von Kläranlagen zukünftig zu verhindern? - Siehe Frage 4 -