LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/3361 07.08.2018 Datum des Originals: 03.08.2018/Ausgegeben: 10.08.2018 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 1283 vom 11. Juli 2018 des Abgeordneten Guido van den Berg SPD Drucksache 17/3177 Wie bewertet die Landesregierung die in Pulheim-Geyen befürchteten gesundheitlichen Beeinträchtigungen durch die geplante Gleichstromleitung Ultranet? Vorbemerkung der Kleinen Anfrage In Pulheim hat gegen die Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragungsleitung Ultranet, bei der auf den neu errichteten Wechselstrommasten zusätzlich ein Gleichstromkabel installiert werden soll, Widerstand formiert. Etwa 40 Bürgerinnen und Bürger haben eine ‚Pulheimer Bürgerinitiative gegen Ultranet‘ (PBU) ins Leben gerufen und hinterfragen das Projekt der Netzbetreiber Amprion und Transnet BW. Die Initiative kritisiert, dass auf der Hybrid-Trasse erzeugte elektrische und magnetische Felder nicht abschließend und anhand belastbarer Studien auf ihre Gefährlichkeit erforscht seien. Es gebe Hinweise, dass sich das Risiko auf Leukämie bei Kindern und Lungenkrebs durch vom Gleichstrom ionisierte Partikel erhöhen könnte. Zudem werde nach Angaben der Initiative ein im Bundesbedarfsplan geforderter 400-Meter-Abstand zur geschlossenen Bebauung im Bereich Pulheim deutlich unterschritten. Die betroffenen Bürgerinnen und Bürger befürchten zudem Lärmbelästigungen durch ein Dauerbrummen der Leitung , da Wechselstromleitungen vor allem bei feuchter Witterung Geräusche entwickeln würde und Gleichstromleitungen vor allem bei trockenen Wetterlagen. In der Konsequenz sieht die Initiative die Gefahr, dass Immobilien von Anliegern der neuen Leitungstrasse deutlich an Wert verlieren könnten. Der Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie hat die Kleine Anfrage 1283 mit Schreiben vom 3. August 2018 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales und der Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft , Natur- und Verbraucherschutz beantwortet. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/3361 2 Vorbemerkung der Landesregierung Einer leistungsfähigen Energieinfrastruktur kommt für das Funktionieren einer hoch entwickelten Volkswirtschaft grundlegende Bedeutung zu. Dies gilt im Besonderen und mit zunehmender Sektorenkopplung und damit Elektrifizierung in wachsendem Umfang für die Stromnetze. Mit dem deutschen Atomausstieg, dem Rückgang der Kohleverstromung, dem Ausbau der fluktuierenden Erneuerbaren Energien in Europa und dem zunehmenden Zusammenwachsen der europäischen Energiemärkte nehmen die überregionalen Ausgleichs- und Transportbedarfe zu. Die Landesregierung misst einem bedarfsgerecht ausgebauten Übertragungsnetz dementsprechend entscheidende Bedeutung für die Gestaltung der Energiewende zu. Die Landesregierung ist sich bewusst, dass Nordrhein-Westfalen als bevölkerungsreiches Industrieland , dessen Siedlungs- und Wirtschaftsentwicklung von der Entwicklung der Rohstoffund Energiegewinnung geprägt ist, nicht nur ein Schwerpunkt des Stromverbrauchs ist, sondern auch ein dicht besiedeltes Land mit zahlreichen Nutzungskonflikten zwischen Energieinfrastrukturen und Wohnnutzungen. Dies gilt umso mehr, als in den letzten Jahrzehnten Siedlungsbereiche vielfach an vorhandene Energieinfrastrukturen herangewachsen sind. Der nachgewiesene Bedarf der Optimierung und Verstärkung vorhandener Energieinfrastrukturen hat dabei nach Wertung des Energiewirtschaftsrechts Vorrang vor der neuen Freirauminanspruchnahme für neuen Netzausbau, auch wenn viele Anwohner die Vorbelastung weniger als Argument für, sondern mehr gegen die Bündelung mehrerer Energieleitungen sehen. Dies gilt auch für die Stadt Pulheim, die eine geographisch begründete und gleichzeitig historisch gewachsene Ballung zahlreicher Stromleitungen zwischen Rheinischem Revier und dem Großraum Köln sowie entlang der Rheinschiene aufweist. Den unterschiedlichen Nutzungsinteressen ist durch ordnungsgemäße Prüfung und Abwägung aller Belange bei der Planung und Genehmigung Rechnung zu tragen. Die Landesregierung weist darauf hin, dass mit der 2013 vorgenommenen Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern die länderübergreifenden Vorhaben, wie die Ultranet-Leitung zwischen Osterath und Philippsburg (BBPlG Nr. 2), in die Zuständigkeit der Bundesnetzagentur fallen. Die Bundesnetzagentur informiert über ihr online abrufbares quartalsweises Monitoring (https://www.netzausbau.de/leitungsvorhaben/de.html) regelmäßig über den Stand sämtlicher Vorhaben. 1. Wie ist der Planungs- und Genehmigungsstand zum Trassenverlauf für das Ultranet -Projekt im Stadtgebiet Pulheim? Das Vorhaben Ultranet wird in fünf Abschnitten geplant. Das Gebiet der Stadt Pulheim ist vom Abschnitt E, Rommerskirchen – Weißenthurm, der rund 100 km lang ist, betroffen. Der Vorhabenträger Amprion hat am 18. Dezember 2015 einen Antrag auf Bundesfachplanung gemäß § 6 NABEG für den Abschnitt zwischen Rommerskirchen und Weißenthurm eingereicht. Die Bundesnetzagentur hat gemäß § 7 NABEG am 19. April 2016 in Siegburg eine Antragskonferenz durchgeführt und am 22. August 2016 den Untersuchungsrahmen festgelegt. Die Vorlage der Unterlagen nach § 8 NABEG erwartet die Bundesnetzagentur im dritten Quartal 2018. Wenn die Unterlagen vorliegen, werden sie von der Bundesnetzagentur auf Vollständigkeit geprüft und bei Vollständigkeit öffentlich ausgelegt. Mit den Einwendern wird dann ein Erörterungstermin durchgeführt, bevor eine Entscheidung über den Trassenkorridor getroffen wird. Erst nach diesem Abschluss der Bundesfachplanung kann das Planfeststellungsverfahren mit der Zulassung des Vorhabens innerhalb des Trassenkorridors durchgeführt werden. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/3361 3 2. Welche Abstände zur Bebauung werden in Pulheim sichergestellt? Eine Aussage zu den konkreten Abständen kann zum Zeitpunkt des jetzigen Verfahrensstandes nicht getroffen werden, da ein konkreter Trassenverlauf noch nicht festgelegt wurde. Insoweit wird auf die Antwort zu Frage 1 verwiesen. 3. Welche wissenschaftlichen Erkenntnisse liegen der Landesregierung zu möglichen gesundheitlichen Auswirkungen (insbesondre Krebsrisiken) von kombinierten Gleichstrom-Wechselstrom-Höchstspannungs-Freileitungen vor? Die Landesregierung orientiert sich bei der gesundheitlichen Bewertung an den Einschätzungen der Strahlenschutzkommission (SSK). Diese hat im Auftrag des Bundesumweltministeriums sowohl Hochspannungs-Wechselstrom-Übertragungsleitungen als auch Hochspannungs -Gleichstrom-Übertragungsleitungen im Hinblick auf die Auswirkungen auf die Gesundheit des Menschen bewertet1,2. Sie hat in diesem Zusammenhang auch Hybrid-Leitungen sowie Emissionen von Stickoxiden, Ozon und ionisierten Partikeln in ihre Betrachtungen einbezogen 2. Die SSK hat sich auch mit der Evidenz von Krebsrisiken durch elektromagnetische Felder und Strahlungen befasst3 und stuft für magnetische Wechselfelder die Evidenz für einen Zusammenhang mit Leukämie im Kindesalter als schwach ein (in Übereinstimmung mit der Klassifizierung der Internationalen Krebsforschungsagentur – IARC). Keine Evidenz für einen Zusammenhang sieht sie für elektrische Wechselfelder und statische Magnetfelder. Für elektrostatische Felder ergibt die Bewertung der SSK eine Evidenz für das Nicht-Vorhandensein eines Zusammenhangs. Nach dem derzeitigen wissenschaftlichen Kenntnisstand werden bei Einhaltung der Grenzwerte der 26. BImSchV direkte gesundheitsschädigende Wirkungen durch elektrische und magnetische Felder vermieden. Die 26. BImSchV legt weiterhin aus Vorsorgegründen fest, dass bei der Errichtung und wesentlichen Änderung von Niederfrequenz- und Gleichstromanlagen die Feldintensität möglichst geringgehalten werden soll. Nähere Regelungen enthält die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Durchführung der Verordnung über elektromagnetische Felder (26. BImSchVVwV). 4. Wie beurteilt die Landesregierung die Befürchtungen eines Dauerbrummens bei Hybrid-Stromleitungen? Entladungsgeräusche („Knistern“) treten witterungsbedingt auf. Bei Wechselspannungsfreileitungen (AC) ergibt sich der stärkste Effekt bei feuchter Witterung; allerdings zeigt eine saubere , unbeschädigte AC-Leiteroberfläche normalerweise keine Korona-Aktivität. Bei Gleichspannungsfreileitungen (DC) tritt dieses „Knistern“ auch bei trockener Witterung auf und wird durch Feuchtigkeit eher verringert. 1 Schutz vor elektrischen und magnetischen Feldern der elektrischen Energieversorgung und –anwendung (SSK 2008) http://www.ssk.de/SharedDocs/Beratungsergebnisse_PDF/2008/Felder_Energieversorgung.pdf?__blob=publicationFile 2 Biologische Effekte der Emissionen von Hochspannungs- Gleichstromübertragungsleitungen (SSK 2013) http://www.ssk.de/SharedDocs/Beratungsergebnisse_PDF/2013/HGUE.pdf;jsessionid =164E58D584674B190EC37BB19DD8E4E3.1_cid319?__blob=publicationFile 3 Vergleichende Bewertung der Evidenz von Krebsrisiken durch elektromagnetische Felder und Strahlungen (SSK 2011) LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/3361 4 Bei AC-Leitungen kann zusätzlich noch ein tonales Geräusch („Brummen“) entstehen. Bei DC- Leitungen tritt dieses Brummen nicht auf. Für die geplante Hybrid-Leitung kann die Aussage getroffen werden, dass die maximale Lautstärke durch den Einsatz einer HGÜ-Leitung geringer ausfällt, als wenn an dieser Leitung ein AC-Leiterbündel eingesetzt würde. Darüber hinaus kann mit verschiedenen baulichen Methoden die Emission von Geräuschen an Leiterseilen unterbunden werden (z. B. Anordnung der Leiter auf dem Mast, höhere Leiterquerschnitte , vermehrte Seilbündelung). Bezüglich der Geräuscheinwirkungen von Hochspannungs-Freileitungen gelten die Immissionsrichtwerte nach Nr. 6 TA Lärm. Diese sind bei der Errichtung der Hybrid-Stromleitungen durch die Übertragungsnetzbetreiber zu beachten und einzuhalten. 5. Wie beurteilt die Landesregierung den befürchteten Wertverlust für Anwohner-Immobilien an der Ultranet-Trasse in Pulheim? Die gegenständliche Stromtrasse entlang der Rheinschiene besteht seit der Zeit des Aufbaus eines Stromübertragungsnetzes in Deutschland. In den letzten Jahrzehnten wurde im Rahmen der Suburbanisierung vielfach in Kenntnis dieser Stromtrasse mit bislang drei Mastreihen nebeneinander von beiden Seiten an die Trasse herangebaut. Insofern ist der Wert der Immobilien seit ihrer Errichtung von der Lage an der Trasse mitgeprägt. Dazu zählt auch die grundsätzlich bestehende Möglichkeit, dass eine Trasse erneuert und verstärkt wird. Diese Situation ist insoweit mit der an anderen bestehenden Infrastrukturen vergleichbar.