LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/3371 08.08.2018 Datum des Originals: 07.08.2018/Ausgegeben: 13.08.2018 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 1210 vom 28. Juni 2018 der Abgeordneten Wibke Brems BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 17/2972 Wer zahlt für Bergschäden durch den Braunkohlentagebau: Die Allgemeinheit oder der Verursacher RWE? Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Der Braunkohlentagebau verursacht Bergschäden und das zum Teil noch in kilometerweiter Entfernung. Da in Bezug auf den Braunkohlentagebau keine Beweislastumkehr existiert, müssen Geschädigte nachweisen, dass es sich tatsächlich um bergbauinduzierte Schäden handelt. Im Bereich der Schäden an Privatgebäuden erschwert dies die Situation für die Geschädigten und kann auch zur Folge haben, dass Eigentümer auf den Kosten für die Beseitigung der Schäden sitzen bleiben, in Schlichtungsverfahren eintreten oder gar jahrelange Gerichtsverfahren mit ungewissem Ausgang durchlaufen müssen. Neben Schäden an privatem Eigentum treten auch Bergschäden an öffentlicher Infrastruktur auf. Betroffen sein können Gebäude, Straßen und weitere Verkehrswege, aber auch das Kanalisationsnetz oder Grund- und Forstbesitz in öffentlicher Hand nimmt Schaden durch bergbauinduzierte Bodenbewegungen, Austrocknung oder Nachvernässung. Öffentlich ist kaum bekannt, wie die Praxis der Bergschadensbegleichung bei öffentlicher Infrastruktur erfolgt und ob tatsächlich der Verursacher für die Schadensregulierung aufkommt oder die Allgemeinheit die Kosten übernimmt. Die Beweislastumkehr würde für alle Betroffenen eine erhebliche Erleichterung bedeuten. Dies sah auch eine breite Mehrheit des Landtags im Mai 2014 so und verabschiedete den Antrag „Augenhöhe zwischen Bergbauunternehmen und Betroffenen: Rechtlichen Rahmen verbessern, Position der Betroffenen und Anwohnerschutz stärken“ (Drucksache 16/5750), in dem die Landesregierung zu einer Bundesratsinitiative zur Ausweitung der Bergschadensvermutung aufgefordert wird. Auch das Umweltbundesamt mahnt schon lange eine Änderung des Bundesberggesetzes an und fordert die Beweislastumkehr für Tagebaue. Es fasst die Aussichten für die Geschädigten wie folgt zusammen: „Der Nachweis eines Ursache-/Wirkungszusammenhangs dürfte schwierig sein und oftmals zu einer teuren und LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/3371 2 langwierigen gerichtlichen Auseinandersetzung führen.“ Hier bedarf es schon lange einer Änderung des Bundesberggesetzes, aber auch in der Novelle des Jahres 2015, wo die Beweislastumkehr für Kavernen und Ölbohrungen eingeführt wurde, blieb der Braunkohlentagebau trotz des Entschließungsantrag von NRW im Bundesrat unberücksichtigt. Der Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie hat die Kleine Anfrage 1210 mit Schreiben vom 7. August 2018 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister der Finanzen, der Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung, dem Minister für Verkehr und der Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz beantwortet. Die in der vorliegenden Kleinen Anfrage formulierten Fragen wurden zum Teil mit ähnlichem Inhalt in der Großen Anfrage 2 „Bergschäden durch den Braunkohlebergbau“ (Landtags- Drucksache 16/1567 vom 28.11.2012; Fragen 8ff. im Abschnitt I) gestellt. Insoweit wird auf die Antwort der Landesregierung (Landtagsdrucksache 16/3340 vom 21.06.2013) auf die vorgenannte Große Anfrage hingewiesen. Bei der Geltendmachung und Abgeltung von Bergschadensersatzansprüchen handelt es sich um eine zivilrechtliche Angelegenheit, die zwischen den Geschädigten und dem als Verursacher in Betracht gezogenen Bergbauunternehmen zu klären ist. Die RWE Power AG, die zum Ersatz der durch ihre bergbaulichen Tätigkeiten verursachten Bergschäden verpflichtet ist, hat Folgendes mitgeteilt: „Umfang und die Ausführungsdetails von bergbaulich bedingten Sanierungen an Bundesautobahnen, Bundesstraßen und Landstraßen werden zwischen Straßen.NRW und der RWE Power AG eng abgestimmt. Zu Ihrer Unterstützung erhalten Sie als Anlage [die Anlage ist am Ende der Vorbemerkung angefügt, Anm. der Landesregierung] eine Aufstellung der Schadensstellen von 01/2008 bis 06/2018 an den v.g. Verkehrsinfrastrukturen, an denen bergbaubedingte Sanierungen erfolgten. An fünf Stellen der BAB 4 wurden Regulierungen von Bergschäden durchgeführt, die entweder im Auftrag von Straßen.NRW ausgeführt wurden oder von Straßen.NRW im Namen und für Rechnung der RWE Power beauftragt wurden. Alle anfallenden Kosten für die Sanierungsarbeiten wurden im Anschluss an Straßen.NRW vergütet bzw. von der RWE Power AG unmittelbar an die ausführende Firma bezahlt. Für die Sanierungen von Bergschäden an den Bundes- und Landesstraßen beauftragt die RWE Power AG in Abstimmung mit Straßen.NRW Vertragsfirmen für die Ausführung. Die Sanierungsabwicklung erfolgt unmittelbar zwischen der Vertragsfirma und der RWE Power AG. Alle Kosten werden dementsprechend auch von der RWE Power AG getragen. Weiterhin wurden Bergschäden im Zeitraum 01/2008 bis 06/2018 an rd. 420 Stellen an der kommunalen Infrastruktur (kommunale bzw. Kreisstraßen, Kanäle, Brücken, Sonderbauwerke) und an rd. 30 Gebäuden und anderen Besitztümern in öffentlicher Hand reguliert. Auch für diese Sanierungen wurden alle Kosten von uns getragen. Desweiteren liegen uns keine Kenntnisse darüber vor, ob bei weiteren kommunalen Infrastrukturen, Gebäuden und anderen Besitztümern in öffentlicher Hand bergbauliche Schadensursachen im Raume standen, da uns entsprechende Sachverhalte nicht gemeldet wurden. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/3371 3 Zusammenfassend möchten wir festhalten, dass wir allen Schadensmeldungen, d.h. auch von öffentlichen Stellen und Kommunen, nachgehen und prüfen, ob die gemeldeten Schäden bergbaulich verursacht sind. Die Ergebnisse unserer Prüfung werden den Schadensmeldern immer schriftlich mitgeteilt und ausführlich erläutert. Wird eine bergbauliche Verursachung oder Mitverursachung festgestellt, so leisten wir hierfür grundsätzlich gemäß den gesetzlichen Grundlagen, unabhängig von der Schadenshöhe im Einzelfall, vollen Schadenersatz, wobei der Betroffene die Wahl hat, ob durch Naturalersatz oder durch Barentschädigung. Dabei können die einzelnen Schadenssummen abhängig vom Schadensbild sehr stark schwanken. Die jährlichen Kosten für die Sanierungen an den o.g. Infrastrukturen und den öffentlichen Gebäuden und anderen Besitztümern in öffentlicher Hand betrugen in den vergangenen zehn Jahren im Mittel rd. 2-3 Mio.€/a.“ Anlage: Bergschäden an Bundesautobahnen, Bundesstraßen und Landesstraßen Erstmals und wiederholt betroffene Stellen im Zeitraum 01/2008-06/2018 Bundesautobahnen: BAB 4, km 34,7 BAB 4, km 36,0 (neue Trasse) BAB 4, km 37,1 (alte Trasse, entfallen) BAB 4, km 39,95 (alte Trasse, entfallen) BAB 4, km 45,5 (alte Trasse, entfallen) Bundesstraßen: B 56 bei Altenburg B 56 bei Stockheim B 264 bei Merzenich B 477 bei Blatzheim Landesstraßen: L 12 bei Pier L 12 bei Hambach L 12 bei Krauthausen L 93n bei Quadrath-Ichendorf L 136 bei Stetternich L 162 bei Kerpen L 163 bei Horrem L 213 bei Niederembt L 253 bei Linnich L253 in Jülich L 253 bei Jülich L 255 bei Hambach L 257 bei Morschenich L 257 bei Merzenich L 263 bei Nörvenich L 264 bei Hambach L 264 bei Niederzier L 276 bei Buir L 277 bei Horrem LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/3371 4 Landesstraßen: L 279 bei Bedburg L 327 bei Stockheim L 361 bei Königsdorf L 370 bei Hockstein L 495 bei Wissersheim L 496 bei Türnich “ 1. Welche Kosten entstanden in den vergangenen 10 Jahren für die Beseitigung von durch Braunkohlenförderung verursachte Schäden an Verkehrswegen in der Verantwortung von Straßen.NRW und welche Kosten wurden davon RWE in Rechnung gestellt (bitte getrennt aufführen nach Jahr, Bundesautobahnen, Bundesstraßen, Landesstraßen und durch Straßen.NRW betreute Kreisstraßen sowie den betroffenen Kreisen)? Alle in den vergangenen 10 Jahren entstandenen Kosten für die Beseitigung bergbaubedingter Schäden an Bundesautobahnen, Bundesstraßen, Landesstraßen und Kreisstraßen wurden von RWE vollumfänglich übernommen. Über die Kosten und Kostenjahre sind keine detaillierten Angaben möglich, weil die Projekte in erheblichem Umfang von RWE selbst abgewickelt wurden. 2. Welche Kenntnisse hat die Landesregierung über die entstandenen Kosten für die Beseitigung von durch Braunkohlenförderung verursachte Schäden an Verkehrswegen in kommunaler Verantwortung und welche Kosten wurden davon RWE in Rechnung gestellt (bitte getrennt aufführen nach Jahr sowie den Städten und Gemeinden in den betroffenen Kreisen)? Der Landesregierung liegen dazu keine Kenntnisse vor. 3. Welche Kenntnisse hat die Landesregierung über die entstandenen Kosten in den vergangenen 10 Jahren für die Beseitigung von durch Braunkohlenförderung verursachte Schäden an weiteren Infrastrukturen, Gebäuden und anderen Besitztümern in öffentlicher Hand und welche Kosten wurden davon RWE in Rechnung gestellt (bitte getrennt aufführen nach Jahr, geschädigtem Gut sowie den Städten und Gemeinden in den betroffenen Kreisen)? Bei der Parkplatzfläche des Amtsgerichtes Bergheim (Kennedystr. 2 in 40126 Bergheim), das sich im Besitz des Bau- und Liegenschaftsbetriebs des Landes Nordrhein-Westfalen befindet, liegt ein von der RWE Power AG anerkannter Bergschaden vor. Die Höhe der entstandenen Kosten kann derzeit nicht beziffert werden, da die Verhandlungen hierüber zwischen dem Bau- und Liegenschaftsbetrieb des Landes Nordrhein-Westfalen und der RWE Power AG noch nicht abgeschlossen sind. Bei den landeseigenen Gebäuden Zitadelle Jülich und Schloss Kellenberg in Jülich, haben sich gegenüber der Antwort der Landesregierung (Landtagsdrucksache 16/3340 vom 21.06.2013) auf die Große Anfrage 2 „Bergschäden durch den Braunkohlebergbau“ (Landtags-Drucksache 16/1567 vom 28.11.2012) keine veränderten Sachstände ergeben (Antwort auf dortige Fragen I.9 und I.11). Zur Zitadelle Jülich wird ergänzend mitgeteilt, dass LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/3371 5 die Bergschäden regelmäßig unter Beteiligung der Bezirksregierung Köln, des BLB und der Stadt Jülich aufgenommen werden und die Schadensbeseitigung von RWE beauftragt und bezahlt wird. Darüber hinaus liegen der Landesregierung auch für im öffentlichen Eigentum stehende Infrastrukturen oder Gebäude keine Erkenntnisse zu Kosten für die Beseitigung von Bergschäden vor. Die Geltendmachung obliegt als zivilrechtlicher Anspruch gegenüber der RWE Power AG dem jeweiligen Eigentümer. Dies gilt auch, soweit es sich um kommunales Eigentum handelt. 4. Welche Kenntnisse hat die Landesregierung von Schadensereignissen an Infrastrukturen, Gebäuden und anderen Besitztümern in öffentlicher Hand, bei welchen der Verdacht einer Verursachung durch den Braunkohlentagebau im Raum stand, es aber nicht zu einer Forderung gegenüber RWE gekommen ist? Dazu liegen der Landesregierung keine Kenntnisse vor. 5. Welche Möglichkeit sieht die Landesregierung, eine Änderung des Bundesberggesetzes zu erwirken, welche die Beweislastumkehr auch bei Bergschäden durch den Braunkohlentagebau möglich macht? Die grundgesetzlich vorgesehene Möglichkeit, über den Bundesrat die entsprechende Änderung des Bundesberggesetzes zu erwirken, hat die Landesregierung bereits mit der Einbringung eines Entschließungsantrags und von Anträgen zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Ausdehnung der Bergschadenshaftung auf den Bohrlochbergbau und Kavernen (Bundesrats-Drucksache 142/15) genutzt. Den zu diesem Gesetzentwurf gefassten Beschluss des Bundesrates, mit dem auch die Ausweitung der Bergschadensvermutung auf den Einwirkungsbereich der übertägigen Aufsuchung und Gewinnung von Bodenschätzen gefordert wurde, hat die Bundesregierung in ihrer Gegenäußerung in dieser Form abgelehnt (Bundestags-Drucksache 18/4952) und hat auch der Bundestag nicht aufgegriffen. Der Bundestag hat zudem einen dort eingebrachten Entschließungsantrag zur Ausweitung der Bergschadensvermutung insbesondere auf Braunkohlentagebaue abgelehnt. Die Landesregierung wird gleichwohl über gemeinsame Gremien mit dem Bund (z.B. Bund- Länder-Ausschuss Bergbau) ihre Möglichkeiten nutzen, dieses Anliegen mit der Bundesregierung zu erörtern. Konkret geht es dabei um die in der vorgenannten Gegenäußerung der Bundesregierung formulierte Frage, ob bestimmte übertägige Aufsuchungs- und Gewinnungstätigkeiten definiert werden können, die ein Schadensrisiko aufweisen, das dem untertägigen Bergbau entspricht und das insoweit eine entsprechende Ausweitung der Bergschadensvermutung rechtfertigen könnte, und ob eine sachgerechte Lösung zur Bestimmung des für die Anwendung der Bergschadensvermutung maßgebenden Einwirkungsbereiches solcher übertägiger Aufsuchungs- und Gewinnungstätigkeiten gefunden werden kann.