LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/3404 13.08.2018 Datum des Originals: 10.08.2018/Ausgegeben: 16.08.2018 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 1272 vom 12. Juli 2018 der Abgeordneten Sigrid Beer und Berivan Aymaz BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 17/3146 Wird geflüchteten Kindern und Jugendlichen das Recht auf Beschulung vorenthalten? Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Aus Artikel 8 der Landesverfassung NRW ergibt sich das Recht eines jeden Kindes auf Beschulung. Auch die UN-Kinderrechtskonvention, die Charta der Grundrechte der EU und die Europäische Menschenrechtskonvention bekräftigen dies und stellen klar, dass der Zugang niemandem verwehrt werden darf. In Deutschland realisiert die Schulpflicht dieses verfassungsmäßige Recht. In Nordrhein- Westfalen ist die Schulpflicht in §34 des Schulgesetzes geregelt. Für geflüchtete Minderjährige beginnt die Schulpflicht demnach (§34 Abs.6) mit der Zuweisung in eine Gemeinde. Hintergrund der Regelung war die Praxis, dass mit der Zuweisung klar ist, welche Gemeinde das Kind bzw. die Jugendliche oder den Jugendlichen zu beschulen hat und für die Einhaltung und Durchsetzung der Schulpflicht verantwortlich ist. Mittlerweile gibt es aber eine veränderte Rechtslage, was den Verbleib in Aufnahmeeinrichtungen angeht, und vor allem eine veränderte Praxis. Ein Aufenthalt dauert nicht mehr wie vor Jahren wenige Wochen, sondern meist viele Monate. Damit ist die gesetzliche Regelung nicht mehr geeignet, das verfassungsmäßige Recht auf Beschulung umzusetzen. Auch in anderen Bundesländern taucht das Problem auf, dass jungen Geflüchteten das Recht auf Beschulung vorenthalten wird. Das Verwaltungsgericht München hat in mehreren Fällen jungen Geflüchteten ausdrücklich dieses Recht zugesprochen und damit eine Veränderung des Verwaltungshandelns erwirkt. Auch wenn die Landesregierung angekündigt hat, eine Zuweisung in eine Gemeinde im vierten Monat der Aufenthaltsdauer in den Unterbringungseinrichtungen des Landes zu erreichen, sind in der Praxis deutlich längere Aufenthaltszeiten festzustellen. Gemäß Art. 14 Abs.2 der Aufnahmerichtlinie 2013/33/EU darf der Zugang zur Bildung nicht länger als drei Monate nach Antragstellung verzögert werden. Das gilt unabhängig vom Aufenthaltsort. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/3404 2 Der Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Soziales hat die Kleine Anfrage 1272 mit Schreiben vom 10. August 2018 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales, der Ministerin für Schule und Bildung sowie der Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung beantwortet. 1. Wie beurteilt die Landesregierung die rechtliche Situation hinsichtlich des Ausschlusses von Leistungsbezug bei Schulbesuch oder beruflicher Ausbildung? Aus der Sicht der Landesregierung sind der Schulbesuch, eine (berufliche) Ausbildung und die Aufnahme einer Beschäftigung drei wichtige Bausteine für eine gelingende Integration geflüchteter Menschen. Soweit sich die Frage auf einen Ausschluss von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) bezieht, kommt es in diesem Rechtskreis in bestimmten Sachverhaltskonstellationen im Zusammenhang mit dem Besuch von schulischen Bildungsangeboten oder der Absolvierung von (beruflichen) Ausbildungen zu einem Leistungsausschluss. Diese Rechtslage ist für eine Integration von leistungsberechtigten Personen im Sinne des AsylbLG nicht förderlich. Dementsprechend sieht die Landesregierung gesetzgeberischen Handlungsbedarf auf der Bundesebene, um die Versorgungslücke im AsylbLG zu schließen. Zur näheren Begründung der Auffassung der Landesregierung wird auf die Vorlage 17/466 zur Sitzung des Integrationsausschusses am 24. Januar 2018 sowie auf die Antwort zu der Kleinen Anfrage 1111 (Drs. 17/3092) verwiesen. Darüber hinaus nutzt die Landesregierung die ihr zur Verfügung stehenden Möglichkeiten konsequent, um jungen geflüchteten Menschen zu einer Ausbildung zu verhelfen. Mit Erlass vom 17. Mai 2018 hat das MKFFI eine einheitliche Landespraxis bei der Anwendung der 3+2- Regelung (Ausbildungsduldung) geschaffen. Die Landesregierung setzt, wo es rechtlich möglich und migrations- sowie integrationspolitisch sinnvoll ist, einheitliche Maßstäbe und schafft damit sowohl für Flüchtlinge in Ausbildung als auch für ausbildende Betriebe mehr Rechtssicherheit. 2. Wie ist die Landesregierung aktiv geworden, um auf Bundesebene eine Änderung der Gesetzeslage zu erreichen? Im März diesen Jahres forderte die Integrationsministerkonferenz den Bund mit einstimmigem Beschluss auf, gesetzgeberisch tätig zu werden und die drohende Versorgungslücke von leistungsberechtigten Personen gemäß AsylbLG durch entsprechende Regelungen zu schließen. Außerdem befasste sich der Bundesrat mit diesem Thema am 8. Juni 2018 und forderte den Bund ebenso auf, das Problem der Versorgungslücke im AsylbLG im Sinne der Betroffenen zu lösen. 3. Wo wird nach Kenntnis der Landesregierung in dem Sinne verfahren, dass auch ohne gesetzlichen Anspruch Leistungen gezahlt werden? Sofern sich die Frage auf Leistungen gemäß AsylbLG bezieht, ist die Zuständigkeit für die Durchführung des Gesetzes in Nordrhein-Westfalen geteilt. Für die Dauer der Unterbringung in einer Landeseinrichtung (vgl. § 44 Abs. 1 Asylgesetz) liegt die Zuständigkeit für die Durchführung des AsylbLG beim Land. Nach Zuweisung sind die Kommunen für die Durchführung des AsylbLG als pflichtige Selbstverwaltungsaufgabe zuständig. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/3404 3 Im Zuständigkeitsbereich des Landes werden keine Leistungen ohne gesetzlichen Anspruch erbracht. Die Kommunen führen das AsylbLG eigenverantwortlich durch und entscheiden im Rahmen dieser Aufgabenwahrnehmung selbstständig über das Vorliegen der Leistungsvoraussetzungen gemäß AsylbLG. 4. Warum ist die Landesregierung nicht bereit, Kommunen zu unterstützen, die Leistungen auszahlen, bis eine Gesetzesänderung auf Bundesebene greift? Sofern sich die Frage auf eine mögliche grundsätzliche Anwendung der Härtefallregelung von § 22 Abs. 1 Satz 2 Sozialgesetzbuch – Zwölftes Buch – bis zu einer möglichen Anpassung der einschlägigen bundesgesetzlichen Regelungen bezieht, verweise ich auf die Antwort auf die Kleine Anfrage 1111 (Drs. 17/3092). Die Landesregierung verfolgt das Ziel einer Anpassung der bundesgesetzlichen Regelungen. Dies schafft Rechtsklarheit, wovon alle Beteiligten, und damit insbesondere die Kommunen, profitieren. 5. Welche weiteren Regelungen sind der Landesregierung bekannt, die Bemühungen um eine erfolgreiche Integration in Schule und Ausbildung behindern? Im Rahmen der 13. Integrationsministerkonferenz 2018 am 15. und 16. März 2018 in Nürnberg hat das Land Nordrhein-Westfalen den Beschluss zu TOP 3.6 „Arbeitsmarktintegration geflüchteter Menschen“ vollumfänglich unterstützt. Ein wortgleicher Beschluss wurde von der 94. Arbeits- und Sozialministerkonferenz 2017 am 06. und 07. Dezember 2017 in Potsdam zu TOP 6.13 gefasst. Mit diesen Beschlüssen wird der Bund unter anderem aufgefordert, die Zugangsvoraussetzungen zu den Leistungen Berufsvorbereitende Bildungsmaßnahme (BvB), ausbildungsbegleitende Hilfen (abH), Assistierte Ausbildung (AsA), Berufsausbildungsbeihilfe (BAB) und Ausbildungsgeld zu vereinheitlichen. Hierfür müssen die Wartezeiten für Gestattete und Geduldete harmonisiert und dem rechtlichen Arbeitsmarktzugang angepasst werden. Eine entsprechende Ankündigung bezogen auf die Personengruppe der Geduldeten findet sich auch im Koalitionsvertrag der die Bundesregierung tragenden Fraktionen. Daneben sollte die durch das Integrationsgesetz des Bundes geschaffene Anspruchsduldung der „3+2“-Regelung auf die Zeit, in der zur Berufsausbildungsvorbereitung eine Einstiegsqualifizierung (EQ) absolviert wird, bundesgesetzlich ausgeweitet und auch auf staatlich geregelte Helferausbildungen erstreckt werden. Im Rahmen des SGB II und SGB III sollte die begleitende betriebsbezogene Unterstützung der Geflüchteten und der Betriebe als Regelförderung vorgesehen werden, um den Eingang in Ausbildung und Beschäftigung insbesondere für Personen mit geringer oder keiner Schulbildung zu fördern. Die Erfahrung der vergangenen Jahre hat gezeigt, dass für eine gelingende Integration in Schule und Ausbildung eine systematische Begleitung der jungen Menschen über verschiedene Stationen und Institutionen hinweg erforderlich ist. Vor Ort sind Fachkräfte notwendig, die sich kontinuierlich um die jungen Erwachsenen kümmern und sie nicht nur während einer Maßnahme betreuen. Unverzichtbar bleibt auch die Unterstützung ehrenamtlicher Helferinnen und Helfer. Zur Stärkung der staatlich-kommunalen Verantwortungspartnerschaft fördert daher die Landesregierung über die Kommunalen Integrationszentren eine systematische Kooperation der handelnden Akteure vor Ort.