LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/3437 20.08.2018 Datum des Originals: 20.08.2018/Ausgegeben: 23.08.2018 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 1271 vom 11. Juli 2018 des Abgeordneten Frank Neppe FRAKTIONSLOS Drucksache 17/3145 Vorwand Opferschutz Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Am 06. Juni 2018 wurde die Öffentlichkeit durch PI-NEWS.net 1 darüber informiert, dass bereits im November 2017 ein 14-jähriges Mädchen in Harsewinkel von mindestens fünf männlichen Jugendlichen vergewaltigt worden sein soll. Die Tat wurde bis zu diesem Zeitpunkt von den Behörden verschwiegen. Die Neue Westfälische ² kommentiert am 08. Juni 2018 die Geheimhaltungsstrategie der Ermittlungsbehörden wie folgt: "Man schüttelt deshalb den Kopf über die Geheimhaltungsstrategie der Ermittlungsbehörden, insbesondere über deren Chefs. Sie hätten – wie so oft – den Fall und seinen Verlauf vom Ende her denken müssen. Dann wäre ihnen sofort bewusst geworden, dass ihre Strategie den Schaden für das Mädchen und deren Familie nicht verringert, sondern vergrößert." Am 13. Juni 2018 ist den Medien ³ zu entnehmen, dass bereits am 21. April 2018 ein 13- jähriges Mädchen in Velbert von acht Jugendlichen mit Migrationshintergrund vergewaltigt wurde. Auch hier bemüht man nun den Schutz des Opfers für die Nichtinformation der Öffentlichkeit . Offensichtlich ist es in kleineren Orten wie Harsewinkel kaum möglich, eine solche Tat geheim zu halten. Der Minister des Innern hat die Kleine Anfrage 1271 mit Schreiben vom 20. August 2018 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister der Justiz beantwortet. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/3437 2 Vorbemerkung der Landesregierung Nach § 37 Absatz 1 des Beamtenstatusgesetzes haben Beamtinnen und Beamte über die ihnen bei oder bei Gelegenheit ihrer amtlichen Tätigkeit bekannt gewordenen dienstlichen Angelegenheiten grundsätzlich Verschwiegenheit zu bewahren. § 4 Absatz 2 des Pressegesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen (PresseG NRW) verpflichtet die Behörden, konkrete Anfragen von Vertretern der Presse zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgabe zu beantworten. Soll die Presse über laufende Ermittlungsverfahren durch die Justizbehörden des Landes im Rahmen der behördlichen Öffentlichkeitsarbeit aktiv informiert werden, so haben diese die Persönlichkeitsrechte der Verfahrensbeteiligten und den Datenschutz so weit wie möglich zu wahren (BVerwG, Urteil vom 26. Februar 1997 – 6 C 3/96). Besonderen Voraussetzungen muss die Öffentlichkeitsarbeit genügen, wenn die Richtigkeit einer Mitteilung noch nicht abschließend geklärt ist. In solchen Fällen hängt die Rechtmäßigkeit der staatlichen Informationstätigkeit davon ab, ob der Sachverhalt vor seiner Verbreitung im Rahmen des Möglichen sorgsam und unter Nutzung verfügbarer Informationsquellen, gegebenenfalls auch unter Anhörung Betroffener, sowie in dem Bemühen um die nach den Umständen erreichbare Verlässlichkeit aufgeklärt worden ist (BVerfG, Beschluss vom 26. Juni 2002 – 1 BvR 558/91). Dies folgt auch aus dem verfassungsrechtlichen Rechtsstaatsprinzip (Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes) und aus der in Artikel 6 Absatz 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention verankerten Unschuldsvermutung. Auf dieser Grundlage informieren die Justizbehörden die Öffentlichkeit nach Maßgabe der Richtlinien für die Zusammenarbeit mit den Medien (Presserichtlinien NRW). Auskünfte werden insbesondere dann nicht erteilt, wenn die sachgemäße Durchführung eines schwebenden Verfahrens vereitelt, erschwert, verzögert oder gefährdet werden könnte oder ein überwiegendes schutzwürdiges privates Interesse verletzt würde (§ 6 Absatz 2 Buchstaben a) und c) der Richtlinien für die Zusammenarbeit mit den Medien - AV d. JM vom 12. November 2007 (1271 - II. 2) in der Fassung vom 28. Juli 2015). Die Entscheidung, ob und in welchem Umfang die Presse informiert wird, treffen gemäß §§ 5, 6 der Presserichtlinien NRW - in jedem Einzelfall unter Abwägung aller Interessen - die Justizbehörden vor Ort. Gemäß § 6 Absatz 3 der Presserichtlinien NRW sind dabei das Schutzinteresse aller Betroffenen , der Opfer wie auch der Beschuldigten, insbesondere ihr im allgemeinen Persönlichkeitsrecht wurzelndes Geheimhaltungsinteresse und das berechtigte Informationsinteresse der Öffentlichkeit in jedem Einzelfall umfassend miteinander abzuwägen. Dies gilt in ganz besonderem Maße in Bereichen, in denen der Jugendschutz berührt ist, also beispielsweise - wie im vorliegenden Fall - Jugendliche oder Kinder Opfer der Straftat sind oder Jugendliche der Begehung von Straftaten verdächtigt werden, bei denen auch die gerichtliche Hauptverhandlung gemäß § 48 des Jugendgerichtsgesetzes (JGG) unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden würde. 1. Wird sich die Landesregierung dafür einsetzen, dass ein solches Verschweigen in Zukunft im Sinne der Opfer und potentieller weiterer Opfer, unterlassen wird? Auf die Vorbemerkung wird Bezug genommen. Zu einer Änderung der Presserichtlinien, die der Umsetzung verfassungsrechtlicher Vorgaben dienen, sieht die Landesregierung keine Veranlassung. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/3437 3 2. Werden Verbrechen, welche aus Gründen des vorgegebenen Opferschutzes nicht öffentlich gemacht werden, dennoch in die PKS aufgenommen? Ja. 3. Wird eine Massenvergewaltigung von z. B. fünf oder mehr Tätern in welcher Statistik auch immer, als Einzeltat oder als mehrere Taten aufgelistet? Solche Straftaten werden in der PKS als ein Fall mit mehreren Tatverdächtigen erfasst. In der StA-Statistik wird die Zahl der Beschuldigten eines Ermittlungsverfahrens erfasst. 4. Wieviel solcher „Nachrichtensperren“ bei Vergewaltigungen wegen Opferschutzes gibt oder gab es in NRW allein in 2018? In Nordrhein-Westfalen werden keine „Nachrichtensperren“ verhängt. 5. Befinden sich die Täter von Harsewinkel immer noch auf freiem Fuß? Die Ermittlungen dauern an. Anträge auf Erlass von Untersuchungshaftbefehlen gegen die insgesamt acht jugendlichen und einen heranwachsenden Beschuldigten hat die zuständige Staatsanwaltschaft nicht gestellt , da Haftgründe nicht vorliegen und in Bezug auf diejenigen Beschuldigten, die das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, zudem die besonderen Voraussetzungen für die Verhängung von Untersuchungshaft gemäß § 72 Absatz 2 JGG nicht gegeben sind. Alle Beschuldigten sind nicht vorbestraft, wohnen im Familienverbund, besuchen eine Schule und haben sich bislang dem Verfahren gestellt.