LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/3444 21.08.2018 Datum des Originals: 20.08.2018/Ausgegeben: 24.08.2018 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 1304 vom 19. Juli 2018 der Abgeordneten Verena Schäffer BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 17/3221 Konsequenzen aus dem Bonner Antisemitismus-Fall Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Am Mittwoch, den 11. Juli 2018 wurde ein amerikanisch-israelischer Professor der University of Baltimore, der einen Gastvortrag an der Universität Bonn hielt, Opfer eines antisemitischen Angriffs. Die zur Hilfe gerufene Polizei verdächtige zunächst den Professor selbst, Täter zu sein. In der Pressemitteilung des Polizeipräsidiums Bonn vom 12. Juli 2018 heißt es hierzu: „Als sich die polizeilichen Einsatzkräfte den beiden Personen dann von zwei Seiten näherten, hielten sie den Professor, der auch auf mehrere Aufforderungen der Beamten, stehen zu bleiben , nicht nachkam, irrtümlich für den Aggressor. Er wurde von den Polizisten überwältigt, zu Boden gebracht und fixiert. Nach Angaben der Beamten wehrte er sich gegen die Maßnahmen - die Polizisten schlugen ihm hierbei auch ins Gesicht. Während sich das situative Missverständnis durch die Begleiterin des 50-Jährigen aufklärte, wurde der eigentliche Angreifer, ein 20-jähriger Deutscher mit palästinensischen Wurzeln, gestellt und vorläufig festgenommen.“ Dieser Darstellung widerspricht der Professor deutlich. In einem Interview mit der NRZ vom 14. Juli 2018 erklärt er: „Aber ich war nicht zu I00, sondern zu 500 Prozent passiv, ich habe nichts gemacht. Ich bin kein trainierter Kämpfer, sondern ein Philosoph. Dann fingen sie an, mir ins Gesicht zu schlagen. Ungefähr 50, 60, 70 Mal – völlig verrückt! Ich war geschockt. Das ist ein abscheuliches Polizeiverhalten, wie man es sonst nur in einem Entwicklungsland findet.“ Zudem gibt er an, dass er auf der Polizeiwache unter Druck gesetzt wurde, um ihn von einer Strafanzeige abzubringen. Inzwischen wurde bekannt, dass der Polizeibeamte, der den Professor geschlagen haben soll, in eine andere Dienststelle versetzt wurde. Zudem wird gegen vier Polizeibeamte wegen des Verdachts auf Strafvereitelung im Amt ermittelt. Zusätzlich wurden Disziplinarverfahren gegen sie eingeleitet. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/3444 2 In der Rheinischen Post vom 17. Juli 2018 wird Innenminister Herbert Reul mit den Worten zitiert: „Bisher sieht alles nach einem verhängnisvollen Missverständnis aus […] Es wird nichts vertuscht, im Gegenteil: Wir tun alles, um den Fall rückhaltlos aufzuklären. Das sind wir der Öffentlichkeit, aber auch Professor M. schuldig.” In diesem Zitat bezieht sich Herr Reul ausnahmslos auf die Verwechselung. Das gewaltsame Einwirken der Polizeibeamten auf eine bereits am Boden liegende und fixierte Person wäre allerdings auch unverhältnismäßig gewesen, wenn es den Täter und nicht das Opfer getroffen hätte. Auch die Entschuldigung seitens des Innenministers und der Bonner Polizeipräsidentin bezogen sich allein auf die Verwechselung, jedoch nicht auf das gewaltsame Handeln der Polizei. Bislang fehlt zudem jegliche Stellungnahme zum Vorwurf der Falschdarstellung durch das Polizeipräsidium Bonn. Der Minister des Innern hat die Kleine Anfrage 1304 mit Schreiben vom 20. August 2018 namens der Landesregierung beantwortet. Vorbemerkung der Landesregierung Mit Schreiben vom 18. Juli 2018 habe ich die Mitglieder des Innenausschusses über den Polizeieinsatz anlässlich eines antisemitischen Übergriffs auf einen israelischen Wissenschaftler am 11. Juli 2018 in Bonn in einem persönlichen Brief informiert. Ich habe meine Beunruhigung in doppelter Hinsicht mitgeteilt. Zum einen wegen der antisemitischen Attacke auf den Wissenschaftler . Es ist für mich schlicht unerträglich, dass gut 70 Jahre nach dem Ende des dunkelsten Kapitels unserer Geschichte in Deutschland wieder Hatz auf Juden gemacht wird. Das dürfen und das werden wir nicht zulassen. Zum anderen aber auch wegen des Verlaufs des anschließenden Polizeieinsatzes. Die Abläufe an diesem Nachmittag sind zumindest erklärungsbedürftig und Gegenstand laufender Ermittlungen. Ich habe den israelischen Professor daher bereits am Morgen nach der Tat angerufen und ihn persönlich um Entschuldigung für das Verhalten der Beamten gebeten. 1. Warum wurde nur einer der beteiligten Polizeibeamten in eine andere Dienststelle versetzt? Sechs an dem Einsatz beteiligte Beamtinnen und Beamte wurden von der Personalabteilung des Polizeipräsidium Bonn vorsorglich jeweils mit Einleitung der Disziplinarverfahren vorübergehend in den Innendienst umgesetzt. 2. Gibt es angesichts des Vorwurfs des Opfers, dass die Behauptung, er hätte sich gewehrt, falsch sei, eine Korrektur der Darstellung durch das Polizeipräsidium Bonn? Die entsprechende Passage der durch das Polizeipräsidium Bonn am 12. Juli veröffentlichten Pressemeldung lautete wie folgt: „Er (Anmerkung: Professor Melamed) wurde von Polizisten überwältigt, zu Boden gebracht und fixiert. Nach Angaben der Beamten wehrte er sich gegen die Maßnahme – die Polizisten schlugen ihm hierbei auch ins Gesicht.“ Das Polizeipräsidium Bonn hat berichtet, dass es die Formulierung „…Nach Angaben der Beamten …“ bewusst gewählt habe, um die Sachverhaltsschilderung nicht einseitig, sondern ergebnisoffen darzustellen. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/3444 3 Die Frage rund um das Geschehen ist Gegenstand der laufenden Ermittlungen. Das Ermittlungsverfahren gegen die Polizeibeamten wird aus Gründen der Neutralität beim Polizeipräsidium Köln geführt. Im Polizeipräsidium Bonn sind wegen der noch nicht abgeschlossenen Ermittlungen keine weiteren Erkenntnisse zum Sachverhalt bekannt, so dass derzeit auch keine andere Darstellung erfolgen kann. 3. Teilt der Innenminister die Auffassung, dass Schläge gegen den Kopf einer bereits fixierten Person unverhältnismäßig sind? Grundsätzlich ja. Jedoch kann es Situationen, insbesondere während des Festhaltens oder Überwältigens geben, bei denen von der betroffenen Person eine solche Gefahr für sich oder andere ausgeht, dass optische, akustische oder physische Ablenkungstechniken (hierzu zählt der sogenannte Blend- oder Schockschlag) zum Auslösen einer vagotonen Schockphase angewandt werden müssen. Die Verhältnismäßigkeitsprüfung eines derartigen starken Eingriffs muss durch die einschreitenden Beamten in diesen Einzelfällen unter Anlegung eines strengen Maßstabs fortwährend durchgeführt werden. 4. Wird sich der Innenminister bei dem Professor nicht nur für die Verwechselung, sondern auch für die ihm angetane Gewalt entschuldigen? vgl. Vorbemerkung 5. Welche Vorkehrungen (z.B. Beendigung der Debatte über eine angeblich benötigte Robustheit der Polizei) plant der Innenminister zu treffen, um solche Vorfälle in Zukunft zu vermeiden und die Fehlerkultur bei der Polizei zu erhöhen? Ich habe versichert, den Vorgang rückhaltlos aufzuklären. Ob ein Fehlverhalten vorlag, ist Gegenstand staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen. Ich fordere von der nordrhein-westfälischen Polizei ein konsequentes Vorgehen gegen jede Form von Kriminalität. Hierfür haben die Beamtinnen und Beamten meine volle Rückendeckung . Die gleiche Konsequenz erfolgt aber auch dann, wenn es zu nachgewiesenem Fehlverhalten in den eigenen Reihen kommt.