LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/3452 22.08.2018 Datum des Originals: 21.08.2018/Ausgegeben: 27.08.2018 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 1303 vom 19. Juli 2018 der Abgeordneten Verena Schäffer BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 17/3220 Antisemitische Straftaten im ersten Halbjahr 2018 Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Das Phänomen Antisemitismus hat sich in den letzten Jahren verändert. Er lässt sich heute stärker ausdifferenzieren in klassischen, sekundären und israelbezogenen Antisemitismus. Den unterschiedlichen Formen des Antisemitismus liegen jeweils andere Motivationen und Strategien zugrunde. Diese – in der Gesellschaft verbreiteten – antisemitischen Einstellungen führen immer wieder zu antisemitischem Handeln auch in Form von Straf- und Gewalttaten. In den letzten Jahren ist die Zahl antisemitischer Straftaten in Nordrhein-Westfalen gestiegen. Wurden im Jahr 2012 noch 216 antisemitische Straftaten gezählt, waren es im Jahr 2017 bereits 324 Straftaten. Dabei hatte ein Großteil der antisemitischen Straftaten einen Hintergrund der politisch motivierten Kriminalität – Rechts (PMK – Rechts). Im Zusammenhang mit aktuellen Entwicklungen in Israel tritt derzeit jedoch erneut auch in Deutschland ein offen israelbezogener Antisemitismus auf. Zwei aktuelle Fälle von Antisemitismus in Nordrhein-Westfalen haben sich erst kürzlich ereignet . Am Mittwoch, den 11. Juli 2018 wurde ein amerikanisch-israelischer Professor der University of Baltimore in Bonn Opfer eines antisemitischen Angriffs durch einen zwanzigjährigen Deutschen mit palästinensischen Wurzeln. Mehrfach soll der Täter dem Professor die Kippa vom Kopf gerissen haben und ihn beschimpft haben. Nur zwei Tage darauf, am Freitag, den 13. Juli 2018 wurde ein Siebzehnjähriger, der mit Kippa und Anstecknadel mit der israelischen Flagge bekleidet war, in der Düsseldorf Altstadt von einer Gruppe junger Männer beleidigt und bedrängt. Diese beiden konkreten Vorfälle eines vermutlich israelbezogenen Antisemitismus sind ebenso zu verurteilen, wie jede weitere Form von antisemitischer Diskriminierung und Gewalt. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/3452 2 Der Minister des Innern hat die Kleine Anfrage 1303 mit Schreiben vom 21. August 2018 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister der Justiz beantwortet. Vorbemerkung der Landesregierung Die statistische Erfassung „Politisch motivierter Kriminalität" (PMK) erfolgt bundesweit einheitlich auf der Grundlage des im Jahr 2001 von der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder beschlossenen Definitionssystems „Politisch motivierte Kriminalität“. Der PMK werden demnach Straftaten zugeordnet, wenn in Würdigung der Umstände der Tat und/oder der Einstellung des Täters Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie den demokratischen Willensbildungsprozess beeinflussen sollen, der Erreichung oder Verhinderung politischer Ziele dienen oder sich gegen die Realisierung politischer Entscheidungen richten; sich gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung bzw. eines ihrer Wesensmerkmale , den Bestand und die Sicherheit des Bundes oder eines Landes richten oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung von Mitgliedern der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes zum Ziel haben; durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden; gegen eine Person wegen ihrer politischen Einstellung, Nationalität, Volkszugehörigkeit , Rasse, Hautfarbe, Religion, Weltanschauung, Herkunft oder aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbildes, ihrer Behinderung, ihrer sexuellen Orientierung oder ihres gesellschaftlichen Status gerichtet sind und die Tathandlung damit im Kausalzusammenhang steht bzw. sich in diesem Zusammenhang gegen eine Institution/Sache oder ein Objekt richtet. Darüber hinaus gehören Straftaten gemäß §§ 80a-83, 84-86a, 87-91, 94-100a, 102-104a, 105- 108e, 109-109h, 129a, 129b, 234a oder 241a StGB als Staatsschutzdelikte zur PMK, selbst wenn im Einzelfall eine politische Motivation nicht festgestellt werden kann. Politisch motivierte Straftaten werden hinsichtlich des Begründungszusammenhangs (Motiv) einem oder mehreren Themenfeldern zugeordnet. Datenquelle zur Beantwortung der Fragen ist der Kriminalpolizeiliche Meldedienst in Fällen der Politisch motivierten Kriminalität (KPMD-PMK). 1. Wie viele Straftaten mit antisemitischem Hintergrund wurden im ersten Halbjahr 2018 verübt? (Bitte nach Ort und Deliktsgruppe auflisten.) Für das erste Halbjahr 2018 wurden im KPMD-PMK in Nordrhein-Westfalen 89 antisemitische Straftaten erfasst, davon ein Gewaltdelikt. Weitergehende Daten bitte ich der Anlage 1 zu entnehmen. 2. In welche Phänomenbereiche der politisch motivierten Kriminalität fallen die unter Frage 1 erfragten Straftaten? Im ersten Halbjahr 2018 wurden zu dem Unterthema "antisemitisch" für den Phänomenbereich der PMK-Rechts 82 Straftaten PMK-Religiöse Ideologie keine Straftat LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/3452 3 PMK-Sonstige/Nicht zuzuordnen eine Straftat PMK–Ausländische Ideologie sechs Straftaten erfasst. Weitergehende Daten bitte ich der Anlage 2 zu entnehmen. 3. Wie viele Tatverdächtige wurden wegen antisemitischer Straftaten im ersten Halbjahr 2018 festgenommen? (Bitte nach Ort, Alter und Geschlecht auflisten.) Im ersten Halbjahr 2018 wurde eine 45 Jahre alte männliche Person wegen einer antisemitischen Straftat in Bochum festgenommen. 4. Wie viele Ermittlungsverfahren wurden im ersten Halbjahr 2018 wegen antisemitischer Straftaten eingeleitet? Durch die Polizei des Landes Nordrhein-Westfalen wurde in allen in der Antwort zu Frage 1 aufgezählten Fällen ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Im Bereich der Justiz wurden 230 Verfahrenseinleitungen wegen antisemitischer Straftaten gezählt. Diese Zahl ist jedoch nicht als vollständig zu betrachten, da im Zuständigkeitsbereich einer Staatsanwaltschaft eine automatisierte Datenerhebung auf Grund einer Migration des Datenbestands vorübergehend nicht möglich war. Die Differenz zu den polizeilich eingeleiteten Ermittlungsverfahren erklärt sich durch ein anderes Erfassungssystem der Landesjustiz. Hier richtet sich die statistische Erfassung der Einleitung von Ermittlungsverfahren gegen bekannte Beschuldigte nach deren Anzahl. Einleitungen von Verfahren gegen Unbekannt werden dagegen als jeweils ein Fall erfasst. 5. In wie vielen Fällen kam es im ersten Halbjahr 2018 zur Erhebung einer Anklage, Verurteilung oder Einstellung der Ermittlungen (Bitte auch Grund für die Einstellung des Verfahrens angeben)? In 28 Fällen kam es zur Erhebung der öffentlichen Klage, in 19 Fällen zu einer Verurteilung und in 145 Fällen zur Einstellung der Ermittlungen wegen antisemitischer Straftaten. Grund für die Einstellung des Verfahrens war in 64 Fällen, dass ein Täter nicht ermittelt werden konnte. Diese Zahlen sind jedoch nicht als vollständig zu betrachten, da im Zuständigkeitsbereich einer Staatsanwaltschaft eine automatisierte Datenerhebung auf Grund einer Migration des Datenbestands vorübergehend nicht möglich war.