LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/3512 31.08.2018 Datum des Originals: 30.08.2018/Ausgegeben: 05.09.2018 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 1340 vom 30. Juli 2018 der Abgeordneten Wibke Brems BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 17/3295 Kohleausstieg und Strukturwandel: Landesregierung argumentiert ohne Kenntnis der Sachlage Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Als Argument gegen einen ambitionierten Zeitplan für den Ausstieg aus der Kohleverstromung in Deutschland werden von Vertretern der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen immer wieder die Arbeitsplätze ins Feld geführt, die durch einen Kohleausstieg bedroht seien. Für die Braunkohle werden seit Jahren unterschiedliche Beschäftigtenzahlen genannt. 2015 sprach der damalige CDU-Fraktionschef Laschet noch davon, dass ein Kohleausstieg 70.000 Arbeitsplätze gefährde. In der Plenardebatte am 20.12.2017 sagte Wirtschaftsminister Pinkwart, es gehe um 30.000 und mehr Mitarbeiter, die unmittelbar in der Braunkohle beschäftigt seien. Und nur ein halbes Jahr später sprach er in einem Zeitungsinterview (Leipziger Volkszeitung vom 15.06.2018) davon, dass es im rheinischen Revier um rund 10.000 Beschäftigte gehe. Die Landesregierung verfügt offenbar über keine gesicherten Erkenntnisse, wie viele Arbeitsplätze aktuell noch an der Kohleverstromung hängen. Die Zahlen entstammen ganz offensichtlich mehr dem Bauchgefühl Einzelner als einer fundierten Datenerhebung. Diesen Verdacht legt auch eine aktuelle Ausschreibung des Wirtschaftsministeriums nahe (Vergabenummer 52/2018)1. In einem Gutachten sollen u.a. die Arbeitsplätze und die Wertschöpfung, die im Zusammenhang mit der Kohleverstromung stehen, erhoben werden. Dass offenbar grundlegende Informationen zu diesen Fragestellungen im Wirtschaftsministerium nicht vorliegen und auch durch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Ministeriums nicht erhoben werden können, erstaunt vor dem Hintergrund, da der Verlust der Arbeitsplätze in der Vergangenheit immer eines der Hauptargumente der Landesregierung gegen einen Kohleausstieg gewesen ist. Folglich müssen wir davon ausgehen, dass die 1 https://www.evergabe.nrw.de/VMPSatellite/public/company/project/71641/de/overview LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/3512 2 Ablehnung des Kohleausstiegs der Landesregierung nicht faktenbasiert, sondern ideologisch motiviert ist. Überdies scheint die Leistungsbeschreibung zu der oben genannten Vergabe des MWIDE (Vergabenummer 52/2018) so verfasst zu sein, dass in den Ergebnissen die Auswirkungen eines möglichen Kohleausstiegs umfangreicher dargestellt sein werden, als es tatsächlich der Fall wäre. So soll in einem „Basisszenario“ davon ausgegangen werden, dass alle Arbeitsplätze in den entsprechenden Bereichen unmittelbar wegfallen. Eine absurde Vorstellung hält man sich nur die Rückbau- und Tagebaufolgeverpflichtungen der Betreiberin vor Augen. Auch ist nicht ersichtlich, inwiefern aktuelle marktliche Entwicklungen, die zu einer Reduzierung der Stromerzeugung aus Steinkohle führen, als „Sowieso-Entwicklungen“ berücksichtigt werden. Nach Daten des Vereins der Kohleimporteure wurde in 2017 17% weniger Steinkohle verfeuert als im Jahr zuvor. Auch für 2018 geht der Verband von einem Rückgang der Kohleverstromung von 20% aus. Daraus resultierende Umsatzeinbußen bei den Betreibern der Kraftwerke dürfen nicht dem Kohleausstieg angelastet werden, sondern sind Teil der unternehmerischen Risiken auf dem Energiemarkt. Der Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie hat die Kleine Anfrage 1340 mit Schreiben vom 30. August 2018 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales beantwortet. Vorbemerkung der Landesregierung Die Behauptung in der Kleinen Anfrage, dass die Landesregierung ohne Kenntnis der Sachlage argumentiere, wird zurückgewiesen. Die Vergabe des Beratungsvertrages dient vielmehr dazu, um in Abhängigkeit von dem durch die Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ noch festzulegenden Zeitplan für eine schrittweise Reduzierung und Beendigung der Kohleverstromung die zu erwartenden Beschäftigungs- und Wertschöpfungsverluste in den betroffenen Regionen quantifizieren und angemessene strukturpolitische Maßnahmen entwickeln zu können. 1. Auf welcher Informationsgrundlage hat die Landesregierung bisher ihre Aussagen zu Beschäftigtenzahlen im Braunkohletagebau, in den Braunkohlekraftwerken und in den Steinkohlekraftwerken in NRW getätigt? (Bitte auch explizit auf die in der Vorbemerkung zitierten Aussagen eingehen) Die in der Vorbemerkung zur vorliegenden Kleinen Anfrage zitierten, unterschiedlichen Angaben zu Beschäftigtenzahlen sind in dem jeweiligen Kontext zu sehen, in dem sie gemacht wurden. Sie basieren auf folgenden Quellen: Rd. 10.000 Menschen sind direkt in der Braunkohleindustrie im Rheinischen Revier beschäftigt (Quelle: DEBRIV, Braunkohle in Deutschland – Zahlen und Fakten 2017) Rd. 30.000 Arbeitsplätze können auf direkte, indirekte und induzierte Beschäftigungseffekte der Braunkohlenwirtschaft in den vier Braunkohlerevieren zurückgeführt werden (Quelle: RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung, Erarbeitung aktueller vergleichender Strukturdaten für die deutschen Braunkohleregionen, Endbericht 30. November 2017); LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/3512 3 Rd. 70.000 Arbeitsplätze sind deutschlandweit direkt, indirekt oder induziert von der Braunkohle abhängig (Quelle: DEBRIV, Braunkohle in Deutschland – Zahlen und Fakten 2017). 2. Welches Budget ist für die Vergabe Nr. 52/2018 im MWIDE maximal vorgesehen? Die Vergabe Nr. 52/2018 umfasst zwei Module. Modul 1: Basisszenarien und Modul 2: Einzelfallprüfungen. In Modul 1 ist ein Referenzszenario und ein Ausstiegsszenario zu untersuchen. In Modul 2 sind Einzelfallprüfungen vorzunehmen. Die Auftragswertschätzung für den gesamten Auftrag beträgt 150.000 Euro (netto). 3. In der Leistungsbeschreibung zur Vergabe Nr. 52/2018 des MWIDE ist die Rede von einem Basisszenario, in welchem durch einen kurzfristigen Kohleausstieg alle Arbeitsplätze und die gesamte Wertschöpfung verloren gingen. Werden in diesem Szenario die Beschäftigungseffekte von Tagebaufolge- und Rekultivierungsmaßnahmen berücksichtigt? Das Basis-Szenario beschreibt den status-quo und soll untersuchen, in welcher Höhe mit Wertschöpfungs- und Beschäftigungsverlusten in der Energiewirtschaft, bei den Zulieferern und der energieintensiven Industrie bei einer kurzfristigen Beendigung der Kohleverstromung zu rechnen ist. Dabei soll unterstellt werden, dass sämtliche Arbeitsplätze und Wertschöpfung verloren gehen. In welcher Höhe Beschäftigungseffekte von Tagebaufolge- und Rekultivierungsmaßnahmen vorliegen, wäre in der Szenario-Berechnung zu berücksichtigen. 4. Nach Daten des Vereins der Kohleimporteure wurde in 2017 17% weniger Steinkohle verfeuert als im Jahr zuvor. Auch für 2018 geht der Verband von einem Rückgang der Kohleverstromung von 20% aus. Inwiefern werden solche, marktbedingten Arbeitsplatz- und Wertschöpfungsverluste in den zu erstellenden Szenarien im Rahmen der Vergabe des MWIDE mit der Nr. 52/2018 berücksichtigt? In der Ausschreibung ist ein Referenzszenario vorgesehen, in dem untersucht werden soll, welche Wertschöpfungs- und Beschäftigungsverluste bei einer Weiterführung der Kohleverstromung im Rahmen bestehender Genehmigungen als Abschlag auf den Status quo entstehen. Für die Braunkohle werden die gültigen Rahmenbetriebspläne zugrunde gelegt. Für die Steinkohle stellt der Auftraggeber dem Auftragnehmer auf Basis einer parallel laufenden Untersuchung entlang der Referenzjahre eine Übersicht zur Verfügung, welche Kohlekapazitäten wann aus dem Markt gehen.