LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/3528 05.09.2018 Datum des Originals: 03.09.2018/Ausgegeben: 10.09.2018 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 1343 vom 31. Juli 2018 des Abgeordneten Josef Neumann und Frank Sundermann SPD Drucksache 17/3308 Lohndumping bei real,- und im Einzelhandel verhindern – Was tut die Landesregierung? Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Im Einzelhandel in NRW arbeiten derzeit ca. 710.000 Beschäftigte. Seit Jahren ist festzustellen, dass die Tarifbindung immer weiter abnimmt. Dabei findet ein immenser Verdrängungswettbewerb auf dem Rücken der Beschäftigten statt mit dem Ziel, die Personalkosten immer weiter abzusenken. Der Einzelhandel ist dabei einer der wichtigsten Wirtschaftsbereiche in Deutschland, in dem etwa 530 Mrd. Euro umgesetzt werden. Ganz aktuell werden die Auswirkungen und Probleme von Lohndumping und Wettbewerb bei der Einzelhandelskette real,-, einem Tochterunternehmen der Metro, für die Beschäftigten sichtund spürbarbar. Mehrere tausend Beschäftigte in real,- Märkten sind Mitte Juli einem Streikaufruf der Gewerkschaft ver.di. gefolgt. Hintergrund der Streiks ist, dass das Unternehmen sich aus der Tarifbindung an die Tarifverträge des Einzelhandels verabschiedet hat. Diese waren bislang mit ver.di abgeschlossen worden. Stattdessen sollen nun schlechtere Tarifverträge mit dem arbeitgebernahen DHV vereinbart werden. Ermöglicht hat dies der Übergang auf eine andere METRO-Gesellschaft, die Tarifverträge mit dem DHV abgeschlossen hat. Diese Tarifverträge bedeuten massive Verschlechterungen bei Arbeitszeit und Zuschlägen sowie beim Entgelt um durchschnittlich ca. 25 %. Durch die niedrigen Löhne ist schon jetzt absehbar, dass die Sozialversicherungen sowohl heute als auch in Zukunft durch steigende Kosten – beispielsweise für ergänzende Leistungen nach dem SGB II oder Leistungen für die Grundsicherung im Alter - zusätzlich belastet werden. Um dem entgegenzuwirken fordert die Gewerkschaft ver.di zu Recht eine Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Tarifverträgen, branchenweit für den gesamten Einzelhandel mit seinen drei Millionen Beschäftigten. Diese Auffassung hat NRW- Arbeitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) bestätigt und sich in einem Artikel in der WAZ (https://www.waz.de/wirtschaft/arbeitsminister-laumann-kritisiert-lohndumping-im-handelid 214583287.html) vom 01. Juni 2018 offen dafür gezeigt, mehr Tarifverträge für allgemeinverbindlich zu erklären, auch im Einzelhandel. Damit hat der Arbeitsminister offensichtlich für sich erkannt, dass die Politik bei Tarifflucht und Lohndumping nicht LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/3528 2 wegschauen darf und Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer davor zu schützen sind. Diesen Worten müssen jetzt auch Taten folgen. Es ist dringend an der Zeit, dass die Landesregierung ihrerseits alles unternimmt, um die Beschäftigten von real,- und die Gewerkschaft ver.di bei ihrem Einsatz gegen Lohndumping und Tarifflucht zu unterstützen! Der Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales hat die Kleine Anfrage 1343 mit Schreiben vom 3. September 2018 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie beantwortet. Vorbemerkung der Landesregierung Das deutsche System der Arbeitsbeziehungen fußt auf den gesetzlichen Bestimmungen zur Tarifautonomie und zur betrieblichen Interessenvertretung durch Betriebsräte. Überbetriebliche Branchen- oder Flächentarifverträge haben dabei eine hohe Bedeutung, und zwar sowohl bei der Lohnfindung als auch bei der Regelung der Arbeitsbeziehungen insgesamt. Sie werden oft für Regionen oder Branchen ausgehandelt und sorgen für einheitliche Wettbewerbsbedingungen bei den Arbeitskosten. Tarifverträge sind somit ein wichtiger Faktor für die Ordnung des Arbeitslebens. Aus Sicht der Landesregierung schützen Tarifverträge Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und Arbeitgeber vor Wettbewerbsverzerrungen. Tarifverträge sind nicht nur ein Vorteil für die Beschäftigten, die sichere Arbeitsbedingungen erhalten. Tarifverträge schaffen auch einheitliche Arbeitsbedingungen und einheitliche Lohnkosten in einer Branche. Diese Haltung hat die Landesregierung an verschiedenen Stellen immer wieder öffentlich deutlich gemacht. 1. Wie bewertet die Landesregierung die Situation bei real,- im Hinblick auf die vollzogene Tarifflucht und das damit einhergehende Lohndumping? Es ist bedauerlich, dass die Verhandlungen zwischen der Gewerkschaft ver.di und der Metro AG für die real-Märkte nicht zu einem Ergebnis geführt haben. Denn die Lohnfindung und die aktuellen Herausforderungen des Einzelhandels, insbesondere der Wettbewerb mit dem wachsenden Onlinehandel, sind am besten im Zusammenwirken der Tarifpartner zu bewältigen. Die Landesregierung hat zur Kenntnis genommen, dass die Metro AG einen Arbeitgeberverbandswechsel mit der real GmbH vom Handelsverband Deutschland (HDE) zur Unternehmervereinigung für Arbeitsbedingungen im Handel und Dienstleistungsgewerbe e.V. - AHD vollzogen hat. Als Dachorganisation des deutschen Einzelhandels ist der Handelsverband Deutschland (HDE) die größte bundesweite Verbandsvertretung der Branche. 2. Welche politischen Initiativen plant die Landesregierung, um Lohndumping und Tarifflucht bei real und in anderen Unternehmen – so wie vom nordrheinwestfälischen Arbeitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) angekündigt – einzudämmen und zugleich die Verhandlungsmacht von Gewerkschaften und Beschäftigten zu stärken? Die Koalitionsfreiheit garantiert den Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden ein weitgehend freies, d.h. vor staatlicher Einflussnahme geschütztes, Betätigungsfeld bei der LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/3528 3 Regelung der Arbeitsbedingungen. Insofern hat die Landesregierung gegenüber Tarifpartnern keine durchgreifenden Einflussmöglichkeiten. Das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales in Nordrhein-Westfalen steht regelmäßig in Kontakt zu vielen beteiligten Akteuren in der Tarifpolitik und auch im Einzelhandel. Die Landesregierung fördert verschiedene Projekte und Initiativen, wie zum Beispiel „Fair im Betrieb“ und „Arbeit 2020“, die einen Dialog zu guten Arbeitsbedingungen initiieren und die Sozialpartnerschaft stärken. Darüber hinaus finden Branchendialoge mit den Sozialpartnern zu verschiedenen Themenbereichen statt. Die Voraussetzung für funktionierende Tarifautonomie und auch für Tarifpluralität ist, dass diejenigen, die Tarifverträge verhandeln und abschließen, auch tariffähig sind. In diesem Zusammenhang nimmt das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales im Wege der Beteiligung an einer Feststellungsklage der Tarifunfähigkeit der DHV seine Schutzfunktion gegen Tarifflucht und Lohnverwerfungen wahr. 3. Was gedenkt die Landesregierung dagegen zu tun, dass Arbeitgeber sich durch Ausnutzung der gesellschaftsrechtlichen Möglichkeiten den für sie geltenden arbeits- und tarifvertraglichen Pflichten entziehen können? Ein unmittelbares Einwirken der Landesregierung durch Initiativen und Maßnahmen wäre ein unzulässiger Eingriff in die Tarifautonomie und in die grundgesetzlich garantierte Koalitionsfreiheit der Tarifpartner. Die Regelungen des Paragrafen 613 a Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) zum Betriebsübergang haben eine arbeits- und tarifvertragliche Schutzfunktion für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei gesellschaftsrechtlichen Veränderungen von Betrieben. 4. Welche Initiativen plant die Landesregierung, um die Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen zu erleichtern? Der Stellenwert von Tarifverträgen und ihre Bedeutung für die Ordnung des Arbeitslebens sind in den letzten Jahren zurückgegangen. Die Arbeitswelt hat sich in einer modernen Industrieund Dienstleistungs-gesellschaft zunehmend fragmentiert. Die Allgemeinverbindlichkeit eines Tarifvertrags ist grundsätzlich ein geeignetes Mittel, um Wettbewerbsverzerrungen in einzelnen Branchen zu vermeiden und Beschäftigte vor Lohnverwerfungen zu schützen. Durch das Erfordernis eines gemeinsamen Antrags der Tarifvertrags-parteien ist sichergestellt, dass die Sozialpartner eine Abstützung der tariflichen Ordnung für notwendig erachten. Der Weg zur Allgemein-verbindlichkeit kann nur im Rahmen der Tarifautonomie von den Tarifvertragsparteien selbst geöffnet werden. Die Landesregierung kann dann einen solchen Weg lediglich positiv begleiten und eine Allgemeinverbindlicherklärung im Einvernehmen mit dem Tarifausschuss aussprechen. Von diesen Möglichkeiten hat die Landesregierung bei Vorliegen der genannten Voraussetzungen in der Vergangenheit aktiv Gebrauch gemacht und wird dies auch weiterhin tun. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/3528 4 5. Mit welchen Maßnahmen will die Landesregierung die wirtschaftlichen Perspektiven und Chancen für den Einzelhandel und die dort tätigen Beschäftigten am Standort Nordrhein-Westfalen verbessern? Der Einzelhandel in Deutschland befindet sich im demografischen, strukturellen, vor allem aber digitalen Wandel. Insbesondere der Onlinehandel hat die Einkaufsgewohnheiten der Konsumenten und die Einzelhandelslandschaft in Deutschland verändert. Sich auf solche neuen Herausforderungen einzustellen, ist in erster Linie Aufgabe der Unternehmen. Die Landesregierung unterstützt den Handel bei der digitalen Transformation. Mit dem jährlichen eCommerce-Tag hat sich eine Ideen- und Austauschplattform etabliert, die neben (visionären) Impulsvorträgen vor allem Best Practices und die Möglichkeit zum Netzwerken bietet. Mit dem Projektaufruf "Digitalen und stationären Einzelhandel zusammendenken" werden Kooperationsprojekte gefördert, die übertragbar sind bzw. als Ideengeber dienen. Aktuell wurden von einer Expertenjury im 2. Call sechs weitere Projekte ausgewählt, die jetzt in die Antragsphase gehen. Darüber hinaus unterstützt auch die Novellierung des Ladenöffnungsgesetzes im Rahmen des Entfesselungspakets I den stationären Einzelhandel. Die Landesregierung wird zudem darauf achten, dass arbeits(schutz) rechtliche Vorschriften nicht nur im stationären Einzelhandel, sondern auch im Online-/Versandhandel eingehalten werden. Hier darf es nicht zu Wettbewerbsverzerrungen kommen. Bereits Ende letzten Jahres wurden nach einer kritischen Medienberichterstattung über die Arbeitsbedingungen im Versandhandel dort ad hoc punktuell arbeitsschutzrechtliche Überprüfungen vorgenommen. Auch aufgrund der dabei getroffenen Feststellungen beabsichtigt das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales gemeinsam mit den zuständigen Arbeitsschutzdezernaten der Bezirksregierung im zweiten Halbjahr 2018 eine Aktion „Fairer Versandhandel“ mit entsprechenden Informationen und Arbeitsschutzkontrollen zur Einhaltung insbesondere der Vorgaben zu Arbeitszeiten und dem Sonn- und Feiertagsschutz.