LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/3542 13.09.2018 Datum des Originals: 05.09.2018/Ausgegeben: 14.09.2018 (10.09.2018) Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Neudruck Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 1355 vom 1. August 2018 der Abgeordneten Gabriele Walger-Demolsky AfD Drucksache 17/3344 Ist die Härtefallkommission noch zeitgemäß? Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Seit 2005 existiert in Nordrhein-Westfalen als freiwillige Einrichtung eine Härtefallkommission (HFK). Zur rechtlichen Grundlage heißt es auf der Internetseite des MKFFI1: „§ 23 a Abs. 2 des AufenthG ermächtigt die Landesregierungen durch Rechtsverordnung eine Härtefallkommission nach Abs. 1 einzurichten und das Verfahren zu regeln. Mit der ‚Verordnung zur Einrichtung einer Härtefallkommission nach § 23 a des Aufenthaltsgesetzes und zur Regelung des Verfahrens‘ (Härtefallkommissionsverordnung -HFKVO-) vom 14.12.2004 hat die Landesregierung des Landes NRW von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht.“ Durch die Anrufung der HFK haben vollziehbar ausreisepflichtige Ausländer die Gelegenheit, einen Aufenthaltstitel – unabhängig von sonstigen gesetzlichen Bestimmungen – zu erlangen. Sofern die HFK ein entsprechendes Ersuchen annimmt, wird ggf. ein Ersuchen auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gem. § 23a AufenthG ausgesprochen. Die Härtefallkommission kann ein Härtefallersuchen an die jeweils zuständige Ausländerbehörde richten. Die Erteilung obliegt jedoch in letzter Konsequenz der zuständigen kommunalen Ausländerbehörde. Aufgrund des Ersuchens darf die zuständige Ausländerbehörde abweichend von den gesetzlich festgelegten Erteilungs- und Verlängerungsvoraussetzungen eine Aufenthaltserlaubnis erteilen. Obwohl das Härtefallersuchen gemäß Nr. 23a.1.3 VAH-AufenthG kein Abschiebungshindernis darstellt und auch keinen Anspruch auf Aussetzung der Abschiebung nach § 60a AufenthG begründet, verzichten die Ausländerbehörden während des Härtefallersuchens in aller Regel contra legem auf eine Vollziehung der Ausreisepflicht 2. 1 https://www.mkffi.nrw/haertefallkommission-des-landes-nordrhein-westfalen 2 siehe Hailbronner, Asyl- und Ausländerrecht, 4. Aufl. 2017, Rn. 608 LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/3542 2 Die Härtefallkommission setzt sich aktuell zusammen aus Vertretern folgender Organisationen: Evangelische Kirche, Katholische Kirche, Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege NRW, Ausländerbehörde, Flüchtlingsrat NRW, Ärzteschaft, MKFFI, Pro Asyl, MI NRW.3 Dr. Klaus S. hat in der ZAR 2004, 351 in Bezug auf die Härtefallkommission geschrieben, dass die Einrichtung der Kommission fakultativ4 und eine Aufenthaltsgewährung nach § 23 a AufenthG verfassungswidrig sei5. § 23 a AufenthG verstoße gegen den verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz und den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung. Der Gesetzgeber solle die erste Gelegenheit ergreifen, die Vorschrift zu streichen. Den Ländern sei zu empfehlen, Härtefallkommissionen auf der Grundlage des § 23 a AufenthG nicht einzurichten. Der Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration hat die Kleine Anfrage 1355 mit Schreiben vom 5. September 2018 namens der Landesregierung beantwortet. Vorbemerkung der Landesregierung Der Bundesgesetzgeber hat mit dem Gesetz zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern vom 30.07.2004, in Kraft getreten am 01.01.2005, in § 23a AufenthG die Einrichtung von Härtefallkommissionen in den Bundesländern vorgesehen. Alle Bundesländer haben Härtefallkommissionen eingerichtet, zuletzt vor 12 Jahren Bayern im Jahr 2006. 1. Wie hat sich die Anzahl, der von der Härtefallkommission bearbeiteten Fälle seit 2005 entwickelt? (bitte auflisten nach Jahr, Nationalität der vollziehbar ausreisepflichtigen Personen, und Anzahl der Fälle) Die Anzahl der Anträge an die Härtefallkommission im Zeitraum 2005 – 2017 ergibt sich aus der nachfolgenden Aufstellung. Eine statistische Erfassung nach der Nationalität der vollziehbar ausreisepflichtigen Personen ist nicht erfolgt. Jahr Anträge Jahr Anträge 2005 1064 Sonderfaktoren wegen Neugründung HFK 2012 281 2006 797 2013 294 2007 201 2014 255 2008 250 2015 271 2009 345 2016 604 2010 316 2017 672 2011 256 3 https://www.mkffi.nrw/sites/default/files/asset/document/140820mitgliederhfknrw.pdf 4 so auch Huber, AufenthG, 2. Aufl. 2016, § 23 a, Rn. 2 5 so auch VG Münster, Beschluss v. 18.8.2005 L 683/05 LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/3542 3 2. In wie vielen der seit 2005 behandelten Fälle hat die HFK ein Votum ausgesprochen? (bitte auflisten nach Jahr und Anzahl positiven bzw. negativen Entscheidungen) Die folgende Tabelle gibt die Anzahl der Ersuchen wieder, die die Härtefallkommission für die im jeweiligen Jahr eingegangenen Anträge ausgesprochen hat. Das Härtefallverfahren kann darüber hinaus auch aus anderen Gründen beendet werden. Neben der Ablehnung eines Ersuchens kann ein zwingender Ausschlussgrund vorliegen oder sich das Verfahren aus sonstigen Gründen (z.B. wegen Veränderung der persönlichen oder rechtlichen Lebensverhältnisse des Antragstellers) erledigen. Insoweit ist keine statistische Erfassung erfolgt. Jahr Anträge Jahr Anträge 2005 163 2012 72 2006 121 2013 71 2007 38 2014 60 2008 87 2015 69 2009 113 2016 164 2010 127 2017 185 2011 91 3. In wie vielen Fällen wurde dabei von der jeweiligen Ausländerbehörde einem Votum der Härtefallkommission gefolgt und ein Bleiberecht gem. § 23a AufenthG ausgesprochen? (bitte auflisten nach Jahr, Nationalität der Personen, und Anzahl der Fälle) Es ist keine statistische Erfassung erfolgt. 4. Die Erteilung eines Aufenthaltstitels aus humanitären Gründen wurde durch den Gesetzgeber bereits berücksichtigt. (§25 Abs.5, §25a, §25b AufenthG) Warum hat die Landesregierung die HFK in NRW nicht abgeschafft, obwohl die Verfassungswidrigkeit dieser Kommission evident ist? 5. Wie bewertet die Landesregierung die Zusammensetzung der HFK bezüglich Ausgewogenheit und Neutralität bei der Urteilsfindung? Die Fragen 4 und 5 werden wegen des inhaltlichen Zusammenhangs gemeinsam beantwortet. Der Bundesgesetzgeber hat mit § 23a AufenthG die Möglichkeit geschaffen, in besonders gelagerten Fällen bei Vorliegen dringender humanitärer oder persönlicher Gründe, die der Gesetzgeber bei der Regelung des Systems der Aufenthaltsgewährung nicht berücksichtigen konnte, die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis abweichend von den im Gesetz geregelten Voraussetzungen für die Gewährung eines Aufenthaltstitels anzuordnen. Alle Bundesländer haben Härtefallkommissionen eingerichtet, die mit Vertretern aus verschiedenen Bereichen ausländerrechtlich kompetent besetzt sind. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/3542 4 Der in der Anfrage zitierte Beschluss des VG Münster vom 18.08.2005 (L 683/05) hat gerade nicht eine Verfassungswidrigkeit festgestellt, sondern lediglich, dass § 23a AufenthG kein subjektiv-öffentliches Recht vermittelt, wie dies bereits der Wortlaut der Vorschrift besagt. Da sich diese Regelung in der Praxis bewährt hat, hat der Bundesgesetzgeber durch das am 1. Januar 2009 in Kraft getretene Gesetz zur arbeitsmarktadäquaten Steuerung der Zuwanderung Hochqualifizierter und zur Änderung weiterer aufenthaltsrechtlicher Regelungen (Arbeitsmigrationssteuerungsgesetz) die zunächst in Artikel 15 Abs. 4 des Zuwanderungsgesetzes vorgesehene Befristung aufgehoben.