LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/3550 06.09.2018 Datum des Originals: 05.09.2018/Ausgegeben: 11.09.2018 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 1374 vom 14. August 2018 des Abgeordneten Stefan Kämmerling SPD Drucksache 17/3422 Bedarfsrechnung der Kassenärztlichen Vereinigung veraltet: Wie will die Landesregierung der drohenden Unterversorgung entgegenwirken? Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Laut Presseberichten vom 08. August 2018 des Aachener Zeitungsverlags zum Thema „Überlastung von Kinderärzten“, stellte die Kassenärztliche Vereinigung, die das Zahlenverhältnis zwischen niedergelassenen Vertragsärzten und gesetzlich versicherten Patienten regelt, eine „Überversorgung“ der Region Aachen durch Kinderärzte fest. Bei ihrer Einschätzung beruft sich die KV auf eine bundesweite Bedarfsplanung. Diese Bedarfsberechnung der KV sei jedoch in die Jahre gekommen, so der Pressesprecher des Bundesverbandes der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) Nordrhein, und berücksichtige nicht den mittlerweile erhöhten Aufwand der Mediziner durch neue sozialpädiatrische Krankheitsbilder, neue soziale Fragestellungen zum schulischen Werdegang, Mehrarbeit durch neue Vorsorgeuntersuchungen sowie Impfungen und schließlich die steigende Geburtenrate. Auch das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales sehe „Handlungsbedarf“1, heißt es in der Presseberichterstattung weiter und spräche den Klagen der Kinderärzte und ihren Berufsverbänden ihre Berechtigung zu.2 Die Niederlassung von Ärzten nimmt insgesamt immer weiter ab. Der Sprung in die eigene Praxis, der auch das volle unternehmerische Risiko für junge Ärztinnen und Ärzte bedeutet, wird mehr und mehr gescheut. Diese Entwicklung hat zur Folge, dass spätestens mit dem Ausscheiden der jetzt praktizierenden, niedergelassenen Ärztegeneration ein enormes Problem auf die Kassenärztliche Vereinigung, aber auch auf die Gesellschaft zukommt. 1 https://epaper.zeitungsverlag-aachen.de/2.0/article/45d8e08041/print 2 https://epaper.zeitungsverlag-aachen.de/2.0/article/6cb628061e/print LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/3550 2 Weiterhin wird das Ministerium wie folgt zitiert: „Auch das Ministerium geht davon aus, dass es in den nächsten fünf bis zehn Jahren einen erheblichen Nachbesetzungs- und Nachwuchsbedarf gebe. Drohende Folge: Selbst wenn demnächst ein verstärkter Bedarf ermittelt würde, bedeute das nicht, dass es direkt zu einer besseren ambulanten Versorgung führen würde.“3 Vor dem Hintergrund der regelmäßigen Forderungen der Kassenärztlichen Vereinigung, Bürgerinnen und Bürger sollen mehr auf niedergelassene Ärzte zurückgreifen und die Krankenhäuser lediglich für wahre Notfälle in Anspruch nehmen und der mit dieser Diskussion verbundenen Rationalisierung im ambulanten Notdienst der Krankenhäuser und Zusammenlegung von Notfallpraxen, erscheint es abstrus, die These aufzustellen, insbesondere die Region Aachen sei „überversorgt“. Gleichzeitig missachtet die Kassenärztliche Vereinigung mit einer solchen Aussage pauschal die enorme Arbeitsbelastung der Ärzte, die sich tagtäglich für das Wohl anderer Menschen, in diesem Falle insbesondere anderer Kinder, einsetzen. Der Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales hat die Kleine Anfrage 1374 mit Schreiben vom 5. September 2018 namens der Landesregierung beantwortet. Vorbemerkung der Landesregierung Die bundesweit geltende Bedarfsplanungs-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) ist Grundlage für die Festlegung der Bedarfspläne auf der regionalen Ebene. Für die beiden Landesteile Nordrhein und Westfalen-Lippe wird der Bedarfsplan unter Berücksichtigung der Vorgaben des G-BA von der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein (KVNO) bzw. der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe (KVWL) im Einvernehmen mit den Krankenkassen aufgestellt. Für die allgemeine fachärztliche Versorgung, zu der auch die kinder-ärztliche Versorgung zählt, gelten – im Sinne der ambulanten Bedarfs-planung – Kreise bzw. kreisfreie Städte als räumliche Planungsebene. In der Bedarfsplanung erfolgt trotz der Gründung der Städteregion Aachen eine getrennte Planung für die Stadt Aachen und den Kreis Aachen, da eine Zusammenlegung zu einer Planungseinheit zu einer Verschlechterung der Versorgung geführt hätte. Grundlage für die Festlegung des rechnerischen Bedarfs sind in der Bedarfsplanungs- Richtlinie festgelegte Verhältniszahlen für das Arzt-Einwohner-Verhältnis. Diese Verhältniszahlen werden grundsätzlich als rechnerischer Bedarf unterstellt. Für die Stadt Aachen wird danach eine Relation von 2.405 Kinder je Kinderarzt als bedarfsgerecht angesehen, für den Kreis Aachen 3.587 Kinder je Kinderarzt. Die Unterscheidung basiert auf den bei der Bedarfsplanung unterstellten unterschiedlichen Mitversorgungseffekten. Danach weisen beide Planungsbereiche rein rechnerisch eine deutliche Überversorgung auf (Stadt Aachen = 179,5 % / Kreis Aachen = 141,1 %). Nach der Bedarfsplanungs-Richtlinie gilt ab einem Versorgungsgrad von 110 % der Planungsbereich als überversorgt und ist für 3 https://epaper.zeitungsverlag-aachen.de/2.0/article/6cb628061e/print LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/3550 3 weitere Neu-Niederlassungen gesperrt. Grundsätzlich sind danach weitere Nieder-lassungen von Kinderärzten in der Städteregion Aachen nicht möglich. Denkbar wäre nur eine Zulassung als Sonderbedarf, wenn ein Kinderarzt einen entsprechenden Antrag stellen und der Zulassungsausschuss bei der Kassenärztlichen Vereinigung diesem entsprechen würde. Nach Auskunft der beiden Kassenärztlichen Vereinigungen hat es in einigen Planungsbereichen bereits erfolgreiche Sonderbedarfsanträge von Kinderärzten gegeben. 1. Wie beurteilt die Landesregierung die aktuell angewendete Bedarfsberechnung zur Ermittlung der kinderärztlichen Versorgung in NRW durch die Kassenärztliche Vereinigung? Die aktuellen Bedarfspläne für beide Landesteile entsprechen den verbindlichen Vorgaben der Bedarfsplanungs-Richtlinie des G-BA und sind daher rechtlich nicht zu beanstanden. Nach der ambulanten Bedarfsplanung besteht hinsichtlich der kinder- und jugendärztlichen Versorgung rein rechnerisch eine flächendeckende Überversorgung in Nordrhein-Westfalen. Allerdings liegt der Bedarfsplanungs-Richtlinie keine wirkliche Bedarfsmessung zugrunde; sie basiert vielmehr im Wesentlichen auf früheren Verhältniszahlen. Gerade im kinderärztlichen Bereich sind in den letzten Jahren Aufwand und Zeitintensität pro Patient deutlich gestiegen, was bisher im Rahmen der ambulanten Bedarfsplanung aber noch keine Berücksichtigung findet. So sind etwa Zahl und Aufwand der Impfleistungen und der U- Untersuchungen deutlich angestiegen. Hinzu kommt, dass die Geburtenrate in Nordrhein-Westfalen (und auch bundesweit) wieder angestiegen ist. Es bestehen daher durch-aus Zweifel, ob die Bedarfsplanung die tatsächliche pädiatrische Versorgungssituation noch realistisch wiedergibt. Dabei ist davon auszugehen, dass es sich hierbei um ein bundesweites Problem handelt. Nach Auffassung der Landesregierung besteht daher hinsichtlich der Rahmenbedingungen für die kinderärztliche Versorgung Handlungsbedarf. 2. Wann kann mit einer Neuberechnung des Verhältnisses zwischen niedergelassenen Vertragsärzten und gesetzlich versicherten Patienten in NRW gerechnet werden? Voraussetzung für eine grundlegende Überarbeitung der Bedarfspläne durch die KVNO bzw. die KVWL ist eine Anpassung der Bedarfsplanungs-Richtlinie des G-BA. Daher hat der Bundesgesetzgeber dem G-BA den Auftrag erteilt, die erforderlichen Anpassungen für eine bedarfsgerechte Versorgung nach Prüfung der Verhältniszahlen und unter Berücksichtigung der Möglichkeit zu einer kleinräumigeren Planung vorzunehmen. Der G-BA hat hierfür ein umfangreiches wissenschaftliches Gutachten zur Weiterentwicklung der Bedarfsplanung in Auftrag gegeben. Das Gutachten, das voraussichtlich im Herbst 2018 veröffentlicht wird, soll Grundlage für eine Weiterentwicklung der Bedarfsplanung sein. Nach Inkrafttreten der neuen Bedarfsplanungs-Richtlinie sind die Bedarfspläne auf KV-Ebene zeitnah anzupassen. Entscheidend für das Land Nordrhein-Westfalen ist letztendlich, dass die ambulante Bedarfsplanung insgesamt im Sinne der Patienten und damit auch im Sinne der Kinder und ihrer Eltern bedarfsgerecht weiterentwickelt und die Versorgungsrealität auch widergespiegelt wird. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/3550 4 Mit dem derzeit als Referentenentwurf vorliegenden Terminservice und Versorgungsgesetz – TSVG – ist beabsichtigt, dem G-BA für die Anpassungen eine Frist bis zum 30. Juni 2019 zu setzen. Um die Versorgung der Patientinnen und Patienten in der Übergangszeit bis zum Abschluss der Beratungen des G-BA spürbar zu verbessern, ist weiter vorgesehen, dass die Zulassungsbeschränkungen u.a. bei der Neuzulassung von Kinderärzten bis dahin keine Anwendung finden. Der Referentenentwurf sieht weiter vor, dass die Terminservicestellen der Kassenärztlichen Vereinigungen künftig auch bei Haus- und Kinderärzten Termine vermitteln und Versicherte bei der Suche nach einem Haus- bzw. Kinder- und Jugendarzt unterstützen. 3. Wie will die Landesregierung auf eine langfristig drohende Unterversorgung von Kindern durch jetzt ausbleibende Niederlassungen in der Städteregion Aachen im Besonderen und in NRW im Allgemeinen reagieren? Derzeit sind alle nach der Bedarfsplanung verfügbaren Sitze für Kinderärzte in Nordrhein- Westfalen besetzt. Eine „drohende Unterversorgung“ oder „ausbleibende Niederlassungen“ sind daher derzeit nach der geltenden, bundesrechtlichen Bedarfsplanungssystematik nicht zu erkennen. Die Landesregierung hat insoweit derzeit keine rechtlichen Möglichkeiten auf die ambulante Versorgungslage im Bereich der kinderärztlichen Versorgung Einfluss zu nehmen. Um regionale Versorgungsengpässe auch bei einer rechnerischen Überversorgung aufzufangen, kann das Instrument der Sonderbedarfszulassung (Zulassung für einen lokalen Zusatzbedarf) genutzt werden. Hiervon ist in den letzten Jahren in beiden Landesteilen auch Gebrauch gemacht worden. Für die Anwendung dieses Instruments ist Voraussetzung, dass ein niederlassungswilliger Arzt einen entsprechenden Antrag beim zuständigen Zulassungsausschuss stellt und dieser positiv darüber entscheidet. 4. Wie haben sich die Geburtenzahlen in der Städteregion Aachen in den letzten 10 Jahren entwickelt? Die Zahl der Lebendgeborenen in der Städteregion Aachen hat sich seit der Gründung der Städteregion im Jahre 2009 wie folgt entwickelt: Lebendgeborene*) Jahr 2017 2016 2015 2014 2013 2012 2011 2010 Anzahl 5091 5143 4844 4821 4484 4557 4407 4441 *) Anzahl der Lebendgeborenen in der Städteregion Aachen (Quelle: Landesdatenbank NRW) 5. Welche möglichen (auch finanziellen) Anreize will die Landesregierung schaffen, das Berufsbild der Kinderärzte, insbesondere auch deren Niederlassung, zu fördern? Bundesgesetzlich haben die Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) den gesetzlichen Sicherstellungsauftrag für die ambulante vertrags-ärztliche Versorgung gemäß § 75 SGB V inne. Sie haben gemäß § 105 Abs. 1 Satz 1 SGB V alle geeigneten finanziellen und sonstigen Maß-nahmen zu ergreifen, um die Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung zu gewährleisten, zu verbessern und zu fördern. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/3550 5 Nach der geltenden Bedarfsplanung gibt es aktuell rechnerisch keinen Mangel an Kinderärzten in Nordrhein-Westfalen. Vor diesem Hintergrund sieht das Land Nordrhein-Westfalen keine Notwendigkeit, ergänzend zu den Kassenärztlichen Vereinigungen einen Sicherstellungsbeitrag , bspw. in Form eines landesweiten Förderprogramms (analog zum NRW- Hausarztaktionsprogramm), zu leisten.