LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/3790 02.10.2018 Datum des Originals: 26.09.2018/Ausgegeben: 08.10.2018 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 1400 vom 30. August 2018 der Abgeordneten Mehrdad Mostofizadeh und Norwich Rüße BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 17/3497 Wie problematisch ist der Rückgang der Erntehelferinnen und –Helfer in NRW? Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Deutsche Obst- und Gemüsebauern beklagen diesen Sommer vermehrt, dass ihnen nicht ausreichend Saisonarbeiterinnen und -Arbeiter zur Verfügung stehen. Einige Landwirte äußerten sich sogar dahingehend, dass die Ware teilweise auf den Feldern verdorben ist, da diese nicht schnell genug geerntet werden konnte. Insbesondere beim Anbau von Spargel und Erdbeeren wurde dieses Jahr vermehrt auf das Problem aufmerksam gemacht. Vor allem aus den Ländern Polen, Rumänien oder Bulgarien sind dieses Jahr weniger Helferinnen und Helfer angereist als üblich, die Gründe dafür sind vielseitig. Zum einem macht die gute wirtschaftliche Situation in den Heimatländern es vielen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern möglich, eine Festeinstellung in der Nähe ihrer Familie wahrzunehmen. Aber auch die zum Teil schlechten Rahmenbedingungen, wie hohe Reise- und Unterbringungskosten machen die Erntearbeit in Deutschland zunehmend unattraktiv. Darüber hinaus liegt in unseren Nachbarländern Belgien und den Niederlanden – in denen die Landwirtschaft ebenfalls ein wichtiger Wirtschaftssektor, ist, der Mindestlohn für Saisonarbeiter zwischen 9,50 und 9,70 Euro und somit deutlich über dem deutschen Mindestlohn von 8,84 Euro. Und selbst dieser Mindestlohn wird nach Presseberichten anscheinend oftmals nicht eingehalten. Viele Saisonarbeitskräfte haben daher kein Interesse mehr, in Deutschland zu arbeiten und suchen sich lieber in einem anderen Land nach einer Beschäftigungsmöglichkeit. Die Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz hat die Kleine Anfrage 1400 mit Schreiben vom 26. September 2018 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales beantwortet. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/3790 2 1. Wie gestaltet sich der geschilderte Rückgang der Erntehelferinnen und –helfer im Jahr 2018 in NRW? Wie viele Stelle blieben unbesetzt? Es wird zunehmend schwieriger, Personal aus anderen Staaten, das langjährig zu Saisonarbeiten in den Betrieben tätig war und damit Betriebs- und Fachkenntnisse erworben hat, wieder zu akquirieren. Die Löhne und das Arbeitsplatzangebot auch in der Landwirtschaft sind in diesen Staaten z. T. überdurchschnittlich gestiegen. Generell finden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die bisher das Potential für Saisonarbeit stellten, oft verbesserte Arbeitsbedingungen in ihren Heimatländern (Festanstellungen, bessere Löhne, mehr Arbeitsplätze), so dass insgesamt weniger Arbeitskräfte für Saisonarbeit zur Verfügung stehen. Zur Frage der unbesetzten Stellen liegen keine Daten vor. 2. Aus welchen Ländern kamen die Erntehelferinnen und – helfer in NRW anteilsmäßig im Jahr 2018 im Vergleich der letzten 10 Jahre? Hier wird auf die Angaben aus der beigefügten Übersicht der Bundesagentur für Arbeit verwiesen. Aufgrund der Umstellung der Klassifikation der Berufe verfügt die Bundesagentur für diese Berufsgruppe nur über belastbare Daten ab 2013. In 2017 kamen ca. 44 % der Beschäftigten aus Polen, ca. 36 % aus Rumänien, ca. 16 % aus Deutschland und die restlichen ca. 4 % verteilen sich auf andere Nationen. 3. Wie haben sich die Rahmenbedingungen (Unterkunft, Reisekosten, Entlohnung, etc.) für Erntehelferinnen und –helfer aus Sicht der Landesregierung in den letzten 10 Jahren entwickelt? Die Tariflöhne werden von den landwirtschaftlichen Unternehmen meist übertroffen. Es werden darüberhinaus sehr häufig leistungsabhängige Zuzahlungen (z. B. Beerenernte nach Gewicht) gewährt. Die Konkurrenz innerhalb der Branche hebt das Lohnniveau. Alle Unterkünfte bedürfen einer Baugenehmigung (Container, Umnutzungen von Wirtschaftsgebäuden etc.) und müssen dabei gewissen Standards (Raumvolumen, Sanitäreinrichtungen, Ausstattungen etc.) gerecht werden. Diese Vorgaben werden eingehalten und entsprechend kontrolliert (Bauamt, Arbeitsschutzdezernate der Bezirksregierungen). Landwirtschaftliche Unternehmer haben z. T. Gebäude und Wohnhäuser in der Umgebung gekauft und für die Saisonarbeitskräfte renoviert und umgebaut. Oft wird während der Saison eine Mittagsverpflegung für die Arbeitskräfte angeboten. Der Tariflohn für Saisonarbeiter in der Landwirtschaft hat sich wie folgt entwickelt: Jahr Stundenlohn (Euro/h) 2009 5,70 2010 6,05 2011 6,40 2012 6,40 LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/3790 3 2013 7,00 2014 7,30 2015 7,40 2016 8,00 2017 8,60 / 9,10 * 2018 8,84 ** * Im Zeitraum 01.11.2017 bis 31.12.2017 ** ab dem 01.01.2018 gilt der gesetzliche Mindestlohn auch für die Tätigkeit als Saisonarbeiter in der Landwirtschaft. Davor hatten der Gesamtverband der deutschen Land- und Forstwirtschaftlichen Arbeitgeberverbände e.V., die Arbeitsgemeinschaft der gärtnerischen Arbeitsverbände e.V. und die IG Bauen-Agrar-Umwelt einen Tarifvertrag abgeschlossen. Dieser wurde zum 31.12.2017 gekündigt. 4. Was tut die Landesregierung um würdige Arbeitsbedingungen, wie eine verlässliche Bezahlung und Einhaltung des Mindestlohns für Saisonarbeiterinnen und – arbeiter in NRW sicherzustellen? Die Arbeitsschutzverwaltung überprüft seit Jahren stichprobenartig die Arbeitsbedingungen bei Erntehelferinnen und -helfern in Nordrhein-Westfalen. Die Arbeitsschutzverwaltung sorgt dafür, dass die bei der Überprüfung festgestellten Arbeitsschutzmängel umgehend abgestellt werden. Die Bezahlung der Vergütung ist in Deutschland grundsätzlich eine privatrechtliche Angelegenheit, d.h. die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer müssen ihre Rechte gegenüber dem Arbeitgeber geltend machen und ggf. vor den Arbeitsgerichten einklagen. Unterstützung können sie ggf. vom Betriebsrat oder – im Falle einer Mitgliedschaft – von der Gewerkschaft erhalten. Für die Prüfung von Verstößen gegen das Mindestlohngesetz sind die Zollbehörden des Bundes (Finanzkontrolle Schwarzarbeit –FKS-) zuständig. Werden die Bezirksregierungen als Arbeitsschutzverwaltung bei ihren Betriebsprüfungen auch auf Anhaltspunkte für Verstöße gegen das Mindestlohngesetz aufmerksam, melden sie diese an die Zollbehörden. Mit dem Ziel eines Erfahrungsaustauschs zur Einhaltung der Mindestlohnvorschriften in Nordrhein-Westfalen hat die Landesregierung 2017 eine Gesprächsreihe mit den Tarifpartnern und öffentlichen Stellen (z.B. Finanzkontrolle Schwarzarbeit) abgehalten. Darüber hinaus fördert die Landesregierung im Rahmen der ESF-kofinanzierten Landesarbeitspolitik das Projekt „Arbeitnehmer-freizügigkeit gestalten“. Im Rahmen dieses Projekts bietet „Arbeiten und Leben e.V“. gemeinsam mit den Gewerkschaften eine Beratung und Information von Osteuropäern, die u.a. auch als Saisonarbeiterinnen und -arbeiter im Obst- und Gemüsebau in NRW tätig sind, an. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/3790 4 5. Wie muss sich die Erntearbeit in Nordrhein-Westfalen aus Sicht der Landesregierung perspektivisch in den nächsten Jahren weiterentwickeln, um in den kommenden Jahren einen Engpass an Saisonarbeitskräften in der Landwirtschaft zu vermeiden? Die Planung, Organisation und Durchführung von Erntearbeiten obliegt den Betrieben der Landwirtschaft und des Gartenbaus. Zur Vermeidung von Engpässen bei der Erledigung von Erntearbeiten stehen den Betrieben verschiedene Optionen zur Verfügung, deren jeweilige Vorzüglichkeit aus Sicht des einzelnen Betriebes zu prüfen und zu entscheiden ist (z.B. verstärkte Mechanisierung von Arbeitsschritten, Umstellung auf Kulturverfahren mit geringerem Arbeitszeitbedarf, Verzicht auf arbeitsintensive Kulturen, Anwerbung von studentischen Saisonarbeitskräften aus Drittstaaten, zusätzliche Lohn- oder Sachanreize, Verbesserung von Arbeitsbedingungen z.B. durch Verlegung der Ernteaufbereitung in den Betrieb an Stelle der Aufbereitung auf dem Feld…). Hierbei spielt die Frage, ob sich gestiegene Arbeitserledigungskosten in der Vermarktungskette weitergeben lassen, eine wesentliche Rolle.