LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/3885 12.10.2018 Datum des Originals: 11.10.2018/Ausgegeben: 17.10.2018 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 1502 vom 14. September 2018 des Abgeordneten Frank Sundermann SPD Drucksache 17/3697 Kinderarmut im Kreis Steinfurt Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Nach Schätzung des Deutschen Kinderschutzbundes (DSKB) leben rund 4,4 Millionen Kinder in Deutschland in Armut. Der Trend im Kreis Steinfurt ist ebenfalls besorgniserregend: Fast jedes neunte Kind unter 18 Jahren lebt dort in Armut. Dies ergab eine Studie der Hans-Böckler- Stiftung, die Ende 2017 veröffentlicht wurde. Auch wenn die Kinderarmut im Kreis Steinfurt noch rund 3,9 Prozent unter dem Bundesdurchschnitt liegt, so ist die Quote der Kinder mit SGB II-Bezug in 2011 von 7,6 Prozent auf nun mehr 10,7 Prozent gewachsen. Diese drastische Steigerung gibt Grund zur Sorge. Oftmals sind die Eltern, auch im Kreis Steinfurt, in prekären Beschäftigungsverhältnissen oder sogar erwerbslos. Arme Kinder haben auch immer arme Eltern! In Deutschland werden Kinder als „arm“ definiert, die in einem Haushalt leben, der staatliche Grundsicherungsleistungen empfängt. Laut einer Studie der Bertelsmann Stiftung ist die Armutsrisikoquote bei Alleinerziehenden und Familien mit mehr als zwei Kindern dabei besonders hoch. Arme Kinder sind in ihrer Schullaufbahn benachteiligt. Ihnen fehlt eine adäquate Schulausstattung, die viel zu häufig nur aus gebrauchten Materialien besteht. Wenn sie ein Frühstück dabei haben, ist dies selten eine ausgewogene und gesunde Mahlzeit. (Auch) Die Kosten für das Mittagessen können sich viele dieser Familien nicht leisten. Darüber hinaus können die Kinder an sozialen, kulturellen und sportlichen Angeboten nicht teilnehmen, wodurch sie Nachteile haben und teils ausgegrenzt werden. Die Benachteiligung zieht sich wie ein roter Faden auch durch andere Lebensbereiche, so dass die soziale Herkunft der Kinder ihre persönliche Entwicklung und die gesellschaftliche Teilhabe erschwert. Von einer Chancengleichheit im Sinne gerechter Startbedingungen für das Leben kann hier keine Rede sein. Der DSKB weist daher zurecht seit Jahren darauf hin, dass das Einkommen zwar eine Schlüsselrolle bei der Bewertung von „Armut“ spielt, darüber hinaus aber die daraus folgenden mangelnden Möglichkeiten in den Lebensbereichen LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/3885 2 „Bildung“, „Arbeit“, „Wohnen“, „Gesundheit“, „Freizeit“ und „soziale Netzwerke“ das wahre Ausmaß der Kinderarmut ausmachen. Der DGB Kreisverband Steinfurt fordert daher Lösungen, die die Rahmenbedingungen der Familien verbessern und alle Facetten der Armut betrachten. Der Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales hat die Kleine Anfrage 1502 mit Schreiben vom 11. Oktober 2018 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration sowie der Ministerin für Schule und Weiterbildung beantwortet. 1. Wie hat sich die Kinderarmut in den einzelnen Kommunen des Kreises Steinfurt in den letzten zehn Jahren entwickelt? (Bitte nach Jahr und Kommune) Absolute Zahlen sowie die Mindestsicherungsquote und ihre Entwicklung in den letzten zehn Jahren für die einzelnen 24 kreisangehörigen Kommunen ergeben sich aus den beigefügten tabellarischen Übersichten (Anlagen 1 und 2). 2. Wie haben sich die Maßnahmen aus dem Projekt „Kein Kind zurücklassen“ auf die Situation der Kinderarmut im Kreis Steinfurt ausgewirkt? (bitte mit konkreten Zahlen und Maßnahmen) Der Kreis Steinfurt ist seit 2017 eine von insgesamt 40 Modellkommunen des Programms „Kommunale Präventionsketten“ (ehemals „Kein Kind zurücklassen“). Für das Jahr 2017 erhielt der Kreis Steinfurt im vorigen Jahr eine Zuwendung in Form einer Personalpauschale in Höhe von 29.997,30 Euro aus dem Europäischen Sozialfond (ESF), die seitens des Kreises um den identischen Betrag kofinanziert wird. Die Mittel werden zur Finanzierung einer Personalstelle eingesetzt, die die ämter- und dezernatsübergreifende Zusammenarbeit im Rahmen der Umsetzung der Projektziele des Kreises koordiniert. Für 2018 erhält der Kreis Steinfurt ebenfalls eine Personalpauschale aus dem ESF in entsprechender Höhe. Erst seit 2018 werden überhaupt Landesmittel bereitgestellt, um konkrete Maßnahmen zum Schließen von Lücken in kommunalen Präventionsketten zu bezuschussen (Einzelplan 07, Kapitel 040, Titelgruppe 70). Der Kreis Steinfurt hat die Förderhöchstsumme von 35.000 Euro für eine Maßnahme beantragt, die bewilligt wurde. Sie befindet sich aktuell noch in der Umsetzung. Vor diesem Hintergrund und da kommunale Präventionsketten auf lange Sicht wirken, sind unmittelbare Auswirkungen auf die Kinderarmut im Kreis Steinfurt noch nicht feststellbar. 3. In welchem Umfang wurden Fördermittel zur Bekämpfung der Kinderarmut abgerufen? (nach Art der Fördermaßnahme, in Prozent der verfügbaren Fördermittelsummen, getrennt nach Kommune, nach Leistungsempfänger und nach Schulform) In Bezug auf das Programm „Kommunale Präventionsketten“ wird auf die Antwort zu Frage 2 verwiesen. Im Hinblick auf Fördermöglichkeiten durch den Aufruf „Starke Quartiere – starke Menschen“ (SQsM) wird mitgeteilt, dass Mittel des ESF zum Thema Kinderarmut im Rahmen von SQsM LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/3885 3 von Gemeinden und Städten des Kreises Steinfurt nicht beantragt wurden. Insofern können ESF-Mittel aus dem Kreis Steinfurt auch nicht „abgerufen“ werden. Seit dem Jahr 2015 finanziert das Land Nordrhein-Westfalen mit jährlich rd. 47,7 Mio. Euro das Programm „Soziale Arbeit an Schulen im Rahmen des Bildungs- und Teilhabepakets“. Mit den bereitgestellten Mitteln werden die Kommunen bei der sozialraumorientierten Jugend- und Sozialarbeit unterstützt. Hauptaufgabe der eingesetzten Bildungs- und Teilhabeberaterinnen und -berater ist die Vermittlung von Leistungen des Bildungs- und Teilhabepakets, um die gesellschaftliche und arbeitsmarktliche Integration durch Bildung zu forcieren sowie Bildungsarmut und soziale Exklusion zu verringern bzw. ganz zu vermeiden. Das Landesprogramm, an dem alle nordrhein-westfälischen Kommunen partizipieren, gilt damit als ein Baustein für die gesellschaftliche Integration von finanziell benachteiligten Kindern und Jugendlichen in Nordrhein-Westfalen. Im Jahr 2017 hat der Kreis Steinfurt 317.069,49 EUR aus diesem Landesprogramm erhalten. Dies entspricht dem maximalen Förderbetrag. Mit den Mitteln wurden insgesamt 44 Bildungs- und Teilhabeberaterinnen und - berater mitfinanziert, die an insgesamt 157 Schul- und Bildungseinrichtungen des Kreises Steinfurt eingesetzt waren, etwa die Hälfte davon in Grundschulen. In den Jahren 2015 - 2016 wurden im Rahmen des Programms „NRW hält zusammen…für ein Leben ohne Armut und Ausgrenzung“ im Kreis Steinfurt drei Projekte freier Träger zum Teil überjährig gefördert (in Emsdetten, Lengerich und Ochtrup). Insgesamt wurden Zuwendungen in Höhe von rd. 185.000 Euro gewährt. Zwei weitere Anträge konnten nicht gefördert werden, da die Fördermittel (jährlich 4 Mio. Euro) ausgeschöpft waren. Im Rahmen des Aufrufs „Zusammen im Quartier - Kinder stärken -Zukunft sichern“ liegt bislang ein Antrag eines freien Trägers aus dem Kreis Steinfurt vor. 4. Welche Gründe sieht die Landesregierung, warum vorhandene Mittel aus Programmen und Förderungen zur Bekämpfung der Kinderarmut nicht abgerufen werden? Die Entscheidung über die Teilnahme an Landesförderprogrammen obliegt der kommunalen Selbstverwaltung der Kommunen. Dies gilt ebenso für eine Beteiligung freier Träger, soweit sie antragsberechtigt sind. Gemeinden und Städte aus dem Kreis Steinfurt haben sich am Aufruf „Starke Quartiere – starke Menschen“ bisher nicht beteiligt. Beim Landesprogramm „Soziale Arbeit an Schulen im Rahmen des Bildungs- und Teilhabepakets“ wurden alle zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel durch den Kreis Steinfurt im Jahr 2017 abgerufen. 5. Welche kurzfristigen und langfristigen Maßnahmen erwägt die Landesregierung, um die Kinderarmut im Kreis Steinfurt zu senken? Die Landesregierung wird Prävention (zur Bekämpfung der negativen Folgen von Kinderarmut) flächendeckend und nachhaltig stärken. Der Haushaltsentwurf 2019 enthält für den Aufbau kommunaler Präventionsketten (Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration) zusätzliche Mittel. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/3885 4 Der Aufbau kommunaler Präventionsketten kann sich erst mittel- und langfristig auf die Entwicklung der Kinderarmutsquote auswirken, da er beim Kind selbst ansetzt und nicht an der Einkommenssituation der Eltern. Das Landesprogramm „Soziale Arbeit an Schulen im Rahmen des Bildungs- und Teilhabepakets“ (Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales) wurde frühzeitig bis zum Ende des Jahres 2020 verlängert. Vorbehaltlich der Zustimmung durch den Landtag ist für den Haushalt 2019 überdies geplant, die Finanzierung des Landesprogramms bis zum Jahr 2022 einschließlich sicherzustellen, um den Kommunen weitere Planungssicherheit auf diesem Gebiet zu ermöglichen und dadurch den Kindern und Jugendlichen weiterhin Unterstützungsmöglichkeiten zu bieten. Auch wenn sich der Lebensstandard von Kindern im untersten Einkommensbereich der Gesellschaft befindet, darf dies keine Ausgrenzung nach sich ziehen. Schulsozialarbeit sowie Leistungen zur Bildungs- und Teilhabe können hier kompensatorisch wirken. Schulsozialarbeit versteht sich auch als ein Handlungsfeld der Jugendhilfe. Über die genaue Anzahl der Schulsozialarbeiter/innen im kommunalen Dienst liegen dem Schulministerium keine Informationen vor. Das Land wertschätzt den hohen Stellenwert der Sozialarbeit an Schulen. Deshalb stellt auch das Ministerium für Schule und Bildung in Ergänzung der kommunalen Schulsozialarbeit landeseigene Stellen für die Beschäftigung von Fachkräften für Schulsozialarbeit zur Verfügung, die unbefristet und dauerhaft finanziell gesichert sind: Mit dem Haushalt 2018 wurden mit Beginn des Schuljahres 2018/2019 ab dem 1. August 2018 insgesamt 968 Stellen für die Schulsozialarbeit und den Bereich der Integration bereitgestellt. Die Landesstellen unterteilen sich in 482 Tarifstellen für Fachkräfte für Schulsozialarbeit (Gesamtschulen: 345 Stellen, Sekundarschulen: 124 Stellen, Gemeinschaftsschulen: zehn Stellen, Realschulen: drei Stellen), die aus dem Ganztagszuschlag der Schulen finanziert werden. Außerhalb des Ganztagszuschlags wurden als Mehrbedarf 250 Planstellen für Hauptschulen und zehn Planstellen für Förderschulen bereitgestellt, die auch für sozialpädagogische Kräfte geöffnet sind. Jede Schule kann je nach Schulgröße bis zu zwei Lehrerstellen in Stellen für Schulsozialarbeit umwandeln. Voraussetzung ist, dass die Erteilung des Unterrichts gemäß Stundentafel gewährleistet ist. Die Kommunen stellen in der Regel in gleicher Höhe Stellen für die Schulsozialarbeit zur Verfügung („Matching-Verfahren“). An Schulen mit gebundenem Ganztag sind Stellen bzw. Stellenanteile aus dem Ganztagszuschlag in Anspruch zu nehmen. Schulen ohne Ganztag, z.B. Berufskollegs, können reguläre Lehrerstellen dafür verwenden. Aktuell werden landesseitig 350 Lehrerstellen für den Einsatz sozialpädagogischer Fachkräfte in Schulen genutzt (RdErl. v. 23. Januar 2008 „Beschäftigung von Fachkräften für Schulsozialarbeit in NRW.“). Weitere Fördermöglichkeiten im Rahmen von Schulsozialarbeit: Das Programm „Geld oder Stelle“ zur Kapitalisierung von Lehrerstellen im Ganztag gibt mit Anstellungsträgerschaft bei der Kommune oder den freien Trägern ebenfalls Möglichkeiten zur Finanzierung von Schulsozialarbeit durch das Land. Schließlich haben die Kommunen Schulsozialarbeit aufund ausgebaut. Die Kommunen haben vielerorts Träger der freien Jugendhilfe als Anstellungsträger beauftragt. Mit dem aktuellen Programmaufruf „Zusammen im Quartier - Kinder stärken - Zukunft sichern“ (Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales) wurde darüber hinaus ein Förderprogramm gegen Kinderarmut aufgelegt, in dessen Mittelpunkt einkommensarme Kinder, Jugendliche LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/3885 5 und ihre Familien stehen, die in benachteiligten Quartieren leben. Ihre Teilhabechancen sollen verbessert werden, denn sie sind besonders von Armut und Ausgrenzung betroffen. Bausteine des Aufrufs sind die Förderung qualifizierter Bezugspersonen im Quartier, Maßnahmen für gesundes Aufwachsen sowie Aktivitäten zur Implementierung von Sozialplanungsprozessen in Gemeinden. Über den Programmaufruf werden jährlich acht Millionen Euro aus Landes- und ESF-Mitteln zur Verfügung gestellt. Antragsberechtigt sind juristische Personen mit Sitz in Nordrhein-Westfalen. Hierzu zählen neben den Gebietskörperschaften auch Träger der freien Wohlfahrtspflege sowie weitere Akteure, die für das Quartier aktiv sind.