LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/4005 16.10.2018 Datum des Originals: 16.10.2018/Ausgegeben: 22.10.2018 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 1495 vom 13. September 2018 des Abgeordneten Norwich Rüße BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 17/3677 Wie ist die Bilanz von Kanalnetzübernahmen in NRW? Vorbemerkung der Kleinen Anfrage In § 52 Abs. 2 Landeswassergesetz (LWG) NRW ist geregelt, dass eine Stadt bzw. Gemeinde, die gemäß § 53 LWG Mitglied eines Wasserverbandes ist, ihre Abwasserbeseitigungspflicht für das gesamte Gemeindegebiet auf den Wasserverband mit dessen Zustimmung übertragen kann. Diese sogenannte Kanalnetzübernahme von Städten und Gemeinden durch Wasserverbände hatte der Landesgesetzgeber im Jahr 2007 durch eine Änderung des Wasserverbandsgesetzes verboten. Im Zuge der Novellierung des Landeswassergesetzes im Jahr 2016, hat der Landtag NRW dieses Verbot aufgehoben und eine neue Rechtsgrundlage zur Kanalnetzübernahme geschaffen. Die Kanalnetzübernahme ist keine Pflicht, daher besteht seitens der Wasserverbände kein Recht diese einzufordern. Viele Akteure, wie beispielsweise der Städte- und Gemeindebund, raten von einer Kanalnetzübernahme tendenziell eher ab, zumal viele prozess- und vergaberechtliche Fragen nach wie vor ungeklärt scheinen. Die Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz hat die Kleine Anfrage 1495 mit Schreiben vom 16. Oktober 2018namens der Landesregierung im Einvernehmen mit der Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung beantwortet. Vorbemerkung der Landesregierung Das Landeswassergesetz Nordrhein-Westfalens (LWG NRW) mit Stand vom 16.07.2016 sieht vor, dass Städte und Gemeinden, die Mitglied eines sondergesetzlichen Wasserverbandes sind, ihre Pflicht zum Sammeln und Fortleiten von Abwasser dem sondergesetzlichen Wasserverband übertragen können. Nach dem Wortlaut des Gesetzes handelt es sich um ein zweistufiges Verfahren: LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/4005 2 1. Prüfung des Nachweises der Kommune über den Investitionsbedarf zur Sanierung und über die zeitliche Abfolge der erforderlichen Maßnahmen durch die Bezirksregierung als zuständige Wasserbehörde 2. Verbandsrechtliche Genehmigung durch das Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft, Natur-und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen Zur Konkretisierung und Vereinheitlichung der 1. Stufe – Prüfung durch die Bezirksregierung - wurde ein Leitfaden zum Nachweisverfahren gemäß § 52 Abs. 2 LWG NRW anhand des ersten anhängigen Falles (Stadt Schmallenberg) erarbeitet. Der Leitfaden wurde dem Landtag zur Kenntnis gegeben (17/1045 vom 06.09.2018). Ein wesentlicher Bestandteil der Prüfung des Nachweises durch die Bezirksregierungen ist der Zustand des Netzes beim Pflichtenübergang, der eine aktuelle Momentaufnahme darstellt. Dieser stellt nach aktuellem Kenntnisstand die Basis für notwendige Maßnahmen nach der Selbstüberwachungsverordnung Abwasser dar und bildet gleichzeitig die fachliche Grundlage für Strategien zur Substanzerhaltung des Netzes, unabhängig von dem Pflichtenträger. Der zweite Aspekt der Prüfung durch die Bezirksregierungen ist die Ermittlung des (Rest-)Buchwerts des Wiederbeschaffungszeitwertes. Mit dem Nachweisverfahren wird der kalkulatorische Wert des zu übertragenden Kanalisationsnetzes basierend auf haltungsscharfer Betrachtung zu einem bestimmten Zeitpunkt ermittelt. Es handelt sich dabei um eine Momentaufnahme nach den von der Kommune gewählten Abschreibungszeiten. 1. Wie viele Fälle von Kanalnetzübernahmen durch Wasserverbände wurden in NRW seit 2016 abgewickelt? Bitte abgeschlossene, geplante und sich in Verhandlungen befindende Kanalnetzübernahmen benennen. Da die Bezirksregierungen zunächst Ansprechpartner der Kommunen für Anträge nach § 52 Abs. 2 LWG sind, erfolgte eine aktuelle Abfrage. Seit 2016 wurde lediglich das Verfahren der Stadt Schmallenberg (Übertragung auf den Ruhrverband) abgewickelt. Die Bezirksregierung Arnsberg hat zum vorgelegten Nachweis am 16.08.2017 Stellung genommen, das MULNV die verbandsrechtliche Genehmigung am 31.08.2017 erteilt. Ein Antrag der Gemeinde Nordkirchen (auf Übertragung an den Lippeverband) ist in Kürze zu erwarten. Dort gab es bereits mehrere Vorbesprechungen der Gemeinde mit der Bezirksregierung Münster, um die Antragsunterlagen konform zum Leitfaden zu erstellen. Weitere Fälle sind noch in einem frühen Stadium: Die Bezirksregierungen Münster und Köln berichten jeweils von einem Fall, in dem die Gemeinde eine Übertragung des Kanalnetzes prüfen bzw. vorbereiten soll. Der Bezirksregierung Arnsberg liegt eine mündliche Information vor, dass eine weitere Kommune eine Übertragung auf den Ruhrverband plant. Der Bezirksregierung Münster ist bekannt, dass der Lippeverband und die Emschergenossenschaft auch mit etlichen anderen nicht näher benannten Kommunen Gespräche führen. Auch bei den anderen Bezirksregierungen dürften die Informationen über Aktivitäten im Vorstadium unvollständig sein. 2. Wie wird im Fall einer Kanalnetzübernahme die Wertmäßigkeit eines Abwassernetzes festgelegt? Bitte Bezug nehmen auf den konkret vorliegende Fall der Gemeinde Nordkirchen, bei dem der Verband nicht nur den Substanzwert, LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/4005 3 sondern auch einen gewinnorientierten Ertragswert zahlt, obwohl der Verband als Non-profit-Organisation aufgestellt ist. Die grundsätzliche Entscheidung, ob ein Kanalnetz übertragen bzw. übernommen werden soll, treffen beide Beteiligten im Rahmen ihrer jeweiligen Selbstverwaltungshoheit. Das Verfahren erfolgt nach § 52 Abs. 2 LWG NRW. Außerdem werden zwischen Gemeinde und Verband Ausgleichsbeträge festgelegt, die der Verband für die Nutzungsmöglichkeit des vorhandenen kommunalen Kanalnetzes und für die kommunale Abrechnung des Investitionsaufwandes in Neuinvestitionen nach einer Aufgabenübertragung an die Gemeinde zahlt. Im Fall Nordkirchen gibt es zwei Ausgleichsbeträge: Der erste Ausgleichsbetrag erfolgt für die Nutzung der vorhandenen Abwasseranlagen durch den Verband gegenüber der Gemeinde und berücksichtigt den Substanzwert des kommunalen Kanalnetzes (Restbuchwert des Wiederbeschaffungszeitwerts) sowie den für die Gemeinde aus diesem Substanzwert resultierenden Ergebnisbeitrag zum kommunalen Haushalt. Dieser Ergebnisbeitrag zum kommunalen Haushalt resultiert aus dem vom OVG Münster anerkannten Recht der Gemeinde, auf den Substanzwert kalkulatorische Zinsen und kalkulatorische Abschreibungen zu berechnen. Der korrekten Ermittlung des Restbuchwertes des Wiederbeschaffungszeitwerts kommt daher mit Blick auf das Urteil des OVG NRW vom 24.06.2008 (Az. 9 A 373/06) erhebliche Bedeutung zu. Der zweite Ausgleichsbetrag resultiert aus den kalkulatorischen Zinsen und den kalkulatorischen Abschreibungen auf die Neuinvestitionen, die nach einer Aufgabenübertragung vom Verband durchgeführt werden. Als Beitragsbestandteil des Verbandes werden sie nach Auskunft des Lippeverbands in der Gebührenkalkulation der Kommune berücksichtigt. 3. Wie wird das Kriterium der Wirtschaftlichkeit – insbesondere für die im Versorgungsgebiet betroffen Kommunen und deren Bürgerinnen und Bürger - bei einer Kanalnetzübernahme überprüft? Die Wirtschaftlichkeit bei der Kanalnetzübernahme wird von einem von der Kommune beauftragten Wirtschaftsprüfer geprüft und bestätigt. Die Gemeinde und der sondergesetzliche Wasserverband sind Selbstverwaltungskörperschaften und treffen ihre Entscheidungen über ein Vorgehen nach § 52 Absatz 2 LWG im Rahmen ihrer gemeindlichen bzw. verbandlichen Selbstverwaltungskompetenz. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/4005 4 4. Welcher Behörde obliegen die dauerhafte Aufsicht und die Prüfung der Rechtmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit von aus den Übernahmeverträgen resultierenden Beitragszahlungen der Gemeinden an die Verbände? Die Beitragszahlungen der Gemeinde begründen sich durch ihre Mitgliedschaft sowie die gesetzlichen Beitragsregelungen, hier nach §§ 25 ff Lippeverbandsgesetz, die durch Veranlagungsregeln ausgestaltet werden. Im Falle einer Kanalnetzübernahme nach § 52 Absatz 2 LWG rechnet der Wasserverband seinen Aufwand als Sonderinteresse separat gegenüber der Gemeinde ab. Die Rechtmäßigkeit dieser Beiträge kann jedes Mitglied eines sondergesetzlichen Wasserverbandes in einem Widerspruchsverfahren überprüfen lassen und bei Erfolglosigkeit des Widerspruchs einer gerichtlichen Kontrolle unterziehen. Der Verband selbst unterliegt der Rechtsaufsicht durch das Umweltministerium (hier § 34 LippeverbandsG). Die Aufsicht stellt sicher, dass die Verbandstätigkeit nach geltendem Recht und im Einklang mit den wasserwirtschaftlichen Zielsetzungen des Landes erfolgt. Die Überwachung der Beitragszahlungen der Gemeinden an die Verbände unterfällt der Selbstverwaltungskompetenz und obliegt nicht der Verbandsaufsicht. Darüber hinaus ist in § 16 (Prüfungswesen) der Satzung des Lippeverbandes zu § 24 Abs. 2 LippeVG eine Prüfung des Verbandes durch externe Prüfer, Rechnungsprüfer aus den Reihen der Mitglieder und einer internen unabhängigen Prüfstelle geregelt. Im Hinblick auf die Pflichtenübertragung nach § 52 Abs. 2 LWG sieht das Kommunalrecht keine Anzeige- oder Genehmigungsverfahren im Zuständigkeitsbereich der allgemeinen Kommunalaufsicht vor. 5. Die Landesregierung hat bereits eine Novellierung des Landeswassergesetzes für das folgende Kalenderjahr angekündigt. Ist die Abschaffung von § 52 LWG Bestandteil dieser Novellierung? Nein, eine Änderung bzw. Streichung des § 52 Absatz 2 LWG ist im Rahmen dieser Novellierung nach aktuellem Stand nicht beabsichtigt.