LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/4010 18.10.2018 Datum des Originals: 18.10.2018/Ausgegeben: 23.10.2018 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 1544 vom 25. September 2018 der Abgeordneten Ellen Stock und Jürgen Berghahn SPD Drucksache 17/3781 Blühstreifen – ein Erfolgsmodell oder eher Todesstreifen für Insekten? Vorbemerkung der Kleinen Anfrage „NRW schützt die Insekten nicht“, so titelte eine Kolumne der Rheinischen Post im Juli 2018. Das dramatische Insektensterben, welches im vergangenen Jahr durch die alarmierenden Zahlen eines Projekts des Entomologischen Vereins Krefeld bestätigt wurde, scheint bei der Landesregierung keine große Rolle zu spielen. Die Zahlen allerdings sind wirklich erschreckend: Innerhalb von 27 Jahren sammelten sich rund 75 Prozent weniger Insekten in den aufgestellten Fallen an. Damit sind die Artenvielfalt und unser Ökosystem massiv bedroht– und damit auch die Lebensgrundlage der Menschen und der landwirtschaftlichen Produktion. Denn unsere Landwirtschaft ist auf die Bestäuber angewiesen. Konsequenterweise wurden dann auch im Frühjahr 2018 die gefährlichen Neonicotinoide EUweit verboten, welche hauptsächlich für das Bienensterben verantwortlich gemacht werden. Aber auch intensive landwirtschaftliche Nutzung und dadurch resultierende mangelnde Futterund Rückzugorte sind eine Ursache für den katastrophalen Verlust von Insekten. Waren Saumbiotope in der Vergangenheit normal und von der Landwirtschaft gewünscht, so sind diese Bereiche durch die Intensivlandwirtschaft „unter den Pflug gekommen.“ Das Land NRW fördert als eine der kargen Maßnahmen gegen das Insektensterben seit einigen Jahren die Anlage von Blühstreifen an landwirtschaftlich bewirtschafteten Flächen. Förderfähig ist die Anlage von Blüh- und Schonstreifen oder Blüh- und Schonflächen auf jeweils denselben oder jährlich wechselnden Acker- und Dauerkulturflächen des Betriebes durch die Einsaat von vorgeschriebenen Saatgutmischungen. Auf den Blüh- und Schonstreifen oder Blüh- und Schonflächen dürfen keine Pflanzenschutzmittel ausgebracht werden, außer Pflegemaßnahmen und etwaigen Nachsaaten keine anderweitigen Bearbeitungsmaßnahmen durchgeführt werden und sie dürfen, außer für die genannten Maßnahmen, nicht befahren werden. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/4010 2 Der Internetauftritt des NRW-Umweltministeriums erläutert zur Förderung von Agrarumweltmaßnahmen: „Die Fördermaßnahmen werden laufend evaluiert, das heißt auf ihre Wirksamkeit überprüft. Die Evaluierung ist nicht nur wichtig, um den Erfolg der Förderung zu belegen, sondern auch um daraus Schlussfolgerungen für die künftige Weiterentwicklung zu ziehen. Grundlage ist eine intensive Datenerhebung und -analyse.“ Die Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz hat die Kleine Anfrage 1544 mit Schreiben vom 18. Oktober 2018 namens der Landesregierung beantwortet. 1. Wie groß ist die Fläche der geförderten Blühstreifen und -flächen in NRW im Vergleich zur gesamten landwirtschaftlichen Nutzfläche? Bitte a) als Gesamtfläche und b) nach Regionen aufführen. Der Umfang der im Jahr 2018 geförderten Blühstreifen geht aus der nachfolgenden Übersicht hervor. Zu Grunde gelegt sind dabei alle Flächen, für die in 2017 ein Auszahlungsantrag gestellt wurde und bei denen im Rahmen der Agrarumweltmaßnahme „Anlage von Blüh- und Schonstreifen“ und des Vertragsnaturschutzes blütenreiche Saatmischungen eingesät wurden. Solche Flächen werden auch als Schon- und Schutzstreifen bzw. Schon- und Schutzflächen bezeichnet. Der Anteil der Blühstreifen an der Ackerfläche ist regional unterschiedlich und liegt zwischen 0,07 % (Kreisstellen Kleve, Wesel) und 0,92 % (Kreisstelle Steinfurt). LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/4010 3 2. Welches sind die auf der Basis der ständigen Evaluation und der intensiven Datenanalyse gewonnenen Erfahrungen der Landesregierung mit den seit 2010 geförderten Blühstreifen in NRW? Zu den Blühstreifen im Sinne der Fragestellung gehören ein- und mehrjährig angelegte Blüh– , Schon- und Schutzstreifen sowie entsprechende –flächen, die mit unterschiedlichsten Saatmischungen auf verschiedenen Standorten angelegt werden. Das Erscheinungsbild von Blühstreifen in der Landschaft ist insofern sehr heterogen. Ca. 90 % der Blühstreifen verbleibt, einmal angelegt, während der fünfjährigen Verpflichtungszeit an gleicher Stelle, die übrigen werden an gleicher oder anderer Stelle neu angelegt. Zu den Erfahrungen gehört: Blühstreifen sind landwirtschaftliche Flächen, die zeitlich befristet aus der Produktion genommen sind. Auf ihnen werden keine Hauptkulturen zur Ernte angebaut, sondern Pflanzenarten eingesät (i.d.R. mindestens 12 verschiedene), die das Blütenangebot in der Agrarlandschaft erhöhen. Die Förderung dieser Agrarumweltmaßnahme hat eine hohe Akzeptanz in der Landwirtschaft. Ein Ergebnis der Evaluation ist u.a., dass die Blühstreifen die Nahrungs- und Habitatgrundlagen für viele Offenlandarten (z.B. Insekten, Feldvögel) verbessern helfen und eine positive lokale Wirkung für die Biodiversität haben. 3. Wie beurteilt die Landesregierung auf der Basis der ständigen Evaluation und der intensiven Datenanalyse ihres Förderprojekts die Wirksamkeit von Blühstreifen zum Erhalt der Insekten, Vogelwelt und Amphibien, vor allem im Vergleich zu größeren Verbundflächen? Siehe auch Antwort zu Frage 2. Mithilfe standortangepasster Saatmischungen entstehen über die Vegetationsperiode hinweg Nahrungs- und Vermehrungsflächen für eine Vielzahl blütenbesuchender Insekten. Die Bestäubungsleistung wird erhöht und Gegenspieler von Kulturschädlingen werden gefördert. Zusätzliche Strukturen und Übergänge zu ökologisch wichtigen Bereichen (bspw. zu Waldrändern und Hecken, Feldrainen und Böschungen) Förderung von Blühstreifen in NRW im Jahr 2018 (Auszahlungsantrag 2017) Region = Kreisstellen der Landwirtschaftskammer NRW Geförderte Blüh-, Schon- und Schutzstreif en gesamt in ha Ackerfläche in ha Kreisstellen Rhein-Erft, Rhein-Kreis Neuss, Rhein-Sieg 296 94.451 Kreisstellen Aachen, Düren, Euskirchen 606 80.966 Kreisstellen Heinsberg, Viersen 96 60.030 Kreisstellen Kleve, Wesel 60 82.501 Kreisstellen Oberberg. Kreis, Rheinisch-Berg. Kreis, Mettmann 94 24.368 Kreisstelle Borken 88 75.974 Kreisstellen Coesfeld, Recklinghausen 369 87.274 Kreisstellen Hochsauerlandkreis, Olpe, Siegen- Wittgenstein 39 21.017 Kreisstellen Minden-Lübbecke, Herford-Bielefeld 317 79.661 Kreisstellen Höxter, Lippe, Paderborn 1.002 146.637 Kreisstellen Märkischer Kreis/Ennepe-Ruhr, Ruhr-Lippe 294 49.615 Kreisstelle Soest 506 63.030 Kreisstelle Steinfurt 794 86.062 Kreisstellen Gütersloh, Münster, Warendorf 797 130.373 Gesamt 5.359 1.081.960 LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/4010 4 werden geschaffen und damit die Ausstattung der oft strukturarmen Agrarlandschaft mit Schutz-, Brut- und Rückzugsflächen für Vögel und andere Wildtiere sowie die Vernetzung von deren Lebensräumen verbessert. Hinweise auf die Wirksamkeit der Blühstreifen auf Amphibien liegen der Landesregierung nicht vor. Der Vorteil von Blühstreifen im Vergleich zu größeren Blühflächen besteht darin, dass über streifenförmige Strukturen eine stärkere Verteilung in der Agrarlandschaft erfolgt und dies insbesondere solchen Arten mit einem geringen Aktionsradius (z.B. Laufkäfer, Spinnen, bestimmte Fluginsekten) die Chance bietet, die Blühstreifen für sich zu nutzen und von hier aus andere Lebensräume zu besiedeln. Diesem Umstand wird auch bei der Bewertung sogenannter „Ökologischer Vorrangflächen“ im Rahmen der EU-Agrarförderung Rechnung getragen, indem streifenförmige Strukturen mit einem höheren Faktor bewertet werden. 4. Wie wird sichergestellt, dass die schmalen Blühstreifen entlang der intensivlandwirtschaftlich genutzten Felder nicht durch Sprühnebel von Spritzmitteln zu Todesstreifen für Insekten werden? Eine der Voraussetzungen bei der Förderung der Anlage von Blühstreifen ist es, die Blühstreifen in einer Breite von mindestens 6 m anzulegen; in der Praxis trifft man häufig sogar doppelt so breite Blühstreifen an. Diese Konzeption trägt entscheidend mit dazu bei, dass etwaige ungewollte Auswirkungen von Pflanzenschutzmaßnahmen auf benachbarten Ackerflächen auf den äußersten Randbereich der Blühstreifen begrenzt bleiben und dieser von Insekten wieder schnell besiedelt wird. Darüber hinaus ist darauf hinzuweisen, dass es nur bei einem quantitativ untergeordneten Teil der stattfindenden Pflanzenschutzmittel- Anwendungen auf landwirtschaftlichen Flächen zu einer zeitlichen Koinzidenz mit der Anwesenheit blütenbesuchender Insekten kommt. 5. Welche Gründe hat es, dass Blühstreifen meist schon nach 2 Jahren lediglich mit Gräsern und Brennnesseln bewachsen sind und keine bis wenige Blüten übrig bleiben? Für die Anlage von Blüh- und Schonstreifen sowie für Einsaatbrachen im Rahmen des Vertragsnaturschutzes stehen derzeit vier verschiedene Varianten an Saatmischungen aus insgesamt mehr als 50 Pflanzenarten zur Verfügung. Drei dieser Saatmischungen enthalten Gräser mit unterschiedlich hohen Anteilen. Sie sorgen dafür, dass unerwünschte „Unkräuter“, wie Brennnessel oder Disteln, unterdrückt werden. In Abhängigkeit der gewählten Saatmischung, der Standortbedingungen und der weiteren Handhabung und Pflege entwickeln sich die Flächen während des fünfjährigen Verpflichtungszeitraums sehr unterschiedlich. Dabei können steigende Grasanteile im Aufwuchs den Blühaspekt überprägen. Um den Blühaspekt zu verstärken, haben die Landwirtinnen und Landwirte die Möglichkeit, Nachsaaten vorzunehmen oder die Blühstreifen an gleicher oder anderer Stelle ganz neu anzulegen. Unabhängig davon schaffen auch ungenutzte Grasstreifen („Schonstreifen“) wertvolle Strukturen in der Agrarlandschaft, z.B. als Bruthabitat für Vögel oder Rückzugsraum für Wild.