LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/4091 02.11.2018 Datum des Originals: 31.10.2018/Ausgegeben: 06.11.2018 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 1498 vom 17. September 2018 des Abgeordneten Guido van den Berg SPD Drucksache 17/3689 Wäre ein Kohleausstiegs-Gesetz überhaupt verfassungsgemäß? Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Im Umfeld der aktuell tagenden Kommission für Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung der Bundesregierung wird immer wieder von Lobby-Institutionen eine Notwendigkeit für ein Gesetz zum Ausstieg aus der Kohlennutzung in Deutschland behauptet. Die Interessengruppen versuchen dabei eine Analogie vom Atomausstieg auf die Kohle zu übertragen. Fraglich erscheint, ob die extreme Schadensfallrisiken und eine ungeklärte Folgenbewältigung, die Grundlage der Entscheidung zum Kernenergieausstieg waren, auf die Kohlenverstromung übertragen werden können. Fraglich ist dabei insbesondere, ob Treibhausgasemissionen von Kohlenkraftwerken zur Legitimation eines gesetzlich angeordneten Kohlenausstiegs herangezogen werden können, da eine unübersehbare Vielzahl anthropogener Tätigkeiten mit der Freisetzung von Treibhausgasen verbunden ist und somit eine willkürliche Beschränkung des Eigentumsrechtes hierdurch begründbar werden könnte. Ferner erscheint offen, inwieweit der Gesetzgeber bei einer nationalen Klimaschutzgesetzgebung die Wirkungen der europäischen Rahmenbedingungen des bereits bestehenden Emissionshandels mit abzuwägen hat, da hier bereits eine effektive Begrenzung und effiziente Absenkung der CO2-Emissionen in der Europäischen Union durch staatliches Handeln abgesichert wurde. Unklar ist zudem in welcher Dimension ein Kohlenausstieg entsprechende angemessene staatliche Entschädigungsleistungen zugunsten von Kraftwerksbetreiber auslösen müsste, um verfassungskonforme Ausgleiche sicher zu stellen. Der Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie hat die Kleine Anfrage 1498 mit Schreiben vom 24. Oktober 2018 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister der Justiz, der Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz und dem Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten sowie Internationales beantwortet. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/4091 2 1. Welche notwendigen rechtlichen Bedingungen sieht die Landesregierung, um eine vollständige Untersagung der Nutzung wirtschaftlicher Einrichtungen in Einklang mit der verfassungsrechtlichen Eigentumsgarantie von Artikel 14 des Grundgesetzes in Einklang bringen zu können? Nach Art. 14 Absatz 1 Satz 1 GG wird das Eigentum gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt (Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG). Die Eigentumsgarantie schützt vor ungerechtfertigter Einwirkung auf den Bestand geschützter vermögenswerter Güter. Art. 14 GG ist ein sog. Schranken-Grundrecht, d.h., dass erst und nur das durch die Gesetze ausgeformte Eigentum Gegenstand der Eigentumsgarantie und verfassungsrechtlich geschützt ist (Art. 14 Abs. 1 Abs. 2 und Abs. 2 GG – sog. Inhalts- und Schrankenbestimmung). Dem Gesetzgeber steht bei der Ausgestaltung der Eigentumsgarantie ein erheblicher Beurteilungs- und Prognosespielraum zu. Begrenzt wird dieser durch Art. 14 Abs. 1 GG selbst, das Gleichheitsgebot und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Individuelles Eigentum zu entziehen ist ausnahmsweise aus Gründen des Gemeinwohls gegen Entschädigung zulässig, wobei nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Ausstieg aus der Kernenergie die Enteignung konstitutiv einen Güterbeschaffungsvorgang voraussetzt. Ohne einen solchen sind gesteigerte Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit des Eingriffs zu stellen. Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG setzt ein (formelles) Gesetz oder eine Rechtsverordnung (materielles Gesetz) voraus, soweit sich die wesentlichen Entscheidungen aus einem formellen Gesetz selbst ergeben. Alternativ käme eine konsensuale, vertragliche Regelung mit den betroffenen Unternehmen in Betracht. Mithin sind als notwendige rechtliche Bedingungen sowohl (formelle und/oder materielle) Gesetze als auch vertragliche Grundlagen möglich, um einen verfassungskonformen Ausstieg aus der Kohleverstromung zu operationalisieren. 2. Ist die Kohlestromversorgung nach Erkenntnissen der Landesregierung eine Hochrisikotechnologie, die eine Nutzungsuntersagung begründen könnte? Die Landesregierung ist nicht der Ansicht, dass es sich bei der Kohleverstromung um eine im Sinne des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zum Ausstieg aus der Kernenergie mit der Nutzung der Kernkraft vergleichbare Hochrisikotechnologie handelt. 3. Ist nach Erkenntnissen der Landesregierung eine Reduktion von Treibhausgasemissionen ein hinreichender Gemeinwohlgrund, um eine vollständige Entwertung bestehender Eigentumspositionen begründen zu können? Der Klimaschutz als Teil der natürlichen Lebensgrundlagen ist eine sog. Staatszielbestimmung nach Art. 20a GG und nicht zuletzt ist Deutschland als Mitgliedstaat der EU nach dem Pariser Klimaschutzabkommen verpflichtet, einen Beitrag für die Begrenzung der Erderwärmung zu leisten. Aus dem Klimaschutzplan der Bundesregierung ergibt sich hierfür die Vorgabe, die Emissionen aus der Energiewirtschaft zu verringern (s. Einsetzungsbeschluss der Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“). LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/4091 3 Der Klimaschutz wird als hinreichender Gemeinwohlgrund seitens der Landesregierung gewertet, um einen früheren Ausstieg aus der Kohleverstromung zu prüfen, soweit sich dieser energiepolitisch, sozialverträglich und strukturpolitisch verträglich operationalisieren lässt. 4. Wie bewertet die Landesregierung verfassungsrechtlich ein nationales gesetzgeberisches Klimaschutzziel vor dem Hintergrund der Existenz und der Funktionsfähigkeit des bereits bestehenden europäischen Emissionshandelssystems? Die für die 4. Handelsperiode des Emissionshandels (2021-2030) geltende EU-Richtlinie ist in Art. 12 Abs. 4 gegenüber der derzeit geltenden Richtlinie dahingehend ergänzt worden, dass Mitgliedstaaten im Fall der Stilllegung von Stromerzeugungskapazitäten in ihrem Hoheitsgebiet aufgrund zusätzlicher nationaler Maßnahmen Zertifikate bis zur Höhe der Durchschnittsmenge der Emissionen der betreffenden Anlage während eines Zeitraums von fünf Jahren vor der Stilllegung löschen können. 5. Wären bei zu gewährenden angemessenen Entschädigungsleistungen des Staates nach Rechtseinschätzung der Landesregierung die Amortisation der in Kraftwerke geflossenen Investitionen oder der Wert des gesamten amortisierten Anlageneigentums zum Zeitpunkt der Nutzungsuntersagung anzusetzen? Die Frage welche Betrachtung für eine etwaige Entschädigungsleistung in Frage kommt, ist zunächst eine betriebswirtschaftliche. Hierbei ist festzustellen, dass für etwaige Ausgleichs- oder Entschädigungsleistungen die Auswirkungen durch die Veränderung des Zeitraums zwischen einem früheren und dem bisher vorgesehenen Ende der Kohleverstromung zu betrachten sind. Nur im berechtigten Vertrauen auf letzteren Zeitpunkt getätigte Investitionen/Maßnahmen kämen für etwaige Ausgleichsoder Entschädigungsleistungen in Betracht. Daraus folgt aber auch, dass der Zeitpunkt, in dem ein berechtigtes Vertrauen in eine zeitlich uneingeschränkte Kohleverstromung nicht mehr fortdauern konnte, für diese Frage maßgeblich ist.