LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/4092 02.11.2018 Datum des Originals: 02.11.2018/Ausgegeben: 07.11.2018 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 1558 vom 5. Oktober 2018 der Abgeordneten Sarah Philipp SPD Drucksache 17/3830 Märchenstunde von Herbert Reul – führt der Innenminister die Öffentlichkeit mit gezielten Fehlinformationen in die Irre? Vorbemerkung der Kleinen Anfrage „Sch… drauf, Räumung ist nur ein Mal im Jahr.“ – Während der tödlich verunglückte Journalist im Hambacher Forst im Sterben lag, sollen Aktivisten in der Nähe des Unfallorts diese Worte lauthals skandiert haben. So berichtete es Innenminister Herbert Reul vergangene Woche im Innenausschuss des nordrhein-westfälischen Landtags. Gleich darauf, nachdem dieses Zitat aus der Sitzung über Twitter verbreitet wurde, widersprachen allerdings Aktivisten und Journalisten dieser Darstellung. So schrieb die freie Journalistin Anett S.: „Was @hreul da behauptet, ist nicht wahr. Ich war da, im Gegensatz zu ihm. Ich habe gesehen und gehört, was passiert ist. Besetzer haben „Mörder“ geschrien und geweint, sind ohne Rücksicht auf mögliche Polizeimaßnahmen herbeigekommen, und auf die Knie gesunken. #HambacherForst“ (Quelle: Twitter, @anettselle vom 27. September 2018) Laut Twitter sagte das Innenministerium auf Nachfrage eines Journalisten, der Satz des Ministers resultiere aus einer dienstlichen Erklärung von sieben Polizeibeamten der 7. Hundertschaft aus Essen, die diese am 21. September 2018 gemacht hätten. Obwohl im Nachgang zur o.g. Sitzung des Innenausschusses bei Twitter weiter deutliche Kritik am dargestellten – vor allem räumlichen – Zusammenhang der zitierten Formulierung mit dem schrecklichen Ereignis geäußert und sogar ihr Wahrheitsgehalt infrage gestellt worden war, wiederholte Innenminister Reul die Sätze nur zwei Tage später ohne jede Einschränkung oder erläuternde Einordnung im Interview mit der Rheinischen Post: „Wir haben Berichte von Polizeibeamten vorliegen, die in der Nähe des Unglücksortes waren. Darin schildern die Beamten, dass noch während der LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/4092 2 Reanimationsmaßnahmen einige Baumhausbesetzer mehrfach gerufen haben: ,Sch… drauf, Räumung ist nur einmal im Jahr.‘ Das ist für mich unfassbar.“ (Rheinische Post vom 29. September 2018) Das ist insofern verwunderlich, als dass laut Recherchen von Westpol (Sendung vom 30. September 2018) die Polizeisprecherin vor Ort diese Aussage nicht bestätigen konnte und dazu stattdessen wiederum an das Ministerium verwies. Der Minister des Innern hat die Kleine Anfrage 1558 mit Schreiben vom 2. November 2018 namens der Landesregierung beantwortet. 1. Wie genau lautet der Wortlaut des o.g. Einsatzberichts der 7. Hundertschaft aus Essen vom 21. September 2018? 2. Wo genau sind die zitierten Sätze gefallen bzw. wo genau wurden sie gehört? Die Fragen 1 und 2 werden zusammen beantwortet. Der Wortlaut des Einsatzberichtes lautet: „Am 19.09.2018 war der III. Zug der 7. Bereitschaftspolizeihundertschaft (BPH) Essen in Kerpen, Bereich Hambacher Forst, eingesetzt. Der Zug war in die 2. BPH Bochum eingegliedert. Auftrag war u.a. die Überwachung des Baumhauses 4e in dem Aktivistencamp „Cozy-Town". Das Aktivistencamp „Cozy-Town" ist durch einen Waldweg von einem anderen Waldcamp mit diversen Baumhäusern in einer Höhe von ca. 25 Metern getrennt. Dieses trägt den Namen „Beech- Town". Die Häuser in „Beech-Town" sind größtenteils mit hölzernen Hängebrücken verbunden. Gegen 16:00 Uhr befanden sich die unten aufgeführten Beamtinnen und Beamten in der Nähe des Baumhauses 4e. Plötzlich konnten wir ein dumpfes Geräusch vernehmen. Es klang so, als ob ein größerer Gegenstand aus einiger Höhe auf den Waldboden gefallen war. Unmittelbar danach hörten wir lautes Schreien und Rufen. Offensichtlich war eine Person von einem der Baumhäuser im Bereich „Beech-Town" gestürzt. Wir verständigten den bei uns weilenden Notarzt, der sich unmittelbar zu dem Ereignisort begab. Wir verblieben bei den Aktivisten in Baumhaus 4e. Über Funk und durch näher befindliche Kollegen erreichte uns die In-formation, dass eine Person abgestürzt sei und eine Reanimation dieser Person zurzeit stattfinde. Nach ca. 25 Minuten war unsere Informationslage unverändert. Auffällig war, dass in dem Baumhaus mit Handys hantiert wurde, beziehungsweise die Aktivisten telefonierten. Was gesprochen wurde, konnten wir nicht hören. Die Kolleginnen und Kollegen tauschten sich untereinander aus. Insgesamt war die Lage sehr ruhig. Die Stimmung auf Seiten der Polizei war betrübt, geschockt und angespannt, von der Frage beherrscht, ob die gestürzte Person diesen Sturz überleben könnte. Plötzlich stimmten die Aktivisten in dem Baumhaus lautstark an: „Scheiß drauf, Räumung ist nur einmal im Jahr". Dieses wiederholten sie mehrfach. Wir sind uns sicher, dass die Aktivisten um das Geschehen und die lebensbedrohliche Situation wussten. Wir waren fassungslos und wütend, dass die Personen im Baumhaus in LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/4092 3 Anbetracht dieser Situation den Abgestürzten und die Retter derart verhöhnten. Auf unsere Ansprache an die Personen, dass ihr Verhalten unfassbar sei, reagierten die Personen nicht.“ Aus Gründen des Datenschutzes werden die Namen der zwei Unterzeichner und der sieben bestätigenden Polizeibeamtinnen und -beamten hier nicht aufgeführt. 3. Wieso zitiert der Innenminister die Sätze nur mit ungenauer Ortsangabe, aber bewusst in zeitlichem Zusammenhang mit dem tödlichen Unfall? Am Tag nach dem tödlichen Unfall, am 20. September 2018, habe ich mich in der Nähe des Hambacher Forstes mit Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten getroffen, die am Vortag im Umfeld der Unglückstelle im Einsatz waren. Unter dem Einfluss der schrecklichen Ereignisse habe ich mich aus erster Hand über das Geschehen informiert. Meine Äußerung in der eine Woche später stattfindenden Ausschusssitzung, der in Rede stehende Gesang sei von Personen gesungen worden, die sich in einem Baumhaus unmittelbar über der Unglückstelle befunden hätten, entsprach nicht exakt den örtlichen Begebenheiten. Ich bin allerdings der Auffassung, dass die tatsächliche Distanz die Ungeheuerlichkeit des von den Beamten glaubhaft gemachten Gesangs der Baumhausbewohner nicht wesentlich schmälert. Es ging mir bei der Erwähnung des Vorfalls darum, den Abgeordneten des Ausschusses von einem Vorgang zu berichten, der mich selbst sprachlos gemacht hatte. 4. Kann die Landesregierung garantieren, dass diese Sätze tatsächlich gefallen sind? Diese Sätze werden von zwei Polizeivollzugsbeamten in einem dienstlichen Vermerk an das Ministerium glaubhaft beschrieben und von weiteren sieben Polizeivollzugsbeamtinnen und - beamten bestätigt. 5. Wann wurde das Interview von Minister Reul, das in der Rheinischen Post am 29. September 2018 erschienen ist genau autorisiert? Das Interview mit der Rheinischen Post wurde am 28. September 2018 freigegeben.