LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/4093 02.11.2018 Datum des Originals: 02.11.2018/Ausgegeben: 07.11.2018 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 1556 vom 5. Oktober 2018 der Abgeordneten Helmut Seifen und Thomas Röckemann AfD Drucksache 17/3828 Missbrauchsstudie der Deutschen Bischofskonferenz: Ermittlungsbedarf der Staatsanwaltschaften in NRW? Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Am 24.09.2018 wurde die Missbrauchsstudie der Deutschen Bischofskonferenz zum Thema „Missbrauch von Kindern und Jugendlichen durch Kleriker“ veröffentlicht.1 Nunmehr steht fest, dass es sich hier nicht nur um Einzelfälle, sondern um ein strukturelles und systemisches Problem in den Bistümern der Katholischen Kirche handelt. Das dort beschriebene Ausmaß an Verbrechen erschüttert derzeit v.a. die Mitglieder der Katholischen Kirche, aber auch die gesamte Gesellschaft. Der Kriminologe Prof. Dr. Christian Pfeiffer, ehemaliger Justizminister des Landes Niedersachsen, wirft den deutschen Bischöfen mangelnde Transparenz bei ihrer Studie zum Ausmaß des sexuellen Missbrauchs in der katholischen Kirche vor. Es sei nicht zu verstehen, dass den Autoren der Studie kein Zugang zu Originaldokumenten in den Kirchenarchiven eingeräumt worden sei. „Die Bischofskonferenz hat mit dieser Entscheidung ihre eigene Forschung massiv entwertet“, sagte Pfeiffer der Deutschen Presse-Agentur. „Eine Folge davon ist, dass die Wissenschaftler ihre Erkenntnisse nicht den einzelnen Diözesen und den verantwortlichen Bischöfen zuordnen konnten“, kritisierte Pfeiffer. Es sei daher zum Beispiel nicht nachzuvollziehen, wer jeweils einen auffällig gewordenen Priester einfach in eine andere Gemeinde versetzt habe, so wie dies immer wieder vorgekommen sei. Nur volle Transparenz schaffe Vertrauen. Die Studie sei zwar "vorbildlich und exzellent aufgearbeitet", sagte Pfeiffer der "Passauer Neuen Presse" "Aber das Entscheidende fehlt: Wir wissen nicht, wer die Verantwortlichen sind.“2 1 https://www.dbk.de/fileadmin/redaktion/diverse_downloads/dossiers_2018/MHG-Studie-gesamt.pdf. 2 https://plus.pnp.de/ueberregional/politik/3082682_Missbrauchsstudie-Das-Entscheidende-fehlt.html und https://www.katholisch.de/aktuelles/aktuelle-artikel/pfeiffer-erschutterungsrhetorik-der-kirche-uberzeugt-nicht. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/4093 2 Auch die NRW-Bistümer (Aachen, Essen, Köln, Münster und Paderborn) haben inzwischen Opferzahlen veröffentlicht.3. Auch hier bestehen Zweifel, ob diese Zahlen wirklich aussagekräftig sind. Zudem vermögen wir derzeit nicht zu erkennen, welche Kirchenoberen für die Vertuschung solcher Taten durch Versetzungen oder Nichtverfolgung der Täter Verantwortung zu übernehmen und/oder sich gegebenenfalls sogar selbst strafbar gemacht haben. Vor dem Hintergrund der von Prof. Dr. Pfeiffer erhobenen Kritik an der Aufklärungsbereitschaft der Deutschen Bischofskonferenz besteht aus unserer Sicht weiterer dringender Aufklärungsbedarf. Es kann nicht sein, dass der Staat sich eines Tages selbst des Vorwurfes des Staatsversagens aus Gründen einer falsch verstandenen Kirchennähe schuldig macht. Der Minister der Justiz hat die Kleine Anfrage 1556 mit Schreiben vom 2. November 2018 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Ministerpräsidenten, dem Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration sowie dem Minister des Innern beantwortet. 1. Geht der Justizminister derzeit davon aus, dass ein „struktureller und systemischer“ Anfangsverdacht bzgl. des sexuellen Missbrauches an Kindern und Jugendlichen im Bereich der NRW-Bistümer besteht? Der Begriff eines „strukturellen und systemischen“ Anfangsverdachts ist der Strafprozessordnung (StPO) fremd. Im Übrigen obliegt die Prüfung, ob in einem Einzelfall ein Anfangsverdacht nach Maßgabe des § 152 Absatz 2 StPO vorliegt, bundesweit - und auch im Geschäftsbereich des Ministers der Justiz des Landes Nordrhein-Westfalen - ausschließlich den Staatsanwaltschaften, die dabei inhaltlich unabhängig sind. Ihnen - und nicht dem Minister der Justiz - obliegt die Entscheidungshoheit über die Einleitung und Durchführung von Ermittlungen. Vor diesem Hintergrund enthält sich der Minister der Justiz jeglicher - auch mit einer öffentlichen Bewertung von Sachverhalten verbundenen - Einflussnahme auf diesbezügliche staatsanwaltschaftliche Entscheidungen. 2. Sieht der Justizminister sich in der Verantwortung, die zuständigen Staatsanwaltschaften anzuweisen, gegen die bischöflichen Ordinariate in NRW Aufklärungsmaßnahmen anzuordnen? Nein. Die Generalstaatsanwältin in Hamm und der Generalstaatsanwalt in Köln haben dem Ministerium der Justiz berichtet, die zuständigen Staatsanwaltschaften nähmen die Missbrauchsstudie der Deutschen Bischofskonferenz und die begleitend veröffentlichten Zahlen aus den Bistümern zum Anlass, die Einleitung von Ermittlungen zu prüfen. Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 1 verwiesen. 3. Welche staatlichen Maßnahmen können durchgeführt werden, um die Kirche zu einer erhöhten Aufklärungsbereitschaft zu bewegen? Nach geltender Rechtslage gibt es in Deutschland keine allgemeine Pflicht zur Anzeige von Straftaten. Auf eine Anzeigenerstattung gerichtete staatliche Zwangsmaßnahmen gegenüber der Kirche scheiden daher aus. Unabhängig davon sieht die Deutsche Bischofkonferenz in Ziffer 29 ff. ihrer internen „Leitlinien für den Umgang mit sexuellem Missbrauch Minderjähriger 3 https://www.katholisch.de/aktuelles/aktuelle-artikel/missbrauch-das-sind-die-zahlen-aus-den-bistumern. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/4093 3 und erwachsener Schutzbefohlener durch Kleriker, Ordensangehörige und andere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“ eine grundsätzliche Verpflichtung der Ordinariate zur Anzeigenerstattung vor. Dies entspricht den Empfehlungen in den „Leitlinien zur Einschaltung der Strafverfolgungsbehörden“, die der durch die Bundesregierung initiierte Runde Tisch „Sexueller Kindesmissbrauch in Abhängigkeits- und Machtverhältnissen in privaten und öffentlichen Einrichtungen und im familiären Bereich“ im Jahr 2011 unter Beteiligung der Kirchen beschlossen hat. 4. Sieht die Landesregierung die Notwendigkeit, Präventionsmaßnahmen für einen effektiveren Kinder- und Jugendschutz im Raum der katholischen Kirche auf den Weg zu bringen? Zur Wahrnehmung des Schutzauftrags haben die Träger der öffentlichen Jugendhilfe gem. § 8a Abs. 4 SGB VIII Vereinbarungen mit den Trägern von Einrichtungen und Diensten, die Leistungen der Jugendhilfe erbringen, zu schließen. Inhalte sind u. a. Vereinbarungen über die Sicherstellung von Gefährdungseinschätzungen beim Bekanntwerden gewichtiger Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung sowie die beratende Hinzuziehung einer insoweit erfahrenen Fachkraft. Darüber hinaus werden seit Inkrafttreten des Bundeskinderschutzgesetzes im Jahr 2012 durch die Träger der öffentlichen Jugendhilfe Vereinbarungen gem. § 72a Abs. 4 SGB VIII mit den freien Trägern getroffen, die Regelungen zum erweiterten Führungszeugnis für alle haupt-, neben- und ehrenamtlichen Akteure, die regelmäßig Kontakt zu Kindern und Jugendlichen haben, enthalten. Durch Vorlage eines Führungszeugnisses wird zum einen verhindert, dass wegen Sexualdelikten vorbestrafte Personen in der Kinder- und Jugendhilfe tätig sind. Zum anderen müssen durch diese Regelung die freien und öffentlichen Träger mit den betroffenen Akteuren in einen Austausch über sexuellen Missbrauch gehen. Diese vorgenannten Maßnahmen zur Wahrung des Kinderschutzes gelten auch für alle Einrichtungen und Dienste der Jugendhilfe der katholischen Kirche. Gesonderte (Präventions-) Maßnahmen für einzelne Träger der Jugendhilfe sind seitens der Landesregierung nicht geplant. 5. Sieht die Landesregierung die Notwendigkeit, dass gegenwärtige Staatskirchenrechtssystem auf den Prüfstand zu stellen, weil aufgrund dieser Problematik nicht mehr vertretbar erscheint, die katholischen Bischöfe samt der Domkapitel aus dem allgemeinen (!) Staatshaushalt des Landes zu alimentieren (Stichwort: Staatsleistungen an die Kirchen)? Nein. Dem Land Nordrhein-Westfalen obliegen gegenüber der katholischen Kirche und den evangelischen Landeskirchen zahlreiche, auf unterschiedliche Weise begründete Verpflichtungen zur Zahlung der Staatsleistungen. Hierbei handelt es sich in der Regel um Ausgleichsverpflichtungen als Folge von Säkularisation, die in Staatsverträge übernommen wurden und auf welche die Kirchen einen Rechtsanspruch besitzen, oder um gewohnheitsrechtliche Verpflichtungen. Eine direkte Bezahlung von katholischen (Erz- )Bischöfen oder der Domkapitel in Nordrhein-Westfalen durch das Land findet nicht statt.