LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/4095 02.11.2018 Datum des Originals: 02.11.2018/Ausgegeben: 07.11.2018 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 1554 vom 4. Oktober 2018 des Abgeordneten Guido van den Berg SPD Drucksache 17/3821 Wie sieht die Strafverfolgungs-Bilanz der Baumhaus-Räumungen im Hambacher Forst aus? Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Am 01.10.2018 veröffentlichte der Kölner-Stadt-Anzeiger eine Zwischenbilanz des Polizeieinsatzes zur Baumhaus-Räumung im Hambacher Forst. Dem Bericht zu Folge sollen 763 Platzverweise und 41 Betretungsverbote erteilt worden sein. Es seien 437 Menschen festgesetzt, 303 in Gewahrsam genommen und 134 Aktivisten festgenommen worden. Es seien 24 Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte während der Räumungen verletzt und in 51 Fällen mit Fäkalien beworfen worden. Davon sind derzeit 12 Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte nicht dienstfähig. Der Minister des Innern hat die Kleine Anfrage 1554 mit Schreiben vom 2. November 2018 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit der Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung und dem Minister der Justiz beantwortet. Vorbemerkung der Landesregierung Das Polizeipräsidium (PP) Aachen hat die Einsatzmaßnahmen aus Anlass von Vollzugshilfeersuchen der unteren Bauaufsichtsbehörden zur Räumung und Beseitigung von Baumhäusern im Hambacher Forst im Rahmen einer Besonderen Aufbauorganisation (BAO) bewältigt. Die Maßnahmen erfolgten im Zeitraum vom 13. September bis 3. Oktober 2018. Dabei ist zu berücksichtigen, dass das PP Aachen auch die polizeilichen Maßnahmen aus Anlass verschiedener demonstrativer Aktionen in diese BAO integriert hat. 1. Wie viele bzw. welche Strafverfahren sind nach den Festsetzungen, Ingewahrsamnahmen und Festnahmen eingeleitet worden? LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/4095 2 Mit Stand vom 22. Oktober 2018 wurden im Rahmen der Besonderen Aufbauorganisation BAO des PP Aachen im Zeitraum vom 13. September bis zum 3. Oktober 2018 bisher insgesamt 193 Strafverfahren eingeleitet, welche im Zusammenhang mit den Räumungen der Baumhäuser im Hambacher Forst stehen. Die Deliktarten können der nachfolgenden Gesamtübersicht entnommen werden, die nicht abschließend ist, da immer noch weitere Strafanzeigen erfasst werden oder eingehen können. Delikt Anzahl Widerstand gegen und tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamtinnen und -beamte 106 Hausfriedensbruch 15 Landfriedensbruch 3 Sachbeschädigung 7 Diebstahl 1 Gefangenenbefreiung 1 Beleidigung 7 Störung öffentlicher Betriebe 8 Körperverletzungsdelikte 7 Bedrohung 1 Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz 1 Sonstige Delikte1 36 Eine Differenzierung, ob den Strafverfahren Ingewahrsamnahmen oder Festnahmen zu Grunde lagen, erfordert eine händische Auswertung sämtlicher polizeilicher Vorgänge über den angefragten Zeitraum. In der zur Bearbeitung einer Kleinen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit ist eine solche Datenauswertung nicht möglich. Der Leitende Oberstaatsanwalt in Aachen hat zum Sachstand am 10. Oktober 2018 berichtet, seit Beginn der Räumung der Baumhäuser im Hambacher Forst am 13. September 2018 habe seine Behörde 17 Ermittlungsverfahren eingeleitet, in denen der Antrag auf Erlass eines Haftbefehls gegen die jeweils beschuldigte Person gestellt worden sei. Tatvorwurf sei regelmäßig Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, zum Teil verbunden mit tätlichen Angriffen. Mit Ausnahme von zwei weiteren Verfahren, die von der Polizei anlässlich von Straftaten im Zusammenhang mit Protesten gegen die Räumung eingeleitet worden seien, seien im Übrigen bislang noch keine Verfahren an seine Behörde übersandt worden. 2. In wie vielen Fällen sind die Platzverweise und Betretungsverbote mit Identitätsfeststellungen verbunden gewesen? 1 Delikte, die zum Stand der Erhebung noch nicht abschließend klassifizierbar waren, da u. a. eine elektronische Erfassung noch ausstand. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/4095 3 In 41 Fällen ausgesprochener Bereichsbetretungsverbote erfolgten Identitätsfeststellungen. Erfasst wurden darüber hinaus 873 Platzverweise mit der Feststellung von Personalien. 3. Wie viele Bauwerke (bitte nach Baumhäusern, Tripods, Erdlöcher, Tunnelsysteme etc. aufteilen) sind im Zuge der Räumungen beseitigt worden? Insgesamt wurden 86 Baumhäuser geräumt und beseitigt. Die Anzahl aller beseitigter Tripods wurde durch das PP Aachen nicht erfasst; dokumentiert ist eine Beseitigung in 18 Fällen. Das PP Aachen hat darüber hinaus Kenntnis von zwei beseitigten Gruben (unterirdisch vertikale und horizontale Ausdehnung) sowie von einem beseitigten Erdloch (ausschließlich unterirdisch vertikale Ausdehnung). 4. Wie ist der Stand der Ermittlungen im Fall des tödlich verunglücken Journalisten mit Blick auf dem zu prüfenden Einfluss durch den Polizeieinsatz sowie ggf. zu ermittelnden Verkehrssicherungspflichten von Baumhaus-Errichtern? Der Leitende Oberstaatsanwalt in Aachen hat mitgeteilt, anlässlich des tödlichen Sturzes des Journalisten habe seine Behörde ein Todesermittlungsverfahren eingeleitet. Der Journalist sei trotz eingeleiteter Reanimationsmaßnahmen am 19. September 2018 um 17.07 Uhr verstorben. Nach dem zwischenzeitlich vorliegenden Obduktionsergebnis des Instituts für Rechtsmedizin der Uniklinik Köln vom 21. September 2018 sei ein Polytrauma nach Sturz aus großer Höhe todesursächlich gewesen. Der Verstorbene habe zum Unfallzeitpunkt einen Fahrradhelm getragen, auf dem eine aktivierte 360-Grad-Kamera befestigt gewesen sei. Nach Auswertung des darauf befindlichen Videomaterials könne ein unmittelbares Fremdverschulden am Tod des Journalisten, insbesondere durch Polizeibeamte, ausgeschlossen werden. Die Hängebrücke zwischen den Baumhäusern sei schon vor dem Unfall für jeden Nutzer erkennbar beschädigt und für eine Überquerung ersichtlich ungeeignet gewesen. Während der gesamten relevanten Videosequenz sei keine weitere Person im unmittelbaren Umfeld des Verunglückten zu erkennen, die Einfluss auf das Sturzgeschehen hätte nehmen können. Der Verstorbene habe zwar einen Klettergurt nebst Sicherungseinrichtung getragen, habe aber während der gesamten relevanten Filmsequenz keinen Versuch unternommen, die Sicherungseinrichtung einzuhaken, sodass aufgrund der Gesamtumstände eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung in Betracht komme. Zum Unglückszeitpunkt hätten polizeiliche Spezialkräfte versucht, an einem benachbarten Baum einen Demonstranten zu bergen. Ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Bergung und dem Sturzgeschehen sei nicht erkennbar. Sollten sich entgegen den bisherigen Erkenntnissen Anhaltspunkte für eine strafrechtliche Verantwortung Dritter ergeben, werde das Erforderliche veranlasst werden. 5. Welche Verletzungen/Fäkalienattacken und daraus resultierenden Dienstunfähigkeiten haben die Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte während der bisherigen Einsätze im Hambacher Forst erlitten? Insgesamt waren 51 Polizeivollzugsbeamtinnen und -beamte (PVB) von Fäkalienbewürfen betroffen. Hiervon waren 12 für den verbleibenden Ereignistag sowie den Folgetag nicht mehr dienstfähig auch weil Bekleidungs- und Ausrüstungsgegenstände zunächst gereinigt werden mussten. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/4095 4 Im Übrigen wurden während der Einsatzmaßnahmen neun weitere PVB durch Fremdeinwirkung leicht verletzt, wobei zwei hiervon nicht mehr dienstfähig waren, jedoch in den Folgetagen ihren Dienst wieder aufnehmen konnten. Bei den Verletzungen handelte es sich überwiegend um Prellungen und Schürfwunden. Weiterhin wurden im Einsatzverlauf 18 PVB ohne Fremdeinwirkung leicht verletzt, davon waren sechs zunächst nicht mehr dienstfähig.