LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/4133 07.11.2018 Datum des Originals: 06.11.2018/Ausgegeben: 12.11.2018 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 1601 vom 15. Oktober 2018 des Abgeordneten Sven W. Tritschler AfD Drucksache 17/3950 Nach dem Urteil des OVG Münster: Müssen Polizeibeamte nun Angst haben, nichtweiße Personen zu kontrollieren? Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Im November 2013 ist ein dunkelhäutiger Mann am Bochumer Hauptbahnhof durch die Polizei kontrolliert worden. Dagegen klagte der Mann, der den Beamten vorwarf, ihn aufgrund seiner Hautfarbe rassistisch diskriminiert zu haben. Nachdem das Verwaltungsgericht Köln die Feststellungsklage des Betroffenen abgewiesen hatte, gab das Oberverwaltungsgericht Münster dem Kläger in zweiter Instanz nun Recht, ohne eine Revision zuzulassen. Das OVG Münster sah in der polizeilichen Maßnahme das Diskriminierungsverbot verletzt und erklärte die Personenkontrolle aufgrund der Hautfarbe für nicht verfassungsgemäß. Der Kläger wartete zum damaligen Zeitpunkt nach eigenen Angaben in Sportkleidung auf eine ihm bekannte Person am Bahnhof. Lediglich aufgrund des schlechten Wetters habe er sich die Kapuze seines Pullovers über den Kopf gezogen. Die involvierten Polizeibeamten entgegneten dies mit dem damals gewonnenen Eindruck, die zu kontrollierende Person habe ihr Gesicht einer Erkennung entziehen wollen. Zudem gaben sie an, die Hauptfarbe des Mannes ebenfalls als Kriterium miteinfließen lassen zu haben, da dieser illegal eingereist hätte sein können.1 Zur Beurteilung des Gerichtes schreibt die ZEIT: „Zwar habe der Mann durch sein ‚auffälliges Verhalten‘ Anlass zur Personenkontrolle gegeben, die Polizisten hätten ihn jedoch "auch wegen dessen dunkler Hautfarbe" kontrolliert. (Az. 5 A 294/16) (…) 1 Vgl. Junge Freiheit (2018a): Gericht: Personenkontrollen wegen Hautfarbe sind rechtswidrig; online im Internet: https://jungefreiheit.de/politik/deutschland/2018/gericht-personenkontrollen-wegen-hautfarbe-sindrechtswidrig /; ZEIT ONLINE (2018): Personenkontrolle wegen Hautfarbe war rechtswidrig; online im Internet: https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2018-08/racial-profiling-polizei-kontrolle-bochum-rechtswidrighautfarbe . LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/4133 2 In seinem Urteil verwies das OVG jedoch darauf, dass eine Identitätsfeststellung in Anknüpfung an die Hautfarbe "bei Vorliegen hinreichend konkreter Anhaltspunkte" gerechtfertigt sein könne. Dazu müsse die Polizei aber im Einzelfall darlegen, dass Menschen beispielsweise mit dunkler Hautfarbe an dem entsprechenden Ort überproportional häufig Straftaten begehen. Der Rechtsvertreter der Polizei konnte allerdings keine entsprechenden Kriminalitätsstatistiken vorlegen. Zwar gebe es Eigentumsdelikte durch Migranten, ein Großteil der registrierten Straftaten werde aber von Deutschen ohne Migrationshintergrund begangen. ‚Die bloße Behauptung, dass zum Großteil Nordafrikaner für Eigentumsdelikte verantwortlich sind, reicht nicht. Die Behörde hat eine erhöhte Darlegungslast‘, sagte die Vorsitzende Richterin Ricarda Brandts. Auch die Spekulation über die illegale Einreise wies Brandts ab: ‚Der Kläger hat den Bahnhof ja von außen betreten. Das haben die Beamten ja gesehen.‘“2 Jenseits tatsächlicher oder vermeintlicher Diskriminierungen aufgrund angeborener und/oder erworbener Persönlichkeitsmerkmale geht auch aus der jüngsten Polizeilichen Kriminalstatistik für das Land Nordrhein-Westfalen hervor, dass, obgleich die Zahlen zuletzt wieder rückläufig sind3, „Unter den Tatverdächtigen (…) die nichtdeutschen, gemessen an ihrem Bevölkerungsanteil von 12,4 Prozent, überproportional vertreten (sind, Ergänzung d. Verf.); 32,0 Prozent (2016: 33,4 %) aller Tatverdächtigen waren nicht-deutsch. 2008 lag ihr Anteil bei 21,0 Prozent. Im Vergleich zu 2008 wurden 44 316 nichtdeutsche Tatverdächtige mehr registriert, was einen Anstieg um 43,2 Prozent bedeutet.“4 In Bezug auf die Deliktgruppe Totschlag und Mord waren nichtdeutsche Tatverdächtige 2017 mit 43,3 %, bei Raubdelikten mit 40,1 % und beim Taschendiebstahl sogar mit 77,0 % noch deutlicher vertreten. Mit zuletzt 20.599 Tatverdächtigen sind die Türken weiterhin und unangefochten an der Spitze, den zweiten Platz belegen die Rumänen. Deutlich zugenommen hat der Anteil syrischer Tatverdächtiger an der Gesamtzahl zwischen 2008 und 2017.5 Die Anzahl der Tatverdächtigen mit z.B. doppelter Staatsbürgerschaft6 und von Migranten mit ausschließlich deutscher Staatsbürgerschaft findet hier keine Berücksichtigung, sodass jene im Hellfeld statistisch erfasste Ausländerkriminalität nur eine Teilmenge der Migrantenkriminalität ist. Nichtsdestotrotz ist bereits ihr Anteil an der erfassten Gesamtkriminalität ein erheblicher, weshalb geschlussfolgert werden kann, dass nordrheinwestfälische Polizeivollzugsbeamte in ihrem Dienstalltag überproportional häufig mit allochtonen Personen(gruppen) konfrontiert sind. Hieraus wiederum ergibt sich die Notwendigkeit einer besonderen Handlungssicherheit im Kontext von polizeilichen Maßnahmen, die migrantische / nicht-deutsche Tatverdächtige / Personen betreffen. Ein Kommentar der Jungen Freiheit zu dem Urteil des OVG Münster wendet darüber hinaus unter anderem ein, dass es doch gerade die persönliche Erfahrung des Beamten im Einsatz ist, auf die er bei den Auswahlprozessen für Personenkontrollen zurückgreift und die 2 ZEIT ONLINE (2018): Personenkontrolle wegen Hautfarbe war rechtswidrig; online im Internet: https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2018-08/racial-profiling-polizei-kontrolle-bochum-rechtswidrighautfarbe . 3 Vgl. Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen (Hrsg.) (2018): Polizeiliche Kriminalstatistik Nordrhein- Westfalen 2017, S. 33f. 4 Ebd., S.33. 5 Vgl. ebd., S. 37. 6 Vgl. ebd., S. 3, 32 LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/4133 3 selbstverständlich auch auf äußerliche Merkmale verweist7. Und tatsächlich handelt es sich bei einem solchen präventiven Profiling des Beamten im Einsatz „Im Gegensatz zum repressiven Profiling nach einer konkreten Tat (…) nicht nur um ein rational strukturiertes Vorgehen, sondern auch um eine Einbeziehung und Nutzbarmachung un- und teilbewusster Vorstellungen der Polizisten. Präventives Profiling betrifft Arbeit des Polizisten ‚vor Ort‘, dessen Erfahrungen und die daraus resultierenden Wirklichkeits- und Verdachtskonstruktionen durch die profilorientierte Auswahl sozial adäquater Anhaltspunkte für Rechtsverstöße nutzbar gemacht werden.“8 Die auf Seite 1 aus der ZEIT zitierten Passagen des Urteils legen nun zumindest die Deutung nahe, dass dies auf eine Schwächung der nicht vollends intersubjektivierbaren, ihrem Wesen nach also subjektiv gefärbten, vor Verzerrungen nicht gefeiten, aber aus unmittelbaren, lebendigen Zusammenhängen und über einen langen Zeitraum induktiv gewonnenen Erfahrungen der Polizisten zugunsten vom amtlichen Statistiken hinausläuft. Ferner zeigt sich in anderen bekanntgewordenen Fällen, dass von polizeilichen Maßnahmen betroffene Migranten den Rassismusbegriff zuweilen instrumentalisieren, um polizeiliche Maßnahmen ethisch und juristisch zu diskreditieren.9 Der Minister des Innern hat die Kleine Anfrage 1601 mit Schreiben vom 6. November 2018 namens der Landesregierung beantwortet. Vorbemerkung der Landesregierung Das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (im Folgenden OVG NRW) hat in seinem Urteil vom 7. August 2018 (Az.: 5 A 294/16) eine im Jahre 2013 an einem in Nordrhein-Westfalen gelegenen Bahnhof durchgeführte Feststellung der Identität eines deutschen Staatsangehörigen mit dunkler Hautfarbe für rechtswidrig erklärt. Die Kontrolle erfolgte durch Beamte der Bundespolizei auf der Grundlage des Bundespolizeigesetzes (BPolG). Das Gericht entschied, dass die Kontrolle ermessensfehlerhaft erfolgte, da die Ausübung des Ermessens gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 3 Satz 1 Grundgesetz verstieß (a. a. O. Rz. 45). Das Gericht stellte u.a. unter Berufung auf die ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts fest, dass im Rahmen polizeilicher Standardmaßnahmen eine Anknüpfung an die Hautfarbe als einem von mehreren Charakteristika zwar grundsätzlich gerechtfertigt sein kann. Allerdings trifft die Behörde in diesem Fall eine erhöhte Darlegungslast zur Frage, weshalb die Anknüpfung auch an die Hautfarbe zur effektiven Gefahrenabwehr erforderlich ist. Die Beklagte ist dieser Darlegungslast im entschiedenen Fall nicht nachgekommen (a. a. O Rz. 72 ff.). Alle anderen gesetzlichen Voraussetzungen für die durchgeführte Identitätsfeststellung sah das Gericht hingegen als gegeben an. Insbesondere war sie zur Abwehr einer Gefahr in Form eines Gefahrenverdachts zulässig (a. a. O Rz. 33 f.), der Kläger war gemäß der einschlägigen Regelung im BPolG auch möglicher Adressat der Maßnahme (a. a. O. Rz. 43) und die Aufforderung, sich auszuweisen, war auch erforderlich (a. a. O. Rz. 44). 7 Vgl. Junge Freiheit (2018b): Urteil fernab der Realität; online im Internet: https://jungefreiheit.de/debatte/kommentar/2018/urteil-fernab-der-realitaet/. 8 Krane, Christian (2006): Profiling; in: Lange, Hans-Jürgen (Hrsg.): Wörterbuch zur Inneren Sicherheit, 1. Auflage, Wiesbaden, S. 251-255; hier: S. 252. 9 Vgl. exemplarisch dazu FOCUS ONLINE (2018): Libanese verurteilt Razzien in Essen: „Es gibt keine Clans, die Polizei ist rassistisch“; online im Internet: https://www.focus.de/politik/deutschland/kriminelle-strukturenlibanese -verurteilt-razzien-in-essen-es-gibt-keine-clans-polizei-ist-rassistisch_id_8878641.html. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/4133 4 1. Auf welchen verschiedenen gesetzlichen Ermächtigungsgrundlagen ist es nach Ansicht der Landesregierung unter Berücksichtigung des jüngsten Urteils des OVG Münster (Az. 5 A 294/16) für Polizeibeamte noch zulässig, im Rahmen repressiver und präventiver Personenkontrollen unter Einbeziehung durch repressives und präventives Profiling gewonnener Täterprofile rechts- und verfassungskonform in Hinblick auf den Gleichheitssatz Art. 3 (1) GG und das Diskriminierungsverbot in Art. 3 (3) GG angeborene und erworbene Persönlichkeitsmerkmale zu berücksichtigen? (Bitte ausführlich und übersichtlich darstellen: Repressive Maßnahmen, präventive Maßnahmen, Identitätsfeststellung, Durchsuchung, Inaugenscheinnahme, StPO, PolG NRW, BPolG, StVO, GG, usw.) Dem zitierten Urteil des OVG NRW lagen ausschließlich Normen des BPolG zu Grunde. Ob und inwieweit das Urteil Auswirkungen auf die Anwendung der einschlägigen Ermächtigungsgrundlagen durch die Bundespolizei hat, kann mangels Zuständigkeit der Landesregierung nicht beantwortet werden. Im Übrigen hat das Urteil die fragliche Maßnahme nur für rechtswidrig erachtet, da die Beklagte ihrer erhöhten Darlegungsglast im konkreten Fall nicht nachgekommen ist, sondern sich auf bloße Behauptungen zur erhöhten Delinquenz bestimmter Zielgruppen beschränkt hat. Das Gericht hat sich bei der Prüfung der Darlegungslast ausführlich und detailliert mit dem diesbezüglichen Tatsachenvortrag der Beklagten auseinandergesetzt. Der entsprechend spezifisch auf diesem Einzelfall beruhenden Begründung des Gerichts können keine allgemeinen Ausführungen für polizeiliche Standardmaßnahmen, die zu einer grundsätzlichen Neubewertung der für die Polizei Nordrhein-Westfalen gültigen Ermächtigungsgrundlagen führen, entnommen werden. 2. Welche konkreten Handlungsanweisungen für den Polizisten im Einsatz ergeben sich insbesondere bei Gefahrerforschungsmaßnahmen und für das Auswahlermessen in sachlicher Hinsicht? Hierzu existieren keine konkreten Handlungsanweisungen. Die Zulässigkeit von Gefahrerforschungsmaßnahmen und die Ermessensausübung durch Polizeivollzugbeamte in Nordrhein-Westfalen richten sich nach Gesetz und Recht. 3. Sind die nordrhein-westfälischen Polizeibeamten ausreichend zu den unter Ziffer 1 erfragten gesetzlichen Ermächtigungsgrundlagen geschult, um handlungssicher und souverän auch deutsche Staatsbürger mit Migrationshintergrund und Ausländer, deren statistischer Anteil an den erfassten Straftaten überproportional hoch ist (siehe Seite 2), zu kontrollieren? Das Bachelorstudium Polizeivollzugsdienst dauert drei Jahre und vermittelt die für den Polizeiberuf erforderlichen Grundkompetenzen. Die dabei erworbenen Fähigkeiten werden je nach Einsatzgebiet im Rahmen der Fortbildung gezielt erweitert und vertieft. Zu den Lehrinhalten gehört auch die Anwendung polizeilicher Standardmaßnamen wie Personenkontrollen. Diese richten sich nach den für die Polizei Nordrhein-Westfalen gültigen Ermächtigungsgrundlagen. Insofern verweise ich auf meine Ausführungen zu Frage 1. Darüber hinaus wird das Thema „Interkulturelle Kompetenz“ umfangreich unter den Aspekten Führung, Management und Recht behandelt. Hierdurch werden die Polizeibeamtinnen und - beamten in die Lage versetzt handlungssicher und souverän mit den Bürgerinnen und Bürgern umzugehen. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/4133 5 4. Ist es für Polizeibeamte im Einsatz vor Ort nach Einschätzung der Landesregierung realisierbar, jede sich womöglich aus einer spontanen und dynamischen Handlungssituation ergebende Personenkontrolle, deren vorgelagerter Auswahlprozess sich unter anderem oder gar ausschließlich auf ein äußerliches und besonders geschütztes Persönlichkeitsmerkmal bezieht, mit einer für den jeweiligen Kontrollort spezifischen amtlichen Statistik zu begründen? Die hier entscheidende Passage (a. a. O. Rz. 68) lautet wie folgt: „Der erhöhten Darlegungslast kann aufgrund der Bedeutung des betroffenen Diskriminierungsverbots nicht durch bloße Behauptungen genügt werden. Angesichts der Schwierigkeiten in diesem Bereich belastbares Datenmaterial vorzulegen - insbesondere würde eine Erfassung von Tätern nach Hautfarbe wiederum gegen das Diskriminierungsverbot verstoßen - dürfen die Anforderungen hier jedoch auch nicht überspannt werden. Es reicht aus, ist aber gleichzeitig auch erforderlich, dass die jeweilige Polizeibehörde anhand von auf die Örtlichkeit oder Situation bezogenen Lagebildern eine erhöhte Delinquenz bestimmter Zielgruppen darlegt. Dies verlangt zumindest eine Unterfütterung der Behauptungen durch konkret geschilderte Erkenntnisse. Ob daneben unter Umständen auch die ergänzende Heranziehung von Statistiken in Betracht kommt, kann hier dahinstehen.“(…) 5. Ist der Landesregierung die oben beschriebene Instrumentalisierung des Rassismusbegriffs durch Migranten zur Diskreditierung legitimen und legalen Staatshandelns aus dem polizeilichen Dienstalltag ebenfalls bekannt? Hierzu bestehen keine Erhebungen.