LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/4139 08.11.2018 Datum des Originals: 07.11.2018/Ausgegeben: 13.11.2018 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 1528 vom 20. September 2018 des Abgeordneten Dr. Dennis Maelzer SPD Drucksache 17/3749 Was tut die Landesregierung gegen Salafismus an lippischen Berufskollegs? Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Der (Neo)Salafismus ist die derzeit prozentual am schnellsten wachsende verfassungsfeindliche Bestrebung in Nordrhein-Westfalen und auch bundesweit. Da es sich bei den radikalisierten Personen häufig um junge Menschen handelt, die teilweise noch im schulpflichtigen Alter sind, stehen die Schulen und Berufskollegs vor mannigfaltigen Herausforderungen. In den lippischen Medien war im August 2018 nachzulesen, dass zu dieser Gruppe auch die 30-jährige Fatima M. gehörte, die ein lippisches Berufskolleg besucht hatte. Fatima M. möchte nun nach einjähriger Haft im Irak wieder nach Deutschland. Die Anstrengungen im Bereich der Prävention in Schulen und Berufskollegs müssen breit aufgestellt sein und deutlich ausgebaut werden. Junge Menschen müssen für die Demokratie begeistert und dazu befähigt werden, die Gefahr der neosalafistischen Ideologie zu erkennen. Dafür ist es notwendig, dass diverse Handlungsfelder in der Präventionsarbeit abgedeckt werden – von Schule über Jugendarbeit und Moscheegemeinden bis hin zu Justizvollzugsanstalten. Der Minister des Innern hat die Kleine Anfrage 1528 mit Schreiben vom 7. November 2018 namens der Landesregierung im im Einvernehmen mit dem Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration und der Ministerin für Schule und Bildung beantwortet. 1. Wie viele Personen wurden in den letzten fünf Jahren der (neo)salafistischen Szene in Ostwestfalen-Lippe zugeordnet? (Bitte nach Geschlecht, Alter und Staatsangehörigkeit aufschlüsseln. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/4139 2 2. Welche Erkenntnisse hat die Landesregierung über (Neo)Salafismus an lippischen Berufskollegs? Die Fragen 1. und 2. werden wegen des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet. Die salafistische Szene in Ostwestfalen-Lippe hatte in den vergangenen Jahren einen Zulauf in einem niedrigen dreistelligen Bereich. In der Vergangenheit gab es Radikalisierungen insbesondere im Umfeld einer Moschee in Herford. Die öffentlichen Aktivitäten sind in den vergangenen Monaten stark zurückgegangen. Aus diesem Umkreis hat es auch Ausreisen in die Kampfgebiete in Syrien und den Irak gegeben. In diesem Zusammenhang ist den Sicherheitsbehörden die Ausreise von drei Personen aus der Region Ostwestfalen-Lippe bekannt, die im Sommer 2015 gemeinsam in Richtung Syrien ausgereist sind. Es liegen keine Erkenntnisse vor, die auf eine Einbindung von Berufskollegs in Ostwestfalen-Lippe bei der Radikalisierung dieser Personen hindeuten. Vielmehr scheint bei diesen und weiteren Personen aus der regionalen salafistischen Szene in Ostwestfalen-Lippe das gemeinsame Familienumfeld und ein gleicher ethnischer Hintergrund ausschlaggebend gewesen zu sein. Ausreiseversuche in Jihad-Gebiete konnten in der letzten Zeit nicht mehr festgestellt werden. 3. Was tut die Landesregierung gegen (Neo)Salafismus an lippischen Berufskollegs? 4. Wird an lippischen Berufskollegs Aufklärungsarbeit zum Thema (Neo)Salafismus betrieben? Die Fragen 3. und 4. werden wegen des Sachzusammenhangs zusammengefasst beantwortet. Entsprechende Maßnahmen und Angebote richten sich ohne Schulformbezug an alle Schulen. Extremismusprävention ist ein Teilbereich des Bildungs- und Erziehungsauftrages von Schule, wie er in Landesverfassung und Schulgesetz festgelegt ist. Sie ist eine wichtige Aufgabe von Schule, innerhalb und außerhalb des Unterrichts. In diesem Zusammenhang unterstützt das Land eine Vielzahl von Programmen und Projekten. Exemplarisch lässt sich das Programm „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ nennen, mit zurzeit über 700 Schulen in Nordrhein-Westfalen, die den Titel verliehen bekommen haben.Diese Schulen engagieren sich aktiv gegen jede Art von Diskriminierung, vor allem gegen jede Art von Rassismus, Antiziganismus und Antisemitismus. Sie fördern Zivilcourage in der Schule und in ihrem Umfeld. Kern des Programms ist das Engagement der Schülerinnen und Schüler. Auch die Landesstelle Schulpsychologie und Schulpsychologisches Krisenmanagement bei der Bezirksregierung Arnsberg sowie die Landespräventionsstelle gegen Gewalt und Cybergewalt an Schulen in Nordrhein-Westfalen, die das Ministerium für Schule und Bildung gemeinsam mit der Landeshauptstadt Düsseldorf und der Bezirksregierung Düsseldorf errichtet hat, unterstützen die Schulen im Bereich der Extremismusprävention. Eine weiteres Angebot ist der vom Ministerium für Schule und Bildung mit Unterstützung der Unfallkasse NRW, des Ministeriums des Innern und des Landeskriminalamtes herausgegebene Notfallordner „Hinsehen und Handeln“. Er unterstützt die Schulen dabei, mit verschiedensten Notlagen, auch unter Zeitdruck, handlungssicher umzugehen. Der Notfallordner wird kontinuierlich fortgeschrieben und themenbezogen mit neuen Fakten und Informationen ergänzt, z. B. zu Extremismen und Antisemitismus. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/4139 3 Um Schulen bei der Bekämpfung von Antisemitismus, Rechts- und Linksextremismus sowie Salafismus noch stärker zu unterstützen, sollen mit dem Haushalt 2019 außerdem 54 Stellen für eine Fachberatung in jedem Kreis und jeder kreisfreien Stadt bereitgestellt werden, die Schulen wichtige Hilfestellung und Unterstützung geben soll. Es liegt in der Verantwortung der gesamten Schulgemeinschaft, deutlich zu machen, dass sie keine Form der Gewalt oder Diskriminierung in ihrer Schule duldet. Umso wichtiger ist es, dass jede Schule Maßnahmen zur Gewalt- bzw. Extremismusprävention in ihr Schulprogramm aufnimmt, denn grundsätzlich gilt: Prävention geht vor Intervention. Die Schulaufsicht der Bezirksregierung Detmold unterstützt Schulen bei diesem Themenbereich, wenn die Schulen dieses möchten. In diesen Fällen fragen die Schulen bei der Bezirksregierung um Beratung oder Unterstützung in Krisenfällen an, um sich bei rechtlichen Fragestellungen abzusichern. Der Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen bietet seit 2017 das Projekt „Angebote für Schule und Jugendarbeit“ an, um gezielt Schülerinnen und Schüler zu erreichen und sie vor den Gefahren des extremistischen Salafismus zu informieren und sensibilisieren. Es stehen zielgruppengerechte Theaterstücke, Kinofilme, Workshops und Lesungen kostenlos für den begleiteten Einsatz im Unterricht, in Projektwochen und als Abendveranstaltungen zur Verfügung und können über die Internetseite des Ministeriums des Innern des Landes Nordrhein-Westfalen ausgewählt und gebucht werden. Zu den jeweiligen Auftaktveranstaltungen im Dezember 2016 und 2017, bei denen alle Angebote des Projekts vorgestellt wurden, waren alle weiterführenden Schulen in Nordrhein-Westfalen eingeladen. Seit Bestehen des Projekts wurden von den Berufskollegs im Kreis Lippe keine zielgruppenspezifischen Angebote gebucht. Auf Landesebene setzt das dezentral aufgebaute Präventionsprogramm „Wegweiser – gemeinsam gegen gewaltbereiten Salafismus“ vor allem bei Kindern und Jugendlichen an, um eine potentielle Radikalisierung frühestmöglich zu erkennen und ganzheitliche Hilfsmaßnahmen durchzuführen. Vor Ort bietet es niedrigschwellige und unabhängige Beratungsarbeit für Betroffene sowie deren soziales Umfeld in derzeit 17 Beratungsstellen an. Bis 2019 wird in Nordrhein-Westfalen ein flächendeckendes Beratungsangebot mit 25 Anlaufstellen etabliert sein. Die Trägerorganisationen Wegweiser (2/3 zivilgesellschaftlich und zu 1/3 kommunal) richten Beratungsstellen ein und stellen fachkundiges Personal (Sozialarbeiter, Islamwissenschaftler etc.) ein, die bei ihrer Beratung und Hilfsangeboten auf ein örtliches Expertennetzwerk zugreifen, das unter anderem aus kommunalen Einrichtungen (Jugendamt, Schulen, etc.), Moscheegemeinden, Polizei, Jobcenter sowie weiteren Beratungsstellen oder Institutionen besteht. Neben dieser konkreten Unterstützungsarbeit sensibilisieren die Anlaufstellen auch ausführlich über die Gefahren des extremistischen Salafismus, indem sie im Netzwerk vor Ort auf Wunsch in Vorträgen über Strategien, Erscheinungsformen und Ideologie der Szene aufklären. Im Bereich Ostwestfalen-Lippe bietet das Präventionsprogramm Wegweiser derzeit Beratungsangebote mit Anlaufstellen in Bielefeld und Herford an; bei Bedarf aber auch regional darüber hinaus. Ein weiterer „Wegweiser“ für die Kreise Paderborn, Lippe, Höxter befindet sich aktuell in der Konzeptionierungsphase. 5. Welche Möglichkeiten sieht die Landesregierung, eine Rückkehr radikalisierter Personen zu verhindern? Die Rückkehr radikalisierter Personen, die zumindest auch die deutsche Staatsbürgerschaft haben, kann unabhängig von einer Radikalisierung nicht verhindert werden. Für die Sicherheitsbehörden stellen Rückkehrer aus jihadistischen Kampfgebieten eine besondere Gefährdung der Sicherheitslage dar. Dafür setzen die Sicherheitsbehörden auf eine LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/4139 4 Doppelstrategie: Um die Szene sehr aufmerksam zu beobachten, wurden verstärkt operativ und personenorientiert arbeitende Einheiten neu eingerichtet und bereits bestehende Einheiten verstärkt. Wo immer möglich werden Strafverfahren eingeleitet. Gleichzeitig wird den Betroffenen aber auch Hilfe angeboten. Neben dem Präventionsprogramm Wegweiser, das verhindern soll, dass jemand in die Szene einsteigt, bietet das Land mit dem Aussteigerprogramm Islamismus Hilfe zum Ausstieg aus der Szene für bereits ideologisierte und radikalisierte Personen an.