LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/4209 13.11.2018 Datum des Originals: 12.11.2018/Ausgegeben: 16.11.2018 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 1566 vom 10. Oktober 2018 des Abgeordneten Gordan Dudas SPD Drucksache 17/3877 Wie begegnet die Landesregierung der Borkenkäferproblematik? Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Durch Frühjahrssturm „Friederike“, die lange Trockenheit und Hitze in den Sommermonaten herrschten ideale Bedingungen für die Vermehrung der Borkenkäfer. Durch den Sturm umgestürzte Bäume mussten auf Grund der Situation am Holzmarkt im Wald unaufgearbeitet an der Wurzel verbleiben, um noch eine Zeit lang mit Wasser versorgt und dadurch gelagert werden zu können. Doch die Trockenheit machte diese Überlegungen zu Nichte. Stattdessen wurden durch den fehlenden Niederschlag auch die anderen Bäume immer stärker geschwächt, sodass förmlich ein Paradies für die Schädlinge entstanden ist. Und mittlerweile ist die Plage in unseren Wäldern immer stärker sichtbar. Forstleute und Waldbesitzer schlagen Alarm. Die Auswirkungen auf unsere Wälder werden nach Expertenschätzungen verheerend sein. Vergleiche mit Kyrill und darüber hinaus machen die Runde. Auch logistisch und finanziell, besonders für die vielen kleinen Waldbesitzer in NRW, drohen enorme Schäden, zumal die Holzpreise bereits im freien Fall sind. Die Rufe nach Unterstützung durch die Politik werden lauter. Die Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz hat die Kleine Anfrage 1566 mit Schreiben vom 12. November 2018 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister der Finanzen beantwortet. Vorbemerkung der Landesregierung Das seit Februar 2018 anhaltende Niederschlagsdefizit hat erhebliche Auswirkungen auf die Vitalität der nordrhein-westfälischen Wälder und führt zu einer größeren Anfälligkeit des Waldökosystems gegenüber abiotischen und biotischen Schäden. Besonders betroffen ist die Baumart Fichte, die einen Anteil von 30% der Waldfläche in Nordrhein-Westfalen umfasst und das wirtschaftliche Rückgrat vieler Forstbetriebe ist. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/4209 2 Beim Orkan Friederike wurden im Januar 2018 in Nordrhein-Westfalen über zwei°Mio. m³ geworfen. Nicht aufgearbeitete Hölzer und liegengelassenes Kronenmaterial waren im Dürresommer ideales Brutmaterial für Borkenkäfer wie Kupferstecher und Buchdrucker. So konnte der Buchdrucker in diesem August eine dritte Generation ausbilden, die zu einem Stehendbefall der dürregeschwächten Fichten führte. Bei erfolgreichem Massenbefall werden die lebenswichtigen Leitungssysteme des Baumes in der Rinde unterbrochen und der Baum stirbt ab. Die toten Bäume bilden zwar keine Gefahr mehr für den Baumbestand, da die Käfer ausgeflogen sind, stellen aber eine besondere Brandlast dar und erhöhen das Unfallrisiko bei der Waldbewirtschaftung und für Waldbesucher. Um die Gefahr der Massenvermehrung der Borkenkäfer zu reduzieren, ist die Entnahme der noch lebenden, aber mit aktiven Käfern befallenen Bäume und die Vernichtung des Brutmaterials wichtig („saubere Wirtschaft“). Eine Massenvermehrung von Borkenkäfern, wie sie jetzt in Nordrhein-Westfalens Wäldern stattfindet und die durch eine exponentielle Wachstumsrate gekennzeichnet ist, kann allein mit forstlichen Mitteln ohne schwerwiegende Nebenwirkungen nicht verhindert werden. Entscheidend für den Zusammenbruch der Gradation sind neben den forstlichen Maßnahmen vor allem natürliche Faktoren wie ausreichende Niederschläge zur Revitalisierung der Bestände und relativ milde Wintertemperaturen, die zu einer natürlichen Verpilzung der Borkenkäferlarven und damit zu einem Zusammenbruch der Gradation führen. Die bundesweit auftretende Borkenkäferkalamität umfasst - soweit bekannt - das gesamte Land Nordrhein-Westfalen mit einem Schwerpunkt in Ostwestfalen. Die weitere Entwicklung ist schwierig zu prognostizieren. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass mindestens ein Jahreseinschlag der Fichte wegen Borkenkäferbefall vorzeitig genutzt werden muss. Aufgrund des Kartell- und Wettbewerbsrechts und des im Januar 2017 geänderten Bundeswaldgesetzes hat sich die Landesregierung mit Erlass vom 24.1.2018 entschieden, die kooperative Holzvermarktung für den Privat- und Kommunalwald schrittweise und regional differenziert möglichst bis zum 31.12.2018 zu beenden. Zur Stärkung wettbewerbsfähiger, waldbesitzorientierter Holzvermarktungsstrukturen erarbeitet das Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz (MULNV) derzeit eine entsprechende Förderrichtlinie. Vor diesem Hintergrund werden die Fragen wie folgt beantwortet: 1. Wie bewertet die Landesregierung die drohende Borkenkäferplage? (Bitte mit Blick auf die Entwicklung unserer Waldflächen, die Folgen für die Waldbewirtschaftung sowie die Holzvermarktung) Mit Bericht vom 21. September 2018 hat der Landesbetrieb Wald und Holz Nordrhein- Westfalen das Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz über die Meldungen der Regionalforstämter zum Schadholzanfall informiert (s. Anlage). Danach wurden waldbesitzübergreifend 2,2 Mio. m³ Kalamitätsholz gemeldet, das dürrebedingt eingeschlagen werden muss. 2,1 Mio. m³ davon sind Fichten, die von Borkenkäfern befallen wurden. Schwerpunktregion ist das Regionalforstamt Hochstift mit 430.000 m³ Schadholz. Hierbei handelt es sich um eine erste Schätzung für den Zeitraum bis Ende März 2019, die im Laufe von 2019 vermutlich noch deutlich nach oben korrigiert werden muss. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/4209 3 Die Landesregierung sieht in der Borkenkäferkalamität und der lang anhaltenden Dürre, neben den wirtschaftlichen Verlusten, eine ernste Gefährdung des grünen Drittels des Landes und auch der Rohstoffbasis für die holzverarbeitende Industrie. 2. Welche Maßnahmen plant die Landesregierung, um der Borkenkäferplage sowohl kurzfristig als auch nachhaltig zu begegnen? (Bitte auch mit Blick auf das Forstschädenausgleichsgesetz und den hoheitlichen Forstschutz gemäß Landesforstgesetz [§§ 52 u. 53 LFoG]) Beim Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz wird unter Leitung des Abteilungsleiters für Forsten und Naturschutz eine „Task Force Käfer - TFK“ eingerichtet, die besitzübergreifend die Maßnahmen zur Eingrenzung der Borkenkäferkalamität koordiniert. Die „AG Großkalamität“ innerhalb des Landesbetriebes Wald und Holz unterstützt die Arbeit der TFK. Oberste Priorität haben die Identifizierung vom Käfer befallener Bäume, der Einschlag ggf. verbunden mit der Entrindung des Stammes und eine rasche Abfuhr des Käferholzes aus dem Wald. Gem. § 48 LFoG sind die Waldbesitzer zur gegenseitigen Rücksichtnahme und zum Schutz benachbarter Waldbestände verpflichtet. In diesem Sinne beraten die Försterinnen und Förster des Landesbetriebes Wald und Holz Nordrhein-Westfalen die Waldbesitzer über die geeigneten Maßnahmen zur Eingrenzung der Borkenkäferkalamität. Die Landesregierung geht davon aus, dass die Waldbesitzer diesen Empfehlungen folgen. Sollten Waldbesitzer im Einzelfall dennoch keine ausreichenden Maßnahmen ergreifen, ist der Landesbetrieb Wald und Holz Nordrhein-Westfalen als Forstbehörde zur Anordnung von geeigneten Forstschutzmaßnahmen auf Grundlage von §§ 52, 53 LFoG i.V.m. § 14 OBG ermächtigt, die mit den Mitteln des Verwaltungszwangs nach Maßgabe des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes durchgesetzt werden können. Daneben besteht die Möglichkeit, eine auf das Pflanzenschutzgesetz gestützte Verordnung zur Bekämpfung von Schadinsekten in Wäldern zu erlassen und auf dieser Grundlage die Waldbesitzer hoheitlich zu Überwachungs- und Bekämpfungsmaßnahmen zu verpflichten, die bei Nichtbeachtung durch die Forstbehörde bzw. beauftragte Dritte auf Kosten der Waldbesitzer durchgesetzt werden können. Von den ordnungsrechtlichen Möglichkeiten werden die Forstbehörden erst Gebrauch machen, wenn absehbar ist, dass viele Waldbesitzer keine geeigneten Bekämpfungsmaßnahmen ergreifen. 3. Welche finanziellen (Not-)Hilfen für Waldbesitzer und Forstbetriebe zieht die Landesregierung in Erwägung? Die Landesregierung setzt sich dafür ein, dass der Bund entweder die Voraussetzungen zur Anwendung des Forstschäden-Ausgleichsgesetzes schafft oder – falls dies nicht möglich ist – vergleichbare steuerliche Entlastungsmaßnahmen nach § 34b Absatz 5 Einkommensteuergesetz in Kraft setzt, damit die möglicherweise kalamitätsbedingten hohen Einnahmen der Waldbesitzenden nicht ungerechtfertigt der steuerlichen Progression unterliegen. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/4209 4 Sofern der Bund keine steuerlichen Maßnahmen ergreift, wird die Landesregierung prüfen, ob für Nordrhein-Westfalen von dem sog. Katastrophenerlass Gebrauch gemacht werden kann. Daneben hat das Ministerium der Finanzen bereits im Juli dieses Jahres die Finanzämter dazu angehalten, bei Stundungsanträgen oder Anträgen auf Herabsetzung der Vorauszahlungen ihre Ermessens- und Beurteilungsspielräume zugunsten der Steuerpflichtigen auszunutzen. Die Landesregierung unterstützt den Bund, im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe Agrarstruktur und Küstenschutz den neuen Fördergrundsatz „Förderung von Maßnahmen zur Bewältigung der durch Extremwetterereignisse verursachten Folgen im Wald“ einzuführen. Danach werden Maßnahmen zur Bewältigung der durch Extremwetterereignisse verursachten Folgen im Wald mit bis zu 80 % der Kosten gefördert. Die Landesregierung wird je nach weiterem Schadensfortschritt die ergriffenen Maßnahmen auf Effizienz überprüfen und wenn nötig anpassen. Weitere besondere Nothilfen sind nicht geplant. 4. Welche Konsequenzen zieht die Landesregierung aus der aktuellen Notlage mit Blick auf die Umstellung der Holzvermarktung in Nordrhein-Westfalen? Die Landesregierung setzt die gesetzlichen Vorgaben des §°46 Bundeswaldgesetz um. Abweichend von der ursprünglichen Ankündigung, räumt die Landesregierung der Transformation auf Wunsch der Branche einen weiteren bis zu zweijährigen Übergangszeitraum ein. Insbesondere in der Holzvermarktung sollte dieser Zeitraum möglichst kurz sein, zum einen, weil dies der Markt erfordert, zum anderen auch, um zivilrechtliche Schadensersatzrisiken, die Sägewerke in Nordrhein-Westfalen geltend machen wollen, für das Land Nordrhein-Westfalen zu reduzieren. Ferner unterstützt der Landesbetrieb Wald und Holz Nordrhein-Westfalen die Forstbetriebe beratend bei der Organisation der Holzerntemaßnahmen, Logistik, Transport- und Lagerung sowie der Holzvermarktung. 5. Welche Unterstützung für die lokalen Verantwortlichen bietet das Land NRW? Wie bisher stehen hierfür die Försterinnen und Förster des Landesbetriebs Wald und Holz Nordrhein-Westfalen den lokalen Verantwortlichen mit Rat und Tat zur Seite. Darüber hinaus gründet sich derzeit auf meine Initiative eine Task Force Käfer (TFK) im Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz unter Leitung des Abteilungsleiters für Forsten und Naturschutz sowie unter Beteiligung aller relevanten Stakeholder. Aufgabe der TFK ist es, besitzübergreifende Maßnahmen zu beraten und zu koordinieren, um die Käferkalamität zu stoppen. Dazu arbeitet sie eng mit dem MULNV und der internen Arbeitsgruppe von Wald und Holz NRW zusammen. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/4209 5 Anlage Fichte Efm o.R. weitere Holzarten in Efm o.R. Nationalpark Eifel 9.700 0 Hocheifel-Zülpicher Börde 60.300 400 Rureifel-Jülicher Börde 71.900 1.350 Rhein-Sieg-Erft 176.100 6.950 Bergisches Land 226.150 50 Märkisches Sauerland 118.100 0 Kurkölnisches Sauerland 82.270 350 Siegen-Wittgenstein 202.620 650 Arnsberger Wald 50.000 1.000 Oberes Sauerland 103.000 400 Soest-Sauerland 186.500 0 Hochstift 430.000 0 Ruhrgebiet 61.000 4.100 Niederrhein 24.820 35.500 Münsterland 156.000 4.000 Ostwestfalen-Lippe 170.000 36.000 Nordrhein-Westfalen 2.128.460 90.750 Erwarteter besitzübergreifender Schadholzanfall bis Ende März 2019 in den Regionalforstämtern