LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/4216 13.11.2018 Datum des Originals: 13.11.2018/Ausgegeben: 16.11.2018 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 1523 vom 25. September 2018 der Abgeordneten Sigrid Beer und Horst Becker BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 17/3739 Wenn ein Entfesselungspaket die Kommunen bei der Sonntagsöffnung knebelt… Wann wird der Runde Tisch wieder eingesetzt? Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Mit ihrem „Entfesselungspaket I“ wollte die Landesregierung für mehr Rechtssicherheit und Bürokratieabbau sorgen. Mit der der damit verbunden Überarbeitung des Ladenöffnungsgesetzes hat die Landesregierung aber für mehr Verstrickungen und Rechtsunsicherheit bei den Sonntagsladenöffnungszeiten in NRW gesorgt. Auf Druck der FDP mussten unbedingt mehr Sonntage zur Öffnung zur Verfügung stehen, dafür wurden Rechtsunsicherheiten billigend in Kauf genommen. Obwohl das OVG in Münster Anfang Dezember letzten Jahres – also in Kenntnis Ihres Entwurfes – noch einmal ganz klar festgestellt hat, es sei die Pflicht des Landesgesetzgebers, den Sonntagsschutz sicherzustellen und zu erhalten. Die Landesregierung hat die Feststellung von Sachgründen den Kommunen überlassen, genau weil sie um die nicht vorhandene Rechtssicherheit weiß. Mit den Klagen müssen sich nun die Kommunen auseinandersetzen. In OWL zeigen sich drastisch die handwerklichen Fehler der Landesregierung. Ein prominentes Opfer des gesetzlichen Fehlschlags von CDU und FDP war in diesem Sommer die Sonntagsöffnung zum Libori-Fest in Paderborn. Das Libori-Fest gehört dabei zu den 10 größten Volksfesten in der Bundesrepublik und ist für seine Tradition und sein Flair bekannt und sehr beliebt. Auch eine Sonntagsöffnung hat traditionell dazu gehört. Trotzdem wurde die Sonntagsöffnung für den 05.08.18 mit Beschluss des Verwaltungsgerichts Minden vom 26. Juli 2018 (3 L 932/18) untersagt. Die Erfahrungen scheinen offensichtlich zu einem Umdenken bei den heimischen Abgeordneten von CDU und FDP geführt zu haben. So wird der Daniel Sieveke (CDU) zitiert: „Ich bin nicht der Meinung, dass man gar nichts ändern darf. Wenn wir etwas verbessern können, dann sollten wir es tun“ (Neue Westfälische, 30.07.18). Und es ist zu lesen: Auch für den Paderborner FDP-Landtagsabgeordnete Marc LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/4216 2 Lürbke ist die Reform des Ladenöffnungsgesetzes „eine praktikable Lösung für mehr Flexibilität bei den Sonntagsöffnungen“ (Westfalenblatt 25.07.18). Anders jedoch der zuständige Minister Andreas Pinkwart, der anlässlich seines Besuchs – ausrechnet zu Libori – Änderungen eine kategorische Absage erteilt. Dafür schiebt er den Kommunen lieber den schwarzen Peter zu und hält Paderborn eine unzureichende Begründung vor. Entsprechend ungehalten sind die Reaktionen auf dieses Wegschieben von Verantwortung seitens des FDP-Ministers. Der Bürgermeister der Stadt Paderborn, Michael Dreier (CDU) „nimmt die Landesregierung nun in die Pflicht, beim Thema Ladenöffnungszeit nachzubessern“ (Westfalenblatt 27.07.18). In der Neuen Westfälischen vom 04.08.18 nimmt die Stadt wie folgt Stellung: „Das LÖG biete keine Möglichkeit, Standorte, die sich in gewisser Entfernung zur Veranstaltung befinden, wirksam einzubeziehen.“ In das gleiche Horn stoßen weitere Vertreter aus Ostwestfalen-Lippe: Der Bielefelder Oberbürgermeister Pit Clausen (SPD) hält zwei von drei Einkaufssonntagen in der City in der bisherigen Form für nicht rechtssicher genehmigungsfähig (Westfalenblatt 14.08.18). Laut Westfalenblatt vom 15.08.18 sehen „die Akteure die Schuld für die neue Verunsicherung bei der Landesregierung und der im Frühjahr in Kraft getretenen Novelle des Ladenöffnungsgesetzes. „Das Gesetz hat nicht gehalten, was es versprochen hat“, sagt der Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands OWL. ….. Den „Schwarzen Peter“ sieht auch der Chef der Bielefeld Marketing GmbH beim Land. „Dort wurden handwerkliche Fehler gemacht.“ Nun verzichtet aufgrund der unsicheren Rechtslage auch die Delbrücker Marketinggemeinschaft (Demag) auf einen fünften verkaufsoffenen Sonntag: „Auf Grund der aktuellen Beschlüsse von Verwaltungsgerichten zu den verkaufsoffenen Sonntagen, halte es der Demag-Vorsitzende allerdings für sinnvoll, in diesem Jahr keinen zusätzlichen verkaufsoffenen Sonntag durchzuführen, um die bereits bestehenden nicht zu gefährden.“ (Westfalenblatt 20.09.18). Hier zeigt sich wieder, wie fahrlässig es vom Wirtschaftsminister gewesen ist, den von der Vorgängerregierung gegründeten Runden Tisch zu Sonntagsöffnungszeiten abzubrechen, obwohl er kurz vor einer Einigung mit Gewerkschaft, Kirchen, Kommunen und Handel stand. Der Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie hat die Kleine Anfrage 1523 mit Schreiben vom 13. November 2018 namens der Landesregierung beantwortet. Vorbemerkung der Landesregierung Die im Rahmen des Entfesselungspakets I beschlossene Novellierung des Ladenöffnungsgesetzes NRW (LÖG) hat nicht zu einer Zunahme der Rechtsunsicherheit geführt. Insbesondere die Erhöhung der möglichen verkaufsoffenen Sonn- und Feiertage auf acht pro Verkaufsstelle hatte keinerlei Auswirkungen auf die Rechtsprechung zu geplanten Sonntagsöffnungen nach neuem Recht. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/4216 3 Der Gesetzgeber hat den Kommunen die Feststellung von Sachgründen nicht ohne Grund überantwortet. Vielmehr müssen die Sachgründe für die Freigabe einer Ladenöffnung an Sonn- und Feiertagen nach höchstrichterlicher Rechtsprechung (BVerfG, 1.12.2009; BVerwG, 11.11.2015) im Einzelfall geprüft und begründet werden. Dies kann der Gesetzgeber eines Flächenlandes wie Nordrhein-Westfalen mit 396 Kommunen und einer Vielzahl möglicher Sachgründe pauschal nicht rechtssicher regeln. 1. Worauf führt die Landesregierung die Ablehnungen der Sonntagsöffnung zum Libori-Sonntag 2018 in Paderborn zurück? Im Fall des Libori-Sonntags stand die räumliche Ausdehnung der Ladenöffnung im Mittelpunkt der gerichtlichen Untersagung. In der Folge war in Medienberichten, aber auch von kommunalen Vertretern die Auffassung vertreten worden, die Anforderung der räumlichen Nähe zwischen einer Veranstaltung und der Ladenöffnung sei durch die Novellierung des LÖG neu. Dies ist nicht so. Bereits nach altem Recht spielte die räumliche Nähe in gerichtlichen Auseinandersetzungen fast immer eine herausgehobene Rolle. Auch diese Anforderung geht auf die in der Vorbemerkung angesprochene höchstrichterliche Rechtsprechung zurück. Nach Auffassung des Verwaltungsgerichts Minden ist die Ausstrahlungswirkung des Liborifestes nicht groß genug gewesen, um bestimmte Gebiete in einem gewissen Abstand zum Fest für eine Sonntagsöffnung freizugeben. 2. Wie beurteilt die Landesregierung die Stellungnahmen der Stadt Paderborn, die auf eine unsichere Rechtslage verweist? Wie in der Vorbemerkung und der Antwort auf Frage 1 ausgeführt, hat die Novellierung des LÖG in keiner Weise zu einer höheren Rechtsunsicherheit geführt. Im Gegenteil wurde die Rechtsunsicherheit des alten LÖG deutlich vermindert, da bei einer Ladenöffnung im Zusammenhang mit einem Fest der früher geltende Anlassbezug und damit hohe Anforderungen beispielsweise an die Erstellung von Besucherprognosen abgeschafft wurde. Für Feste und Märkte wirkt zudem die Vermutungsregelung, dass ein Zusammenhang zwischen Veranstaltung und Ladenöffnung dann angenommen werden kann, wenn die Ladenöffnung in räumlicher Nähe zur örtlichen Veranstaltung sowie am selben Tag erfolgt. Je größer das Gebiet der Ladenöffnung allerdings gewählt wird, umso größer muss die Ausstrahlungswirkung der Veranstaltung sein. Dies hat die Stadt Paderborn so gesehen, ihre Begründung hat das Verwaltungsgericht Minden als unzureichend erachtet. 3. Wie beurteilt die Landesregierung die Entscheidungen der Stadt Bielefeld und der Delbrücker Marketinggemeinschaft auf verkaufsoffene Sonntage zu verzichten aufgrund der Rechtsunsicherheit? Es ist bedauerlich, dass Planungen für verkaufsoffene Sonn- und Feiertage mit Hinweis auf die vermeintlich unsichere Rechtslage nicht fortgeführt werden. Beschlüsse von Verwaltungsgerichten zu Sonntagsöffnungen in Gütersloh und Essen sowie des Oberverwaltungsgerichts zu Sonntagsöffnungen in Solingen und Euskirchen haben deutlich gemacht, dass es sehr wohl möglich ist, rechtssichere Verordnungen zu erlassen. Zudem haben die allermeisten verkaufsoffenen Sonntage auf Basis der neuen Gesetzeslage stattgefunden, ohne beklagt zu werden. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/4216 4 Um Kommunen zu unterstützen, hat die Landesregierung ihnen eine Anwendungshilfe zur Verfügung gestellt. Sie liefert in einer FAQ-Struktur Hilfestellungen für die verschiedensten Situationen. Im September hat das Wirtschaftsministerium darüber hinaus bei den fünf Bezirksregierungen Informationsveranstaltungen für Vertreter der kommunalen Ordnungsbehörden durchgeführt, die eine hohe Resonanz und ein positives Feedback hatten. Die Landesregierung ist überzeugt, dass diese Maßnahme die rechtssichere Ausgestaltung der Verordnungen weiter erhöhen wird. 4. Warum wurde der Runde Tisch zu Sonntagsöffnungszeiten nicht zu Ende geführt? Der Runde Tisch zu Sonntagsöffnungen hatte zum Ziel, eine Handlungsanleitung für Kommunen zum Anlassbezug nach dem alten Recht zu erstellen. Anders als immer wieder behauptet stand er nicht kurz vor einer erfolgreichen Einigung. Auch bei der letzten Version der Handlungsanleitung gab es noch tiefgreifende Differenzen der Beteiligten. Zudem hatte Verdi immer betont, selbst bei einem gemeinsamen Ergebnis des runden Tisches auch weiterhin nicht auf ihr Klagerecht verzichten zu wollen. Und davon hat Verdi bereits unter dem alten LÖG vielfach Gebrauch gemacht. Mit der Novellierung des LÖG und dem Wegfall des Anlassbezugs ist auch die Grundlage für den Runden Tisch weggefallen. 5. Wann beruft die Landesregierung den Runden Tisch unter Beteiligung von Gewerkschaft, Kirchen, Kommunen und Einzelhandelsverband wieder ein, um eine rechtsichere einvernehmliche Überarbeitung des Ladenöffnungsgesetzes in Nordrhein-Westfalen zu erarbeiten? Im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zum neuen LÖG wurden die Belange der Betroffenen im Wege einer Anhörung eingebracht. Eine Überarbeitung des Gesetzes ist absehbar nicht vorgesehen.