LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/4226 14.11.2018 Datum des Originals: 14.11.2018/Ausgegeben: 20.11.2018 (19.11.2018) Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Neudruck Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 1611 vom 16. Oktober 2018 der Abgeordneten Elisabeth Müller-Witt SPD Drucksache 17/3960 Kinderarmut in der Stadt Velbert Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Nach Schätzung des Deutschen Kinderschutzbundes (DSKB) leben rund 4,4 Millionen Kinder in Deutschland in Armut. Arme Kinder haben auch immer arme Eltern! In Deutschland werden Kinder als „arm“ definiert, die in einem Haushalt leben, der staatliche Grundsicherungsleistungen empfängt. Laut einer Studie der Bertelsmann Stiftung ist die Armutsrisikoquote bei Alleinerziehenden und Familien mit mehr als zwei Kindern dabei besonders hoch. Im Juni 2016 titelte die WAZ: „Jedem achten Kind droht in Velbert Armut: 2332 der rund 14 400 unter 18-Jährigen in der Stadt leben in Hartz-IV-Familien.“1 Arme Kinder sind in ihrer Schullaufbahn benachteiligt. Ihnen fehlt eine adäquate Schulausstattung, die viel zu häufig nur aus gebrauchten Materialien besteht. Wenn sie ein Frühstück dabei haben, ist dies selten eine ausgewogene und gesunde Mahlzeit. Die Kosten für das Mittagessen können sich viele dieser Familien nicht leisten. Darüber hinaus können die Kinder an sozialen, kulturellen und sportlichen Angeboten nicht teilnehmen, wodurch sie Nachteile haben und teils ausgegrenzt werden. Die Benachteiligung zieht sich wie ein roter Faden auch durch andere Lebensbereiche, sodass die soziale Herkunft der Kinder ihre persönliche Entwicklung und die gesellschaftliche Teilhabe erschwert. Von einer Chancengleichheit im Sinne gerechter Startbedingungen für das Leben kann hier keine Rede sein. Der DSKB weist daher zurecht seit Jahren darauf hin, dass das Einkommen zwar eine Schlüsselrolle bei der Bewertung von „Armut“ spielt, darüber hinaus aber die daraus folgenden mangelnden Möglichkeiten in den Lebensbereichen „Bildung“, „Arbeit“, „Wohnen“, „Gesundheit“, „Freizeit“ und „soziale Netzwerke“ das wahre Ausmaß der Kinderarmut ausmachen. Der DGB fordert daher Lösungen, die die Rahmenbedingungen der Familien verbessern und alle Facetten der Armut betrachten. 1 https://www.waz.de/staedte/velbert/jedem-achten-kind-droht-in-velbert-armut-id11880139.html LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/4226 2 Der Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales hat die Kleine Anfrage 1611 mit Schreiben vom 14. November 2018 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration, der Ministerin für Schule und Bildung sowie mit der Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung beantwortet. 1. Wie hat sich die Kinderarmut in der Stadt Velbert in den letzten zehn Jahren entwickelt? Absolute Zahlen sowie die Mindestsicherungsquote und ihre Entwicklung in den letzten zehn Jahren ergeben sich aus den beigefügten tabellarischen Übersichten (Anlagen 1 und 2). 2. Wie haben sich die Maßnahmen aus dem Projekt „Kein Kind zurücklassen“ auf die Situation der Kinderarmut in der Stadt Velbert ausgewirkt? (Bitte mit konkreten Zahlen und Maßnahmen) Das Modellprojekt „Kommunale Präventionsketten (ehemals „Kein Kind zurücklassen“) wurde im Jahr 2012 unter der vormaligen Landesregierung eingeführt; von 2012 bis 2016 nahmen hieran zunächst 18 Modellkommunen teil; seit 2017 zählen weitere 22 Modellkommunen zum Teilnehmerkreis. Die Stadt Velbert nimmt nicht am Modellprojekt teil. Entsprechend konnte die Stadt bisher keine Mittel aus dem Programm abrufen. Die Landesregierung verfolgt das Ziel, Prävention (zur Bekämpfung der negativen Folgen von Kinderarmut) flächendeckend und nachhaltig zu stärken. Der Haushaltsentwurf 2019 enthält für den Aufbau kommunaler Präventionsketten zusätzliche Mittel in Einzelplan 07, Kapitel 040, Titelgruppe 70. Der Aufbau kommunaler Präventionsketten kann sich erst mittel- und langfristig auf die Entwicklung der Kinderarmutsquote auswirken, da er beim Kind selbst ansetzt und nicht an der Einkommenssituation der Eltern. 3. In welchem Umfang wurden Fördermittel zur Bekämpfung der Kinderarmut abgerufen? (nach Art der Fördermaßnahme, in Prozent der verfügbaren Fördermittelsummen, nach Leistungsempfänger und nach Schulform) In Bezug auf das Programm „Kommunale Präventionsketten“ wird auf die Antwort zu Frage 2 verwiesen. Im Hinblick auf Fördermöglichkeiten durch den Aufruf „Starke Quartiere – starke Menschen“ (SQsM) wird mitgeteilt, dass Mittel des ESF zum Thema Kinderarmut im Rahmen von SQsM aus der Stadt Velbert nicht beantragt wurden. Insofern können ESF-Mittel durch die Stadt Velbert auch nicht „abgerufen“ werden. Seit dem Jahr 2015 finanziert das Land Nordrhein-Westfalen mit jährlich rd. 47,7 Mio. EUR das Programm „Soziale Arbeit an Schulen im Rahmen des Bildungs- und Teilhabepakets“. Mit den bereitgestellten Mitteln werden die Kommunen bei der sozialraumorientierten Jugend- und Sozialarbeit unterstützt. Hauptaufgabe der eingesetzten Bildungs- und Teilhabeberaterinnen und -berater ist die Vermittlung von Leistungen des Bildungs- und Teilhabepakets, um die gesellschaftliche und LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/4226 3 arbeitsmarktliche Integration durch Bildung zu forcieren sowie Bildungsarmut und soziale Exklusion zu verringern bzw. ganz zu vermeiden. Das Landesprogramm, an dem alle nordrhein-westfälischen Kommunen partizipieren, gilt damit als ein Baustein für die gesellschaftliche Integration von finanziell benachteiligten Kindern und Jugendlichen in Nordrhein-Westfalen. Im Jahr 2017 hat der Kreis Mettmann 999.712,78 Euro aus diesem Landesprogramm erhalten. Dies entspricht dem maximalen Förderbetrag aus dem Landesprogramm für den Kreis Mettmann. Mit den Mitteln wurden insgesamt 8 Bildungs- und Teilhabeberaterinnen und -berater in der Stadt Velbert mitfinanziert, die für die verschiedenen Schul- und Bildungseinrichtungen der Stadt zur Verfügung standen. Weder im Rahmen des Programms „NRW hält zusammen für ein Leben ohne Armut und Ausgrenzung“ noch im Rahmen des Aufrufs „Zusammen im Quartier - Kinder stärken -Zukunft sichern“ liegt bislang ein Antrag der Stadt Velbert vor. 4. Welche Gründe sieht die Landesregierung, weshalb vorhandene Mittel aus Programmen und Förderungen zur Bekämpfung der Kinderarmut nicht abgerufen werden? Die Entscheidung über die Teilnahme an Landesförderprogrammen obliegt der kommunalen Selbstverwaltung der Kommunen. Dies gilt ebenso für eine Beteiligung freier Träger, soweit sie antragsberechtigt sind. Die Stadt Velbert hat sich am Aufruf „Starke Quartiere – starke Menschen“ bisher nicht beteiligt. Mit Bezug auf das Landesprogramm „Soziale Arbeit an Schulen im Rahmen des Bildungs- und Teilhabepakets“ wurden alle zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel durch den Kreis Mettmann im Jahr 2017 abgerufen. 5. Welche kurzfristigen und langfristigen Maßnahmen erwägt die Landesregierung, um die Kinderarmut in der Stadt Velbert zu senken? Das Landesprogramm „Soziale Arbeit an Schulen im Rahmen des Bildungs- und Teilhabepakets“ wurde frühzeitig bis zum Ende des Jahres 2020 verlängert. Vorbehaltlich der Zustimmung durch den Landtag ist für den Haushalt 2019 überdies geplant, die Finanzierung des Landesprogramms bis zum Jahr 2022 einschließlich sicherzustellen, um den Kommunen weitere Planungssicherheit auf diesem Gebiet zu ermöglichen und dadurch den Kindern und Jugendlichen weiterhin Unterstützungsmöglichkeiten zu bieten. Mit der Landesinitiative „Kein Abschluss ohne Anschluss (KAoA)“ hat Nordrhein-Westfalen als erstes Flächenland ein verbindliches, einheitliches Übergangsystem Schule - Beruf in allen 53 Gebietskörperschaften des Landes implementiert. KAoA unterstützt sämtliche Schülerinnen und Schüler in ihrem individuellen Prozess der Beruflichen Orientierung und trägt so zu nahtlosen und direkten Übergängen in Ausbildung, Studium und Beruf für alle Jugendlichen bei. Mit dem ESF-geförderten Programm Werkstattjahr hat das Land im Übergang Schule-Beruf zudem ein niedrigschwelliges Berufsvorbe-reitungsinstrument für junge Menschen mit fehlender Ausbildungs-reife/Berufseignung und multiplen Problemlagen geschaffen. Das Werkstattjahr bereitet junge Menschen praxis- und betriebsnah auf Ausbildung und Beruf vor. Im Kreis Mettmann stehen insgesamt 36 Teilnehmendenplätze im Werkstattjahr zur LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/4226 4 Verfügung, die auch den Standort Velbert abdecken. Auf diese Weise leistet KAoA als langfristig wirksames Gesamtsystem einen Beitrag zur Schaffung beruflicher Perspektiven für alle jungen Menschen und damit auch zur Vermeidung verfestigter Armut. Kinderarmut darf keine Ausgrenzung nach sich ziehen. Schulsozial-arbeit sowie Leistungen zur Bildung und Teilhabe (BuT) können kompensatorisch wirken. Das Land schätzt den hohen Stellenwert der Sozialarbeit an Schulen. Deshalb stellt auch das Ministerium für Schule und Bildung in Ergänzung der kommunalen Schulsozialarbeit landeseigene Stellen für die Beschäftigung von Fachkräften für Schulsozialarbeit zur Verfügung, die unbefristet und dauerhaft finanziell gesichert sind. Mit dem Haushalt 2018 wurden mit Beginn des Schuljahres 2018/2019 ab dem 1. August 2018 insgesamt 968 Stellen für die Schulsozialarbeit und den Bereich der Integration bereitgestellt. Aus diesen Landesstellen wurden 482 Tarifstellen für Fachkräfte für Schulsozialarbeit (Gesamtschulen: 345 Stellen, Sekundarschulen: 124 Stellen, Gemeinschaftsschulen: 10 Stellen, Realschulen: 3 Stellen) aus dem Ganztagszuschlag der Schulen finanziert. Zudem stehen 226 Stellen für Multiprofessionelle Teams, die für die Soziale Arbeit an Schulen genutzt werden, vorrangig für besondere Zielgruppen wie Geflüchtete und andere neu Zugewanderte zur Verfügung. Außerhalb des Ganztagszuschlags werden als Mehrbedarf 250 Planstellen für Hauptschulen und 10 Planstellen für Förderschulen bereitgestellt, die auch für sozialpädagogische Kräfte geöffnet sind. Jede Schule kann je nach Schulgröße bis zu zwei Lehrerstellen in Stellen für Schulsozialarbeit umwandeln. Voraussetzung ist, dass die Erteilung des Unterrichts gemäß Stundentafel gewährleistet ist. Die Kommunen stellen in der Regel in gleicher Höhe Stellen für die Schulsozialarbeit zur Verfügung („Matching-Verfahren“). An Schulen mit gebundenem Ganztag sind Stellen bzw. Stellenanteile aus dem Ganztagszuschlag in Anspruch zu nehmen. Schulen ohne Ganztag, z.B. Berufskollegs, können reguläre Lehrerstellen dafür verwenden. Aktuell werden landesseitig 350 Lehrerstellen für den Einsatz sozial-pädagogischer Fachkräfte in Schulen genutzt (RdErl. v. 23. Januar 2008 „Beschäftigung von Fachkräften für Schulsozialarbeit in NRW“). Weitere Fördermöglichkeiten im Rahmen von Schulsozialarbeit: Programm „Geld oder Stelle“ zur Kapitalisierung von Lehrerstellen im Ganztag gibt mit Anstellungsträgerschaft bei der Kommune oder den freien Trägern ebenfalls Möglichkeiten zur Finanzierung von Schulsozialarbeit durch das Land. Schließlich haben die Kommunen Schulsozialarbeit auf- und ausgebaut. Die Kommunen haben vielerorts Träger der freien Jugendhilfe als Anstellungsträger beauftragt. Mit dem aktuellen Programmaufruf „Zusammen im Quartier - Kinder stärken - Zukunft sichern“ (Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales) wurde darüber hinaus ein Förderprogramm gegen Kinderarmut aufgelegt, in dessen Mittelpunkt einkommensarme Kinder, Jugendliche und ihre Familien stehen, die in benachteiligten Quartieren leben. Ihre Teilhabechancen sollen verbessert werden, denn sie sind besonders von Armut und Ausgrenzung betroffen. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/4226 5 Bausteine des Aufrufs sind die Förderung qualifizierter Bezugspersonen im Quartier, Maßnahmen für gesundes Aufwachsen sowie Aktivitäten zur Implementierung von Sozialplanungsprozessen in Gemeinden. Über den Programmaufruf werden jährlich bis zu 8 Millionen Euro aus Landes- und ESF-Mitteln zur Verfügung gestellt. Antragsberechtigt sind juristische Personen mit Sitz in Nordrhein-Westfalen. Hierzu zählen neben den Gebietskörperschaften auch Träger der freien Wohlfahrtspflege sowie weitere Akteure, die für das Quartier aktiv sind. /!"