LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/4229 14.11.2018 Datum des Originals: 13.11.2018/Ausgegeben: 19.11.2018 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 1575 vom 12. Oktober 2018 der Abgeordneten Alexander Langguth, Frank Neppe und Markus Pretzell FRAKTIONSLOS Drucksache 17/3894 Jugendkriminalität Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Im Zehnjahresvergleich weist die Entwicklung der Jugendkriminalität bei der Anzahl der Tatverdächtigen unter 21 Jahren einen absoluten Rückgang von 24,2 Prozent aus.1 Auch die Tatverdächtigenbelastungszahl zeigt einen Rückgang der tatverdächtigen Personen über 8 Jahren und unter 21 Jahren je 100.000 Personen, welche über 8 Jahren und unter 21 Jahren sind. Innerhalb der Jugendkriminalität zeigt sich jedoch ein heterogenes Bild. Während zwischen 2008 und 2014 ein Rückgang der ermittelten Tatverdächtigen in fast allen Deliktbereichen zu verzeichnen war, kam es seit 2014/ 2015 in bestimmten Bereichen zu einer Umkehr des Trends. Bei den Straftaten gegen das Waffengesetz hat sich der abnehmende Trend deutlich umgekehrt, wodurch 2017 54,7 % mehr Personen unter 21 Jahren tatverdächtig waren als 2014. Auch wenn in allen Altersgruppen unter 21 Jahren ein Anstieg zu verzeichnen war, betraf dies prozentual betrachtet die Altersgruppe „Kinder“ am stärksten.2 Zu einem Anstieg kam es seit 2015 ebenfalls in den Deliktsbereichen der Körperverletzung und der Sachbeschädigung. Bei den Straftaten unter Alkoholeinfluss findet seit 2009 eine positive Entwicklung statt. Seit 2011 steigt die Anzahl tatverdächtiger Personen unter 21 Jahren bei den Straftaten gegen das BtMG kontinuierlich, eine Ausnahme hiervon macht nur das Jahr 2015. Ein Vergleich der Jahre 2016 und 2017 zeigt bei der Tatörtlichkeit Schule, dass bei den jugendtypischen Delikten Raub, Diebstahl, Sachbeschädigung, Körperverletzung und 1 LKA NRW – Jugendkriminalität und Jugendgefährdung – Lagebild NRW 2017 2 Tatverdächtige bei Straftaten gegen das Waffengesetz zwischen 2014 und 2017 Kinder +75,5 %, Jugendliche +69,1 % und Heranwachsende +41 %. LKA NRW – Jugendkriminalität und Jugendgefährdung – Lagebild NRW 2017 LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/4229 2 Straftaten gegen das BtMG die Anzahl tatverdächtiger Personen unter 21 Jahren zwischen acht und 18,5 Prozent gestiegen ist.3 Der Minister des Innern hat die Kleine Anfrage 1575 mit Schreiben vom 13. November 2018 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration und der Ministerin für Schule und Bildung beantwortet. 1. Auf welche Ursachen lassen sich die Trendwenden 2014/ 2015 der tatverdächtigen Personen unter 21 Jahren in den Deliktsbereichen Körperverletzung und Straftaten gegen das Waffengesetz aus Sicht der Landesregierung zurückführen? Die in der Vorbemerkung der Kleinen Anfrage dargestellten Vergleiche von Tatverdächtigenzahlen zu verschiedenen Delikten beziehen sich auf statistisch sehr kurze Vergleichszeiträume. Diese sind für eine statistisch valide Ableitung und Bewertung von Ursachen und Trends daher nur sehr bedingt geeignet. Allerdings lässt gerade die Zunahme der Fallzahlen auf eine gestiegene Aufklärungsleistung und die Aufhellung des Dunkelfeldes schließen, da die jeweiligen Taten naturgemäß erst mit der Tatklärung der Jugendkriminalität zugeordnet werden können. Das trifft in besonderem Maße für Straftaten gegen das Waffengesetz und gegen das Betäubungsmittelgesetz zu, da es sich hierbei um sogenannte Kontrolldelikte handelt. Die kriminalpolizeilichen Ermittlungen sowie die Präsenzkonzepte und Schwerpunktkontrollen der Polizei haben insoweit maßgeblichen Einfluss auf die Entwicklung von Fallzahlen und die Anzahl der ermittelten Tatverdächtigen. 2. Welche Maßnahmen plant die Landesregierung in Folge des Anstiegs der tatverdächtigen Personen unter 21 Jahren bei Straftaten gegen das Waffengesetz in den vergangenen Jahren, um den ansteigenden Trend umzukehren? 3. Welche Maßnahmen plant die Landesregierung, um den Trend des jährlichen Anstiegs tatverdächtiger Personen unter 21 Jahren bei Straftaten gegen das BtMG umzukehren? Die Fragen 2 und 3 werden gemeinsam beantwortet. Die Bekämpfung der Jugendkriminalität ist ein zentrales Anliegen der Landesregierung. Der konsequenten Umsetzung des gemeinsamen Runderlasses „Zusammenarbeit bei der Verhütung und Bekämpfung der Jugendkriminalität“ kommt hierbei eine wesentliche Bedeutung zu. Der Erlass stellt die Aufgaben der einzelnen Akteure (Jugendämter, Schule, Polizei-, Justiz-, Gesundheits- und Ordnungsbehörden) bei der Verhütung und Bekämpfung der Jugendkriminalität dar und weist Möglichkeiten der Zusammenarbeit aus, z. B. in präventiven Projekten, Netzwerken und Fallkonferenzen. Er gibt Schulen, konkret Lehrerinnen und Lehrern, Fachkräften für Schulsozialarbeit und allen pädagogischen Bediensteten der Schulen, eine verlässliche Handlungsgrundlage und schafft Klarheit hinsichtlich der Weitergabe von Informationen an die zu beteiligenden Behörden, auch bei Verstößen gegen das Waffengesetz bzw. das Betäubungsmittelgesetz. Der gemeinsame Runderlass 3 Raubdelikte +8%, Körperverletzung +15,1%, Diebstahl +14%, Sachbeschädigung +18,5% und Straftaten gegen das BtMG +12,3%. LKA NRW – Jugendkriminalität und Jugendgefährdung – Lagebild NRW 2017 LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/4229 3 „Zusammenarbeit bei der Verhütung und Bekämpfung der Jugendkriminalität“ sowie der Notfallordner für Schulen werden derzeit aktualisiert. Das Ministerium für Schule und Bildung des Landes Nordrhein-Westfalen hat allen Schulen des Landes den Notfallordner „Hinsehen und Handeln“ zur Verfügung gestellt und empfohlen, Schulteams für Gewaltprävention und Krisenintervention einzurichten, um auf Gewalt- und Krisenereignisse gut vorbereitet zu sein. In jedem Kreis und in jeder kreisfreien Stadt steht mindestens eine Schulpsychologin oder ein Schulpsychologe mit einer gesonderten Ausbildung im Krisenmanagement (Notfallpsychologie) zur Verfügung. Die Schulpsychologie ist der psychologische Fachdienst der Schule, sie nutzt psychologische Erkenntnisse, um die Schule in ihrem Bildungs- und Erziehungsauftrag zu unterstützen. Sie berät Schülerinnen und Schüler, Eltern, Lehrkräfte und weitere in Schule tätige Fachkräfte. Aktuell befinden sich 349 Schulpsychologinnen und Schulpsychologen im Dienst, davon 181 im Landesdienst. Im August 2017 hat das Ministerium für Schule und Bildung die Lan-desstelle Schulpsychologie und Schulpsychologisches Krisenmanagement eingerichtet. Seit dem 01.02.2018 ist sie mit sechs Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern (drei Schulpsychologen, zwei Fachkräfte für Schulsozialarbeit, eine Beratungslehrerin) besetzt. Die Landesstelle unterstützt die Schulaufsicht bei ihrer Aufgabenwahrnehmung und gleichermaßen Schulpsychologinnen und Schulpsychologen im Landesdienst und im kommunalen Dienst. Als weitere Anlaufstelle lässt sich die Landespräventionsstelle gegen Gewalt und Cybergewalt an Schulen in Nordrhein-Westfalen nennen, die das Ministerium für Schule und Bildung gemeinsam mit der Landeshauptstadt Düsseldorf und der Bezirksregierung Düsseldorf eingerichtet hat. Sie ist für Schulen eine wichtige zentrale Anlaufstelle und unterstützt diese systematisch in ihrem Engagement gegen Gewalt und Ausgrenzung. Im Mai 2017 wurde die Landespräventionsstelle mit einer weiteren Lehrerstelle ausgestattet (insgesamt zwei), die zum 01.02.2018 besetzt werden konnte. In fast allen Schulen der Sekundarstufe I und II gibt es mindestens eine speziell ausgebildete Beratungslehrkraft. Sie berät und vermittelt bei Bedarf professionelle Hilfe von außen. In den Schulen in Nordrhein-Westfalen gibt es eine Vielzahl von Programmen, Aktivitäten und Projekten zur Stärkung des sozialen Zusammenhangs, zur Verhinderung von Ausgrenzung und zur Förderung eines respektvollen, gewalt- und angstfreien Schulklimas. Dazu gehören z. B. die Projekte „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ (mehr als 700 Schulen haben das entsprechende Siegel erhalten), „Schule der Vielfalt – Schule ohne Homophobie“ und Kinderrechte-Schulen mit „Education Y“. Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz sowie Verstöße gegen das Waffengesetz wurden neben anderen Themen auf dem Experten-workshop „Gewalt im schulischen Kontext“ am 11.10.2018 im Ministerium für Schule und Bildung diskutiert und sind Bestandteil des neuen Gewaltschutzkonzepts 2019 des Ministeriums für Schule und Bildung. Es liegt darüber hinaus in der Verantwortung der gesamten Schulgemeinschaft deutlich zu machen, dass sie keine Form der Gewalt in ihrer Schule duldet. Umso wichtiger ist es, dass jede Schule Maßnahmen zur Gewaltprävention in ihr Schulprogramm aufnimmt. Polizeiliche Maßnahmen der Drogenprävention sind insbesondere darauf ausgerichtet, den Informationsstand über geltende strafrechtliche Bestimmungen und die damit verbundenen strafprozessualen Konsequenzen zu verbessern. Die Polizei vermittelt ihre spezifischen Erkenntnisse zum Drogenmissbrauch vorrangig an Multiplikatoren (Eltern, Lehrer, sonstige LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/4229 4 Erziehungsverantwortliche, Trainer, Betreuer etc.) und erhöht dadurch deren Sach- und Handlungskompetenz, insbesondere hinsichtlich des Erkennens von Drogenkonsum. Jugendliche sollen durch ihre Bezugspersonen über rechtliche Aspekte, gesundheitliche Risiken und soziale Folgen des Konsums legaler und illegaler Suchtmittel aufgeklärt und zu einem normgerechten, sozialverträglichen und gesundheitsbewussten Verhalten motiviert werden. Eine unmittelbare Information von Kindern und Jugendlichen erfolgt nur dann, wenn die polizeilichen Maßnahmen in das pädagogische Gesamtkonzept eines anderen Verantwortungsträgers (z. B. Schule, Jugendeinrichtung) eingebettet sind. Um möglichst große Synergieeffekte zu erzielen, strebt die Polizei auf örtlicher Ebene die Zusammenarbeit mit anderen Verantwortungsträgern, vor allem Schulen, Suchtberatungsstellen, Gesundheitsämtern, Jugendämtern und Krankenkassen an und fördert die Bildung von Netzwerken. Sie beteiligt sich an kriminalpräventiven Gremien, Fachausschüssen, Arbeitskreisen und Fachtagungen zur Suchtprävention. Darüber hinaus wurde die Thematik „Statistische Erfassung von Messerangriffen“ bereits in die Gremien der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder eingebracht. Der Erörterungs- und Abstimmungsprozess dauert an. Des Weiteren hat Nordrhein-Westfalen bereits Anfang 2018 die Implementierung eines Tatmittelkatalogs in die Polizeiliche Kriminalitätsstatistik initiiert. Im Jahr 2019 sollen damit Straftaten unter Verwendung von Waffen differenziert abgebildet werden können. 4. Auf welche Ursachen lässt sich die negative Entwicklung der Tatörtlichkeit Schule nach Kenntnis der Landesregierung zurückführen? Siehe Ausführungen zu Frage 1. 5. Welche Bedeutung haben clanähnliche Familienstrukturen für die Jugendkriminalität in NRW? Daten zur Altersstruktur von Tatverdächtigen aus clanähnlichen Familienstrukturen liegen an zentraler Stelle nicht vor. Eine Abfrage der Kreispolizeibehörden war mit vertretbarem Verwaltungsaufwand und in der zur Beantwortung einer Kleinen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich.